d4vd im Interview: „Ich möchte, dass die Leute darüber sprechen, was ich wohl als nächstes machen werde“

Wenn ein Teenager den Weg von Houston, Texas nach Berlin, Deutschland zurück legt, dann in der Regel, weil er mit seiner Familie in Urlaub ist. Seine Familie hat David an diesem Tag auch tatsächlich vollzählig dabei. Sein Bruder sitzt nebenan mit riesigen Kopfhörern auf einem Stuhl und tippt geduldig auf seinem Handy. Seine Mutter und sein Vater kümmern sich währenddessen um die kleine Schwester, die immer noch unter dem Jetlag leidet. Aber David ist nicht zum Sightseeing in Berlin. Stattdessen sitzt er auf einem Sofa in einer Interview-Lounge seines Plattenlabels, das den siebzehnjährigen frisch unter Vertrag genommen hat, weil er vor weniger als einem Jahr angefangen hat Musik zu machen und damit nun die Internet Communities von TikTok, Twitter und co auf den Kopf stellt.

d4vd ist sein Künstlername, gesprochen David, „Romantic Homicide“heißt sein erster großer Hit, der sich wie ein Lauffeuer im Internet verbreitet hat (wir reden hier von Zahlen wie über 39 Millionen globale Streams). Wenn man den hört, kann man sich kaum vorstellen, dass dahinter ein Teenager aus Texas steckt, der angefangen hat, im Wandschrank seiner Schwester Musik für seinen Fortnite YouTube Kanal zu schreiben. Die schwermütige Goth-Ballade scheint eine ungewöhnliche Wahl, eigen und sowohl vom Songwriting als auch von der Produktion her schon sehr ausgereift, vor allem wenn man bedenkt, dass d4vd seine Musik mithilfe einer App auf dem Handy kreiert. 

Nun war d4vd zum ersten Mal in Europa und hat im Rahmen einer kleinen Promo-Tour neben London und Paris auch in Berlin Station gemacht. Außer einem kurzen Spaziergang entlang der Mauergalerie gemeinsam mit seiner Familie blieb nicht viel Zeit für Privates, denn die meiste Zeit seines kurzen Aufenthaltes hat er mit Gesprächen wie dem unseren verbracht – und sich dabei als ungewöhnlich eloquent, selbstbewusst und zielstrebig erwiesen. d4vd hat auf jeden Fall noch eine Menge vor. 

Du wirkst so unglaublich entspannt! Ich versuche mir vorzustellen, wie es mir in deinem Alter in dieser Situation ergangen wäre.

Ich kaue den ganzen Tag Kaugummi, das hilft (lacht).

Erzähl mir, wie ist es dazu gekommen, dass wir heute zusammen auf dieser Couch sitzen?

Ich mache erst seit neun Monaten Musik. Ich bin quasi noch ein Baby, das hier ist wie eine zweite Geburt für mich. Davor habe ich nichts anderes gemacht, als Videospiele gespielt. Und zwar 24 Stunden am Tag. Ich war richtig abhängig. Ich hatte richtig Stress deswegen und ständig Hausarrest. Meine Mutter hat es gehasst, aber ich habe Geld damit verdient. Am Anfang habe ich Copyright freie Musik genutzt. Damit kann man aber nichts verdienen. Also meinte meine Mutter: mach deine eigene Musik. Ich dachte okay, das kann ich. Am nächsten Tag habe ich mich bei meiner Schwester in den Wandschrank gesetzt und gegooglet, wie man mit dem iPhone Musik macht. Da habe ich die App BandLab entdeckt. Stell es dir wie eine Computersoftware vor, aber auf deinem Telefon. Du brauchst nur Kopfhörer, egal was für welche, es ist wirklich super einfach. Niemand hat mir beigebracht wie es geht, ich brauchte noch nicht mal YouTube Tutorials, ich habe einfach rum probiert. Eine Woche später hatte ich meinen ersten Song fertig, „Runaway“, den kann man immer noch hören. Den habe ich aber noch nicht für meine Fortnite Videos benutzt, ich wollte vorher meinen Sound perfektionieren. Dann habe ich „You and I“ gemacht, das war mein erster Song für ein Fortnite Video. Und er ist direkt eingeschlagen, auf Twitter, auf YouTube, andere Leute haben ihn in ihren Montagevideos genutzt. Also dachte ich, das könnte etwas sein. Meine ersten Songs habe ich exklusiv nur für meine Fortnite Videos benutzt. Dann habe ich den Song „Bleed Out“ veröffentlicht, der hatte ein bisschen Erfolg außerhalb von Fortnite. Also habe ich TikTok ausprobiert. Mein erstes Video hatte 59.000 Views am ersten Tag. Ich dachte wow, das könnte wirklich etwas sein! Die Leute haben mich mit Artists verglichen, von denen ich noch nie gehört hatte. Bis zu meinem 13. Lebensjahr gab es in unserem Haushalt nur Gospelmusik. Ich habe also all diese verschiedenen Sounds unterbewusst in mich aufgenommen, Melodien wie nebenbei in mich aufgenommen und Sachen ausprobiert. Meine Mutter hat immer versucht, mir diese DIY Mentalität beizubringen. Wenn du etwas brauchst, mach es selbst. Ich habe mir eine Plattform aufgebaut mit allen möglichen Sachen, ich habe alberne Reels gepostet mit Alvin and the Chipmunks Covern und so Sachen, bis ich an die 100.000 Follower hatte. Dann dachte ich, jetzt kann ich auch meine eigene Musik veröffentlichen. Da kamen „Here with Me“ und „Romantic Homicide“ ins Spiel. Der Kreis hat sich geschlossen, und jetzt sitze ich auf dieser Couch (lacht). Das ist die ganze Geschichte! 

