CHVRCHES erklären die Liebe für tot! Dafür, dass das dritte Album der schottischen Electro-Band mit „Love Is Dead“ so einen traurigen Titel hat, wirken Lauren Mayberry, Iain Cook und Martin Doherty beim Interview erstaunlich gut gelaunt. Die drei haben aber auch allen Grund, gut drauf zu sein. Sie werden nicht müde zu betonen, wie stolz sie auf das sind, was sie bis jetzt erreicht haben und wie dankbar sie dafür sind, bereits ihr drittes Album herausbringen zu können. Dabei wirken die drei unaufgeregt und sympathisch wie eh und je.
Meine 12 Jahre alte Tochter steht total auf euer neues Album.
Lauren: Das finde ich großartig. Gibt mir Hoffnung für die Zukunft. 12-Jährige sind ziemlich cool.
Spätestens seitdem ich selbst einen Teenager Zuhause habe, bin ich komplett von diesem Meckern auf die junge Generation weg. Ich finde sie und die meisten ihrer Freunde auch ziemlich cool.
Martin: Die Leute die so etwas sagen sind…
Lauren: … alt? (lacht)
Martin: Ja, alt. Die verstehen gar nichts. Wenn ich mir heute die jungen Leute ansehe, die sind so unglaublich fortschrittlich was Technik und Kommunikation angeht. Nur weil sie viel am Smartphone rum hängen, was ja eine Krankheit unserer gesamten Gesellschaft ist, heißt das noch lange nicht, dass sie dumm und desinteressiert sind.
Lauren: Statistisch gesehen engagieren sich Millennials zum Beispiel viel mehr für wohltätige Zwecke. Das trifft natürlich nicht auf jeden zu, jeder ist ein Individuum, aber das wiederum gilt ja für jede Generation. Man kann Menschen nicht allein nach ihrem Alter beurteilen. Viele junge Leute heutzutage sind sehr klug, sehr engagiert, sehr bewusst gegenüber den Dingen, die in der Welt passieren.
Ich kann definitiv sagen, ich hingegen war in dem Alter komplett ahnungslos. Wenn ich mir heute zum Beispiel die Bewegung der Teenager in Florida ansehe…
Lauren: Denk mal wieviel Diskussion und Kommunikation es in letzter Zeit über Waffengesetze gegeben hat. Und die kleinen Veränderungen, die es bis jetzt gegeben hat sind passiert, weil dieser Teenager aufgestanden sind und ihre Stimme erhoben haben. Sie aufgrund ihres Alters von vorne herein zu verurteilen ist unhöflich und respektlos. Ich würde diese Kinder wählen, bevor ich auch nur die Hälfte der Leute wählen würde, die heute im Senat sitzen.
Ich denke, gute Vorbilder sind wichtiger denn je. Ich habe meiner Tochter gesagt, Lauren musst du auf Instagram folgen. Sie ist hübsch und klug und hat eine Meinung.
Lauren: Aww, danke! Ich glaube, der richtige Fokus ist wichtig. Wenn man die falschen Prioritäten setzt und diese sind plötzlich nicht mehr da, was tut man dann? Dann hast du keine Identität mehr. Als Mutter wirst du das bestimmt auch so sehen, wenn wir unseren Töchtern nicht beibringen dass sie mehr anzubieten haben sollten als Schönheit… das ist doch erschreckend.
Auf jeden Fall seid ihr in einer tollen Position. Ihr macht Popmusik, habt aber auch eine Meinung, die ihr unter die Leute bringen möchtet.
