Zwei lässige, junge Frauen in Sarah Kay Kleidchen, ein Song mit einem unglaublich catchy Gitarrenriff als Refrain, selbstbewussten Lyrics und nicht minder lässigem Sprechgesang – dass mit Wet Leg der nächste große Hype der britischen Indie-Szene um die Ecke lauert, ließ sich bereits bei der ersten Single „Chaise Longue“ mühelos prognostizieren. Und tatsächlich ging es, seitdem Wet Leg beim erstklassigen Indie-Label Domino Records unterschrieben haben, in kürzester Zeit steil bergauf für Rhian Teasdale und Hester Chambers. Die beiden Damen von der Isle of Wight erfreuen uns seitdem mit knackigem Indie-Rock-Pop, kunterbunten Videos, originellen Stylings und ab Freitag nun auch mit ihrem Debütalbum. Das beweist, dass es auch im Gesamteindruck mühelos mit den ersten erfolgreichen Singles mithalten kann.
Der Blitzerfolg von Wet Leg ist in der Tat überraschend. Normalerweise kennt man derartige Durchstartergeschichten eher von Major Label Artists, deren Breakthrough im Hintergrund von langer Hand vorbereitet wird. In dieser Hinsicht sind Wet Leg ein Phänomen – sie haben ohne Zweifel in Sachen Label und Booking ein starkes Team hinter sich, das ihnen eine vorteilhafte Infrastruktur zur Verfügung stellt. Gleichzeitig haben sie aber auch einen entzückend exzentrischen DIY Charme, sowohl was ihre Musik als auch ihr Auftreten angeht. Und die Geschichten aus den Anfängen der Band hören sich sympathisch chaotisch und wenig durchgeplant an.
Zum Promotag im Berliner Büro ihres Labels erscheinen die beiden im kunterbunten Fleece-Partnerlook, mit Spängchen im Haar und Lutschbonbons im Mund. Denn Rhian, meine Gesprächspartnerin, ist mächtig erkältet. Aber sie haben es ganz in echt hierher geschafft, was heutzutage auch eine Seltenheit ist. Beste Gelegenheit, das Phänomen Wet Leg ein wenig persönlicher kennenzulernen.
Letzten Sommer habe ich den Pre-Link zu eurem Video für „Chaise Longue“ geschickt bekommen. Ich habe sofort gesagt: das wird ein Megahit! Heute gebe ich gerne damit an, dass ich Recht behalten habe.
(lacht) Das ist so süß, danke Dir!
Wie kam für euch die Entscheidung, „Chaise Longue“ als erstes rauszubringen?
Es hat einfach Sinn gemacht. Es ist die Essenz von dem, was Hester und mich ausmacht. Alles kommt immer wieder zurück zu diesem spontanen, nächtlichen Rumalbern, „Mean Girls“ gucken… der Rest des Albums hat seine Wendepunkte, aber dahin kommt es immer wieder zurück. Es war einfach der beste Song, um uns kennenzulernen.
Ich mag, wie du das beschreibst. Als Zuhörerin habe ich das Gefühl, dass es bei Wet Leg viel darum geht, albern zu sein und Quatsch zu machen. Aber eure Texte sind dabei auch sehr clever. Man hört kaum hin, und plötzlich kommt da wieder ein Moment, in dem man laut los lacht.
(lacht laut) Das ist so lustig! Genau die Art von Reaktion, die ich bei den Leuten auslösen möchte. Das ist so schön!
In „Wet Dream“ zum Beispiel gibt es diese Zeile: „What makes you think you are good enough to think about me when you’re touching yourself?“ Ich mag das. Jahrzehntelang haben Frauen mehr Sachen gesungen wie: „Oh Gott, ich hoffe, er träumt von mir!“
Ja! Ich habe zum Beispiel viel Ashnikkos „STUPID“ gehört. Das hat mich sehr inspiriert. Und ich hatte gerade eine Trennung hinter mir, weshalb ich wahrscheinlich ein bisschen angepisst war (lacht). Jetzt ist alles gut. Ich bin drüber weg. Lass uns weiterziehen!
