Hinter dem Monsun

Tokio Hotel, die ehemalige Schülerband aus Magdeburg, veröffentlicht heute ihr drittes Studioalbum „Humanoid“, polarisiert wie eh und je und erobert dabei die Welt.

Tokio Hotel band Bild 02 2009 - CMS SourceDas hier wird vielleicht keine ultimative Lobhudelei, aber mindestens eine Respektsbekundung. Das Phänomen „Tokio Hotel“ ist definitiv aus den Kinderschuhen herausgewachsen. Vier Jahre sind vergangen seit dem Erscheinen des ersten Tokio Hotel Albums „Schrei“, und die Hysteriewelle ist schon lange über die Grenzen Deutschlands hinausgeschwappt. Eine Pressekonferenz in Italien musste diese Woche abgebrochen werden, da die Jungs von Tokio Hotel nicht in der Lage waren, Fragen zu beantworten – man konnte sie nicht verstehen, der Lärmpegel der anwesenden Fans war zu hoch, jeder Versuch, etwas zu sagen, erwies sich als sinnlos. Nach nicht mehr als einem von Frontmann Bill Kaulitz gehauchten „Ciao“ verließ man resigniert, aber freundlich lächelnd und winkend die Bühne.

Dabei gibt es nach wie vor kaum eine Band in Deutschland, die derartig polarisiert wie Tokio Hotel. In Internetforen findet man Unmengen von wilden Liebesbekundungen gleichermaßen wie wüsteste Hasstiraden. Bei den MTV Europe Music Awards vor zwei Jahren in München gab es für ihren Auftritt Pfiffe und Buh-Rufe aus dem Publikum, während internationaleTokio Hotel Bill Bild 01 2009 - CMS Source Künstler wie Dave Grohl hinter der Bühne ihre Anerkennung aussprachen. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung zeigt sich Bill Kaulitz solchen Erfahrungen gegenüber erstaunlich verständnisvoll: „Dadurch, dass wir hier leben und hier auch angefangen haben, und das schon im Alter von 15, ist es anders als in anderen Ländern, in denen wir zwar mit derselben Musik, aber eben erst zwei, drei Jahre später loslegten. Es fällt nun mal schwer, über seinen Schatten zu springen und zu sagen: ‚Ja, ich finde Musik von 15-Jährigen gut.‘“

Schwer genervt dürfte Herr Kaulitz hingegen davon sein, dass die breite Öffentlichkeit immer noch lieber über seine Frisur diskutiert als sich mit dem zu beschäftigen, was seine Band letztendlich hauptberuflich und extrem gewinnbringend macht, nämlich Musik. „Humanoid“, das dritte Studioalbum von Tokio Hotel, erscheint heute nicht nur in Deutsch, sondern erstmals parallel weltweit in Englischer Sprache. Und wenn man sich die Mühe macht, es so vorurteilsfrei wie möglich anzuhören, dann gibt es eine Menge, das man „Humanoid“ zugute halten muss, auch wenn man wie ich ahnt, dass man es nicht unbedingt rauf und runter hören wird.

Tokio Hotel Humanoid DT Cover - CMS SourceEs ist ein unleugbar gut arrangiertes und produziertes Album, sicherlich auch dank erstmaliger Mithilfe von US-Produzenten wie Guy Chambers, Desmond Child und The Matrix. Grundsätzlich bleiben Tokio Hotel ihrem bewährten Sound treu, röhrende Gitarren, ein bisschen Elektro und obendrauf Bill Kaulitz‘ leidender Gesang. Auffällig düster ist die Grundstimmung von „Humanoid“, was aber nicht kalkuliert wirkt, das hat schon Gefühl was die Jungs da machen. Es wird geschmachtet („Lass uns laufen“), gelitten („Kampf der Liebe“) und sogar ein bisschen getanzt . Unter „Hunde“ liegt ein ganz gefälliger 80er Jahre Beat, zu dem man ruhig mitwippen kann, solang man nicht vergisst, dabei traurig zu gucken.

Bleibt mit Spannung zu erwarten, ob es dafür reichen wird, Tokio Hotels Weltruhm zu untermauern. Noch ist es ihnen nicht gelungen, Mario Barth von Platz Eins der iTunes Download Charts zu verdrängen. Zu wünschen wäre es ihnen, denn eines muss ich abschließend gestehen: Ich bin ein Riesen Fan von „Automatisch“, der ersten Vorabsingle aus „Humanoid“. „Automatisch“ vereint die besten Seiten von Tokio Hotel in Perfektion: Es ist groß, laut, dramatisch und eingängig. Ein großer Ohrwurm, schlicht und ergreifend ein Riesen Hit. Auch an der Produktion des dazugehörigen Videos wurde nicht gespart. Autos kurven durch eine Mad Max artige Wüstenlandschaft, ein Roboterpärchen übt sich zaghaft an seinem ersten Kuss, und auch in einen Bewegungscoach für Bill Kaulitz hat man offensichtlich investiert, denn der macht seine Sache richtig gut. Hinter dem Monsun scheint noch einiges auf Tokio Hotel zu warten.

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Fotos: ©2009 Oliver Gast, Cover: © 2009 Universal Music