Der 64. Eurovision Song Contest 2019 ist Geschichte. Mitte Mai waren – zumindest für den einen Abend – alle Augen auf Tel Aviv gerichtet. Während die Niederlande dabei den Sieg ihres Vertreters Duncan Laurence bejubeln durfte, lief es für Deutschland nach dem tollen Ergebnis im letzten Jahr mit Michael Schultes großartigen vierten Platz wieder deutlich schlechter. Dem Duo S!sters gelang es nicht, Jury und Publikum von ihrem wohlgemerkt eher schwachen Song zu überzeugen. Das bedeutete schwarz auf weiß Platz 24, bzw. am Ende sogar nur Platz 25 – zu dem diesjährigen Punktevergabe-Chaos später mehr.
Aber let’s go back to the start: Nach unserem ersten ESC als Teil der internationalen Presse 2018 in Lissabon waren wir uns sicher: We want more! Nachdem die quirlige Sängerin Netta Barzilai mit ihrem Popsong „Toy“ den Eurovision Song Contest zum vierten Mal nach Israel geholt hatte, bot sich für uns die einmalige Gelegenheit, ein für uns extrem spannendes Land kennenzulernen. Und Israel sollte uns nicht enttäuschen: traumhaftes Sommerwetter, offene Landsleute und eine entspannte Stimmung. An dieser Stelle sei angemerkt, dass viele, die mir vor Antritt der Reise mitgegeben hatten: „Pass auf dich auf!“ wahrscheinlich aufgrund der Nachrichten ein völlig verdrehtes, falsches Bild von Israel haben. Ich kann nur sagen, wir haben uns immer extrem sicher und willkommen gefühlt. Dazu kommt: Das Wiedersehen von liebgewonnenen Freunden, einfach diese ganz besondere ESC-Stimmung in der Stadt, all das hat diese Reise für uns noch ein kleines bisschen schöner gemacht.
Die Show des Eurovision Song Contests selbst war für unseren Geschmack dieses Jahr extrem gelungen: Begonnen mit einem souveränen Moderationsteam bestehend unter anderem aus dem israelischen Top-Model Bar Refaeli und einer eindrucksvollen Flaggenzeremonie zu Beginn der Show mit Gesangseinlagen der transsexuellen israelischen ESC-Gewinnerin Dana International und Nadav Guedj, der seinen ESC-Hit „Golden Boy“ zum besten gab. Die darin enthaltene Zeile „Let me show you Tel Aviv“ war dabei im Grunde das Motto der diesjährigen Eurovision-Ausgabe. Der Auftritt von Dana International hat mich dabei direkt zurück ins Jahr 1998 gebeamt, das Gewinnerjahr des Songs und mein allererster ESC, den ich bewusst mitverfolgt habe – damals allerdings noch mit Nussecken und Himbeereis vor dem Bildschirm zu Hause.
Eines unserer Highlights der Finalshow war der Auftritt von wahrhaften ESC-Legenden: Conchita Wurst (Österreich 2014), Måns Zelmerlöw (Schweden 2015), Eleni Foureira (Zypern 2018) und Verka Serduchka (Ukraine 20087) gaben gegenseitig ihre jeweiligen ESC-Songs zum besten. Diese „Switch Song“ Einlage machte definitiv Lust auf mehr. Eine TV-Show, in der ESC-Teilnehmer die Songs der jeweils anderen interpretieren, das wäre definitiv ein Konzept, das es uns antun würde – also quasi „Sing mein Song – das ESC Special“. Als dann am Ende alle vier gemeinsam mit Gali Atarim, der israelischen Interpretin des Gewinnersongs von 1979, deren Hit „Halleluja“ sangen, wurde es sogar ein bisschen emotional!
Was gibt es sonst noch zu berichten?
Madonna, die Queen of Pop, gab sich die Ehre und ihr Auftritt in der Finalshow hat auch international für Schlagzeilen gesorgt. Während uns ihr Interview im Green Room positiv überrascht hat, war der Auftritt („Like a Prayer“ und „Future“ gemeinsam mit Raper Quavo) stimmlich nicht sehr überzeugend. Das dachte sich auch Madonna selbst und lud kurzerhand auf ihrem YouTube Kanal eine bearbeitete Version des Auftritts hoch. Dumm nur, dass weltweit 182 Millionen die Performance live mitverfolgt hatten…
Der ESC und Politik: Da ging der „Skandal“ um zwei ihrer Tänzer fast unter. Ein Mann mit palästinensischer Flagge und eine Frau mit einer israelischen Flagge auf der Jacke umarmten sich. Politische Symbole, Aussagen etc. sind generell beim ESC verboten, was jedoch 2019 nicht zum ersten Mal unterwandert wurde. Auch Hatari, die isländische Kombo, hielt sich beileibe nicht an die Regularien und hielt während der Punktevergabe palästinensische Flaggen und Schilder mit der Aufschrift „Palestine“ in die Kamera. Am Ende reichte ihr kontrovers diskutierter Auftritt dennoch für Platz 10, die erste Top 10 Platzierung für Island seit langer Zeit! Die EBU prüft aktuell allerdings mögliche Konsequenzen der Protest-Aktion.
