ADÉLA: „Im Moment genieße ich es, jung und ungeschliffen zu sein“

Es dauert einen Moment bis ich verstanden habe, dass die Frau, die von einer Ecke des Raumes aus unser Gespräch verfolgt, nicht ADÉLAs Managerin, sondern ihre Mutter ist. Von da an tauschen wir immer wieder Blicke – wissend, fragend, amüsiert, manchmal auch unwissend. Adéla Jergova, wie die Popkünstlerin mit vollem Namen heißt, ist jung genug um meine Tochter zu sein. Geboren und aufgewachsen in Bratislava lebt sie nun in LA und sitzt an diesem Tag auf einem Sofa in einer Lounges ihres Labels Universal Music in Berlin, Deutschland. Und ihre Mutter sieht ein wenig so aus, als hätte sie immer noch nicht so recht verstanden, wie das alles passiert ist. 

ADÉLA selbst scheint das alles hingegen viel weniger zu wundern. Sie weiß nicht nur genau was sie will, sie wusste es eigentlich schon immer. Bereits als kleines Kind ist sie besessen von amerikanischer Popkultur und weiß, genau das will sie einmal werden: ein großer Popstar wie ihre amerikanischen Vorbilder. Also lernt sie neben dem Ballettunterricht, den sie bereits als Kleinkind bekommen hat, heimlich Englisch, singt, tanzt und posiert Zuhause vor dem Spiegel. Das Ziel hat sie schon immer deutlich vor Augen: es aus ihrem Heimatland, der Slowakei, auf die großen Bühnen der Welt zu schaffen. 

2020 rückt es erstmals in greifbare Nähe, als ADÉLA Teil der „Dream Academy“ wird, im Rahmen derer eine internationale K-Pop-Gruppe entstehen soll. Den Prozess dokumentiert die Netflix Serie „Pop Star Academy“. Aber ADÉLA scheidet aus und wird nicht Teil der Gruppe KATSEYE. Eine Wendung, die sie erst einmal hart trifft aber, wie sie mir im Gespräch erzählt, letztendlich zur wichtigsten ihres bisherigen Lebens wird. 

Nun ist ADÉLA als Solokünstlerin unterwegs. Sie hat bisher drei Singles veröffentlicht, für die aktuelle, „MACHINE GIRL“, arbeitete sie unter anderem mit Grimes zusammen. Es gibt bis heute kein Beispiel, dem ADÉLA hätte folgen können – sie ist die erste aus der Slowakei stammende Solokünstlerin, die bei einem Major Label unter Vertrag ist. Da kann man als Mutter schon mal fassungslos (und natürlich voller Liebe) den Kopf schütteln. 

Als ich gelesen habe, was du bereits alles gemacht hast, da habe ich mich gefragt: wie alt ist sie?

(lacht) Ich bin 21. 

Ich habe mich gefragt, wann du das alles gemacht hast. Es klingt nach mehr als ich jemals in meinem langen Leben gemacht habe…

(lacht) Das ist super süß.

Aber du hast sehr früh angefangen, richtig? Mit dem Ballett zum Beispiel. 

Ja. Ich habe mit dem Ballett angefangen, als ich drei Jahre alt war. Wir haben damals in Moskau gelebt. weil mein Vater dort gearbeitet hat. In Moskau macht jedes kleine Mädchen Ballett, also habe ich auch damit angefangen. Mit sechs Jahren habe ich angefangen Gesangsunterricht zu nehmen. Ich habe Zuhause ständig gesungen. Professionell getanzt habe ich im Prinzip mit elf. Mit vierzehn bin ich ausgezogen. Dann habe ich aufgehört mit dem Ballett. Weil ich es irgendwann einfach scheiße fand. Eigentlich wollte ich immer Sängerin werden. Aber in Bratislava sieht das niemand als Beruf an. Außerdem mag ich die slowakische Musik und deren Szene nicht so. Für mich war amerikanische Popkultur schon immer das, wo ich hinwollte. Also habe ich mit acht Jahren angefangen die Sprache zu lernen. Dann habe ich für die Show vorgesprochen, in der ich am Ende drin war und bin nach LA gezogen. Vor drei Jahren, und seitdem lebe ich dort. 

Du bist also wirklich sehr schnell selbständig geworden. 

