Lucy (Gloria Endres de Oliveira) ist 17 Jahre alt und, soweit es das überhaupt gibt, ein ganz normaler Teenager. Sie interessiert sich für Sex, aber das alles ist noch so irreal, interessant aber irgendwie merkwürdig. Ihre Freundin Mia (Eva Nürnberg) ist da entspannter und Lucy hegt den Verdacht, dass sie ihre Verkrampftheit von ihrer Mutter Paula (Jasmin Tabatabai) geerbt hat. Die arbeitet für einen Wachschutz, zieht Lucy alleine groß und hat so gut wie nie so etwas wie Dates. Gezeugt wurde Lucy während einer Rucksackreise, eine anonyme, flüchtige Liebe, einen Vater vermisst Lucy nicht. Sie und Paula bilden ein eingespieltes, vertrauensvolles Team.
Lucy möchte Schauspielerin werden, außerdem findet sie Videothekar Ronnie (Max Mauff) ganz niedlich. Bei einem ihrer regelmäßigen Besuche landet sie hinter dem Vorhang, hinter dem man unter 18 eigentlich nichts zu suchen hat. Dort findet sie auf dem Grabbeltisch eine alte Videokassette und die unbekleidete Dame auf dem Cover, Vicky Venus, die kommt ihr so bekannt vor – das ist Paula, ihre Mutter! Das Internet wird zur Recherche herangezogen und offenbart unglaubliches: Paula war als Vicky Venus einst ein Star der Erwachsenenfilmbranche, ihren Ausstieg vollzog sie zu der Zeit, als Lucy geboren wurde. Wütend konfrontiert Lucy ihre Mutter mit der Wahrheit und erhält die nächsten Puzzelstücke, aus denen sie versucht, ihr wahres Leben zusammen zu setzen. Nix romantische Backpacker Liebe, ihre Zeugung fand während eines Drehs statt – Lucy ist eine Porno Unfall! Die patente Mia hat schnell eine Liste möglicher Erzeuger zusammen gestellt und der erste ist auch schnell gefunden: Udo Ochsenschwanz (André M. Hennicke) verdient seinen leidlichen Lohn immer noch mit Live Sex Shows und nimmt schließlich widerwillig Lucys Angebot an, sich im Austausch für ihre Ersparnisse mit ihr auf die Suche nach ihrem Vater zu begeben. Ist er es vielleicht sogar selber? Oder doch eher Bernd Bums oder Frank Stahl? Auf einer Moto Guzzi beginnt für Lucy die Reise in die Welt des Pornofilms, die gleichzeitig eine Suche nach ihren Wurzeln wird.
Regisseur Benjamin Teske hat mit seinem Langfilmdebüt „Strawberry Bubblegums“ ein wahres cineastisches Kleinod geschaffen. In seiner Inszenierung erscheint nichts zufällig, jedes Detail, sei es Kostüm, Ausstattung, Bildsprache oder Soundtrack erfüllt seinen Zweck und bildet ein stimmiges Ganzes, ohne dabei je zu bemüht zu wirken. Er umschifft gekonnt Klischees wo sie gestört hätten, persifliert sie an anderen Stellen wieder mit einem mühelosen Augenzwinkern und tappt zum Glück nicht in die nahe liegende Falle, eine Coming of Age Geschichte im Pornomillieu mit Brachialhumor flach zu walzen. Im Gegenteil, denn die größte Stärke von „Strawberry Bubblegums“ liegt darin, wie emphatisch Teske sich seiner Figuren annimmt, wie ernst er sie nimmt und wie berührend menschlich er sie einander begegnen lässt, was natürlich in gleichen Teilen dem Drehbuch von Cherokee Agnew geschuldet ist und nicht zuletzt der Besetzung, die bis in die kleinsten Rollen schlichtweg großartig ist (Casting: Deborah Congia).
Sei es beim Amateur Pornodreh im gekachelten Keller, auf dem Rummel zwischen Autoscooter und Wohnwägen oder in der verlassenen, heruntergekommenen Bar, in der ein Transvestit einsam die Stellung hält, Teske handhabt alle Situationen, die seine naturgemäß oft geschmacklose Geschichte bereit hält, unglaublich geschmackvoll. Er findet selbst dort Menschlichkeit, wo man sie auf den ersten Blick missen würde. Dabei heraus kommen immer wieder ganz besondere Momente – zum Beispiel wenn Sabin Tambrea wunderschön, traurig und in Frauenkleidern „Forever Young“ singt, das ist ganz großes Kino, ehrlich und berührend.
„Strawberry Bubblegums“ feierte seine Premiere beim Filmfest Oldenburg, lief vor begeistertem Publikum auf dem Filmfest Hamburg und wird am 03.11.2016 um 22.00 Uhr im NDR zum ersten Mal im TV zu sehen sein. Davor gibt es für alle Berliner die Möglichkeit, „Strawberry Bubblegums“ im Kino zu sehen: am 31.10.2016 um 19.30 Uhr läuft er im Babylon Kino auf der großen Leinwand. Standesgemäß, wie es sich für den Film eigentlich gehört.
Gesehen von: Gabi Rudolph