Im Grunde stellst du ein Problem für uns Mütter dar – du bist das lebende Beispiel dafür, dass man es zu etwas bringen kann, indem man den ganzen Tag Fortnite spielt.

Nimm deinen Kids nicht die Controller weg! (lacht) Ich habe angefangen Fortnite zu spielen, als ich zwölf war. Ich spiele es schon mein ganzes Teenager Leben. Ich finde, es gibt schlimmere Spiele.

Aber es nimmt einen wahnsinnig gefangen, oder?

Das tut es. Man kann nicht damit aufhören. 30 Minuten, dann bist du verloren. 

Aber du sitzt heute hier, und du wirkst unglaublich reflektiert. Würdest du sagen, dass du jemand bist, der nicht so schnell den Bezug zur Realität verliert? Wenn man sich so viel online bewegt wie du, kann einen das ja sehr vom realen Leben entfernen.

Ich glaube, es sind meine Eltern. Die halten mich am Boden. Ich habe im realen Leben zwei Freunde. Online war schon immer mein Ding. Aber ich weiß schon, dass es da draußen eine echte Welt gibt, in der ich auch funktionieren muss, als Mitglied einer Gesellschaft. Man muss irgendwie die Balance finden. Ich glaube schon, dass ich jemand bin, der das gut kann. 

Wann hast du angefangen zu singen? 

Ich sehe mich immer noch nicht wirklich als Sänger. Die Leute fragen mich oft, wer meine musikalischen Vorbilder sind. Für mich waren es immer die Leute, mit denen ich im Chor gesungen habe. Die konnten so coole Sachen machen, unglaublich fortgeschrittene Gesangstechniken. Ich dachte immer wow, das würde ich auch gerne können, bin aber nie auf die Idee gekommen, selbst Musik zu machen. Bis mir klar wurde, dass es beim Musik machen nicht unbedingt darauf ankommt, die beste Stimme zu haben, sondern einfach sich auszudrücken. Es gibt viele Menschen mit tollen Stimmen, aber können sie auch einen Song zusammen stellen? Ich sehe mich zuerst als Songschreiber, erst in zweiter Linie als Sänger. 

Du hättest ja für die Videos auch reine Instrumentalmusik machen können. Das hätte gut gepasst zu der ganzen Fortnite Welt.

Das hätte es. Aber wäre es dann auch etwas besonderes gewesen? Hätte man gehört. dass ich das jetzt gemacht habe? 

Wenn man singt, braucht man auch Texte. Und um Texte zu schreiben, muss man wissen, was man sagen will.

