Chris James im Interview: „Wenn ein Song an dem Tag, an dem man ihn geschrieben hat gut klingt, dann bist du sehr nah dran an dem wie er sein sollte!“

Der zweisprachige Singer-Songwriter Chris James ist vielleicht dem ein oder anderen schon einmal über den Weg gelaufen, denn Möglichkeiten gab es dazu zuhauf. Im Interview nimmt uns der sympathische Sänger mit auf die Entstehung seines neuen Albums „The Art of Overthinking“, seinem persönlichen musikalischen Selbtsfindungstrip. Zudem durchlaufen wir gemeinsam all seine musikalischen Stationen vom YouTube Content Creator (damals noch unter dem Namen Chris Brenner), über erste Songwriting Versuche und zahlreiche Auftritte als Supporting Act, bis hin zu seinem jetzigen Dasein als Independent Artist, der seinen eigenen Stil gefunden hat. Darüber hinaus wagen wir einen Blick in die (nahe) Zukunft. Denn Chris James ist nicht nur auf Solopfaden unterwegs, sondern er ist einer der Co-Writer der neuen, heiß ersehnten, BTS Single „Life Goes On“.

Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch! Du hast vor anderthalb Wochen dein neues Album „The Art Of Overthinking“ veröffentlicht. Es ist ja doch immer etwas ganz Besonderes, die Songs endlich mit der Welt zu teilen…

Ja, genau. Ich konnte die Quarantänezeit Gott sei Dank gut dazu nutzen, viele Songs zu schreiben. Aber das war schon ein bisschen weird, weil ich das Album komplett alleine geschrieben und produziert habe und ich keinerlei Output von jemand anderem hatte. Das war echt ungewohnt für mich. Denn davor habe ich viel mit Leuten zusammengearbeitet, nicht unbedingt beim Schreiben, aber vielmehr wenn es ums Mixing und um die finalen Entscheidungen ging. Aber dadurch, dass ich Anfang des Jahres die Zusammenarbeit mit meinem Label beendet habe, war das im Grunde wie ein Arschtritt für mich, dass ich mich jetzt auf mich selbst verlassen muss und dabei das Bestmögliche rauszuholen, was meine eigenen Fähigkeiten zulassen. Das war für mich eine krasse Herausforderung. 

Das heißt, du hast tatsächlich erst nach dem ersten Lockdown damit angefangen, die Songs zu schreiben?

Genau, tatsächlich sind alle Songs bis auf „Let’s Get Lost“ in einem Zeitraum von nur drei Wochen entstanden. Ich stand zuerst vor diesem großen Problem, dass ich nicht genau wusste, in welche Stilrichtung ich gehen möchte mit diesem Album. Dadurch bin ich durch die Gegend geschwirrt. Ich habe dann tatsächlich einen Song geschrieben, bei dem es Klick gemacht hat, dann sind alle anderen Songs hinterher geflogen. Das war „I Never Learned“, er hat das komplett neue Verständnis von meiner eigenen Musik losgetreten. 

Welche Message möchtest du denn konkret rüberbringen mit dem Album? 

Das Album heißt ja „The Art Of Overthinking“. Und es war bei mir in der Vergangenheit bisher immer das Problem, dass Vieles von mir kaputtgedacht wurde. Es hat manchmal Monate gedauert, bis ein neuer Song rauskam, die Prozesse waren einfach extrem langsam. Und bei diesem Album hatte ich mir jetzt gesagt, die Songs stelle ich einfach so hin und dann stehen sie nach den drei Wochen auch final fest. Das ist das Album und alles bleibt so, wie es ist. Deswegen war die Message von dem Album für mich, dass ich lernen muss Songs loszulassen und aufhören muss, mich an Dingen festzuhalten, die im Endeffekt niemand außer mir selbst hört. 

Daher auch der Name „The Art Of Overthinking“? „Art“ hat ja immer auch eine positive Konnotation. 

Genau, im Grunde ist das ja eine Kunst. Wenn du diesen Song liebst, ist es wahrscheinlich auch die richtige Entscheidung, diesen Song rausbringen. Und genau darin liegt die Kunst. Ich glaube, jeder Künstler kennt das Problem und ich bin auch nicht völlig frei davon, aber ich habe mit dem Album versucht, es so gut wie möglich abzulegen. Und wenn man einmal einen guten Song schreibt und von dem loslässt und am nächsten Tag direkt einen neuen schreibt, bekommt man einen Lauf.

Wie du bereits gesagt hast, hast du alle Songs selbst produziert, aber mir ist aufgefallen, dass du auch alle Instrumente selbst eingespielt hast. 

