„Engel des Bösen“ erzählt eine wahre italienische Gangstergeschichte der 70er Jahre. Regisseur Michele Placido verfilmt damit das Leben von Renato Vallanzasca, einer mittlerweile fast historischen Figur aus dem Mailänder Untergrund.
Schlagzeilen bitte
John Dillinger, Jacques Mesrine und jetzt Renato Vallanzasca. Sie alle galten – gelten – als Staatsfeind. Der Staatsfeind ist zwar keine verfassungsrechtlich anerkannte Institution, aber die Massenmedien scheinen ein immenses Interesse daran zu haben, dass sich jemand auf der anderen Seite des Gewaltenmonopols profiliert. So sorgen sie für Aufmacher und Schlagzeilen.
John Dillinger – erste Person, die das FBI als Staatsfeind titulierte und in den 30er Jahren fragwürdigen Ruhm erlangte. Michael Mann’s „Public Enemies“ widmet sich der Vita Dillingers und in dem ähnlich klingenden „Public Enemy No. 1 & 2“ von Jean-François Richets dreht sich alles um Frankreichs Staatsfeind Jacques Mesrine. Nun folgt aus Italien „Engel des Bösen“, der ganz in der Tradition dieser Gangster-Biopics steht.
Held und Produkt einer Zeit
Attraktiv ist die Rolle des Staatsfeindes, da Hybris selten auftritt, quasi Mangelware geworden ist. Denn selten sind jene geworden, die sich hoch über alle staatlichen Grenzen schwingen – über ihnen zu thronen scheinen – so hoch, dass ihr Schatten zu gewaltig wird und die Gesellschaft vor ihnen erschauert. Doch der Staatsfeind ist kein gewöhnlicher Verbrecher und auch kein Terrorist, der für eine Sache kämpft. Er folgt seinem eigenen „Ehrenkodex“, muss vollends auf eigene Rechnung agieren und dabei trotzdem am Wesentlichen rütteln, so weit gehen, dass am Ende alle gegen ihn sind. Der Staatsfeind ist ein Held und Produkt seiner Zeit – ein charismatischer Egozentriker.
„Engel des Bösen“ beginnt in klassischer Gangsterfilm-Manier. Michele Placido rollt die Geschichte Renato Vallanzascas (gespielt von Kim Rossi Staurt) von hinten auf. Arbeitet sich dann mit der Akribie eines Archäologen durch dessen Vita und versucht Antrieb und Motive zu enthüllen. Wie etwa Ursachen für die Lust am Bösen, das kategorische Ablehnen des Guten oder warum für einen wie Vallanzasca Freundschaft mehr zählt als Moral.
Die Karriere von „Il bene René“
Die Handlung ist schnell erklärt. Kleiner Junge will Dieb werden und wird Dieb. Auf eine direkte, ehrlich und kompromisslose Art. Dass früher oder später Polizei, Rivalen und Konkurrenten auftreten und sein Einfluss als mächtigster Mafiosi eindämmen möchten? Absehbar.
Am Anfang des Films ist da der aufmüpfige Insasse, der sein Knast-Essen missmutig durch die Gegend schleudert, dafür Probleme bekommt und seinen verqueren moralischen Grundsätzen treu bleibt. Hiernach folgt dann auch schon die Rückblende, die alles erklären soll: der Tod des Bruders.
Sie ist dramaturgisch so gesetzt, dass sie das Verhalten Vallanzasca’s erklärten könnte – oder zumindest dabei helfen. In dieser Szene findet der schöne René seinen ermordeten Bruder. Letztlich bleibt es nur ein banaler, einfache Erklärung dafür, warum Vallanzasca sich dem Bösen zuwendet. Human und nachvollziehbar, aber banal. Schon Mitte zwanzig hatte der Mann mit dem Engelsgesicht und dem teuflischen Charme es zum bekanntesten Kriminellen Italiens gebracht. Durch spektakuläre Ausbrüche und öffentlichen Provokationen erzürnte er Staatsmacht und Gegner noch mehr und wurde umso populärer. Seine Taten, Treibstoff für Legenden.
Erlebniskino oder Gesellschaftsporträt
Placido versucht keineswegs, Geschichte als Ereignis zu begreifen oder aufzugreifen. Unaufgeregt erzählt er „seine“ Geschichte. Dank einer mitreißende Hauptfigur entfesselt das Erzähl-Kino hier seine ganze Kraft, sodass man als Zuschauer nach wenigen Minuten ganz im Körper des bösen Engels steckt. Allerdings entwirft „Engel des Bösen“ so kein Bild über die Gefährdung der Zivilgesellschaft, sondern kommt einzig dem medialen Interesse – Rauschen, Aufbauschen, Fallenlassen – nach. Der Film zeichnet in seiner eigenen kleinen Welt ein Porträt. Alles Außenstehende, die Öffentlichkeit, ist Requisit – höchstens Zeuge. So bewegt sich Vallanzasca in seinem eigenen amoralischen Universum und trotz all seiner Gräuel ergreift man Partei für den zweifelhaften Helden.
Beeindruckend ist, mit welcher Sorgfalt Regisseur Placido die 70er Jahre nachbildet. Bis ins kleinste Detail werden Hemdkrägen, Koteletten oder der Kolorit und Reiz des damaligen Mailands auf die Leinwand gezaubert. Ansonsten konzentriert sich der Film auf das Ergründen männlichen Leidens und moralischen Verfalls, was für eine enorme Dialoglastigkeit sorgt. Da wo Hollywood den Hang zum explosiven – wilden Bankrauben und halsbrecherischen Stunts – frönt und gelegentlich überspannt, verhält sich das europäische Genre-Pendant genau gegenteilig.
Gesehen von: Sebastian Schelly
„Engel des Bösen“ kommt am 24. Februar in die deutschen Kinos.