Als Shannon nach Nashville ging: Interview mit Shannon Shaw

Shannon Shaw ist eine echte Erscheinung. Top gestylt sitzt sie da, bestens gelaunt und obwohl sie schon einen wahren Promomarathon hinter sich hat und ich ihr letzter Termin an diesem Tag bin, erzählt sie mit Geduld und Begeisterung von der Arbeit an ihrem Soloalbum „Shannon in Nashville“. Das hat die Frontfrau der Punkband Shannon and the Clams, wie der Name verrät, in Nashville aufgenommen und, ganz in der Tradition eines Albums wie „Dusty in Memphis“ die Einflüsse, die sie dort gefunden hat, in ihre Arbeit einfließen lassen. Produziert wurde das Album von Dan Auerbach und aufgenommen mit einer Reihe renommierter Sessionmusiker wie Gene Chrisman und Bobby Wood von den Memphis Boys, die Hausband des American Sound Studio, die bereits mit Größen wie Elvis Presley und Neil Diamond zusammen gearbeitet hat. Wenn Shannon Shaw einem gegenüber sitzt und wenn man sich mit ihr unterhält, ist es wirklich erstaunlich als sie plötzlich offenbart, wie unsicher sie in dieser Zusammenarbeit war. „Shannon in Nashville“ hat sie herausgefordert und über sich hinauswachsen lassen. Wie das genau passiert ist, lest ihr jetzt.

Wenn man sich ansieht was du alles machst, auf deinem Instagram Account zum Beispiel, dann fragt man sich wie du das alles schaffst. Du wirkst wirklich super busy. Ich frage mich immer, wie man dann auch noch die Ruhe findet, Songs zu schreiben.

Manche Künstler fangen an an Sachen zu arbeiten, wenn sie von einer Show nach Hause kommen. Die brauchen die Ruhe als Gegenpol zu der Energie auf der Bühne. Ich bin leider nicht so. Ich muss das Auftreten sehr akribisch vom Songschreiben trennen. Das letzte, was ich auf Tour machen möchte, wenn ich nach Hause komme ist, an Songs zu arbeiten. Verdammt, so bin ich überhaupt nicht. Ich wünschte, ich wäre so. Wenn ich produktiver wäre, würde ich nicht zweieinhalb Jahre für ein Album brauchen. Aber nur so wie ich arbeite, kann ich etwas Ehrliches, Herzliches schaffen kann. Außerdem habe ich das Gefühl, dass bei mir immer alles Last Minute passieren muss, damit es sich richtig anfühlt. Ich male ja auch. Wenn mir jemand einen Auftrag für ein Bild gibt und ich habe, sagen wir, zwei Monate dafür Zeit. Wenn ich dann am ersten Tag anfange, mir die Arbeit einteile, jeden Tag ein bisschen daran arbeite und rechtzeitig fertig werde, dann hat das Ganze am Ende keinerlei Seele. Um Songs zu schreiben muss ich das Gefühl haben in Flammen zu stehen. Ich muss Stress und Adrenalin spüren. Dann erwische ich diesen Sweetspot, nach dem ich suche. Auf Tour bin ich zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, da erreiche ich nicht diesen schrecklichen, dramatischen emotionalen Zustand, den ich brauche, um kreativ zu werden.

Gib mir Schmerzen!

Ja, irgendwie genau so. Ich brauche außerdem Zeitmanagement. Dass ich zum Beispiel sage, diese Woche Montag bis Mittwoch gehe ich in meinen Probenraum und arbeite an Sachen. Im Prinzip bin ich seit Februar durchgängig auf Reisen, ich war vielleicht vier Tage Zuhause. Den Rest der Zeit habe ich Promo gemacht und an Musikvideos für das Album gearbeitet. Jetzt hasst mich meine Katze, meinen Vater habe ich zwei Monate nicht gesehen, meine Mutter nur kurz, weil ich sie und meinen Bruder auf einem Roadtrip durch Utah besucht habe. Es ist cool, ich weiß, dass ich großes Glück habe. Ich frage mich oft, wie ich hierher gekommen bin. Mir ist durchaus bewusst, dass ich nicht in der Position bin mich zu beschweren. Die Realität ist, dass ich manchmal mein eigenes Bett vermisse. Ich lebe in einem Bus, habe immer denselben Koffer dabei. Es ist so schwer, unterwegs ordentlich Wäsche zu waschen! Diese kleinen Dinge. Aber ich würde das hier auch für keinen anderen Job der Welt eintauschen wollen. Es ist sehr befriedigend, ich fühle mich so lebendig.