Richtig. Mir sagt das jeweilige Instrumental, was es sagen will. Manche schreiben zuerst die Texte und dann die Melodie dazu. Für mich funktioniert das nicht. Ich muss erst etwas hören, daraus entsteht der Text. Ich schreibe nicht im eigentlichen Sinn Texte. Sie passieren einfach so. Ich schreibe Gedichte. Aber daraus werden nie Songs. Ich benutze sehr viel altes Englisch in meinen Gedichten. In Songs funktioniert das nicht, da muss man verstehen, was ich sage. Es ist eine ganz andere Erfahrung. Ich versuche, die unterschiedlichen Teile meines Gehirns getrennt voneinander zu benutzen. Das Gedichte schreiben hat seinen eigenen Bereich, das Gaming, die Musik… ich habe mir jetzt drei Gitarren und zwei Keyboards gekauft. Ich möchte so viele Instrumente wie möglich lernen. Ich möchte mir ein Saxophon und eine Klarinette kaufen und wieder anfangen, Flöte zu spielen. Ich habe mal Flöte gespielt! Aber die musste ich verkaufen, weil ich mir einen Computer kaufen wollte (lacht). Es wird hart, aber ich möchte mich weiter entwickeln. 

Du hast auf jeden Fall große Pläne.

Die habe ich! Man sagt: wenn du möchtest, dass Gott sich in deine Pläne einmischt, sprich sie laut aus. Wer weiß also, was nach diesem Interview passiert! (lacht) Ich hoffe, ich hab’s nicht versaut. 

Du hast es bis hier geschafft!

Das habe ich. 

Also, wir haben die Instrumentals, das Songwriting, die Texte, den Gesang… als nächstes kommt die Performance. 

Oh, die kommt definitiv. Ich habe so viele Ideen. Das einzige Problem ist, ich habe all diese große Ideen, aber ich muss klein anfangen. Ich möchte den Wandschrank meiner Schwester auf der Bühne nachstellen und in diesem Wandschrank performen. Das wäre wie eine Dokumentation, ein realistisches Bild davon, wie ich Musik mache. Boom! LED Lampen, Bildschirme… ich bin ziemlich sportlich, mache Gymnastik, ich könnte Parcour auf der Bühne machen. Es wird kein typisches Konzert, mehr eine Show werden. Ich möchte, dass die Leute darüber sprechen, was ich wohl als nächstes machen werde. Ich kann es kaum erwarten, live zu spielen. Bis jetzt habe ich nur ein kleines Showcase gespielt, ein kleiner Testlauf, wie es sich anfühlt. Hoffentlich passiert es nächstes Jahr. Ich arbeite dran. 

Ich bin wirklich gespannt, wie das dein Songwriting beeinflussen wird.

Oh wow. Das wird etwas werden. Alles was ich mache, inspiriert mich zu einem Song. Ich binde mir die Schuhe zu und habe eine Idee für einen Song. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was live spielen mit mir machen wird. Aber ich muss einen Schritt nach dem anderen machen und den Moment genießen. 

Was tust du, um dich zu entspannen?

Ich spiele Videospiele. Da kann ich in eine andere Welt abtauchen und Spaß haben.

Aber das bringt dein Gehirn auch nicht wirklich zur Ruhe.

Nein. Das sagen meine Eltern auch! (lacht) Mein Gehirn arbeitet die ganze Zeit, ob ich will oder nicht. Deshalb mache ich mir auch ständig Notizen. Wenn ich mir etwas nicht notiere, vergesse ich es sofort wieder. Oft mache ich etwas nur zur Hälfte fertig, weil ich schon wieder die nächste Idee habe. Aber ich habe auch schon ganze Alben voller Songs fertig. Ich habe auch hier im Hotel schon wieder an neuen Sounds gearbeitet. Ich kann es kaum erwarten, all das zu veröffentlichen, damit die Leute es hören können. Feedback ist mir das allerwichtigste. 

Um dir welches zu geben: „Romantic Homicide“ ist ein wirklich guter Song. 

Danke! 

Du hast wirklich einen sehr eigenen Style, der dafür, dass du erst seit so kurzem Musik machst, schon sehr weit entwickelt ist. 

Die Dinge kommen zu mir immer zufällig. Und ich habe im Prinzip alles meinen Eltern zu verdanken. Ich habe mit Gymnastik angefangen, weil mein Vater mich für den Kurs angemeldet hat. Ich habe angefangen Klavier zu spielen, weil meine Mutter mich dafür angemeldet hat. Ich habe angefangen Videospiele zu spielen, weil mein Dad mir 2009 eine Playstation 3 geschenkt hat. Mit Fortnite habe ich angefangen, weil ein Freund von mir es gespielt hat. Ich werde Zuhause unterrichtet, deswegen bin ich viel Zuhause und spiele deshalb noch mehr. 2018 habe ich beschlossen, ein professioneller Gamer zu werden, weil es mir gerade eingefallen ist. Mein ganzes Leben ist eine einzige Reihe von Fingerschnipsern. Aber ich liebe es. Ich kann mich nicht beschweren. 

