Es ist Sommer in Berlin. Garrett Borns aka BØRNS hat für unser Interview das schönste Plätzchen im noch geschlossenen Biergarten des Festsaal Kreuzberg ausgesucht, ein Zweiertisch unter Bäumen. Als wir uns setzen, bleibt ein Blatt in seinen Haaren hängen, auf das ich im Gespräch fünf Minuten lang starren muss, bevor ich beschließe, es ihm aus dem frisch gewaschenen Haar zu pflücken. Er lacht, als ich ihm von Loriot und dem berühmten Nudel-Sketch erzähle. Überhaupt lacht er viel, isst Weintrauben und erzählt von seinen Erlebnissen aus den vergangenen Jahren, während die Fans bereits seit den frühen Nachmittagstunden draußen auf dem Rasen campieren und auf sein Konzert am Abend warten. Wenige Stunden später wird er in rosa Shorts auf die Bühne gehen und das Publikum buchstäblich zum Kreischen bringen. Und wenn es mal nicht kreischt, singt es unisono die Songs aus seinem neuen Album „Blue Madonna“ und seinem Debüt „Dopamine“ mit, von dem er lustiger weise denkt, dass es keine wirklichen Hits enthält.
Erste und letzte Frage – erzähl mir alles!
Was passiert ist, seitdem ich dich zuletzt gesehen habe? Ich war die meiste Zeit unterwegs. Als wir uns getroffen haben, hatte ich gerade mein erstes Album veröffentlicht. Danach habe ich in den USA und Europa getourt und mir langsam eine Fanbase aufgebaut. Dann war ich zurück in LA und hatte etwas Zeit, mit der Arbeit an meinem zweiten Album anzufangen. Das hier ist jetzt die erste Tour, auf der wir die neuen Songs spielen. Ich wusste nicht wie sie reagieren würden, aber viele Leute scheinen die Songs zu mögen, sie kennen die Texte auswendig und singen jedes Wort mit.
Das ist mir schon aufgefallen, als du letzten Winter in Berlin gespielt hast. Zu dem Zeitpunkt waren ja ein paar neue Songs gerade frisch veröffentlicht, und die Leute konnten sie bereits alle mitsingen.
Richtig, wir haben ein paar Songs gespielt. Das war wundervoll. Auch diese Tour. Ich habe das Gefühl, die Energie bei den Shows wird immer lebendiger. Wir haben sehr viel Spaß auf der Bühne.
Ich weiß noch wie du letztes Mal gesagt hast, du hättest einfach ein Album gemacht, ohne dir weiter Gedanken darüber zu machen. Ist man beim zweiten Album immer noch so entspannt?
Ich glaube, das passiert in Wellen, es gibt Zeiten der Entspannung und Zeiten die aufregend sind. Ich versuche auch nie stehenzubleiben. Gerade mache ich mir schon viele Gedanken über das nächste Album. Auf meinem ersten Album habe ich noch nicht über Singles nachgedacht. Es war mehr wie eine Werkschau. Shows mit einem Album zu spielen, das nicht wirklich Radio Singles hat ist nicht so leicht. Die Leute müssen sich erst einmal rein hören und ihre Erfahrungen damit machen. Es ist wunderbar zu hören, wie sie die Albumtracks mitsingen, einfach nur weil sie sie mögen, nicht weil sie promotet wurden. Ich möchte den Leuten nichts eintrichtern, sie sollen von selber drauf kommen.
Wie lang hast du an dem Album gearbeitet?
Ungefähr fünf oder sechs Monate, aber es dauert immer viel länger, es dann auch wirklich rauszubringen. Das Mischen und Mastern, die ganzen Inhalte die damit einhergehen, wie Videos zum Beispiel. Ich war dieses Mal viel involvierter was die visuelle Seite des Ganzen angeht. Ich habe einige der Videos geschrieben und bei ihnen Regie geführt. Während der Aufnahmen habe ich mir bereits ein Konzept gemacht, wie das Ganze am Ende aussehen soll. Ich hatte diese alten Ölgemälde aus der Renaissance als Referenz dafür wie die Fotos aussehen sollten. Ich liebe die Farben, das Mysteriöse an diesen Gemälden. Und ich fand es spannend, sie als Referenz für Fotos zu nehmen. Normalerweise, wenn man ein Moodboard für Fotografie erstellt, nimmt man dafür andere Fotos. Ich fand das spannend und wollte mich ein bisschen herausfordern.
