Charlie Cunningham im Interview: „Ich wäre wahnsinnig gern Mitglied von Bad Religion“

Zwei Jahre sind vergangen, seitdem wir Charlie Cunningham zuletzt getroffen haben. In der britischen Politik hat sich in der Zwischenzeit leider weniger Erfreuliches getan als in Charlies künstlerischem Dasein. Sein zweites Album „Permanent Way“ ist frisch erschienen, seit seinem Debüt „Lines“ hat er jede Menge Shows gespielt, vor allem in Deutschland. Er hat an der Produktion seiner neuen Songs gefeilt und für die Aufnahmen sowie seine kommende Tour eine Band zusammen gestellt. Und seine geheimsten musikalischen Wünsche hat er uns im Interview auch verraten.

Ich habe festgestellt, dass wir bei unserem letzten Interview über etwas geredet haben, das bis heute keinen wesentlichen Fortschritt gebracht hat.

Und das wäre?

Der Brexit.

Oh. f…. Haben wir da wirklich damals schon drüber geredet?

Das war vor zwei Jahren. Und heute ist es immer noch…

…Chaos. Jeder den ich kenne sagt, dass die ganze Sache ein Desaster ist. Und sehr traurig. Es herrscht viel Verwirrung. Alle sind verwirrt und frustriert. Die Situation ist sehr polarisierend. Man kann nur hoffen, dass die Dinge sich irgendwie regeln, auch wenn es im Moment nicht danach aussieht. Die Leute fragen mich oft danach und ich sage immer, man muss den Dingen ihren Lauf lassen. Es bricht einem wirklich das Herz.

Ich hoffe ja immer noch, dass es gar nicht passiert. Dass man nach Wegen sucht da wieder raus zu kommen, ohne dass die Leute ihr Gesicht verlieren.

Das wäre natürlich das Beste. Aber auf der anderen Seite gibt es die Leute, die dafür gestimmt haben, dann werden die sich wieder betrogen fühlen, weil sie doch dafür abgestimmt haben. Egal aus welcher Sicht man es betrachtet, es hat schon viel zu viel Schaden angerichtet.

In der Politik ist in den letzten zwei Jahren also nicht so viel Erfreuliches passiert. Bei dir persönlich sieht es hoffentlich besser aus.

Ich glaube wir haben uns getroffen kurz bevor mein erstes Album raus gekommen ist. Die Art wie es aufgenommen wurde hat sich gut angefühlt, ich glaube die Leute mochten es. Ich kann das Album heute immer noch leiden, das spricht dafür, dass ich damals den richtigen Job für mich gemacht habe. Ich habe seitdem viele Konzerte an vielen verschiedenen Orten gespielt. Insgesamt war es eine gute Reise.

Und dann hast du auch noch Zeit gefunden, relativ schnell das nächste Album raus zu bringen.

Ja, das war vor allem eine Sache der Organisation. Ich bin nicht gut darin, gleichzeitig auf Tour zu sein und Songs zu schreiben. Manchen Leuten fällt das leicht. Mir kommen auf Tour hier und da kleine Ideen auf der Gitarre, aber definitiv keine Texte oder so. Für mich ist es wichtig, ab einem gewissen Punkt mit allem anderen aufzuhören. Ich habe mir also ein Jahr genommen, in dem ich keine Konzerte gespielt habe sondern mich rein auf das Album konzentriert habe. So funktioniert es für mich. Aber es war insgesamt eine sehr aufregende Zeit, in der viel passiert ist.

Bekommst du durch das Reisen aber auch Inspiration?

Absolut. Wenn ich Songs schreibe bin ich meistens zuhause, allein und kapsele mich von allem ab. Auf Tour ist man buchstäblich auf der Bühne und bekommt eine direkte Reaktion auf das was man tut. Das ist sehr inspirierend – eine emotionale Achterbahnfahrt!

Wenn man es so betrachtet, sind zwei Jahre zwischen zwei Alben auch gar nicht so viel Zeit.

Das stimmt, es ist keine lange Zeit. Aber ich glaube man muss den Moment nutzen, die Leute ziehen schnell weiter, von einer Sache zur nächsten. Ich war innerlich aber auch bereit, etwas Neues zu machen. Du musst wissen, wie dein Gehirn funktioniert, wann du Ruhe brauchst und wann eine gute Zeit ist um kreativ zu sein. Wie ich schon sagte, ich tue mich schwer beides gleichzeitig zu tun. Manchmal müssen bestimmte Bereiche des Lebens zurücktreten.

Ändern sich für dich manche Songs, wenn du erst einmal länger mit ihnen auf Tour warst?

Ja, auf jeden Fall, auf der Bühne erwachen sie erst richtig zum Leben. Vorher waren sie eher etwas Theoretisches, das ich geschaffen und aufgenommen habe. Als wären sie in einer kleinen Schachtel, die sich öffnet sobald du mit ihnen auf die Bühne gehst.

Und hat das live spielen sich auch darauf ausgewirkt, wie du an dein zweites Album ran gegangen bist?