Wie hat es mit Wet Leg denn überhaupt angefangen? Von außen sieht es ja wie ein rasanter Über-Nacht-Erfolg aus, aber das ist ja wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs.
Wir haben die Band ursprünglich gegründet, um Festival-Sets zu spielen. Wir haben also angefangen Songs zu schreiben, um ein 20, 25 bis 30 Minuten Set zu füllen. Dann ist alles sehr schnell gegangen. Wir haben angefangen zu schreiben und Songs gespielt, für die ich noch nicht einmal die Texte fertig hatte. „Oh No“ haben wir beim Blue Dog Festival gespielt und ich habe einfach immer wieder die gleiche Zeile wiederholt. Erst als wir entschieden haben den Song aufs Album zu nehmen, dachte ich, ich sollte vielleicht den Text fertig schreiben. Live kannst du mit sowas durchkommen, aber wenn die Leute es sich mehr als einmal anhören sollen, funktioniert das nicht mehr. Wir haben also irgendwann um 2018 herum angefangen. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir es ernst genommen haben (lacht).
Ihr seid auf der Isle of Wight aufgewachsen. Da war ich mal!
Wie schön! Aber warum?! (lacht)
Lustig, das hat uns damals jeder gefragt. Ich glaube, wir waren die einzigen Deutschen auf der ganzen Insel. Ich fand es großartig dort.
Es ist wirklich schön dort. Meine Mum kommt daher, sie ist dort hingezogen als ich sieben oder acht Jahre alt war. Dann habe ich dort gelebt bis ich ungefähr 18 war. Ich bin nach Bristol gezogen, nach London, nach Brighton… ich bin weggezogen, aber auch immer wieder zurückgekommen. Jetzt lebe ich in London und habe mich dort ziemlich eingelebt. Aber ich fahre immer noch regelmäßig hin. Meine Mum lebt immer noch dort, meine Schwester und Hester natürlich.
Und es gibt dort dieses großartige Festival.
Ich bin mir nicht so sicher, was ich vom Isle of Wight Festival halte. Die Leute denken, es ist immer noch dieses Old School Festival, wie damals in den Siebzigern. Aber es ist heute ganz anders. Ich würde nicht sagen, dass es heute noch ein Festival für Musikliebhaber ist. Es hat diesen traditionsreichen Namen, und es hat dafür gesorgt, dass man heute weiß, dass es die Isle of Wight gibt. Aber es ist sehr kommerziell geworden. Ich denke, es gibt bessere Festivals in UK. Aber wir spielen dort dieses Jahr (lacht). Das ist schon toll. Ich sollte es nicht schlecht machen. Es wird einfach nur falsch wahrgenommen.
Ich erinnere mich, dass ihr letzten Sommer ein paar der ersten Festivals gespielt habt, als es in UK wieder möglich war. In Deutschland konnte man sich das damals noch nicht vorstellen!
Ja! Wir haben beim Latitude gespielt, das war das erste Festival überhaupt, das wieder stattgefunden hat. Es hätte sogar stattgefunden, wenn die Bestimmungen nicht gelockert worden wären, als eine Art Pilotprojekt, was ein bisschen seltsam war. Inzwischen gibt es ja keine Einschränkungen mehr, wir können einfach spielen. Aber damals war das noch so komisch. Es hat sich ganz seltsam angefühlt. Einerseits vertraut, andererseits total neu. Wir haben so viele Bands kennengelernt, die dort gespielt haben. Nachdem wir gerade unsere erste Single rausgebracht hatten, unsere erste richtige Festival Show spielen durften und es waren tatsächlich Leute in dem Zelt, in dem wir aufgetreten sind – das war der große „Waaas?!“-Moment. Wir haben „Chaise Longue“ gespielt und die Leute haben mitgesungen. Es war das erste Mal, dass wir auf der Bühne standen und gehört haben, wie die Leute den Text mitsingen. Ich habe Hester angeguckt und Hester mich, und wir waren einfach nur glücklich und haben gelacht.
