The Dears im Interview

Ein verregneter April-Tag in Berlin. Wir treffen Murray Lightburn, den Frontmann der kanadischen Indie-Rock-Band The Dears. Murray ist komplett in schwarz gekleidet – Anzug, Hemd, Sonnenbrille, die Schuhe und sogar seine Fliege. Wir sprachen mit ihm über Bananen mit Thunfischfüllung, faule Blogger und die Sinnlosigkeit des Demonstrierens.

thedears-photo2010-2Okay. Sagen wir, ich wäre ein kleiner Gnom. Ich habe noch nie von Musik gehört. Alles, was ich kenne, ist ein wenig Pfeifen und Singen, den Gnom-Folk quasi. Wie würdest du mir deine Musik und dein Album erklären?

_M: Interessant. (Überlegt) Ich würde es als eine Art akustische Äquivalenz beschreiben, wenn ein Championship-Team zusammen kommt, um Musik zu machen. Ein gedankliches Gerüst, wo alles die ganze Zeit perfekt abgestimmt ist, die Kommunikation der Mitspieler ist einzigartig und harmoniert bestens. Folglich ist das Album eine Manifestation dieses Arbeits-Flusses. Das alles kommt zusammen und kreiert etwas Einzigartiges. (Lacht)

Wie kam es zu dem Band-Namen The Dears?

_M: Ich habe mit meinem Freund Andrew telefoniert und wir hatten gerade dieses Band-Projekt zusammen begonnen. Wir diskutierten Namen und er platze dann mit The Dears raus. Ich dachte, das ist cool. Nehmen wir es. Obwohl wir dachten, den Namen hat bestimmt schon eine andere Band. Es stellte sich heraus, dass niemand diesen Namen hatte. Also war es unserer.

Um was geht es bei deiner Musik?

_M: Ich denke, wenn man genauer reingeht, in die Musik, dann findet man keine Intention. Das ist, wie wenn man versucht ein Wildpferd anzuschirren. Weißt du, du versuchst etwas zu kontrollieren, das außer Kontrolle geraten ist. Also ist das, was wir machen eigentlich mehr reaktiv anstatt proaktiv. Wir werden erst proaktiv, wenn wir die Vision sehen, den Bauentwurf. Dann werden wir aktiv. Seit kurzem arbeite ich wieder an neuer Musik. Die kommt dann mitten in der Nacht und weckt mich auf. Ich höre erst etwas Nebulöses und dann gewinnt es an Struktur. Das ist die erste Stufe. Dann kommt die zweite, wenn du es begreifst, es sich dir gegenüber enthüllt. Dann kannst du es lenken, ihm deine Intention verpassen. Zum Beispiel unser Album „Degeneration Street“, das versuchen wir auch gerade in die Welt zu führen. Aber zur gleichen Zeit hast du keine Kontrolle über das, was passiert. Also realisiert man letzten Endes, dass Intention etwas Vergebliches im Chaos des Universums ist.

Bist du denn völlig frei von Intentionen?

_M: Weißt du, so sehr ich auch versuche optimistisch zu bleiben über das Leben im Allgemeinen, ist die Welt doch ein sehr dunkler, kleiner und grimmiger Haufen Scheiße. Es hilft nicht, irgendwelche Dokumentationen anzuschauen, um deine Weltsicht zu verbessern. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber irgendwas stimmt da nicht. Es wird permanent schlimmer.

Was sollen wir ändern, anders machen? Versuchst du etwas zu ändern, besser zu machen?

_M: Nein (Lacht). Ich habe aufgehört es zu versuchen.

Warum?

_M: Also von da wo ich sitze, wirkt es immer so, dass Leute denken, große Aktionen werden große Änderungen bewirken. Doch je größer die Geste ist, umso nichtssagender ist sie. Die Menschen sehen nicht, dass die kleinste Verbindung wichtig ist. Wie dein T-Shirt. Das fängt bei der kleinsten Masche an, sitzt die nicht richtig, geht das ganze T-Shirt kaputt. So ist das wahrscheinlich – okay ich rede gerade wie mir der Kopf gewachsen ist… Am weitsichtigsten ist es, wenn man im Kleinen anfängt. Richte den Fokus lieber auf die kleinen Dinge, die wir kontrollieren können. So Aktionen wie vor dem Parlamente zu demonstrieren… Was zum Teufel wird das bringen? Es geht um all die Entscheidungen, die man selber trifft und das man sie mit anderen, Nahestehenden, diskutiert. Wie wir zwei gerade hier. Das verbreitet sich, da du es jemand anderem erzählst. Das ist besser als in die Sechs-Uhr-Nachrichten zu kommen – mit irgendeinem blöden Slogan.