Ist es bei so viel aufregendem Input schwierig, das Leben zwischendrin nicht aus den Augen zu verlieren? Ich denke, dass man Inspiration doch vor allem aus den alltäglichen Dingen zieht, oder?

Deshalb gibt es so viele Bands, die so viele Songs über das Leben auf Tour haben. Das eigentliche Problem auf Tour ist, dass man fast nie alleine ist. Und gleichzeitig fühlt man sich zeitweise furchtbar einsam. Es gibt diesen Gene Pitney Song, „Backstage“. Er war ein großer Star in den Sechzigern, ein Teenie-Schwarm. Die Mädchen haben ihn jeden Abend auf der Bühne angeschrien. Und er singt darüber, dass er sich niemals so einsam gefühlt hat wie in den Momenten, in denen er nach der Show alleine zum Bus geht. Man baut auf Tour so unglaublich viel Spannung auf. Man fährt zur Show, macht Soundcheck, spielt seine Show, hat so viel Spaß und tauscht Gefühle mit dem Publikum aus. Man trifft Fans, erntet die Früchte seiner Arbeit. Und wenn man dann von Tour nach Hause kommt, hat man diese Höhenflüge nicht mehr. Ich hatte früher immer schlimmen „After-Tour-Blues“. Heute genieße ich es ein wenig. Ich habe es gehasst allein zu sein, heute schätze ich es sehr. Wenn ich alleine bin, kommen mir auch Ideen für Songs.

Anfang dieses Jahres hast du noch ein Album mit deiner Band „Shannon & The Clams“ raus gebracht. Und jetzt dein Soloalbum. Du wirkst wirklich wahnsinnig produktiv.

Das letzte Jahr war extrem ausgefüllt, ja. Es fühlt sich aber oft gar nicht so an, weil man nie weiß, wie die Dinge sich entwickeln. Oft sitzt man da und wartet. Man arbeitet an einer Sache und muss dann erst einmal abwarten, was daraus wird. Dann sieht man oft nicht die Arbeit, die man hinein gesteckt hat.

Viele Leute beschweren sich ja wenn sie zu viel Arbeit haben gleichermaßen wie wenn sie zu wenig haben.

Ich glaube, ich bin genau so (lacht). Ich habe mich so gestresst gefühlt die letzten Wochen und hatte das Gefühl, ich brauche dringend eine Pause. Dann habe ich ganz kurzfristig die Möglichkeit gekriegt nach Deutschland zu kommen. Im ersten Moment dachte ich oh Gott, das kriege ich niemals hin, es ist alles zu viel. Sobald ich hier angekommen bin, habe ich mich entspannt. (auf Deutsch) „Ich liebe Deutschland!“ Ich bin so froh, dass ich hier bin. Im Prinzip kann ich mit Stress auch gut umgehen. Ich bin in einem sehr anstrengenden Haushalt aufgewachsen und habe früh gelernt, solche Dinge zu handhaben. Aber seitdem ich gelernt habe, Zeit mit mir alleine zu schätzen, vermisse ich sie auch mehr. Vielleicht ist es das Alter. Oder ich war einfach noch nie in meinem Leben so beschäftigt wie im Moment. Ich kann es nicht wirklich sagen. Die letzten Monate habe ich mich zum ersten Mal so gefühlt, als wäre es alles zu viel. Ich dachte ich werde verrückt. Auf dem Album habe ich einen Song der heißt „It’s Gonna Go Away“. So ist es einfach. Man kann es positiv oder negativ sehen. Schöne Momente vergehen, das macht einen traurig. Der Moment, in dem man etwas zum ersten Mal erlebt hat, kehrt nie wieder. Gleichzeitig hat es auch etwas Beruhigendes. Die schrecklichen Gefühle, die du manchmal hast, vergehen ebenfalls. Und am Ende bleibt das Positive, das man daraus gezogen hat.

Was würdest du sagen, ziehst du aus deinem Soloprojekt, das du so nicht mit einer deiner Bands erfahren könntest?

