Berlinale 2017: „Toivon tuolla puolen – The Other Side Of Hope“ von Aki Kaurismäki

The Other Side Of Hope Wettbewerb Berlinale 2017Auf der Pressekonferenz zu seinem Wettbewerbsbeitrag „The Other Side Of Hope“ gefragt, was er in der Zusammenarbeit mit seinen Schauspielern verlange, antwortet der finnische Kultregisseur Aki Kaurismäki knapp: „Sie sollen sich möglichst wenig bewegen.“ Tatsächlich habe ich selten gehört, wie jemand seine Regieversion so prägnant in einem Satz zusammen fasst. Überhaupt, wenn man Aki Kaurismäki trifft, wundert einen bezüglich seiner Filme nichts mehr. Der Finne wirkt wie seinem eigenen Universum entsprungen. Seine Protagonisten reden und geben sich genau so wie er selbst: ohne große Modulation, sehr bedächtig, ohne eine Miene zu verziehen hauen sie die Pointen raus. Im Laufe der Pressekonferenz steht Hauptdarsteller Sakari Kuosmanen dann noch auf und gibt inbrünstig einen finnischen Tango zum Besten. Man fühlt sich, wie gesagt, wie in einen seiner Filme hinein gebeamt.
Jetzt, kurz vor Ende der 67. Berlinale, ist Kaurismäkis Film immer noch einer meiner Lieblingsbeiträge im Wettbewerb. Darin treffen die Geschichten zweier Figuren aufeinander und verbinden sich in der Mitte zu einem gemeinsamen Handlungsstrang. Der syrische Flüchtling Khaled (Sherwan Haji) strandet (zufällig) mit einem Containerschiff im Hafen von Helsinki und beantragt Asyl. Eigentlich ist er auf der Suche nach seiner Schwester, von der er auf der Flucht getrennt wurde. Der Unternehmer Wikström, ein Handelsvertreter für Herrenoberhemden, ist derweil auf seiner eigenen Flucht vor seinem alten Leben. Er verlässt seine trinkende Frau, verkauft seine Lagerbestände und ersteht von dem Geld (etwas aufgepeppt durch ein glückliches Händchen beim Poker) ein marodes Restaurant nebst Belegschaft. Als Khaled vor der Abschiebung flieht und in den Straßen von Helsinki untertaucht, begegnen sich die beiden bei den Mülltonnen von Wikströms Restaurant. Es entsteht eine Zweckgemeinschaft, die für Khaled einen Schlafplatz und Arbeit bereit hält und in den absurdesten Versuchen gipfelt, Wikströms Laden wieder auf Vordermann zu bringen, inklusive Sushi aus eingelegten Salzheringen.
„The Other Side Of Hope“ nimmt sich eines der aktuellsten Themen unserer Zeit an, zu dem ein Film im Wettbewerb natürlich irgendwie nicht fehlen darf. Davon abgesehen ist Kaurismäkis Film so besonders, weil er schlichtweg der lustigste ist, den ich dieses Jahr auf der Berlinale gesehen habe. Er fährt mit einer Fülle skurriler Figuren und extrem pointierter Dialoge auf. Das alles steht wie immer im Kontrast zu dem bedächtigen Tempo, in dem Kaurismäki erzählt. Auch immer wieder erstaunlich, wie gut die von ihm selbst beschriebene Regieanweisung an seine Schauspieler funktioniert. Man sollte meinen, dass die Ansage, so wenig Körpereinsatz wie möglich zu zeigen, zu Verkrampfungen bei den Darstellern führt. Tatsächlich ist aber genau das Gegenteil der Fall. Alle sind in ihren Figuren extrem auf den Punkt, als hätte Kaurismäki ihnen die Last von den Schultern genommen, sich auch noch mit ihrer Körpersprache auseinander setzen zu müssen. Sie führen seine Vision perfekt aus und wirken dabei doch erstaunlich frei.
So ist „The other side of hope“ ein kleines Rundum-Kunstwerk geworden. Die Story verfügt über die nötige Tiefe, die Gags sind klug und werden perfekt ein- und umgesetzt. Die Farb- und Bildgestaltung sowie das Setting der Räumlichkeiten drücken dem ganzen noch einmal einen ganz eigenen Stempel auf. So vergnüglich kann gesellschaftskritisches Kino sein. Erstaunlich.

Auf der Berlinale unterwegs: Gabi Rudolph

Foto: Toivon tuolla puolen | The Other Side of Hope | Die andere Seite der Hoffnung, Wettbewerb 2017, FIN/DEU 2017, von: Aki Kaurismäki, Sherwan Haji, Nuppu Koivu, Janne Hyytiäinen, Sakari Kuosmanen, Ilkka Koivula

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