Puhhh…Was für eine schreckliche Welt.

_M: Das habe ich gerade gesagt. (Lacht)

Ihr kommt aus Montreal, The Unicorns auch. Arcade Fire haben dieses Jahr in der wichtigsten Kategorie bei den Grammys abgeräumt. Ist das der neue musikalische Schmelztiegel, nachdem Brooklyn groß war und ist? Seht ihr euch da als Teil?

_M: Nein. Wir sind zwar größtenteils eine Montreal-Band. Aber wir überschreiten diese Linie auf so vielen Ebenen. Es ist unsere Stadt und Gemeinschaft, aber was wir machen, ist davon völlig unabhängig. Es ist interessant, dass es sich ein bisschen dahin entwickelt hat. Dass man cool ist, wenn man aus Montreal kommt. Das ist schön, anderseits wenn irgendwelche Bands nach Montreal ziehen nur um in ihren Biographien zu schreiben sie kommen daher… das ist blöd. (Lacht).

Du bist ja schon recht lange im Musik-Geschäft. Hast die Entwicklung und Veränderung durch das Internet und die neuen Möglichkeiten für Musiker unmittelbar miterlebt. Dein Resümee?

_M: (Überlegt) Das Internet ist okay… Ich vermisse allerdings die Art wie ich mit Musik aufgewachsen bin, wie ich sie entdeckt habe. Durch bestimmte Radio-Shows beispielsweise, sehr organisch, obwohl Radio ja auch technisch ist (Lacht). Oder CDs in einem Platten-Laden kaufen, weil der Typ, dem der Laden gehört, etwas Neues spielt oder du auf seine Meinung vertraust. Du kanntest seinem Namen, heute schaust du immer auf irgendein Namens-Schild. Das stirbt aus. Leute, die Musik wirklich kennen. Kritiker, die ein Album wirklich rezensieren konnten. Heutzutage ist jeder, der einen Laptop besitzt, dazu bestimmt, ein Kritiker zu sein. Aber ihre Musik-Sammlung und Wissen reicht bis Bloc Party zurück. Das ist sehr traurig, wie sich der Konsum verändert hat. Jetzt ist irgendein Scheißkerl mit seinem Blog ein Dinosaurier unter den Kritikern, für fünf Minuten. Dann war es das auch. Der hört aber nicht mal richtig Musik. Sucht sie nur ab und überspringt das halbe Album. Sich hinsetzen, die Nadel aufzulegen und Musik einzusaugen, das ist vorbei. dears

Wenn man etwas über euch ließt – im Internet – wird man ja förmlich mit Vergleichen überschwemmt. Einmal die Musik-Geschichte durch…

_M: Ich liebe es. Es ist fantastisch. Das ist witzig, denn meiner Meinung nach vermeidet man nur eine Sache: einzugestehen, dass nur eine Band so klingt wie The Dears und das sind The Dears. Die klingen wie das und das, und an der Stelle ein bisschen nach dem. Ich denk mir „Kumpel lass es. Du ruinierst es nur für dich selber“.

Und warum machen die Leute das?

_M: Alles was The Dears machen überschreitet das Normale. Man kann uns nicht in eine Schublade schieben. Man kann uns nicht einfach definieren. Bei jedem Album können – müssen – die Leute sich jedes mal wieder entscheiden, ob sie es mögen oder nicht. Das ist toll und gut.

Letzte Frage: Frühstück. Würdest du lieber jeden Tag eine riesige Erdbeere essen, die nach einer verrückten Mischung aus Essig und süßer Wurst schmeckt oder lieber ein übergroße Banane mit einer Thunfischfüllung, die so lange pfeift, bis du sie aufgegessen hast?

_M: (Lacht) Ach…beides sehr skurril. Ich nehme die Banane, aber nur weil ich kein Fleisch esse.

Ok. Danke, das war’s.

Interview: Sebastian Schelly.