Hat sich deine Herangehensweise ans Songschreiben in den letzten Jahren verändert? Schließlich hat sich ja dein ganzes Leben inzwischen verändert.
Ja, meine Perspektive hat sich verändert. Ich möchte, dass sie das immer wieder tut. Ich möchte nur nie etwas als selbstverständlich hin nehmen, zu bequem werden. Ich möchte Dinge selbst tun, mich herausfordern, mich manchmal unwohl und unsicher fühlen. Die Musik, die ich schreiben möchte, sollte voller Leben sein. Nur weil jetzt mehr Leute die Musik kennen und früh zu den Shows kommen, ändert das noch nichts an meinem Lifestyle. Zumindest sollte es nicht so sein. Für mich geht es um Erfahrungen. Es sind natürlich tolle Sachen passiert. Ich kann an so vielen Orten spielen, mehr reisen. Die Musik ermöglicht mir diese Reisen, was einer der Gründe war, warum ich überhaupt damit angefangen habe. Ich möchte durch die Welt reisen, Menschen aus anderen Ländern kennenlernen, die Dinge aus anderen Perspektiven sehen. Es ist ein langsamer Prozess, aber das gefällt mir. Schnelle Veränderungen mag ich nicht so gern. Aber manchmal kann man nichts dagegen tun (lacht). Ich mag Jahreszeiten. Diese schrittweisen Veränderungen. Und plötzlich ist es wieder Frühling.
Du lebst ja seit einigen Jahren in Los Angeles. Wie lebt es sich da ohne Jahreszeiten?
Oh ja, ich weiß. Ich bin in Michigan aufgewachsen, wo es wirklich extreme Jahreszeiten gibt. Im Herbst gibt es die wunderschönen bunten Blätter, die Luft riecht herbstlich, weil die Leute Holz verbrennen. Dann diese eiskalten Winter mit Bergen von Schnee. Die Sommer sind heiß und feucht, mit all den Käfern und Glühwürmchen. Ich liebe das, und ich vermisse es. Ich glaube aber, ich bin noch nicht lange genug in LA um es richtig zu vermissen. LA ist diese verrückte, sonnige Homebase, zu der ich mich zurückziehe um Musik aufzunehmen und mich auf die nächste Tour vorzubereiten.
Allzu oft bist du seit deinem ersten Album dort bestimmt nicht gewesen.
Ja, ich war nicht viel Zuhause. Aber ich lebe gerne in Bewegung.
Wo in LA hast du denn dieses Mal gelebt und deine Songs geschrieben? Dein letztes Album ist ja in einem Baumhaus entstanden, was eine verdammt schöne Vorstellung ist.
Ich bin inzwischen sehr gut befreundet mit den Besitzern des Baumhauses und besuche sie oft. Das sind unglaublich nette Leute, sie sind einer der Gründe warum ich in LA geblieben bin. Ich habe dieses Baumhaus gefunden, Songs dort geschrieben, mir ihren alten Mercedes geliehen und bin damit durch die Stadt gefahren. Es war der perfekte Rückzugsort für mich um zu meditieren, Songs zu schreiben, mein eigenes Essen zu kochen. Als ich mein zweites Album geschrieben habe, habe ich in einer Gegend gelebt, in der es sehr viele mexikanische Familien gab. Überall lief ständig Mariachi Musik, eine sehr musikalische Nachbarschaft. Und so viele Chiwawas! Jeder hatte einen Chiwawa. Wenn man die Straße entlang lief standen sie alle vorne an den Toren und haben gekläfft und sind einem nachgelaufen. Ich habe die Gegend geliebt! Eiswägen fuhren die Straße rauf und runter, so viel Leben überall. Das war eine schöne Zeit. Aber ich liebe auch Europa. Ich habe das Gefühl, dass hier alles ein bisschen freier ist. Die Leute lassen sich mehr gehen, sie handeln instinktiver.
Was waren die besten Orte an denen du bis jetzt warst?
Lass mich überlegen… es waren so viele. Wir waren gerade in Utrecht, das war sehr schön. Alle waren extrem gut drauf. Ich liebe Berlin wirklich sehr, das muss ich glaube ich gar nicht sagen. Ich gehe hier wahnsinnig gern spazieren, durch die Parks, schaue mir Kunst an. Es gibt so tolle Mode hier. Alles ist sehr künstlerisch. Ich glaube, ich könnte mich hier leicht Zuhause fühlen.
