CocoRosie im Interview: „Die dominante Repräsentanz von allem ist männlich“

Als ich Bianca Casady zum Interview über das neue CocoRosie Album „Put The Shine On“ treffe, muss ich daran denken, wie ich vor 15 Jahren in meiner ersten Schwangerschaft mit Vorliebe das erste CocoRosie Album „La Maison De Mon Rêve“ gehört habe, weil es zu den wenigen Alben gehörte, die damals beim Hören keine körperliche Übelkeit bei mir auslösten. Seitdem fühle ich mich dem überbordend kreativen Schaffen der Casady-Schwestern ganz besonders verbunden und habe mich entsprechend gefreut, mit Bianca über die Zusammenarbeit mit ihrer Schwester, Musik versus visuelle Kunst und weibliche Kreativität zu sprechen.

Ich bin immer wieder fasziniert davon, was du und deine Schwester alles so macht. All diese vielen, unterschiedlichen Projekte!

Es kommt mir gar nicht so viel vor (lacht). Vor allem letztes Jahr haben wir es langsam angehen lassen und uns viel Zeit genommen, diese Platte zu machen. Aber ja, wir machen schon Sachen. Wir lassen uns nur viel mehr Zeit dazwischen als früher. Zehn Jahre lang waren wir gefühlt ständig auf Tour. Im Moment kann ich mir richtig schwer vorstellen wie es sein wird, wieder auf die Bühne zu gehen. 

Wann wart ihr das letzte mal auf der Bühne?

Wir haben im Sommer ein paar Shows gespielt. Sehr wenige, eine Hand voll. Es ist lange her, dass wir richtig auf Tour waren, dieser Zustand, in dem man die Musik richtig gut kennenlernt. Der Anfang einer Tour ist für uns immer hart. Vor allem weil wir es gar nicht mögen zu proben (lacht). Das richtige Warm-Up passiert bei uns immer erst wenn wir unterwegs sind. Aber über diesen Warm-Up Zustand sind wir schon lange nicht mehr hinaus gekommen. Ich freue mich darauf, da wieder hinzukommen. 

Zwischen diesem und eurem letzten Album liegen inzwischen vier Jahre. 

Ja. Das Album ist aber ehrlich gesagt schon eine Weile fertig. Trotzdem, ja, wir haben uns Zeit genommen. Haben immer wieder konzentriert daran gearbeitet und zwischendrin Pausen gemacht. In unserem Leben sind viele Dinge passiert um die wir uns kümmern mussten, dann sind wir wieder zurück an die Arbeit gegangen. Interessant war, dass wir diesmal viel Zeit gebraucht haben für das Aufnehmen der Stimmen. Wir haben sie sehr oft aufgenommen, sie eine Weile liegen lassen und sind dann wieder zu ihnen zurück gekommen. Es ist ja so, dass wir in der Regel die Gesangstimmen aufnehmen, bevor wir sie richtig kennenlernen. Bei meinen ist das besonders so, ich habe sehr viel Text, Rhythmus und Reime. Sobald ich anfange sie live umzusetzen, werden sie besser. Ich fange an, mich mit dem Rhythmus wohler zu fühlen. Dadurch, dass wir uns diesmal mit den Stimmen so viel Zeit gelassen haben, waren wir schon bei den Aufnahmen vertrauter mit ihnen. 

Wie war es diesmal mit der Produktion? Bei eurem letzten Album habt ihr euch ja bewusst auf euch selbst konzentriert und mit wenigen Leuten zusammen gearbeitet.

Wir haben auch diesmal nicht mit besonders vielen Leuten gearbeitet. Aber was die Produktion betrifft ist es für mich ein Album, bei dem der Rhythmus sehr im Zentrum steht. Die meisten Songs sind mit einem Rhythmus entstanden. Das ist mehr meine Welt. Ich habe mich da immer mehr eingearbeitet, habe gelernt Schlagzeug zu spielen und Drum Machines zu programmieren, habe ausprobiert wie es ist Live-Drums, elektronische Rhythmen und Spielzeugtrommeln zu mischen. Durch diese Experimente sind unsere Rhythmen entstanden. Zu denen, würde ich sagen, hat Sierra die gesamte Musik eingespielt, die ganzen melodiösen Elemente. Auf diese Weise ist es ein ziemliches… CocoRosie Ding geworden. 

Es fasziniert mich, wenn Geschwister so eng und kreativ miteinander arbeiten. Ich habe gelesen, dass ihr euch lange Zeit in eurer Jugend nicht gesehen habt und euch erst später wieder getroffen habt. Denkst du, diese Zeit hatte einen Einfluss darauf, wie ihr heute miteinander umgeht?