Das ESC Punkte-Drama! Als in der Nacht Duncan Laurence als Gewinner des ESC verkündet wurde und auch das restliche Classement feststand, sind zunächst alle davon ausgegangen, das war es jetzt, schwarz auf weiß. Aber Pustekuchen! Obwohl Eurovision Supervisor Jon Ola Sand vor Verkündung des Ergebnisses noch mit Inbrunst verkündet hatte, dass beim Voting alles seine Richtigkeit gehabt hätte, wurde in den Tagen nach dem Finale deutlich, dass genau das nicht der Fall war. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht ein weiterer Votingfehler offengelegt wurde. Der weitreichendste betrifft das Voting der weißrussischen Jury (Die nationalen Jurys vergeben beim ESC 50% der Gesamtpunkte). Da ein Juror gegen die Regularien verstoßen hatte, indem er die Votingergebnisse der Jury im Halbfinale öffentlich verkündet hatte, wurde die weißrussische Jury beim Finale vom Voting ausgeschlossen. Für solche Fälle wird ein Mittelwert des Votings von sog. Referenzländern herangezogen und die Punkte so vergeben. Dabei ist jedoch ein nicht unerheblicher Fehler passiert: so bekamen die zehn Länder am Ende des Classements hier die Punkte und nicht die ersten zehn, ein Fehler der erst im Nachhinein festgestellt wurde und weitreichende Konsequenzen für das Gesamtergebnis hatte, da die Punktabstände teilweise sehr gering waren. So fanden sich beispielsweise die S!sters danach auch nicht mehr auf Rang 24, sondern auf Rang 25 wieder. Auch in den Halbfinals kam es zu Unregelmäßigen, so war lange nicht klar, ob im zweiten Halbfinale ein falsches italienisches Votingergebnis gezählt wurde. Demnach wäre Litauen anstelle von Dänemark ins Finale eingezogen. Dies wurde nun zwar dementiert, jedoch handelt es sich dabei um Fehler, die einfach nicht passieren dürfen! Hier muss die EBU ihre Kontrollmechanismen dringend verstärken bzw. verbessern.
Jury vs. Publikum? Auch in diesem Jahr war die Diskrepanz von Publikum und Jury Lieblingen wieder sehr auffällig. So lag der Eurodance Song „Spirit in the Sky“ der norwegischen Band KEiiNO beim Publikum ganz vorne (im Gesamtclassement nur auf Rang 6), während die Jurys ganz andere Favoriten hatten (sie sahen Nordmazedoniens Interpretin Tamara Todevska und Schwedens Sänger John Lundvik ganz vorne). Nichtsdestotrotz geht es beim ESC immer auch darum, beide Fronten hinter sich zu bringen und neben hohen Televote-Punkten auch die professionellen Jurys zu überzeugen, ein nicht immer leichtes Unterfangen, aber wahrscheinlich auch gerade das Spannende an dem europäischen Wettbewerb! Das gelang dem niederländischen Interpreten 2019 am besten. Austragungsort und Datum für den kommenden Eurovision Song Contest stehen noch nicht final fest, wir können aber sagen, dass wir mental die Tage schon zählen. Wer die Zeit bis dahin ein bisschen verkürzen möchte: Der ESC-Gewinner Duncan Laurence („Arcade“) geht Ende des Jahres auf große Europatour, darunter finden sich auch einige Konzerte in Deutschland. Er lebt nun gewissermaßen das diesjährige ESC-Motto: „Dare to dream“!
What’s next? In Deutschland ist die Diskussion schon wieder voll im Gange, wie wir es schaffen können im nächsten Jahr wieder weiter vorne im Konzert mitzuspielen, es gibt auch schon die ersten Bewerbungen. So möchte YouTuber Freshtorge 2020 antreten , allerdings nicht für Deutschland, sondern für San Marino.
Danke Israel, danke Tel Aviv! Wir freuen uns auf den ESC 2020 in den Niederlanden, wenn es hoffentlich auch mal wieder heißt: Allemagne, douze points!
Was wir sonst noch mitnehmen:
- Auch in diesem Jahr haben uns viele der Beiträge musikalisch überzeugt. Ob die wunderschöne Ballade „Arcade“ des strahlenden Gewinners Duncan Laurence oder das eingängige „Soldi“ des italienischen Sängers Mahmood – die diesjährigen ESC Songs werden uns noch lange begleiten.
- Serhat: Der türkischstämmige Sänger, der im wirklichen Leben als Zahnarzt tätig ist, ist ein ESC Original und vertrat in diesem Jahr San Marino. Sein zugegeben eher einfach gestrickter Dancesong „Say na na na“ hat sich schnell zu einem Dauerbrenner entwickelt. Der sympathische Sänger ließ es sich nicht nehmen, am Finaltag nochmal persönlich im Pressezentrum vorbei zu schauen. Das Ergebnis: Die Stimmung bei seinem Auftritt war unglaublich gut. Und auch seine Platzierung konnte sich sehen lassen, nie war San Marino besser platziert. Eine Story die uns wieder mal gezeigt hat: Es geht beim ESC nicht nur um den Song, sondern um das Gesamtpaket.
- Der Kaffee im Pressezentrum: In Kooperation mit dem Kaffedrucker Anbieter Ripple hatten sich die ESC-Verantwortlichen ein besonderes Highlight ausgedacht: Bei jedem Kaffee konnte man sich aussuchen, das Konterfei welches ESC-Künstlers den Kaffeeschaum zieren sollte. Eine wunderbare Aktion, die unseren Kaffeekonsum noch weiter in die Höhe getrieben hat.
- Discover Israel: Israel ist ein Land, das unglaublich viel zu bieten hat. Und obwohl wir die meiste Zeit im Pressezentrum verbracht haben, sind wir froh, dass wir trotzdem die Gelegenheit hatten, Land und Leute besser kennenzulernen. Highlight war dabei definitiv unser Tagesausflug nach Jerusalem und ans Tote Meer. Zwei Punkte weniger auf unserer Bucket List!
- Das traumhafte Wetter und das leckere Essen: Diese 8 Tage Sommer waren für uns Balsam für die Seele. Morgens schnell an den wunderschönen Sandstrand gehen und Energie tanken für den Tag und diese immer wieder auffüllen mit der nötigen Falafel und Hummus Ration, so lässt es sich leben!
Alle Bilder: Mirjam Baur