Ich hatte bei keinem der Instrumente Unterricht, aber ich spiele alles bis zu dem Level, wie ich es brauche, und meistens, wenn ich eine Gitarren-Line im Kopf habe, dann singe ich diese zunächst ein, spiele die dann nach und muss sie auch erst mal lernen…Auf dem Klavier spiele ich eigentlich nur vier Akkorde. Mein Hauptinstrument ist die Gitarre. Das heißt: Wenn ich einen coolen Akkord habe, den ich auf der Gitarre spielen kann, dann baue ich den einfach nach auf dem Klavier. 

Ich kann mich erinnern, als ich dich vor einigen Jahren live gesehen habe, standst du alleine nur mit einer Loopstation auf der Bühne…Du warst damals schon deine eigene Band. 

Das stimmt. Das lag aber auch größtenteils daran, dass es zu teuer war, mit Band auf Tour zu gehen. Künstler verdienen immer weniger und Liveauftritte sind doch die größte Einnahmequelle für die meisten. Und durch Corona wird das natürlich nicht besser… Aber ja, mit einer Loopstation kann man die Songs live wenigstens ein bisschen spannender machen als nur mit Gitarre. Mir ging es mehr darum, dass mein Auftritt halbwegs entertaining ist.

Um nochmal ganz zurück zu gehen… Du hast deine Karriere auf YouTube gestartet und hast dort jahrelang regelmäßig Coversongs hochgeladen. Ich habe dich vor ein paar Jahren zum ersten Mal live gesehen, also du noch unter anderem Namen Max Giesinger und Michael Schulte supportet hast. Und nun sind wir hier, wo du dich in deinem neusten Projekt komplett verwirklichen konntest. Würdest du uns nochmal mitnehmen auf deine wichtigsten musikalischen Stationen? 

Ich hatte ja die Youtube Zeit und ich bin auch immer noch der Meinung, dass das die wichtigste Schule war, die ich je hätte haben können. Denn mein Kumpel und ich haben damals jede Woche ein aufwändig produziertes Video hochgeladen über einen Zeitraum von 2,5 Jahren. Das war super stressig und ich war mehrfach kurz vor einem Burnout. Youtuber haben meinen größten Respekt, der Schedule, den man da an den Tag legen muss, der macht einen fertig. Und wir haben damals mit keinem der Covervideos Geld verdient, weil es noch keinen Deal der GEMA mit YouTube gab. Aber dadurch habe ich mir eine Fanbase aufgebaut, die mich Gott sei Dank bis heute begleitet. Nach Youtube hatte ich eine Phase, in der ich ausgelaugt war und nicht wusste wohin mit mir. Zum einen, weil du dann diese ständige Identitätskrise hast, weil du eigentlich ständig nur die krassesten Popsongs coverst. Wenn du dann auf einen anderen Schedule umsteigst und dir denkst, ich möchte jetzt nur noch meine eigenen Sachen schreiben, und die brauchen halt eine Weile – dann ist das nicht einfach. Da kann man auch schnell viele Leute verlieren. Und die dann bei der Stange zu halten, gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit, wo die Aufmerksamkeitsspanne immer kleiner wird, ist nicht leicht. Das war für mich der Punkt wo ich gesagt habe: Ich glaub, ich muss mich erstmal selber musikalisch finden und herausfinden, ob mich das überhaupt noch glücklich macht… Dann war ich ja ein Jahr lang weg, habe viel geschrieben in der Zeit in LA und Nashville. Das waren sehr prägende Erfahrungen, die ich dort gemacht habe. Ich habe wahnsinnig viel über Songwriting gelernt. Dann kam ich zurück und „I Know You Can Dance“ wurde veröffentlicht. Das war der Anfang von meinem neuen musikalischen Kapitel. Ab diesem Zeitpunkt veröffentliche ich Musik nicht mehr unter dem Namen Chris Brenner, sondern als Chris James. Mit der Namensänderung wollte ich hauptsächlich wegkommen von dem Coverimage. Das war für mich auch ziemlich scary, weil ich mir über zwei Jahre lang etwas aufgebaut hatte, das musste ich dann alles aufgeben und die Leute mussten mich neu entdecken. Ich habe heute immer noch Leute, die mich ansprechen und fragen: “ Habe ich dich nicht vor sechs Jahren mal auf YouTube gesehen?“ Ich hab immer eigene Songs veröffentlicht, auch parallel zu den Coversongs, das war ein weirder Mix. Jetzt mit dem neuen Album und den neuen Songs bin ich genau dort angekommen, wo ich weiß, wie ich mich selbst darstellen will und dahin zu kommen, das hat seine Zeit gebraucht. 