Und hattet ihr das Gefühl, dass die Leute euch ein bisschen auschecken? Von wegen: na, sie hatten diese eine große Single, was haben sie sonst noch zu bieten?
Das war ehrlich gesagt meine große Sorge, weil wir im Vorfeld so gehypt wurden. Aber die Leute haben uns einfach nur unterstützt. Seit diesem Festival, egal wo wir seitdem gespielt haben, war man wahnsinnig nett zu uns und hat uns mächtig angefeuert. Wir sind mit sehr viel Liebe auf dieser verrückten Reise empfangen worden.
Ich finde auch, dass euer Album das, was ihr zu Anfang versprochen habt, sehr gut aufrecht hält.
Vielen Dank!
Und ich mag sehr die Kombination aus eurem extrem unterhaltsamen Songwriting und euren ehrlichen, klugen Texten. Wie du zum Beispiel verliebt sein mit depressiv sein vergleicht. Es macht total Sinn.
Ja. Wir hatten jetzt viel Zeit darüber nachzudenken wie es ist verliebt zu sein und wie es ist, nicht verliebt zu sein.
Hat die Pandemie dir zu schaffen gemacht?
Weißt du was, ich habe vor der Pandemie so viel gearbeitet. Absurd viele Wochenstunden. Als die Pandemie dann kam und wir gezwungen waren, von der Arbeit frei zu nehmen, war ich total bereit dafür. Das klingt vielleicht krass. Aber ich habe meine Gitarre und meinen Laptop eingepackt, bin auf die Isle of Wight gefahren und habe die ersten vier Wochen damit verbracht, Songs zu schreiben. Ein Großteil des Albums ist in der Zeit entstanden. Aber es war natürlich auch beängstigend, und man musste mit seiner Familie und seinen Freunden plötzlich ganz andere Gespräche führen. Mit manchen Menschen hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben Meinungsverschiedenheiten, das hat mir ganz schön zu Schaffen gemacht. Ich weiß, viele Leute hatten eine harte Zeit. Aber ganz ehrlich, für mich war es insgesamt gut.
Ich habe wirklich Respekt davor, in dieser Zeit eine Karriere als Künstler*in anzufangen. Es macht mir auf eine Art Hoffnung, dass ihr jungen Leute nicht aufgebt.
Ja… weißt du, wenn ich jetzt in Urlaub gehen müsste… okay, ich mag Urlaub sowieso nicht, ich bin irgendwie kein Urlaubsmensch…
Gut, du bist ja auch auf einer Insel aufgewachsen.
Oder? Ich war mein ganzes Leben in Urlaub (lacht). Nein, ich wollte eigentlich sagen, ich bin froh, dass wir so ein tolles Team haben, das uns pusht und uns alles ermöglicht, was zur Disposition steht. Und man gewöhnt sich daran, es so zu machen. Bis diese Woche haben wir nur Zooms gemacht, wir kannten es gar nicht anders. Als uns dann gesagt wurde, dass wir diesen Promotrip machen würden, konnten wir uns das gar nicht vorstellen. Alles fühlt sich so frisch an, wenn man ständig Sachen zum ersten Mal macht. Ein bisschen schade war, als wir kürzlich als Vorband auf Tour waren und wir mit der Band, mit der wir unterwegs waren, noch nicht einmal abhängen konnten, weil jeder in seiner eigenen Covid-Bubble war. Wir konnten unsere Freunde nicht in unsere Garderobe einladen. Aber das wird ja hoffentlich nicht für immer so sein!
Weißt du was ich mich frage? Jetzt, da ihr bereits so viele Shows gespielt habt, bevor ihr überhaupt ein Album draußen habt, wird es doch bestimmt nochmal spannend, wenn es dann erschienen ist.
