Berlinale 2018 Highlights: „Don’t worry, he won’t get far on foot“, „Yardie“

„Don’t worry, he won’t get far on foot“ von Gus Van Sant

Kaum ein Regisseur wandert derart nahtlos zwischen den Welten des Independent und des Mainstream Kinos wie Gus Van Sant. Thematisch wie Regie technisch ist das Werk des amerikanischen Regisseurs äußerst diffizil. Entsprechend vergisst man manchmal, dass hinter Filmen wie der Coming of Age Geschichte „Good Will Hunting“, dem Amoklauf Drama „Elephant“ oder dem Roadmovie „My Private Idaho“ der gleiche Mann steckt.
Bei der Berlinale ist Gus Van Sant ein gern gesehener Gast. Dieses Jahr läuft von ihm im Wettbewerb das Biopic „Don’t worry, he won’t get far on foot“, das sich an der gleichnamigen Autobiografie des Cartoonisten John Callahan orientiert. Mit 21 Jahren endete eine seiner zahlreichen Sauftouren in einem schweren Autounfall – Callahan kommt in der Klinik wieder zu sich und ist querschnittsgelähmt, den Rest seines Lebens wird er im Rollstuhl verbringen, während sein Kumpel mit ein paar wenigen Kratzern davon kam.
Joaquin Phoenix spielt John Callahan, und er tut das mit begeisternder, tiefgreifender Intensität. Dabei besticht der Film mit einer charmanten Leichtigkeit, denn neben dem unvermeidlichen Drama (Van Sant legt den Fokus hier hauptsächlich auf den Kampf gegen die Alkoholsucht) geht es in „Don’t worry, he won’t get far on foot“ vor allem darum, wie man auch in einem auf den ersten Blick wenig lebenswerten Leben seinen Platz findet. John Callahan gelingt dies, nicht stetig aufwärts, sondern eher in Sinuskurven verlaufend, mit Hilfe seines schrägen Humors. Aus dem desillusionierten Alkoholiker im Rollstuhl wird ein bekannter Cartoonist, der mit seinem bitterbösen Bildergeschichten die Nation spaltet. Sein Spott gilt Schwarzen, Homosexuellen, Behinderten und damit nicht zuletzt auch sich selbst.
Inszenatorisch siedelt sich der Film genau in der Mitte von Gus Van Sants Werk an. Die erzählerische Leichtigkeit sorgt für eine Prise Mainstream, die Bildgestaltung wirkt zum Teil eher dokumentarisch. Die Erzählstruktur ist verschachtelt, immer wieder springt der Film geschickt zwischen den Zeiten. Neben Joaquin Phoenix brilliert Jonah Hill als reicher, homosexueller Selbsthilfeguru, der sich, selbst vom Leben enttäuscht, mit rührender Ernsthaftigkeit seiner Schäfchen annimmt. Überhaupt sind die Szenen der Gruppentreffen ein kleines Highlight des Films, in denen es Gastautritte von Beth Ditto und der ehemaligen Sonic Youth Frontfrau Kim Gordon gibt. Und auch wenn man auf Anhieb denken mag, dass sie dort gut rein passen, hat Gus van Sant beiden sehr schön atypische Rollen gegeben, die sie ganz wunderbar ausfüllen. Auch Portlandia Star und Sleater Kinney Frontfrau Carrie Brownstein ist mit von der Partie, als zähe Sozialarbeiterin liefert sie in einer der komischsten Szenen des Films die Punchline für einen von Callahans Cartoons über zwei Mitglieder des Ku-Klux-Klans.
Seinen Humor verdankt „Don’t worry, he won’t get far on foot“ nicht zuletzt den Cartoons von John Callahan die, zum Teil als kongeniale Animation, ihre ganz eigene Rolle im Film spielen. Gus van Sants Wettbewerbsbeitrag ist einer dieser Filme, bei denen man sich auf anspruchsvolle Weise rundum gut unterhalten fühlt und am Ende gefühlt ein paar Zentimeter größer aus dem Kino geht.