Ich bin mir nicht sicher. Irgendwie wahrscheinlich schon. Wir haben uns ja in einer Zeit nicht gesehen, in der sich die eigene Identität sehr stark bildet. Wir sind sehr unterschiedliche Charaktere und hatten komplett unterschiedliche Interessen, als wir uns wieder getroffen haben. Es gab bei uns nie Konkurrenz oder Eifersucht. Wir sind so unterschiedlich. Sierra versucht nie, sich in meine Bereiche einzumischen, wir haben genaue Aufgabenverteilung. Wenn wir Musik machen, höre ich nur auf die Rhythmen und sie nur auf die Melodien. Ich habe auch ein größeres Interesse an Sprache als sie und kümmere mich deshalb mehr um die Texte. Wenn wir unsere jeweiligen Qualitäten zusammen bringen, entsteht eine Einheit. Das funktioniert für uns. Ich meine, wir sind mit den Jahren auch gewachsen und haben gelernt, uns mehr in der Mitte zu treffen. Als wir angefangen haben wusste ich bei weitem nicht so viel über Musik wie sie. Sie hatte klassischen Gesang am Konservatorium studiert. In der Zwischenzeit haben wir Stücke fürs Theater geschrieben und für große Ensemble und Orchester komponiert. Wir haben uns immer Situationen gesucht, in denen wir uns kreativ strecken mussten, die ein bisschen außerhalb unserer Reichweite lagen. Da haben wir uns immer kopfüber reingestürzt. Es gab immer wieder Situationen, in denen wir uns gefragt haben: wie zum Teufel sind wir hierher gekommen? (lacht). Zum Beispiel als wir 2009 mit dem Royal Dutch Orchestra gearbeitet haben – was am Ende eine der wenigen Sachen geworden ist, auf die ich heute wirklich stolz bin. Nicht alles, was wir gemacht haben, ist so perfekt geworden. Aber es ist immer eine Überraschung. 

Du hast es ja schon angesprochen, ihr seid in eurer Kunst sehr vielfältig unterwegs. Du beschäftigst dich auch mit Video, Regie und bildender Kunst. Würdest du sagen es gibt etwas, eine bestimmte Freude oder Befriedigung, die du nur aus der Musik ziehst?

Ja, ich glaube schon. Ich erinnere mich daran, wie ich angefangen habe mich mit Musik zu beschäftigen, nachdem ich schon eine Weile in der bildenden Kunst aktiv war. Was mich sofort angesprochen hat war, dass Musik so unelitär war. Es geht hauptsächlich darum, was anderen Menschen gefällt. Die Kunstwelt ist überhaupt nicht so. Ich habe das Gefühl, es gibt sehr viel Freiheit in der Musik. Es gibt so vieles, was dort passieren kann, man kann aus allen Epochen schöpfen und sie gleichzeitig miteinander existieren lassen. Ich weiß nicht so wirklich, wie ich es ausdrücken soll… 

Ich finde ja, dass es kaum eine Kunstform gibt, die so ein direktes Gefühl entstehen lässt wie Musik. 

Oh ja. Auf jeden Fall. Sie geht direkt in einen rein. Bilder konfrontieren einen eher mit etwas, sie treffen einen nicht zwingend im Inneren. Ich denke, wir nehmen Kunst auf sehr unterschiedliche Weise wahr. Aber Musik… die geht einfach rein (lacht)

Aber wenn man Musik auf derart kongeniale Weise mit visueller Kunst verknüpft wie ihr es tut, dann wird es perfekt, finde ich. Wenn ich mir zum Beispiel euer Video zu „Smash My Head“ ansehe, bei dem du Regie geführt hast – da kriege ich richtig Angst! Es löst sehr intensive Gefühle aus. 

Das war ehrlich gesagt eine große Sorge meiner Schwester, dass es zu gruselig ist. (lacht). Das ist einer der wenigen Punkte, in denen wir nicht immer übereinstimmen. Wir reden viel darüber. 

Aber empfindest du es auch als besonders befriedigend, beides miteinander zu verbinden?

