Lorde, Max-Schmeling-Halle Berlin, 05.12.2025

© Sam Penn

Da muss ich doch kurz schlucken, als Lorde gegen Ende ihres ausverkauften Konzerts in der Berliner Max-Schmeling-Halle erwähnt, sie sei jetzt 29 Jahre alt. Ich habe Lorde zum ersten Mal live gesehen, da war sie gerade einmal 17. Die wesentlich kleinere Columbiahalle war damals nicht ausverkauft. Ella Marija Lani Yelich-O’Connor, wie Lorde mit bürgerlichem Namen heißt, trug ein schwarzes, enges Oberteil und seidene Hosen. Die meiste Zeit versteckte sie sich im Gegenlicht oder hinter einem Vorhang aus ihren schwarzen Locken.

Seitdem ist viel passiert. Ich bin älter geworden, und Lorde ist heute eine erwachsene Frau und ein globaler Superstar. In den vergangenen elf Jahren ist sie mir in den unterschiedlichsten Stadien immer wieder begegnet. 2017 sah ich sie beim Glastonbury Festival spielen – da war schon klar, dass Lorde längst kein Indie-Act mehr ist. Doch an diesem Abend zeigt sich deutlich, dass sie mit ihrer aktuellen „Ultrasound“-Tour ein neues Level erreicht hat: Lorde ist im Universum der weiblichen Megastars angekommen. Da kann man schon mal einen Kloß im Hals haben, als würde man miterleben, wie das eigene Baby erwachsen wird.

Hinzu kommt, dass Lorde innerhalb dieses Universums einen ganz eigenen Platz einnimmt. Während viele weibliche Popstars momentan aussehen, als würden sie sich denselben Stylisten teilen, der außerdem eine recht beschränkte Auswahl an High Heels und Glitzerbikinis im Koffer hat, steht Lorde in Berlin in Jeans und T-Shirt auf der Bühne. Die Show um sie herum ist natürlich minutiös gestylt und choreografiert, doch sie selbst wirkt – im besten Sinne – als wäre sie irgendwie zufällig in all das hinein geraten. Nach über zehn Jahren auf der Bühne hat sie sich diesen ganz eigenen „Dance-like-nobody’s-watching“-Spirit bewahrt.

Dabei sind ihr aktuelles Album „Virgin“ und diese Tour ganz offensichtlich ein Befreiungsschlag. Die Themen, mit denen sie sich auf „Virgin“ beschäftigt, sind erwachsener und komplexer denn je: sexuelle Selbstbestimmung, geschlechtliche Identität und Fluidität, Einsamkeit, Essstörungen und Body-Image. Auf diesem Fundament wächst Lorde über sich hinaus und definiert ganz nebenbei weibliche Körperlichkeit und Sexiness neu. Die Kamera verharrt auf ihrem schweißnassen Bauchnabel, auf der Schnalle ihres massiven Ledergürtels als sie ihn öffnet und die Jeans herunterlässt, um schließlich barfuß und in schwarzen Calvin-Klein-Shorts auf der Bühne zu stehen. Wie sie zu „Supercut“ auf einem Laufband joggt, wurde dank Social Media längst zum Kult – und live ist das tatsächlich ein ganz großer Popkulturmoment.

Zuletzt habe ich über ein Lorde-Konzert geschrieben, als sie 2017 zu ihrem Album „Melodrama“ in Berlin spielte. Damals war selbst ich, als regelmäßige Konzertgängerin, irritiert über die Unmenge an Handy-Bildschirmen, die das Konzert einfingen und – damals der große Trend – in Echtzeit auf Snapchat übertrugen. Es ist inzwischen ein alter Hut, und wenn ich meinen Artikel von vor acht Jahren lese, finde ich ihn fast ein bisschen niedlich. Trotzdem beschäftigt mich das Thema Smartphones auf Konzerten immer wieder. Denn das Phänomen nimmt stets neue, zunehmend irritierende Formen an, wie ich an diesem Abend beobachte.

Wenn ich die hinteren Reihen im Innenraum betrachte – und es ist unmöglich, es nicht zu tun –, wünsche ich mir regelrecht die Zeiten zurück, in denen das größte Problem war, dass Leute exzessiv den Act auf der Bühne filmten. Der neueste Trend ist wohl, das Konzert als Kulisse für elaborierte Social-Media-Drehs zu benutzen. Große Gruppen junger Frauen sind – während Lorde im Hintergrund performt – damit beschäftigt, sich abwechselnd beim Tanzen und Lipsynchen zu filmen. Manche von ihnen schauen während des gesamten Konzerts nicht ein einziges Mal Richtung Bühne.

Man könnte natürlich versuchen, es einfach zu ignorieren, aber das ist schwer möglich, da diese Dreharbeiten zum Teil unter Einsatz greller Handybeleuchtung stattfinden. Und es ist schlicht irritierend, wenn unmittelbar vor deiner Nase jemand engagierter performt als der Act auf der Bühne. Grundsätzlich würde ich den Mädels wirklich gerne ihren Spaß lassen. Aber kann man permanentes Content-Generieren – und ich meine wirklich permanent, nicht nur während einzelner Songs – noch als Spaß bezeichnen?

Der Trend ist gleichermaßen traurig wie besorgniserregend. Offensichtlich genügt es nicht mehr als Social-Media-Trophäe, Material vom Konzert selbst zu posten. Auf TikTok rückt das eigene Gesicht immer stärker in den Mittelpunkt – und wenn man selbst nicht zu sehen ist, hat man es dann überhaupt erlebt? Zudem werden öffentliche Räume auf diese Weise immer mehr wie private Partys behandelt. Das Empfinden dafür, wie viel Platz man einnimmt oder wie störend man sich verhält – auch durch lautstarke Gespräche über das soeben gedrehte Material –, geht zunehmend verloren.

Vielleicht werde ich langsam wirklich alt. Aber ich kann nicht aufhören, immer wieder zu dieser Gruppe junger Frauen zu schielen und mich zu fragen, warum man auf ein Konzert geht, wenn man sich scheinbar so wenig dafür interessiert, was auf der Bühne und um einen herum passiert. Zum Glück werde ich aber immer wieder erfolgreich von der Magie von Lordes Show eingefangen. Wie sie sich am Ende, strahlend im Glanz eines Lichter-Jacketts, einen Weg durch die Menge zur B-Stage bahnt und „David“, den letzten Song auf „Virgin“, singt: „I don’t belong to anyone“ – Gänsehaut!

Wie sie ganz zum Schluss auf einem kleinen Podest ihren ersten und größten Hit „Ribs“ performt und die Halle zum Beben bringt, als würden wir alle zusammen einfach eine fette Party feiern – Bam! Bis auf die TikTok-Mädels, die den Blick nicht einmal dann von ihren Handykameras abwenden, als Lorde nur wenige Meter entfernt von ihnen steht. Aber ich wünsche ihnen wirklich von Herzen, dass auch sie – auf welche Weise auch immer – einen schönen Abend hatten.

www.lorde.co.nz