Spielt Schule für dich noch eine Rolle?

Definitiv. Zuhause unterrichtet zu werden, war für mich die beste Entscheidung. Ich war kein guter Schüler. Heute lerne ich gern, weil ich mich nicht an Schulbücher halten muss, sondern Sachen lernen kann, die ich tatsächlich im Leben anwenden kann. Wenn ich Mathe lerne, dann so, dass ich es praktisch anwenden kann. Ich lerne Wissenschaften… ich habe das Gefühl, mit dem was man in der Schule lernt, kann man höchstens selbst Lehrer werden, um es weiterzugeben. Ich möchte kreativere Sachen machen. Wenn ich nicht Zuhause unterrichtet würde, hätte ich nie mit der Musik angefangen. Ich hätte gar keine Zeit dafür gehabt. 

Liest du viel?

Ich lese die ganze Zeit. Dystopische Romane, Mangas, Animes, Graphic Novels. Sachen, die einem den Kopf aufmachen. Das ist auch Lernen. Mein ganzes Sozialverhalten habe ich aus „Gregs Tagebuch“ gelernt (lacht). 

Wenn du immer alles alleine machst, sei es das Lernen oder das Songschreiben – wie weißt du, wenn etwas fertig ist?

Das ist die Kunst. Manche Songs sind mit einem Take fertig, boom. Von „Romantic Homicide“ gab es nur zwei andere Versionen, bevor diese hier raus gekommen ist. Da musste ich mich bremsen. Ich hätte an dem Song für immer weiterarbeiten können. Ursprünglich war er ein fünfminütiges Instrumental, dem ich nicht viel hinzu gefügt habe, nur die Geschichte. Andere Songs bestehen aus zehn Spuren übereinander, ich gehe immer wieder drüber, mache verschiedene Takes. Manchmal sitze ich sechs Stunden am Stück im Schrank an einem Song. Dann den nächsten Tag wieder und er ist immer noch nicht fertig. Ich gehe nur nach dem Gefühl, was sich richtig anfühlt. Manchmal denke ich, das hier ist das Beste, was ich je gemacht habe, am nächsten Tag kann ich es nicht mehr ausstehen. „Romantic Homicide“ wollte ich ursprünglich gar nicht veröffentlichen. Ich hatte ihn eine Woche lang Zuhause rum liegen. 

Eine Woche ist immer noch so kurz! 

Ja, ist es. Aber davor habe ich Songs gemacht und sie sofort hochgeladen. Ich habe ein Snippet auf TikTok veröffentlicht, zugeguckt wie ein kleiner Buzz entsteht und am nächsten Tag den Song hochgeladen. Deswegen ist mir Feedback so wichtig. Wenn ich das Feedback nicht gesehen hätte, wäre „Romantic Homicide“ wahrscheinlich nie raus gekommen. 

Gibt es jemanden, dem du deine Songs vorher vorspielst, dessen Meinung dir wichtig ist?

Keine wirkliche Person, nein. Ich habe eine kleine Follower-Base auf Twitter, rund 5.000 Leute, die nutze ich viel, um mir Feedback zu geben. „No/yes/man, I hate…“ Alles was diese Twitter Kids im Moment sagen ist „fire“. Sie benutzen es für alles, selbst wenn es nicht gut ist. Fire, fire! Manchmal veröffentliche ich absichtlich etwas Schlechtes, um sie auszusortieren. Ich poste einfach etwas schreckliches! Einmal habe ich ein Michael Jackson Cover gepostet mit der Caption „What am I doing?“, Totenkopf Emoji. Und es gab immer noch Leute, die mir gesagt haben, es wäre gut! Ich wusste, dass es nicht gut ist. Warum sagt man sowas? Es ist komisch… okay, ich muss zugeben, ich sage auch die ganze Zeit „fire“. Ich muss es aus meinem Wortschatz streichen (lacht)

Foto © Universal Music