BENEE im Interview: “ Es macht Spaß den Leuten zu beweisen, dass sie Unrecht haben“

„Lychee“ heißt BENEEs neue EP, und die klingt so süß, wie der Titel verspricht. Positiver Indie-Pop mit verträumten Vibes und trotzdem ordentlich Biss. Das macht vor allem die Kombination aus Stella Rose Bennetts (wie BENEE mit bürgerlichem Namen heißt) relaxtem Gesang und wohl arrangierten Midtempo Beats. Auch wenn die Corona-Pandemie so langsam am Abklingen ist, kann Stella von ihren Auswirkungen auf die Musikbranche im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied singen. In ihrer Heimat Neuseeland war sie während des Lockdowns besonders isoliert, das Reisen und überhaupt der Austausch mit anderen Menschen fehlten ihr, wie sie sagt, extrem um kreativ zu werden. 

Umso erstaunlicher, dass „Lychee“ wie der Soundtrack zu einer ausgedehnten Reise klingt. Chillen am Strand, mit dem Cabrio durch die Gegend düsen, die Nächte mit Freunden durchfeiern – all das sind Bilder, die BENEEs Musik mühelos entstehen lässt. Als Stella und ich uns über Zoom unterhalten, ist sie gerade mit ihrer Band in Australien und mehr als bereit dafür, endlich auch wieder die Bühnen mit ihrer Musik zu erobern. Aber wie findet man den Raum für sich selbst in einer Zeit, deren öffentliches Bewusstsein von so ziemlich allem anderen beherrscht scheint als Musik und Unterhaltung? Über diese und viele andere Dinge unterhalten wir uns sehr angeregt im Interview.

Schön dich zu sehen, Stella! Wie fühlst du dich heute?

Es ist so eine komische Zeit. Man fühlt sich seltsam, wenn man etwas einfach nur genießen möchte. Dabei gibt es so viel, wofür man dankbar sein kann. Keine Ahnung, solche Zeiten gehören wahrscheinlich zum Leben dazu, aber es fühlt sich seltsam an. Es ist nicht so leicht, auch Platz für die schönen Dinge zu finden und sich dabei nicht schlecht zu fühlen. 

Du hast ja gerade eine EP herausgebracht. Wie ist es dir seitdem ergangen?

Oh, mir persönlich geht es eigentlich sehr gut. Wenn man bedenkt, dass ich Musik rausbringen kann, während die Welt um uns herum gerade auseinander fällt. Ich glaube, wir als Künstler*innen müssen uns bewusst machen, dass das trotzdem okay ist, weil Musik auch etwas ist, das die Menschen brauchen. Dass ich die Möglichkeit habe, Musik herauszubringen und das Feedback bekomme, dass sie den Leuten hilft oder einfach nur, dass sie davon gute Laune bekommen, das bedeutet mir sehr viel. Und dass ich jetzt bald auch wieder auf Tour gehen kann… ich finde das sehr aufregend. Das waren zwei seltsame Jahre, ohne Live-Musik und ohne die Möglichkeit, auf Tour zu gehen.

Zumal du die ganze Zeit an Musik gearbeitet hast. Das muss eine sehr spezielle Erfahrung gewesen sein, das, woran du gearbeitet hast, nicht live ausprobieren zu können.

Definitiv. Ich habe auch einfach gemerkt, wie wichtig Live-Musik ist. Sie trägt so viel dazu bei, wie wir Musik wahrnehmen, und wir haben das immer als selbstverständlich hingenommen. Ich bin so froh, dass ich endlich wieder spielen kann, jetzt, da ich auch frisch etwas veröffentlicht habe. Es ist so ein wichtiger Teil der ganzen Erfahrung. 

Ist es auch eine besondere Erfahrung für dich, weil du in Neuseeland aufgewachsen bist? Das ist ja so weit weg von allem…

So verdammt weit weg (lacht). Es ist ein wunderschöner Ort um aufzuwachsen, aber ich muss dir ganz ehrlich sagen, im Moment hängt es mir ein bisschen zum Hals raus. Vor allem, nachdem ich die letzten zwei Jahre dort mehr oder weniger festgesessen habe. Meine Band und ich wollten einfach nur weg (lacht). Das, was du in Neuseeland erreichen kannst, ist gezwungenermaßen begrenzt. Ich weiß nicht, ob du schon einmal den Begriff Tall-Poppy-Syndrom gehört hast. Das ist ein Phänomen hier und in Australien. Es gilt hier nicht als besonders cool, erfolgreich zu sein. Sobald du ein gewisses Maß an Erfolg hast, fangen die Leute an, auf dich herunterzuschauen. Es ist sehr seltsam. 

Überlegst du, woanders hinzugehen?

Ja, ernsthaft. Ich werde jetzt erst einmal drei Monate in Los Angeles sein und hoffe, dass ich nächstes Jahr dorthin ziehen kann. Es ist einfach der Ort im Moment, wenn du Musik machst. Ich liebe aber auch Europa. Ich liebe es generell, auf Tour zu sein. Es ist so inspirierend! Dass ich so lange nicht die Möglichkeit dazu hatte… ich habe wirklich das Gefühl, dass ich zum Teil ziemlich langweiliges Zeug geschrieben habe (lacht). Ich brauche ein gewisses Maß an Reizüberflutung, um kreativ zu sein. Ich bin einfach nur froh, dass es jetzt wieder los geht. 

Wo hast du dir denn die Inspiration für diese EP hergeholt?