Wenn man mehr Live-Erfahrungen gesammelt hat, hat man beim Aufnehmen stärker im Hinterkopf wie man einen Song später einmal live umsetzen wird. Insgesamt wusste ich dieses mal etwas genauer was ich tue, das hat mir den Rücken gestärkt. Aber ich habe jetzt auch eine Band, ich bin nicht mehr alleine auf der Bühne sondern einer von vier. Das wusste ich, während ich das Album aufgenommen habe, dass ich später mit einer Band touren werde. Das war ziemlich befreiend. Es ist nicht mehr die „Charlie-Show“ (lacht). Es gibt jetzt auch andere Sachen auf der Bühne, die man sich angucken kann. Alle sind großartige Musiker. Für mich ist es schön etwas um mich herum zu haben. Das macht es nicht immer ganz so intensiv.

Auch bei den Aufnahmen hattest du diesmal mehr Unterstützung.

Ich habe auch hier wieder mit Duncan Tootill gearbeitet, aber dieses Mal auch mit Sam Scott, die beide aus dem gleichen Umfeld kommen. Außerdem habe ich zwei Wochen mit Rodaidh McDonald gearbeitet, ein großartiger Produzent, der unter anderem mit King Krule, Savages und The xx gearbeitet hat. Er macht sehr coole, interessante Sachen. Ich hatte die Gelegenheit etwas Zeit mit ihm zu verbringen und wir haben an ein paar Stücken zusammen gearbeitet. Trotzdem ist mein Ansatz, wie ich an die Dinge herangehe, immer noch sehr ähnlich zum ersten Album. Ich möchte nicht zu sehr mit etwas herum experimentieren, das einfach gut funktioniert hat.

Es hieß im Vorfeld, du hättest deine Arbeitsweise etwas geändert, mit mehr Leuten gearbeitet und einen etwas größeren Produktionsansatz gewählt. Dafür hört es sich immer noch sehr nach dir und deiner Gitarre an, sehr intim und reduziert.

Definitiv. Es ist sehr intime, persönliche Musik. Das zu erreichen ist mein oberstes Ziel. Dafür muss ich die Dinge eng zusammen halten und die Kontrolle bewahren. Nicht zu wild herum experimentieren. Es geht mir einfach um eine bestimmte Atmosphäre, die ich versuche herzustellen.

Ich habe das Album gestern angehört als es geregnet hat und ich mit Kopfhörern durch die Stadt gelaufen bin. Dafür ist es der perfekte Soundtrack.

Das ist großartig. Ich habe versucht das mit dem Artwork zu unterstützen, weil das Album ja im Sommer raus kommt. Das war das einzige, womit ich mir nicht sicher war, ob das der richtige Zeitpunkt für meine Musik ist, ob sie den richtigen Vibe für eine Sommerplatte hat.

Vor allem wirkt deine Musik immer sehr melancholisch. Wie stellst du das her?

Wer weiß das schon… „Geht’s dir gut, Charlie…?“ (lacht) Ich meine, sie ist melancholisch, aber die Songs haben auch immer einen Funken Optimismus. Ich versuche dafür zu sorgen, dass die Dinge sich auflösen. Und wenn nicht, dass man das Gefühl hat es ist trotzdem okay. Es ist wie es ist. Wir leben in einer seltsamen Welt. Es gibt Höhen und Tiefen und ich versuche all das in meiner Musik zu reflektieren, die positiven wie die negativen Momente.

Ziehst du Inspiration aus der Musik anderer? Oder versuchst du diese vollkommen außen vor zu lassen, während du kreativ bist?

Ich höre das immer wieder von anderen, dass sie sich von der Musik anderer völlig ablösen. Ich glaube wenn es an die Aufnahmen selbst geht oder wenn ich schon sehr weit im Schreibprozess drin bin, kapsele ich mich immer mehr ab. Man will zu dem Zeitpunkt nicht zu sehr von äußeren Dingen beeinflusst sein. Wenn ich auf Tour bin, höre ich sehr viel unterschiedliche Musik, denn alles was ich in der Zeit tue ist meine Songs spielen, da muss ich nicht viel drüber nachdenken. Wenn ich mit dem Touren durch bin fühle ich mich sehr inspiriert und bereit mich ans Schreiben zu machen. Dann höre ich immer weniger Musik. Es ist schön, manchmal aus seinem eigenen Kopf herauszutreten und in den von jemand anderem hinein zu steigen.

Hast du im Moment eine persönliche Lieblingsplatte?

Ich bin ja großer Bad Religion Fan und habe gerade zufällig raus gefunden, dass sie eine neue Platte draußen haben. Greg Graffin schreibt einfach unfassbar gute Texte. Er ist ja auch Universitätsprofessor, seine Texte sind einfach die klügsten und pointiertesten die es gibt. Ich glaube, der Platte muss ich mich in nächster Zeit mehr widmen. Punk und Hardcore mochte ich schon immer, ich merke, das kann ich im Moment gut vertragen. Also ja, ich entscheide mich für Bad Religion.

Wäre das auch etwas, das für dich selbst musikalisch in Frage kommt?

Ganz ehrlich, ich wäre wahnsinnig gern Mitglied von Bad Religion. Das wäre großartig! (lacht) Aber mal wirklich, vor allem geht es bei Musik doch um Ehrlichkeit. In welcher Form sie daher kommt ist am Ende unwesentlich. Ich werde wahrscheinlich nicht anfangen mit verzerrten Gitarren zu arbeiten, aber man kann nur den Hut ziehen vor dieser Art von Hingabe.

„Permanent Way“ von Charlie Cunningham ist am 7. Juni 2019 erschienen.

Interview: Kate Rock & Gabi Rudolph

www.charliecunningham.com