Ja, ich war schon als Kind sehr früh sehr unabhängig. Ich habe den ganzen Tag getanzt und meine Zeit im Theater verbracht. Meine Eltern sind keine Tänzer oder Sänger. Sie hatten keine Ahnung was da vor sich geht. Aber ich mochte das. Ich wusste, das hier ist mein Ding. Hier habe ich die volle Kontrolle. Mit 15 bin ich alleine nach London gezogen. Mir ist alleine leben irgendwie nie so schwer gefallen. 

15 ist aber wirklich früh.

Es ist eine Persönlichkeitssache. Ich habe Freunde, die könnten sich das niemals vorstellen. Und das ist okay. Ich war einfach schon immer ein komisches Kind. Ich habe in meiner eigenen Welt gelebt. Ich habe meiner Mutter schon als kleines Kind gesagt, dass ich nicht für immer hier leben werde. Ich will weg. Sie meinte nur: Nun, ich muss hierbleiben. Ich habe noch zwei andere Kinder. Wenn du weg willst, musst du das also alleine machen. Aber es war alles gut. Es hat funktioniert. 

Und so ein klares Ziel, einen großen Traum zu haben, das hilft sicherlich. 

Oh ja. Ich habe das lange für mich behalten. Als ich fünf war, habe ich immer mit meinem Bruder „Hannah Montana“ geguckt. Das war im Fernsehen natürlich slowakisch synchronisiert. Er hat mir erklärt, dass sie nicht wirklich Slowakin ist, sondern Amerikanerin, und dass sie nicht slowakisch spricht. Alles was ich schon als Kind geliebt habe, die Musik, die Kultur, war amerikanisch. Das ist doch seltsam. Mitten in Europa zu sitzen, in diesem winzigen Land, so jung zu sein und trotzdem völlig besessen von dieser Kultur, zu der ich keinerlei Bezug hatte. Ich dachte, dass meine Eltern, oder sonst auch alle anderen, es einfach nicht verstehen würden. Also habe ich die Sprache heimlich und alleine gelernt. Wenn ich schon nicht Amerikanerin sein konnte, wollte ich wenigstens wie eine klingen. Ich habe mir Interviews mit Celebrities angeschaut und in meinem Zimmer so getan, als würde ich interviewt werden. Ich habe die Musik studiert, die Kultur… nach einem Jahr habe ich schon fließend gesprochen. Meine Eltern wussten nichts davon. Als sie es rausgefunden haben waren sie ziemlich verwirrt (lacht)

Träume sind eine Sache. Aber wie oft kommt es vor, dass jemand, der so aufwächst wie du, rein geografisch so weit von all dem entfernt, am Ende wirklich auf einem Sofa in Berlin bei Universal Music sitzt und über seine Musik spricht?

Nie. Ich bin die erste slowakische Künstlerin, die von einem Major Label unter Vertrag genommen wurde. Und es ist interessant, in der Slowakei kennt mich niemand. Der Umgang mit Popkultur ist in den USA ganz anders. Man ist dort immer aufgeregt auf der Suche nach dem neuen, großen Hype. Sie wollen die ersten sein, die etwas entdecken. Wo ich herkomme, ist es genau andersrum. Wir glauben an nichts, bevor es nicht die größte Sache der Welt ist. Ich habe meine ersten Songs zusammen mit Freunden aufgenommen, ein paar große Leute haben sie gehört und sind auf mich zugekommen. Natürlich musste ich mich in den USA auch erst einmal beweisen. Aber die Leute dort sind einfach interessierter. Meine Eltern sind immer noch so verwirrt von allem, was gerade passiert. Sie haben so etwas noch nie gesehen. Nachdem ich bei „Dream Academy“ ausgeschieden war, habe ich gesagt, dann mache ich eben meine eigene Musik, und sie waren so: Was zum Teufel machst du da? Man kann sie nicht dafür verurteilen, dass sie nicht dran geglaubt haben. Sie haben nicht dran geglaubt, weil so etwas einfach noch nie passiert ist. 

Denkst du manchmal noch darüber nach, was passiert wäre, wenn du nicht bei „Dream Academy“ ausgeschieden wärst?

Ich denke nicht wirklich darüber nach, was passiert wäre. Weil es nunmal nicht passiert ist (lacht). Aber ich glaube ganz ernsthaft, dass es richtig war, so wie es gelaufen ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht besonders glücklich geworden wäre, wenn ich es in KATSEYE geschafft hätte. Denn ich bin jetzt wirklich sehr glücklich. Ich glaube, es sollte genau so passieren. Natürlich ist der Weg zum Erfolg durch so eine Gruppe kürzer. Man bekommt schneller Bestätigung für das, was man tut. Dafür muss man aber die ganze künstlerische Kontrolle abgeben, die man als Solokünstlerin hat. Mir ist schon während der Show klar geworden, dass ich einfach das tun möchte, was ich wirklich tun möchte. Und dafür lieber in Kauf nehme dass es länger dauert, bis ich erfolgreich bin. 