Ich glaube, für mich ist es automatisch eins. Aber es ist eine Herausforderung. Besonders wenn es um Musikvideos geht. Ich muss zugeben, ich mag Musikvideos nicht wirklich als Kunstform. Gerade haben wir darüber gesprochen, dass Musik dieses emotionale, flüchtige Ding ist, das einen im Innersten trifft. Wenn ich jetzt Bilder darüber lege… mir gefällt die Vorstellung nicht, dass ich jemandem Dinge diktiere, die er zu meiner Musik sehen soll. Ohne das wäre alles viel offener, jeder hat seine eigenen Bilder dazu. Als Künstlerin hängt für mich das Klangliche und das Visuelle unmittelbar zusammen. Trotzdem denke ich, dass Musik mehr Potential hat als Bilder. Bilder sind sehr stark, aber nicht zwingend im guten Sinne. Sie machen aus etwas Offenem etwas sehr Spezifisches. So viel zu mir und Musikvideos (lacht)

Zum Abschluss möchte ich noch ein kühnes Statement in den Raum werfen, das ich neulich mit einer Freundin diskutiert habe. Was sagst du zu der These, dass Frauen grundsätzlich kreativer sind als Männer?

Hm (überlegt). Nun… da fallen mir verschiedene Dinge zu ein. Mein erster, völlig unzensierter Gedanke dazu ist, dass es Sinn für mich macht. Dass Frauen auf eine Art komplexer sind. Selbst in ihrer Rolle aus Mutter – sie müssen didaktisch, kreativ und Multitasking fähig sein. Das ist sehr komplex. Und selbst historisch gesehen. Männer… ihre Rolle war schon immer die einfachere, selbst ihre emotionale Rolle ist viel reduzierter. Für mich beeinflusst das alles die Kreativität. Gleichzeitig – wieviel davon ist biologisch, wieviel anerzogen? Es ist seltsam, vor ein paar Jahren hatte ich dieses Gespräch mit einem Mann, der genau das Gegenteil behauptet hat. Vor allem über Literatur. Er meinte Literatur sei eine männliche Kunstform. Das war eine sehr schmerzhafte Diskussion, da ich mich mehr als alles andere als Schriftstellerin identifiziere. Es war für mich sehr seltsam, das zu hören.

Aber es ist ja auch völliger Blödsinn! Ganz besonders in der Literatur. 

Es ist einfach verrückt. Wie auch immer, man kann noch nicht einmal die Geschichte als Beleg für diese These heranziehen. Natürlich, es wurden eine Zillion mehr Bücher von Männern als von Frauen geschrieben, aber das ist nicht der Punkt. Es gab Gründe dafür. Frauen mussten Männernamen benutzen, um ihre Bücher hinaus in die Welt zu schmuggeln. Man kann das so einfach nicht sehen. Heute werden junge Menschen zum Glück anders erzogen und motiviert… ich weiß nicht. Für mich macht es auf jeden Fall Sinn. Wenn ich bedenke wie emotional komplex es ist eine Frau zu sein und wie anders eine Frau die Welt um sich herum wahrnimmt, da gibt es so viel, womit sie sich auseinandersetzen muss. Du musst überhaupt schon kreativer sein, um ein Teil von dem Ganzen sein zu können. Ich weiß nicht. Es ist auf jeden Fall eine sehr interessante These. 

Meine Freundin sagte den, wie ich finde, sehr klugen Satz: Frauen müssen nicht versuchen, außerhalb von Schubladen zu denken. Sie sind von sich aus schon weit außerhalb der Schublade.

Oh, absolut. Oder viel mehr noch, sie sind sogar unsichtbar. Das ist sowas von außerhalb der Schublade. Wir existieren gar nicht. Ich weiß, die Dinge ändern sich. Aber für mich… als ich aufgewachsen bin, habe ich immer aus einer männlichen Perspektive geschrieben. Sogar ich selbst habe mich als männlich identifiziert, weil Frauen als Autorinnen einfach unsichtbar sind. Ich hatte keine Verbindung dazu. Und das für sich ist schon hoch kreativ und weit außerhalb der Schublade. All diese verschiedenen Persönlichkeiten zu erfinden, nur um eine Form der Identität zu haben. Die dominante Repräsentanz von allem ist männlich. Das ist sehr statisch und irgendwie… tot (lacht). Ich frage mich, ob es in Zukunft immer mehr Männer geben wird, die weibliche Persönlichkeiten annehmen werden, um ein Teil von alldem zu sein. 

CocoRosie hatten eigentlich geplant, ab dem 23.03.2020 in Deutschland auf Tour zu sein. Aufgrund der Corona-Krise sind die Konzerte erst einmal abgesagt. Es werden Nachholterminen im Herbst angepeilt.

www.cocorosiemusic.com