Lauren: Wir sind einfach eine coole Combo (lacht). Ich glaube, alles geht zurück auf das was man geliebt hat, als man jung war. Ich habe diesen ganzen Chart Pop geliebt. Später bin ich dann mehr in die Alternative Szene hinein gewachsen und habe mich für die Inhalte hinter dem Ganzen interessiert. Du musst einfach gut aufpassen, wen du auf ein Podest stellst. Sleater Kinney und die ganzen anderen Riot Girls, Debbie Harry, Alanis Morissette, PJ Harvey… all diese Frauen machen großartige Kunst, aber sie wissen auch wofür sie stehen und das spiegelt sich in ihren Texten wieder. Texte haben mich schon immer fasziniert und damit die Leute, die hinter ihnen stehen. Ich wollte wissen, welchem Gehirn diese Gedanken entsprungen sind, wer sind sie, worüber denken sie nach. Mit dieser Mentalität sind wir auch in das hinein gewachsen, was wir heute als Band machen. Man kann auch einfach leise sein und nichts zu sagen haben. Es ist eine Entscheidung. Also haben wir ein Monster erschaffen (lacht).
Und mit diesem bereits ein drittes Album! Wie geht es euch damit?
Lauren: Ich weiß noch wie aufregend ich es fand, dass wir überhaupt ein erstes machen.
Iain: Heute denken wir: Es interessiert die Leute noch? Ok, cool!
Martin: Das beste daran ist, dass wir immer weiter machen und wachsen können. Jedes Album fühlt sich dabei wie ein absoluter Höhepunkt an. Was in den nächsten 18 Monaten passiert, ist fast schon nebensächlich. Das kann man ja nicht kontrollieren. Aber ich habe das Gefühl, dass wir uns künstlerisch stetig weiter entwickeln, trotz der übersichtlichen Größe der Band. Darauf bin ich sehr stolz. Sich langsam und stetig eine Fanbase aufzubauen ist viel wertvoller, als für einen kurzen Zeitraum extrem erfolgreich zu sein und dann den Rest seines Lebens sich zu den Anfängen zurück zu sehnen. Ich glaube, das ist sehr ungesund. Es passiert vielen Leuten, sie haben mit Depressionen zu kämpfen, weil sie diesen intensiven Zustand nicht mehr erreichen. Na gut, wenn dieses Album jetzt ein totaler Flop wird, dann werde ich vielleicht auch depressiv (lacht).
Ich habe bei euch immer das Gefühl, dass ihr sehr hart für euren Erfolg arbeitet. Ich erinnere mich daran, wie wir uns vor vier Jahren beim Hurricane Festival getroffen haben. Ihr standet im Stau, wart sehr spät erst auf dem Gelände und habt eine halbe Stunde vor eurem Auftritt trotzdem noch das Interview gemacht. Niemand hätte euch unter den Umständen übel genommen, wenn ihr es abgesagt hättet.
Lauren: Ich glaube, wir sind uns bewusst wieviel Glück wir haben. Jeder von uns war vorher in anderen Bands. Und auf dem Papier sind Chvrches keine Band, die sich leicht verkaufen lässt. Weil die Songs gut sind und das Timing richtig war, haben wir es geschafft, ins Spiel zu kommen. Wir wissen woher wir kommen, wie wir aufgewachsen sind und wir haben viele Freunde, die es auch versucht haben.
Martin: Es geht dabei auch um grundsätzliche Dinge wie Respekt. Wenn man ein Interview verabredet, dann geht man ja eine Verpflichtung ein, weil zu dem Zeitpunkt du ja auch Arbeit hinein gesteckt hast. Seine Verpflichtungen nicht zu erfüllen hat für mich noch nie Sinn gemacht. Außer es gibt einen wirklich ernsthaften Grund, an dem man nichts ändern kann.
Lauren: Wir sind keine Band, die in einem Labor kreiert wurde. Da wo wir herkommen haben die Leute selten solchen Erfolg. Man muss es ernst nehmen. Neulich haben wir Shirley Manson in einer Bar in Los Angeles getroffen, wo wir das Album aufgenommen haben. Wir lieben Garbage so sehr. Wenn es solche Frauen wie Shirley Manson nicht gegeben hätte, hätte ich niemals gedacht, dass ich auch in einer Band sein könnte. Auf jeden Fall hat sie zu uns gesagt: vergesst das niemals, diese Dinge passieren den Leuten nicht, dort wo wir herkommen. Ihr müsst anerkennen dass ihr Glück hattet und die Verantwortung, die damit einher geht, ernst nehmen.