Könntest du dir vorstellen, hier eine Weile zu leben und Musik zu schreiben?
Definitiv. Ich denke viel darüber nach. Ich mag es, mich zum Schreiben in eine neue Umgebung zu begeben. Daraus entstehen so schnell neue Songs. Berlin wäre großartig!
Arbeitest du schon an neuem Material?
Ja, immer wenn ich zurück nach LA komme schreibe ich viel, damit der kreative Prozess am Laufen bleibt. Ich mag das Gefühl des Stehenbleibens nicht. Ich möchte ständig neue Ideen raus lassen. Selbst wenn es schlechte Ideen sind (lacht). Immer raus damit! Dann bleiben sie zumindest nicht drinnen stecken. Je mehr schlechte Ideen ich raus lasse, desto größer ist die Chance dass mal eine gute dabei ist (lacht). Die Musik die ich schreibe steht immer für eine bestimmte Zeit, für die Gedanken die ich zu dieser Zeit hatte, für Menschen, die ich in Beziehungen getroffen habe. Ich möchte nicht dass es Zeiten gibt über die ich hinterher nachdenke und mich frage hm, was habe ich da eigentlich gemacht? Ich brauche immer etwas, auf das ich zurückblicken kann, ein Text, ein Gedicht, ein Song. Wie ein musikalisches Fotoalbum.
Und gibt es auch Songs, die du vor ein paar Jahren geschrieben hast und bei denen du dir heute denkst: oh mein Gott, was war denn da mit mir los?
(lacht) Ja, die gibt es immer. Manchmal muss ich schmunzeln über dieses unschuldigere Ich, das da aus mir spricht. Manchmal kann ich mich nicht leiden, wie ich damals war, denke, ich war viel zu naiv. Aber in diesem Fortschritt steckt auch etwas Schönes.
Was hast du für Träume für die Zukunft? In welcher Hinsicht auch immer.
Ich hoffe dass ich noch so vieles Neues sehen werde, wo die Musik mich hin führt. Sie hat mich zum Beispiel in die Modewelt gebracht. Ich habe so viel Neues darüber erfahren. Ich habe eine gute Freundin, die das Styling für mich macht. Sie heißt Kat Typaldos. Sie hat immer so großartige Ideen und weiß, wie man die Dinge ein bisschen pusht. Wenn ich etwas trage das mir Energie gibt, performe und singe ich ganz anders. Die Dinge, die mir Energie geben, sind meistens die, die mich ein bisschen herausfordern. Nach dem Motto: okay, ich brauche viel Selbstvertrauen, um das hier zu tragen! (lacht)
Ich bin quasi schon mein ganzes Leben lang Prince Fan. Für mich war das sehr irritierend, als es plötzlich Bands gab, die in Jeans und T-Shirt auf die Bühne gegangen sind. Wenn du auf die Bühne gehst, kannst du doch alles tragen!
Alles! Oder gar nichts (lacht).
Okay, dann musst du mir jetzt auch verraten, wie du Gucci Ambassador geworden bist. Ich bin ja ein bisschen neidisch, muss ich zugeben.
Das ist leider total geheim (lacht). Nein, im Ernst, es war so eine wunderbare Erfahrung, mit Gucci zu arbeiten. Es ist durch einen Auftritt von mir passiert, ich habe in der Tonight Show ein Gucci Teil getragen, das Kat für mich organisiert hatte. Bevor ich wusste wie mir geschieht saß ich in einem Flugzeug und bin nach Milan geflogen um Alessandro Michele zu treffen, mir die neue Gucci Herbstkollektion anzusehen und auf der nächsten Tour habe ich die Klamotten getragen. Das war total surreal. Das Timing war verrückt, ich hatte gerade „Electric Love“ herausgebracht, Glam Rock war eine starke Referenz für mich. David Bowie, glitzernde Elton John Anzüge. Alles was er herausgebracht hat, hat sich auch an dieser Ära orientiert. Es war die perfekte Kollaboration, weil es so wunderbar zur Musik passte. Ich möchte gerne mehr solcher Kollaborationen machen, meine eigenen Designs herausbringen. Schauspielerei interessiert mich auch. Ich möchte mich einfach immer mehr in vielen Bereichen der Kunst herausfordern.
Interview: Gabi Rudolph