Sektion: Wettbewerb
Gesehen von: Gabi Rudolph

 

„Yardie“ von Idris Elba

Idris Elba präsentiert auf der Berlinale sein Regiedebüt, und selbst hinter der Kamera scheint der britische Schauspieler (bekannt aus der „Thor“-Reihe, für die Titelrolle in der BBC Serie „Luther“ heimste er diverse Fernsehpreise ein) seinen Charme nur so zu versprühen.
Sein Film „Yardie“ ist eine charismatische Gangster-Geschichte, die ihren Beginn im Jamaika der Siebziger Jahre nimmt. Kingston ist durch einen Bandenkrieg gespalten. Der 13 Jahre alte D. begleitet seinen Bruder Jerry Dread, der im gefährlichsten Gebiet sein Soundsystem aufbaut und versucht, die verfeindeten Parteien mithilfe von Musik zu vereinen. Der Plan scheint aufzugehen, aber dann wird Jerry erschossen. D. bleibt ohne Familie zurück, der Gangboss King Fox (Sheldon Shepherd) nimmt den Jungen unter seine Fittiche. Zehn Jahre später arbeitet D. (Aml Ameen) für King Fox als Kurier und wird von ihm mit einem Päckchen Kokain nach London geschickt, wo bereits D.s große Liebe Yvonne (Shantol Jackson) mit seiner kleinen Tochter lebt, in der Hoffnung auf ein besseres Leben fernab der Straßenkriminalität.
Aber D.s Auftauchen sorgt sofort für Ärger. Statt das Päckchen wie geplant dem Underground Boss Rico (Stephen Graham) zu übergeben, verkauft er den Stoff mithilfe einer türkischen Gang. Damit bringt er nicht nur Rico, sondern auch King Fox gegen sich auf und seine Familie in Gefahr. Dann erfährt er, dass der Mörder seines Bruders ebenfalls in der Stadt ist und nimmt seine Fährte auf, um endlich Rache zu üben.
Es liest sich leicht heraus – die auf der Romanvorlage von Victor Headley basierende Handlung ist weder besonders neu noch übermäßig überraschend. Es ist eine klassische Gangster Geschichte mit einem von der Vergangenheit geplagten Helden, der verzweifelt versucht, sein Leben in der Gegenwart gerade zu rücken, dabei aber von einer Katastrophe in die nächste stolpert. Manchmal möchte man D. am liebsten auf die Schulbank setzen und zum Nachsitzen verdonnern, so unbesonnen und emotionsgetrieben benimmt er sich. Das stößt einem schon mal sauer auf, wenn durch seine Unbesonnenheit seine Frau und Kind gleich mit in Gefahr gebracht werden.
Dass der Film trotzdem funktioniert ist, wie bereits gesagt, seinem Charme zu verdanken. Alle Darsteller, besonders natürlich D. und seine Yvonne strahlen nur so vor Charisma. Die Bilder sind wohl überlegt komponiert, das Tempo stimmt und die Motivation der Figuren bleibt interessant. So gibt es dann doch immer wieder Überraschungen, zum Beispiel wenn D. letztendlich auf den gejagten Mörder aus der Vergangenheit trifft, der sich als so ganz anderer Charakter entpuppt, als man vermutet hätte. Hier beleuchtet der Film klug und differenziert die Beweggründe, die bei einem im Ghetto aufgewachsenen Jungen doch so ganz anderer Natur sein können.
Das erste, in Jamaika spielende Drittel des Films ist dann auch besonders stark. Es erinnert zum Teil an Marlon James’ Bestseller „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“. Ebenfalls extrem mitreißend inszeniert sind die musikalischen Szenen der Dancehall Parties. Manchmal läuft Elba Gefahr, seinen Helden allzu romantisch zu verklären. Aber bei diesem charmanten Gesamtpaket kann man ihm das verzeihen.

Sektion: Panorama
Gesehen von: Gabi Rudolph