All We Are, das sind Guro Gikling, Richard ‚O Flynn und Luiz Santos. Eine Bassistin aus Norwegen, ein Schlagzeuger aus Irland und ein Gitarrist aus Brasilien, ein internationales Trio, das sich in der britischen Musikmetropole Liverpool gefunden hat und mit seinem zweiten Album „Sunny Hills“ gerade jede Menge Staub aufwirbelt. Kein Wunder, denn die Platte ist eine echte Wucht. Und wer die drei einmal live erlebt hat weiß, auf der Bühne hat das alles gleich nochmal so viel Kraft. Im Gespräch wirken Guro und Richard eher ruhig und nachdenklich und vor allem ungemein freundlich. Aber bei All We Are geht es auch nicht nur um tanzbare Rhythmen mit Einflüssen von Punk, Wave und Industrial. Es geht auch darum, ein Gefühl der Einheit, der Offenheit zu vermitteln. Und das ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je.
Ihr bezeichnet Musik als etwas heilsames. Das finde ich einen ganz wunderbaren Ausspruch.
Richard: Unser neues Album „Sunny Hills“ war ein sehr heilsamer Prozess für uns. Es gab zu der Zeit viel Dunkelheit, in uns und um uns herum. Wir wollten da irgendwie raus kommen, in einer Art Katharsis.
Guro: Wir hatten als Menschen damals alle eine dunkle Zeit. Es gab viele Themen, an denen wir für uns arbeiten mussten. Paranoia, Ängste, Stress, all das was einen im Alltag lähmt, hat sich in dieser Musik Bahn gebrochen, in ihrer Härte und ihrem Tempo. Sie hat die Dunkelheit in uns vertrieben und uns neue Erkenntnisse gebracht. Von außen reflektiert sie die Zeiten, in denen wir uns gerade befinden. Die ganze Welt befindet sich in einer dunklen Phase. Jeder Mensch braucht Heilung.
Es ist tatsächlich ein sehr schnelles, treibendes Album geworden. Im Moment kommt es mir manchmal so vor, als wäre Midtempo angesagter. Aus dem Trend fallt ihr sehr angenehm heraus.
Richard: Ja, Geschwindigkeit, Lautstärke und Direktheit sind bezeichnend für das was wir machen.
Außerdem klingt euer Sound sehr groß, dafür dass ihr nur drei Personen seid.
Guro: Tatsächlich ist das, was du auf der Platte hörst auch genau das, was du live von uns kriegst. Es ist ein ziemliches Livealbum. Schlagzeug und Gitarre wurden gleichzeitig aufgenommen. Die Gitarre wurde zum Teil durch acht Verstärker eingespielt, mein Bass durch zwei.
Richard: Wir haben aber nur ein paar Synthesizer hinzu gefügt, sonst entspricht das alles unserer Live Besetzung. Alles was du hörst, war so in dem Raum, in dem wir aufgenommen haben. Es ist ein sehr kraftvolles Album, aber trotzdem finden wir, dass unsere Musik eigentlich auf die Bühne gehört. Dort hat sie am meisten Kraft. Wir haben live keine Unterstützung durch Backing Tracks.
Guro, du kommst aus Norwegen, Richard, du aus Irland. Euer Gitarrist Luiz aus Brasilien. Habt ihr euch in Liverpool getroffen?
Guro: Ja, an der Universität. Es hat sofort klick gemacht.
Wie lange lebt ihr alle schon so in England?
Guro: Schon ziemlich lange.
Richard: Ungefähr zehn Jahre. Mit der Band haben wir nach der Universität angefangen. Wir sind schon lange gute Freunde.
Guro: Und wir verstehen uns musikalisch extrem gut, haben ein ähnliches Klangverständnis. Das macht es einfach. Außerdem hängen wir gern miteinander ab, das ist ein Bonus. Es gibt ja Bands, die halten es zusammen kaum in einem Raum aus und reisen in unterschiedlichen Bussen.
Ihr gebt ein interessantes Dreieck ab, sehr südlich, sehr nördlich und einmal in der Mitte.
Guro: (zu Richard) Das bist du (lacht). Ja, es ist eine gute Kombination. Musikalisch haben Norwegen und Irland wohl recht ähnliche Wurzeln, Richard und ich sind uns auf jeden Fall sehr ähnlich in dem was wir mögen und was nicht. Luiz mag andere Sachen, aber das ergänzt sich auch sehr gut. Wir sind eine sehr demokratische Band. Wir versuchen uns so einig wie möglich zu sein und wenn das nicht möglich ist, dann wird zwei gegen einen abgestimmt. Das Gute ist, dass es sich immer ändert, wer der Überstimmte ist.