In der Regel ist das auch die Art von Karriere, die die Chance hat, länger zu halten. 

Ja, absolut. Nicht nur in der K-Pop-Welt, auch wenn du zum Beispiel durch TikTok berühmt wirst, geht es oft so schnell, dass man überhaupt nicht die Chance hat herauszufinden, wer man als Künstler*in überhaupt sein will. Was nützt einem der größte TikTok Hype, wenn man nicht weiß wer man ist? Wie will man es schaffen, an diesen einen großen Erfolg anzuschließen? Ich glaube, viele Künstler*innen werden heute zu schnell berühmt. Und ich meine damit nicht unbedingt das Alter. Jemand kann mit 15 schon weit genug sein, der größte Act der Welt zu werden. Andere brauchen mehr Zeit. Man muss erst einmal etwas erlebt haben, um zu wissen, worüber man sprechen will. Wie du sagtest, ich hatte sehr früh schon ein sehr bewegtes Leben. Ich habe Dinge erlebt, die für mein Alter eher ungewöhnlich sind, und die meine Sichtweite geprägt haben. Generell war ich schon immer ein sehr nachdenklicher Mensch. Meine Mutter sagt oft, ich war als Baby schon wie eine Erwachsene (lacht). Das ist einfach mein Vibe. Gleichzeitig bin ich immer noch dabei, mich selbst zu entdecken, und das wird sich sicherlich auch in meiner Musik widerspiegeln. Ich folge einfach meinem Bauchgefühl. Im Moment genieße ich es, jung und ungeschliffen zu sein. 

Du schreibst deine Songs selbst. Wo findest du die Inspiration dafür?

Ich verbringe viel Zeit allein (lacht). Ich denke viel über mein Leben und über Erfahrungen nach. Dann frage ich mich, was wäre ein guter Blickwinkel, um über diese Erfahrungen zu schreiben. Meistens fange ich an, als würde ich Tagebuch schreiben. In der Regel basiert alles auf meinen persönlichen Erfahrungen und wie ich diese analysiere. Weniger ein direkter, emotionaler Ansatz, sondern ich versuche zu verstehen, warum ich in welcher Situation wie reagiert habe. Und wenn ich es nicht verstehe, vielleicht ist das auch eine Idee für einen Song. Ich versuche nur möglichst etwas zu finden, das kein Klischee ist und nicht schon zigmal so gesagt wurde. Es gibt so viele Songs da draußen. Es muss nicht super clever sein, es kann auch etwas sein, das auf den ersten Blick langweilig und durchschnittlich wirkt. Aber durch die Perspektive wird es dann doch wieder neu und aufregend. Man kann jede Situation aus unendlichen vielen Perspektiven betrachten. Das finde ich spannend. 

Ich finde auch, es geht im Pop im Moment mehr denn je um Konzepte, oder?

Oh ja, absolut. Es ist total verrückt! Deswegen ist aber auch gerade alles möglich. Ich finde, es ist eine sehr aufregende Zeit um Musik zu machen und um eine neue Künstlerin zu sein. Es gibt keine Grenzen, man kann einfach alles machen. Sabrina Carpenter macht fast schon Dolly Parton Pop. Chappell Roan hat diesen Synthie, Achtziger Jahre inspirierten, Kate Bush Vocals Style. Und dann ist da Charli XCX, und die macht einfach mal Club Musik. Heutzutage geht es darum, was einen wirklich bewegt und wie man daraus eine Welt kreiert, an die die Leute glauben können. Es gibt keine Trends. Alles ist demokratisiert. Es geht darum, ob du’s drauf hast. Und ob du wirklich an das glaubst, was du tust. Ist es authentisch? Wenn ich versuchen würde wie Kate Bush zu klingen, das würde keinen Sinn machen. Ich tanze gern, ich bin Tänzerin, und ich liebe schwere Beats. Also macht es Sinn, wenn ich mit jemandem wie Grimes zusammenarbeite. Ich würde jedem raten, seinem Instinkt zu folgen und das zu tun, worauf man wirklich Lust hat. Heute ist die Zeit, in der man das tun kann. 

https://www.instagram.com/adelajergova/