Stichwort Songwriting. Du hast auch an Songs für andere Künstler mitgeschrieben, ganz aktuell die neue BTS Single „Life Goes On“. Als ich am Freitag letzte Woche aufgewacht bin und Twitter gecheckt habe, warst du plötzlich in zahlreichen Tweets getaggt, denn es war veröffentlicht worden, dass du an dem Song mitgeschrieben hast. Das war wirklich ziemlich cool. Wie hast du das denn selbst erlebt und wie fandest du die erste Interaktion auf Social Media mit den BTS Fans, der BTS ARMY?

Ich war erst einmal überwältigt von dem Social Media Sturm. Ich muss sagen, ich finde es wirklich wahnsinnig nett, dass Big Hit uns diese Plattform gibt und kommuniziert, wer als Songwriter an dem Song beteiligt ist. Und ich meine, klar, für mich ist das natürlich riesig, weil dadurch vielleicht ein paar Leute auch meine Musik entdecken könnten. Ich muss sagen, ich war ein bisschen überfordert am Anfang…Ich bin aufgewacht und ich hatte überall Notifications und ich habe gedacht die Welt geht unter oder was ist passiert? Aber ich muss sagen, die BTS Fanbase ist superlieb und extrem stark, das ist der Wahnsinn! Ich schreibe noch nicht so lange Songs für K-Pop Künstler und ich kenne mich da noch nicht so gut aus, komme da jetzt aber immer mehr rein. Es ist Wahnsinn, was das für eine Welt ist, ich finde es aber total genial, denn das durchbricht ja alle Kulturbarrieren, die von der Popwelt aufgestellt wurden. Und ich finde das so geil, dass eine Band aus Korea einfach die weltweit größte Band ist. Auch die BTS Videos – ich finde es toll, was die machen! Die arbeiten alle verdammt hart, davor kann ich nur meinen Hut ziehen. Für mich ist es auch eine riesen Ehre überhaupt Teil davon zu sein! Dieser Kulturexport in andere Länder ist Wahnsinn. Wir als deutsche Künstler träumen nur davon, dass irgendwann mal jemand weltweit erfolgreich ist, aber das ist einfach total schwierig. Und deswegen find ich es total geil, dass ich bei dem Projekt mit dabei sein kann.

Ich muss auch sagen, dass ich finde, dass das echt was Großes ist und wir alle unglaublich gespannt sind auf den Song. Es wird aufregend sein zu sehen, was mit „Life Goes On“ alles passiert die nächsten Wochen…

Auf jeden Fall. Für mich ist das einfach eine ganz andere Hausnummer. Ich lade mein Album normalerweise auf cdbaby hoch als Independant Artist und dann passiert so etwas. Das ist eine ganz andere Erfahrung für mich. Ich kann jetzt natürlich noch nicht viel sagen, aber ich, denke, der Song wird allen sehr gefallen. 

Du hast es ja vorhin schon erwähnt, dass insbesondere die Musikbranche extrem stark von der Coronakrise betroffen ist. Ich muss sagen, mir fehlen Live-Konzerte extrem. Für dich als Musiker muss das noch viel schlimmer sein, dass du deine Songs jetzt nicht performen kannst.  

Eines Tages wird das wieder möglich sein. Und ich hoffe einfach darauf, dass das bald der Fall sein wird. Ich hatte das Glück, kurz vor dem Lockdown noch auf Tour zu gehen. Danach habe ich aber keine Liveshow mehr gespielt… Für mich wird es crazy, weil ich das alles wieder neu lernen muss. Eigentlich passiert mir das schon nach drei Monaten…Das wird dann auf jeden Fall eine starke Umgewöhnung, wieder live zu spielen. Ich liebe es aber, auf der Bühne zu stehen. Und in meinem Fall war Corona auch eine gute Ausrede, um von Liveshows eine Pause einzulegen. Denn davor war ich enorm viel unterwegs, hauptsächlich als Support für andere Künstler. 

Hast du denn noch Pläne für den Rest des Jahres? 

Von mir wird man auf jeden Fall noch was hören vor Ende des Jahres. Und ich bin auch der Meinung: Nach dem Album ist vor dem Album. Ich bin gerade quasi mittendrin Album 2 fertig zu stellen und möchte da gar nicht viel Zeit verlieren, weil ich gerade einfach ein gutes Momentum habe mit allem, was gerade so passiert. Für mich ist es einfach wichtig, dass man immer neues Material hat für die neuen Leute, die dazu kommen und auch für die alten Leute, die die ganze Zeit schon da waren. Dadurch, dass ich jetzt independent bin, hält mich nichts davon ab, einfach weiter zu veröffentlichen. Und genau deswegen freue ich mich noch sehr auf den Rest des Jahres.