Was sind so die Dinge, in denen ihr euch auch mal uneinig seid?
Guro: So ziemlich alle (lacht).
Richard: Nein, das stimmt nicht wirklich. Wir sind alle drei sehr kreative Menschen und haben starke Meinungen. Deshalb versuchen wir so demokratisch wie möglich zu arbeiten. Meistens sind wir uns aber einig. Wir verbringen genauso viel Zeit mit kleinen Details wie mit dem Großen Ganzen. Das kann manchmal schwierig und frustrierend sein. Aber es zahlt sich am Ende aus.
Guro: Wir verbringen zum Beispiel viel Zeit mit der Gestaltung des Artwork. Wir hatten viele verschiedene Ideen, die wir durchgegangen sind, sind jetzt aber sehr glücklich mit dem, was es geworden ist.
Richard: Unser Label Domino Records hilft uns da auch sehr. Sie lassen uns viel Freiheit, unterstützen uns aber an den richtigen Stellen.
Guro: Ja, sie sind sehr gut darin umzusetzen was wir uns vorstellen. Das ist gut für uns. Man hört oft erschreckende Geschichten von Kollegen die bei Labels sind, wo ihnen alles vorgegeben wird. So etwas ist uns noch nie passiert und es wäre auch nicht denkbar für uns. Wir spüren hier nur Liebe (lacht).
Welchen Einfluss denkt ihr, wird der drohende Brexit auf euch und eure Arbeit haben?
Guro: Wie weit es uns persönlich beeinflussen wird, kann ich noch nicht abschätzen. Ich habe ja immer noch meinen norwegischen Pass. Das ist auch nicht so wirklich das Problem, die Gefahr ist die Separation auf einer viel größere Ebene. Das Wachstum von Nationalismus. Das erschreckt uns. Dass die Leute sich mehr auf sich selbst konzentrieren, nur noch nach innen gucken und nicht mehr nach außen, anstatt sich anderen gegenüber zu öffnen, Teil von etwas sein zu wollen.
Richard: Dieser rechtsorientierte Nationalismus ist auf dem Vormarsch, das macht uns am meisten Sorgen. Grenzen werden geschlossen, Mauern gezogen.
Guro: Als das Votum für den Brexit passiert ist, ist mir zum ersten Mal seit langer Zeit wieder bewusst geworden, dass ich nicht britisch bin. Ich bin eine Einwanderin. Es war zum ersten Mal so, dass ich ein Gefühl dafür bekommen habe was es bedeutet, nicht willkommen zu sein. Und es war das erste Mal, dass mir bewusst geworden ist, dass ich nie britisch sein werde. Englisch ist nicht meine Muttersprache. Für einen Engländer werde ich immer eine Fremde sein. Aber wenn ich zurück nach Hause komme, war ich so lange weg, dass ich auch dort fremd sein werde. Plötzlich gehöre ich nirgendwo mehr so richtig hin.
Richard: Es ist für uns alle ähnlich. Bis vor kurzem waren wir einfach Europäer. Das macht mich auch immer noch stolz. Das wird uns jetzt irgendwie genommen und wir werden wieder zu Einwanderern.
Wäre weg gehen eine Option? Und wenn ja, dann wohin?
Richard: Wir fühlen uns vor allem unserer Stadt Liverpool sehr verbunden. Wir schulden ihr viel. Es ist eine tolle Stadt, mit einer großartigen Kreativszene, einer großartigen Musikszene. Das hat die Band sehr genährt. Wir werden sehen was passiert. Allein dass man darüber nachdenken muss, ist schon traurig. Wir haben uns dort ein Zuhause aufgebaut.
Guro: Liverpool hat im Gegenzug uns genauso zu einem Teil der Stadt gemacht. Man sieht uns als eine Liverpooler Band. Wenn man über Bands aus Liverpool redet, sind wir ein Teil davon.
Richard: Es ist eine sehr offene Stadt, wir fühlen uns dort sehr willkommen. Aber ich glaube, es ist dort noch einmal anders als in anderen Teilen von England. Die meisten Leute dort sind irischer oder jamaikanischer Herkunft.
Guro: Ich glaube nach wie vor daran, dass wir als Gemeinschaft mehr bewegen können, dass wir zusammen besser sind als jeder für sich allein. Mit unserer Musik versuchen wir, den Menschen ein Gefühl dafür zu entwickeln, was draußen in der Welt passiert. Wir versuchen nicht ihnen zu sagen, was sie denken oder sagen sollen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber jeder sollte zumindest wissen, was gerade passiert. Das versuchen wir zu vermitteln, auf die Art wie es uns möglich ist, durch Musik.
„Sunny Hills“ erscheint am 09.06.2017 auf Domino Records.
Interview: Gabi Rudolph