Berlinale 2019: Oh Lone, was hast Du getan?

Oh Lone, was hast du getan, möchte man am liebsten ausrufen. Spätestens nach den ersten fünf Minuten des diesjährigen Berlinale Eröffnungsfilms „The Kindness of Strangers“ von Lone Scherfig, und das Gefühl lässt leider im Lauf der folgenden zwei Stunden nicht nach. Man möchte sich quasi im Minutentakt Luft machen.
Die Parameter, die die dänische Regisseurin für ihren ersten in Amerika gedrehten Film setzt, sind dabei durchaus gut – eine episodisch angelegte Geschichte über unterschiedlich gescheiterter Charaktere in New York, deren Schicksale sich im Lauf des Films immer stärker miteinander verbinden. Eigentlich nicht unähnlich zu Scherfigs Dogma-Film „Italienisch für Anfänger“ aus dem Jahr 2000, einem wirklich charmanten Film, in dem die einzelnen Figuren im titelgebenden Italienischkurs aufeinander treffen. Wenn man „Italienisch für Anfänger“ kennt, hat man zumindest den Ansatz eines Gefühls, worauf Lone Scherfig mit „The Kindness of Strangers“ hinaus wollte. Umso mehr fragt man sich aber auch, warum die gute Intention so gnadenlos in die Hose geht.
Der Dreh- und Angelpunkt ist hier ein russisches Restaurant in New York, das von einem Engländer (Bill Nighy) betrieben wird, der mit falschem Akzent vorgibt selbst Russe zu sein. Es gibt eine überarbeitete Krankenschwester (Andrea Riseborough), die von dem überbordenden Drang den Menschen Gutes zu tun getrieben nebenbei in einer Kirche eine Selbsthilfegruppe betreut, deren Ziel „Vergebung“ ist. Einen Ex-Häftling (Tahar Ramin), für den das Restaurant zu einer zweiten Chance wird, und seinen besten Freund, ein Anwalt (Jay Baruchel), der damit kämpft, dass er zu oft Unschuldige wie seinen besten Freund nicht vor einer ungerechtfertigten Strafe bewahren kann. Wir treffen Jeff (Caleb Landry Jones), der zu ungeschickt ist um auch nur den einfachsten Job lange zu behalten. Und nicht zuletzt Clara (Zoe Kazan), die mit ihren beiden Söhnen vor ihrem gewalttätigen Mann nach New York flieht und zwischen Nächten im Auto, öffentlichen Bibliotheken, Suppenküchen und Notunterkünften versucht, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie alle sind auf die Freundlichkeit von Fremden angewiesen, ihre Geschichten sollen uns zeigen, wie viel besser die Welt wird, wenn wir einander großzügig und empathisch begegnen.
Das ist ohne Frage ein wunderschönes Motiv und auch eine lobenswerte Absicht, einen Film über Nächstenliebe und Menschlichkeit zum Eröffnungsfilm der Berlinale zu machen. Gerade in der heutigen Zeit, in der Empathie für unsere Mitmenschen ein immer rareres Gut zu werden scheint. Umso ärgerlicher ist es, dass „The Kindness of Strangers“ schlichtweg von vorne bis hinten misslungen ist. Es gibt ohne Frage immer wieder schöne Szenen, vor allem Bill Nighy hat mit seinen Auftritten die Lacher zu Recht auf seiner Seite. Aber das tröstet nicht darüber hinweg, dass im Gesamten einfach gar nichts stimmt. Die Gefühle wirken wie großflächig mit dem Spachtel aufgetragener Zuckerguss. Die Bilder sind zum Teil bis zur Unerträglichkeit naiv. Ein Bösewicht, der die ihn kompromittierenden Dateien vom Desktop in den Papierkorb verschiebt. Ein kleiner Junge, der, bevor er am nächsten Tag halb erfroren aufgefunden wird, im Schneetreiben malerische Eiszapfen von einem Brunnen bricht Der Film reiht diesbezüglich einen Supergau an den anderen. Von den immer wieder kehrenden Logiklöchern ganz zu schweigen. Die Art und Weise, wie die Figuren sich in einer Millionenstadt immer wieder begegnen, ohne dass man sich nur ansatzweise die Mühe macht dies zu erklären, ist nur ein Aspekt davon.
Man könnte es besser abschütteln, wenn hier nicht so viel Potential in den Sand gesetzt worden wäre. Eine talentierte Regisseurin mit dem Herz am rechten Fleck, ein aktuelles Thema, das eigentlich aufrütteln und berühren könnte, durchweg gute Schauspieler und die Stadt New York als Nebendarsteller. All das wirkt auf erschreckende Weise verschwendet. Es ist nahezu faszinierend, wie man so viel Drama inszenieren und am Ende der Rechnung auf eine emotionale Durchschlagkraft von unter Null kommen kann.
Ja, wir brauchen sie, die Nächstenliebe! Und wir brauchen Filme, die uns an ihre Notwendigkeit erinnern. Dieser hier führt uns leider nur den Schmerz vor Augen den man empfindet, wenn man zwei Stunden seiner Lebenszeit verschwendet hat.

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