Würdet ihr sagen, dass mit der Zeit auch euer Selbstvertrauen als Band gewachsen ist?
Lauren: Wir haben das Glück, dass wir die Musik machen können, die wir machen wollen. Niemand sagt uns, das sollte jetzt mehr Alternative oder mehr Pop sein. Es ist schön, wenn man mit seiner Band genau das machen kann, worauf man Lust hat. Und wir kennen uns zu diesem Zeitpunkt so viel besser als am Anfang. Wir fühlen uns sehr vertraut miteinander und beieinander gut aufgehoben. Gleichzeitig haben wir das, wofür Chvrches steht, inzwischen etabliert haben und ja, das gibt uns auf jeden Fall das Selbstbewusstsein, auch einmal außerhalb der Box zu denken.
Martin: Wir haben die volle Kontrolle über unsere Musik und die Ästhetik der Band. Das haben wir uns in diesem modernen Musikbusiness erhalten, was ehrlich gesagt schwieriger ist als es klingt.
Und ist es dieses Selbstvertrauen, das euch beim dritten Album die Möglichkeit gegeben hat, Dinge zu verändern? Zum Beispiel dass ihr dieses Jahr mit Co-Producern zusammen gearbeitet habt. Beim Songwriting habt ihr auch etwas verändert, ihr habt mehr gemeinsam geschrieben.
Martin: Das ist absolut wahr. Unsere Identität als Menschen und Künstler hat sich mit den Jahren gefestigt. Das gibt uns das Vertrauen und die Energie, unsere Prozesse zu ändern und zu öffnen, neue Ideen anzunehmen. Und wenn man mit jemandem zusammen arbeiten möchte, muss es auch von beiden Seiten aus passen. Derjenige muss sich für unsere Musik interessieren und bereit sein, unseren Weg mitzugehen. Dein Gehirn muss sich darauf einstellen, dass du dich bei jemand anderem sicher fühlen kannst. Ich fühle mich gut mit dem, was ich bis jetzt getan habe, jetzt lass uns gucken wie die anderen es machen und ob das für uns auch funktioniert.
Iain: Und wenn keine von diesen Zusammenarbeiten fruchtbar gewesen wäre, dann hätten wir das Ergebnis auch nicht veröffentlicht. Wir haben 40 Songs geschrieben und mussten 12, 13 davon am Ende auswählen.
Aber ist es nicht großartig, dass ihr selbst jetzt, da ihr mit anderen Leuten zusammen gearbeitet habt, immer noch voll und ganz nach Chvrches klingt? Euer Sound ist wirklich unverkennbar.
Martin: Was Iain sagt ist absolut wahr. Wenn wir auch nur einen Moment lang das Gefühl gehabt hätten, dass unsere künstlerische Vision verzerrt wird oder auch nur ein bisschen von genau dem, was wir erreichen wollen abweicht, dann wäre die Session vorbei gewesen. Ein Album zu machen dauert ein ganzes Jahr, es passiert nicht über Nacht. Es nimmt einen körperlich und geistig komplett in Anspruch. Man muss sich selber herausfordern. Wir haben uns so komplett diesem Prozess hingegeben, dass wir in der Lage waren, alle Möglichkeiten und Eventualitäten auszuloten. Es ist unser drittes Album, und drei ist eine magische Zahl. Wir sind uns voll und ganz dessen bewusst, dass wir großes Glück hatten, ein drittes Album machen zu können.
CHVRCHES live:
06.11.18 Köln, Live Music Hall
07.11.18 Berlin, Tempodrom
Interview: Gabi Rudolph