Ja! Das frage ich mich auch, wie das wird. Bis jetzt waren meine Mitbewohner die einzigen, die zu den Shows gekommen sind und das Album kannten (lacht). Sie haben sich im Publikum wie meine Superfans aufgeführt. Sie singen die ganze Zeit mit und sagen, dass die Leute sie schräg von der Seite anschauen, von wegen: warum seid ihr solche Superfans, warum kennt ihr die ganzen Texte? (lacht)
Außerdem mag ich es sehr, wie ihr eure Musik mit eurem Look verbindet. Diese Anne of Green Gables Kleider waren wirklich toll.
Ich weiß gar nicht wirklich, wie das passiert ist. Es war mehr Zufall. Ich habe einen großen Online-Einkauf gemacht, ein paar Sachen bestellt, verschiedene Looks ausprobiert und sie fotografiert. Im Prinzip spielen Hester und ich nur Verkleiden, wie Kinder. Ich meine, mehr ist Styling doch nicht, oder? Einfach nur Leute, die sich verkleiden. Es war schön, das wir alles selbst machen konnten, bei zwei der Videos haben wir das durchgehalten. Bei einem haben wir Regie geführt, hatten aber ein kleines Team, weil einfach zu viel zu tun war. Ich bin so ein Control Freak. Am besten finde ich es, wenn es nur Hester und ich sind, und wenn das nicht möglich ist, dann nur ein kleines Team.
Aber hinterfragen die Leute oft, ob ihr das alles selber macht? Besonders bei jungen Frauen wird das ja gerne gemacht.
Ja! Definitiv. Das ist wirklich frustrierend. In dem Video zu „Oh No“ sind wir viele Kommentare durchgegangen, die wir online bekommen haben. Einer davon war im Prinzip, dass die Jungs in der Band alles machen und wir nur so dastehen würden. Nein! Es sind Hester und ich. Wir haben uns diese Band ausgedacht. Ich finde das einfach dämlich. Es ist schwer genug gegen die Stimme in deinem Kopf anzukommen, die dir sagt, du könntest etwas nicht tun. Dann hast du es endlich geschafft daraus auszubrechen und einfach etwas zu machen, und dann kommen die Leute und sagen dir, du hättest es gar nicht selbst gemacht.
Es ist ein bisschen verrückt, dass ihr diese ganzen Kommentare gelesen habt, muss ich sagen.
Es war verrückt. Ich konnte sie auch nicht alle lesen, ich habe meine Freunde gebeten, sie für mich durchzugehen. Dann habe ich meine Mitbewohner gebeten, mir ein paar besonders komische zu schicken. Die mussten nicht gut und nicht schlecht sein, sondern einfach nur so dass man denkt, was zum Teufel geht bei dieser Person im Kopf vor, und was hat sie dazu bewogen die Energie aufzubringen das in ihren Computer zu tippen und es abzuschicken. Aber meine Mitbewohner haben gesagt: „Ich habe angefangen die Kommentare zu lesen, aber es hat mich so wütend gemacht. Die Leute sagen so unhöfliche Sachen über euch!“ Sie konnten es nicht tun. Aber… ich weiß auch nicht. Es hat sich irgendwie gut angefühlt, sie zu benutzen und ihnen dadurch einen neuen Sinn zu geben. Jeder da draußen kann mir anonym alles über das Internet schicken, also kann ich es auch nehmen und für ein Video benutzen. Es hat Spaß gemacht. Es war ein bisschen cheeky. Von wegen: „Oh, du dachtest, ich würde das nicht lesen? Tja, jetzt ist es in meinem Video!“ (lacht)
Und habt ihr Reaktionen von Leuten bekommen, die ihre Kommentare wiederentdeckt haben?
Ja! Ein paar Leute waren so: „Wohooo! Ihr habt meinen Kommentar in eurem Video benutzt! Jetzt bin ich voll berühmt!“ Einige waren richtig happy. Ist doch schön, wenn wir ihnen eine Freude machen konnten (lacht).
Das selbstbetitelte Debütalbum von Wet Leg erscheint am 8. April 2022 auf Domino Records.
Foto © Hollie Fernando