Ariel Engle von Broken Social Scene nimmt Ziel auf eure Herzen mit ihrem Soloprojekt La Force

Es ist schon nach elf Uhr, aber Ariel Engle möchte sich trotzdem unterhalten. Obwohl sie in der Woche bevor es auf Tour ging ihre Stimme verloren hat, wovon sie sich immer noch nicht komplett erholt hat, und obwohl in weniger als einer Stunde der Tourbus abfährt. Wir sitzen Backstage in einem Club in Birmingham, England, wo Broken Social Scene gerade eins ihrer sechs Europa Konzerte in diesem Sommer gespielt haben. Ariel ist schon seit Jahren loses Mitglied des kanadischen Indie-Rock-Kollektivs, ihr Ehemann Andrew Whiteman seit den Anfangszeiten Teil der Band. Zum 2017 erschienenen Album „Hug of Thunder“ trug sie einen großen Teil der weiblichen Gesangsparts bei, seitdem ist sie festes Mitglied von Broken Social Scene. „Ich wollte wirklich gerne ein Teil von Broken Social Scene sein. Ich habe jahrelang immer mal wieder als Sängerin mitgewirkt, aber mehr als Andrews Frau als als ‚ich selber‘,“ erzählt sie mir, und Broken Social Scene Mitglied Charles Spearin, neben ihr auf der Couch, wirft sofort ein: „Wir wollten unbedingt, dass sie mit uns singt. Wir haben sie aufgenommen und gesagt: Wir wissen, Andrew ist in der Band und ihr seid verheiratet, aber wir wollen, dass du auch in unserer Band bist!“

Es ist nicht zu leugnen, dass Ariel perfekt in die Band passt. Ihre Stimme hat genau die Kraft und Wärme die die Songs brauchen, sogar (und manchmal auch ganz besonders), die Songs die ursprünglich nicht mit ihr aufgenommen wurden. Sie tritt in der Tat in ein paar große Fußstapfen. Feist, Emily Haines und Amy Millan gehören zu den Frauen, die Teil des Kollektivs sind und ihre Stimmen ein paar der bekanntesten Songs der Band geliehen haben. Was das angeht wirkt Ariel selbstbewusst und gleichzeitig voller Liebe. Ich sage ihr, dass ich es sehr bewundere, wie sie sich diese Songs augenscheinlich mühelos zu eigen macht. „Es gibt in dieser Band unglaubliche Frauen, die gekommen und gegangen sind und die immer wiederkehren werden,“ erklärt sie. „Sie haben diese ikonischen Songs, die die Leute hören wollen. Ich bin nicht Emily, Amy oder Feist, also versuche ich nicht sie nachzuahmen. Aber ich gebe mein Bestes , alles was ich geben kann, sodass die Leute das Gefühl kriegen, das sie suchen. Wir suchen alle nach Befreiung. Das Publikum kann nicht los lassen, wenn du auf der Bühne angespannt bist. Es ist meine Aufgabe, ihm einen Zugang zu seinen Gefühlen zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass wir alle Freunde sind, und zu besonderen Gelegenheiten, wenn die Sterne günstig stehen, kommen wir in unterschiedlichen Formationen zusammen und singen gemeinsam. Das ist das Allerschönste.“

Jetzt, nachdem sie jahrelang in unterschiedlichen Konstellationen Musik gemacht hat, hat Ariel Engle schließlich ihr eigenes Soloprojekt an den Start gebracht. Dafür hat sie den Namen La Force gewählt, der perfekt das ausdrückt, wie sie mir als Person erscheint, gleichzeitig zärtlich und stark. Zwei Songs hat sie als La Force bereits veröffentlicht, die Vorboten ihres ersten Soloalbums sind, das noch dieses Jahr auf Arts & Crafts erscheint. Der eine ist „You Amaze Me“, in ihm trifft Ariels warme Stimme auf eine sanfte, elektronische und gleichzeitig organische Soundlandschaft. Er ist wunderschön und ganz neben bei extrem eingängig – mein sechs Jahre alter Sohn singt ihn vor sich hin, seitdem er ihn zum ersten Mal gehört hat. Der zweite, letzte Woche veröffentlicht, ist die melancholische Ballade „Lucky One“. „Ich habe vor zwei, fast drei Jahren damit angefangen, aber viele Dinge sind in dieser Zeit passiert“, erzählt Ariel, als ich sie frage, wie sie mit der Arbeit als Solokünstlerin begonnen hat. „Ein paar sehr schwierige Dinge sind passiert. Man nennt es wohl ‚das Leben‘. Der Wendepunkt war, dass ich während der Arbeit an dem Album einen schweren Verlust erfahren musste. Etwas, das ich so noch nicht kannte und das mich und meine Musik verändert hat. Dieses Album handelt nicht vom Party machen und Spaß haben. Vielleicht kann ich auf dem nächsten Album die Tanzfläche wieder erobern“, lächelt sie.

Nachdem sie mit ihrem Mann Andrew Whiteman ursprünglich in Montreal die Band AroarA gegründet hatte und neben der Arbeit mit Broken Social Scene frage ich mich, was sie aus der Arbeit als Solokünstlerin zieht, das sie nur auf diese Weise erfahren kann. „Ich glaube, wenn man solo arbeitet, muss man weniger Kompromisse machen“, erklärt sie mir. „Außerdem kann man sich komplett selbst einbringen. Wenn man sich die Songs am Ende anhört sind sie nie genau so, wie man am Anfang dachte dass sie werden würden. Aber das, was man vielleicht erst als Fehler ansieht, wird am Ende unter Umständen das beste daran. Ich habe versucht, an das Album so spontan wie möglich ran zu gehen. Manche Songs und Texte sind quasi kurz vor zwölf entstanden.“ Aber auch in ihrer Soloarbeit schwingt dieses Gefühl von Gemeinsamkeit mit, das auch den Spirit von Broken Social Scene ausmacht. Das spürt man besonders, wenn sie von den Menschen erzählt, die zu dem Album beigetragen haben, wie Charles Spearin, in dessen Garage es zum Teil aufgenommen wurde oder natürlich Andrew Whiteman. „Andrew hat mir immer viel mit den Texten geholfen“, sagt sie. „Ich habe ihn in die Aufnahmekabine gerufen, damit er mir hilft eine Strophe fertig zu stellen.“

Der Schmerz, von dem Ariel Engle spricht, ist in einem Song wie „Lucky One“ hörbar. Aber auch die Schönheit, die darin liegt diesen Schmerz anzunehmen, ihn zu überwinden und in etwas Wertvolles umzuwandeln. Der Wille, jegliche Arten von Emotionen anzunehmen, sie zu verarbeiten und ihre Essenz dem Publikum zurück zu geben, das ist die Kraft, die Broken Social Scene als Band so besonders macht. Wenn man einen Abend lang mit diesen Menschen in einem (viel zu kleinen) Raum sitzt, kriegt man ein Gespür dafür, wieviel jedes einzelne Bandmitglied zu dieser Kraft beiträgt. Ariels persönliche Stärke ist dabei ihre aufrichtige Anmut, die direkt in ihre Songs fließt. „Don’t forget what’s simple and what’s small, cause we used to get obsessed about it all“, singt sie in „Lucky One“. Und lässt einen für einen Moment innehalten, ihr zuhören und mit ihr fühlen. Haltet eure Herzen fest, La Force nimmt direkten Kurs auf sie. Mit Ehrlichkeit, Kraft und jeder Menge Liebe.

Photo © Norman Wong

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