Nun, den Großteil davon habe ich in LA geschrieben. Ich hatte ungefähr die Hälfte fertig, aber ganz stark das Gefühl, dass da noch etwas fehlt. Dann kam die Idee auf, dass ich für einen Monat nach LA gehen könnte, um das Projekt zu beenden, und ich fand das einfach nur großartig. Ernsthaft, die besten Songs der EP habe ich dort geschrieben. Es war wirklich schwer inspiriert zu sein, als wir im Lockdown waren und man noch nicht einmal rausgehen und Leute treffen konnte. Das ging auch allen meinen Freunden so, die tätowieren oder andere Kunst machen. Es war ein echter Konflikt. Wir dachten alle, wir müssten den Lockdown nutzen und kreativ sein, aber es war so hart. Schlimm, dass wir immer das Gefühl haben, etwas tun zu müssen. Jetzt habe ich das Gefühl, alle wollen es nur noch hinter sich bringen und gucken, dass es irgendwie weitergeht.

Als ich deine EP gehört habe, musste ich an die Zeit denken, als Lily Allen raus kam. Das war damals so neu und frisch, nach einer langen, langen Zeit, in der es keine spannenden, erfolgreichen Künstlerinnen gegeben hat. Wie sehr die Branche immer noch von Männern dominiert ist, darüber müssen wir gar nicht sprechen. Aber hast du nicht auch das Gefühl, dass es in den letzten Jahren eine neue Bewegung selbstbewusster Künstlerinnen gibt, die ein ganz anderes Selbstverständnis mitbringen?

Ja, ich habe das Gefühl, es ist eine aufregende Zeit für junge Musikerinnen. Uns steht eine ganz andere Spielwiese zur Verfügung. Es gibt Vieles, das wir tun können. Trotzdem finde ich, dass wir härter arbeiten müssen als alle anderen. Frauen werden einfach immer viel härter beurteilt. Von jemandem wie Dua Lipa wird erwartet, dass sie großartig aussieht, großartig klingt, und wenn sie dann mal nicht großartig tanzt, macht man sich über sie lustig. Die Leute erwarten viel mehr von Künstlerinnen, es ist total lächerlich. Wir müssen ihnen einfach immer wieder beweisen, wie lächerlich es ist. Es gibt ein paar unfassbar kreative Musikerinnen, die gerade völlig neue Wege erschaffen. Und Frauen wie Lily Allen, Amy Winehouse, Björk und viele andere, haben uns das ermöglicht. Sie haben quasi die Bäume im Wald gefällt, damit wir heute diese Wege haben und coole Sachen machen können (lacht).

Und trotzdem müsst ihr immer noch so viel mehr leisten und so viel mehr aushalten.

Oh, definitiv. Heute, in 2022, fatshamen mich die Leute immer noch in den Kommentaren auf YouTube. 

Wirklich?

Die Leute kommentieren einfach alles. „OMG, sie hat aber ganz schön zugenommen!“ „Live ist sie total scheiße!“ Ich glaube wirklich, kein Dude im Business muss so etwas aushalten. Die kommen damit durch, wenn sie ihre Texte vergessen und einfach nur „yeah yeah“ singen. Wenn ich das tun würde, würde ich eine Million schlechte Kritiken kriegen. Ganz ehrlich, mich macht sowas aber nur kurz wütend. Dann reiße ich mich zusammen und denke, ich muss noch härter arbeiten. Das ist es, wozu Frauen in der Lage sind. Was auch immer wir im Leben tun, wir arbeiten einfach hart. 

Ganz ehrlich, ich bin immer wieder beeindruckt, wie man die Nerven haben kann, sich nach da draußen zu begeben, bei all dem Hass, den es im Internet gibt.

Ich bin nicht immun gegen Hasskommentare. Es geht um die komischsten Dinge, wie zum Beispiel: „Zupf dir doch mal die Augenbrauen!“ Dass wir immer noch diese komischen Schönheitsideale haben… haben wir das nicht vor fünf Jahren hinter uns gelassen? Ich versuche mir dann immer vorzustellen wie es sein muss, ein richtiger Popstar zu sein. Eine, die schon doppelt so lang wie ich im Business ist und doppelt so viele Menschen erreicht. Lady Gaga, Rhianna… all diese unglaublichen Frauen. Die müssen sich schon ihre ganze Karriere mit dem Mist auseinandersetzen und gehören trotzdem zu den Top Künstler*innen der Welt. Ganz ehrlich? Es macht Spaß den Leuten zu beweisen, dass sie Unrecht haben (lacht). 

Du hast mit „Marry Myself“ einen sehr schönen Song über Selbstliebe geschrieben. Warum fällt es einen bei anderen so viel leichter, sie so zu nehmen wie sie sind als bei sich selbst?

Es ist so komisch mit der Selbstliebe. Wir predigen es alle und wissen, wie wichtig es ist. Aber die Gesellschaft erzieht uns dazu, uns selbst zu hassen. Es ist nicht unsere Schuld! Manchmal, wenn ich in meinen Songs Schimpfwörter benutze, muss ich daran denken, dass für manche Frauen auf der Welt noch nicht einmal das möglich ist, unzensiert ihre Meinung zu sagen. Die ganze Frauenrechtsbewegung, es ist so wichtig, dass sie jetzt passiert und dass sie nie aufhört. Wir müssen darauf achten, dass sie alle Frauen auf der ganzen Welt mit einbezieht. Es gibt immer noch nicht die gleichen Rechte für alle Frauen auf der Welt, und das ist verdammt Scheiße. 

BENEE live:

10.05.2022 Berlin, Verti Music Hall (Co-Headliner mit Conan Gray)