Das Album trägt zwar das Label „Soloprojekt“, aber im Prinzip ist es das nicht wirklich. Ich hatte die Möglichkeit, ein Album in diesem klassischen Motown Stil zu machen. Ich kann den vielen Menschen, die daran mit mir gearbeitet haben, gar nicht genug Anerkennung zollen. Ich habe die Texte und die Melodien geschrieben und bei ein paar Songs die Percussions arrangiert. Sechs der Songs habe ich komplett geschrieben, bei den anderen sechs habe ich mit Leuten zusammen gearbeitet. Ich habe überall meine Finger drin, aber insgesamt war es für mich eine große Überraschung. Ein einziger Song ist am Ende genau so geworden wie ich ihn mir vorgestellt habe. Das war „Golden Frames“. Bei manchen anderen war ich geschockt was aus ihnen geworden ist, aber im positiven Sinne. Jeder meiner Mitstreiter hat einen Teil seiner musikalischen Geschichte mit eingebracht. Man kann hören wo sie herkommen. „Crying My Eyes Out“ zum Beispiel ist komplett anders geworden. Ich liebe Burt Bacharach, und am Ende hat der Song viel mehr von seinem Vibe bekommen, als ich es jemals alleine hin gekriegt hätte. Auf anderen Songs kommt dieser Neil Diamond Sound durch. Mein Kopf würde niemals in diese Richtung funktionieren. Ich bin keine klassisch ausgebildete Musikerin, und diesen großartigen Musikern meine Sachen zu geben und ihnen zu sagen macht daraus etwas, das war eine sehr spannende Erfahrung. Ich hätte viel mehr Kontrolle ausüben können, als ich es am Ende getan habe. Aber ich dachte, es hat einen Grund, dass ich jetzt mit diesen Leuten zusammen arbeite. Und ich habe gleichzeitig keine Ahnung was am Ende dabei raus kommt. Das Ergebnis ist die Kombination aus mir und den Fähigkeiten dieser Jungs. Mit niemand anderem hätte ich genau das erreichen können.

Ich stelle es mir großartig vor, sich in einem kreativen Prozess mit Menschen so wohl zu fühlen, dass man derart die Kontrolle abgeben kann.

Oh, ich habe mich nicht wohl gefühlt. Überhaupt nicht. Es war ein absolut erschreckender Prozess.

Wirklich?

Angsteinflößend! Ich war ein nervliches Wrack! (lacht) Es hat mich viel gekostet die Angst zu überwinden, dass sie das beurteilen was ich tue. Diese Jungs haben zum Teil mit Elvis Presley und Neil Diamond gearbeitet. Ich hatte schreckliche Angst dass sich herausstellt, dass ich nicht dorthin gehöre. Dass ich nicht würdig bin mit ihnen zu arbeiten. Bei jedem neuen Song, den ich ihnen vorgespielt habe, habe ich das gedacht. Die ersten Versionen habe ich zusammen mit Dan (Auerbach) mit Gitarre und Bass aufgenommen, dann haben wir sie ihnen vorgespielt. Dabei habe ich jeden von ihnen genau beobachtet und immer auf den Moment gewartet, an dem einer sagt: was zum Teufel ist das (lacht). Aber alle hatten ihr Pokerface auf. Es ist ihr Job, einige von ihnen haben sechs Sessions am Tag. Manchmal können sie sich nicht mehr daran erinnern, mit wem sie gearbeitet haben, weil sie ihre volle Konzentration auf die Arbeit im Studio legen. Ich mag diese Bescheidenheit. Und gleichzeitig habe ich mich gefragt: werde ich auch schnell wieder vergessen sein? (lacht) Es war schwer zu sagen, ob diese Erfahrung für sie so wichtig ist wie für mich. Ich werde es wahrscheinlich nie herausfinden (lacht).

Ich mag an dem Album sehr diese Würde und Anmut, mit der du daher kommst. Das finde ich eine neue Qualität an dir, nach deiner Arbeit mit Shannon and the Clams. Da ist etwas Neues in deiner Stimme. Zu hören, dass du bei der Arbeit so unsicher warst ist spannend. Ich wäre niemals drauf gekommen.

Danke! Das ist großartig, dass du das so wahr nimmst. „Fake it till you make it“, sage ich immer (lacht).

Ich finde auch, dass es sehr positiv über den typischen „Retro“-Aspekt hinaus geht und du etwas ganz Eigenes daraus machst.

Oh ich hasse diesen sinnleeren Gebrauch des Wortes „retro“. Diese Frauen die sagen: guck mal meine neuen Ohrringe, die sind total retro! Retro bedeutet für mich nachgemacht, nicht wirklich alt. Ich liebe diese alten Dinge wirklich von Herzen. Ich möchte keine billige Kopie davon machen. Aber natürlich kann ich nicht in der Zeit zurück reisen. Das Verrückte ist, dass die Jungs, mit denen ich zusammen gearbeitet habe, wirklich da waren. Sie haben wirklich diese Platten aufgenommen. Sind sie deshalb heute Fake-Versionen ihrer selbst? Nein, sie machen einfach Musik. Ich versuche Musik zu machen, mit der ich mich identifiziere und der ich mich verbunden fühle.

Interview: Gabi Rudolph
Foto: Alysse Gafkjen

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