Ende letzten Jahres habe ich eine Vorhersage gemacht, und ich verlasse mich fest darauf, dass sie eintrifft: Yard Act werden 2024 richtig groß werden. Die Band aus Leeds ist mir in meinem Universum in den letzten zwei Jahren immer wieder über den Weg gelaufen, und zwar an ziemlich unterschiedlichen Orten (was Yard Act-Frontmann James Smith dazu veranlasst, irgendwann während unseres Zooms „Jesus, Gabi, du kommst ganz schön rum!“ zu rufen), von einem verschwitzten Club in Berlin über die Weite der Felder des Leeds Festivals bis hin als Vorband für Jack White im Londoner Hammersmith Apollo im Jahr 2022 – einem Venue, in dem Yard Act schon bald, weniger als zwei Jahre später, ihre eigene Headline-Show spielen werden. Und ich hatte schon immer das Gefühl, dass die vier Musiker aus Leeds etwas schwer zu Beschreibendes und Besonderes an sich haben. Die Texte sind so treffend und witzig (und so wortreich!), die Melodien sind extrem eingängig für eine Band, die ihr Debüt eher im Bereich des Post Punk gemacht hat, und James Smith (der seine Frontmann-Attitüde gerne als „weinerliche Göre“ beschreibt) weiß wirklich, wie man eine Menschenmenge antreibt, am besten im Trenchcoat, in einem Raum, der viel zu heiß ist, um einen Trenchcoat zu tragen.
Jetzt, im Jahr 2024, haben Yard Act ihr zweites Album „Where’s My Utopia?“ herausgebracht, das viel poppiger, man könnte fast sagen funkiger klingt als ihr Debüt „The Overload“. Es verbindet den Gemeinschaftsgeist der elektronischen Tanzmusik mit dem Geschichtenerzählen des Punk, es ist absolut eingängig und lustig und anspruchsvoll und ernst zugleich. Meine persönliche Utopie ist also schon mitten in der Verwirklichung: Yard Act sind eine der interessantesten Bands, die wir zur Zeit haben.
„Als Menschen wollen wir unsere Individualität ausdrücken, oder?“
Ich weiß noch, wie ich euch 2022 zum ersten Mal live gesehen habe. Das fühlte sich noch so nah an der Pandemie an.
Ja, wir mussten die ursprüngliche Tournee verschieben, weil sie im Februar stattfinden sollte, und ich glaube, wir haben sie dann im Juni gemacht, als die Einschränkungen noch galten. Ich erinnere mich an den Sommer, als wir an jedem Flughafen und für jeden Flug einen Covid-Test machen mussten. In Deutschland gab es eine App, auf der man seine Zertifikat vorzeigen musste, das dann in den Bars eingescannt wurde… Niemand wusste wirklich, was überhaupt los war, oder? Jeder hat sich irgendwie durchgeschlagen und einen Weg gefunden.
Damals war ich so ausgedürstet nach Shows. Ich habe mir ein T-Shirt und eine Jogginghose angezogen und bin zu eurem Konzert, in der Absicht, einfach eine Stunde oder so zu tanzen. Es war die perfekte Show dafür. Ich erinnere mich, dass es so heiß war, dass die Leute dich anschrien, deinen Mantel auszuziehen.
(lacht) Ja, ich erinnere mich! Es gab ein paar Crowdsurfer und so. Es war eine tolle Show. Ich habe mich wirklich großartig gefühlt. Und Berlin ist eine meiner Lieblingsstädte auf der Welt. Diese Show zu spielen und das Gefühl zu haben, in einer Stadt willkommen zu sein, die man bereits liebt, hat mir ein tiefes Gefühl von Verbundenheit gegeben. Ich kann es kaum erwarten, wiederzukommen. Hoffen wir, dass die Leute auch wieder kommen.
Oh, ich bin sicher, das werden sie. Ich zähle auf euch, denn ich möchte, dass meine Vorhersage wahr wird, die ich Ende letzten Jahres gemacht habe: Yard Acts werden im Jahr 2024 der Renner sein. (Jack lacht) Nein, im Ernst, ich habe das Gefühl, dass ihr als Band eine Nische erschließt, die noch nicht wirklich besetzt ist. Und ich glaube, mit dem neuen Album werdet ihr euch noch mehr Leuten öffnen, weil euer Sound noch vielseitiger ist. Und habt keine Scheu vor der Eingängigkeit!
Ja, auf jeden Fall. Wir wollten ein paar Popsongs schreiben.
Ich liebe es, wenn ein guter Punk-Spirit mit der Kühnheit eines eingängigen Songwritings verschmilzt.
Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Ich meine, Tanzkultur ist letztlich eine Gemeinschaftskultur. Wenn man hingegen in einem lyrischen, punkigen Format arbeitet, neigt man meiner Meinung nach zum Individualismus und vertritt die Meinung des Einzelnen, obwohl man versucht, eine Art von Gemeinschaft zu finden. Als Menschen wollen wir unsere Individualität ausdrücken, oder? Wir wollen, dass unsere Stimme gehört wird, was auch immer sie ist. Aber das bedeutet nicht, dass man sich von der Masse abheben möchte, und ich denke, dass die Tanzkultur genau hier ansetzt, denn sie vereint alle. Das ist es wahrscheinlich, was wir versuchen, wir versuchen, uns selbst auszudrücken und uns gleichzeitig mit anderen zu verbinden.
Es ist so interessant, dass du das sagst. Seit dem Ende der Pandemie war ich viel auf Dance Events, und ich habe gesehen, wie sich die Menschen umarmen, weinen und gleichzeitig tanzen, so ein schönes ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Ich bin froh, dass es das wieder gibt. Ich habe in den letzten Jahren viele DJ-Sets auf Festivals gesehen, und bei DJ-Sets merkt man oft, dass die Leute nicht auf die Bühne schauen. Sie schauen sich gegenseitig an, das ist erstaunlich. Ich meine, natürlich gibt es eine Zeit und einen Raum, um eine Show zu machen, bei der man auf die Bühen schauen muss, und besonders bei dem, was wir mit dieser Album-zwei-Tour machen, hoffe ich, dass die Leute ein bisschen auch auf uns schauen (lacht). Aber mir ist aufgefallen, dass bei unseren Shows, wenn die Moshpits losgehen, die Leute nicht auf die Bühne schauen, sondern sich gegenseitig umkreisen und ineinander laufen – es ist pure Liebe! Ich erinnere mich daran, dass ich mit 11, 12 Jahren anfing, auf Konzerte zu gehen, als ich noch klein war. Ich habe mir ein paar dieser Pop-Punk-Bands und Ska-Bands angesehen. Ich erinnere mich daran, dass ich die Mosphits gruselig fand, man wollte in dem Alter nicht in die Nähe kommen. Es fühlte sich ziemlich aggressiv an. Aber wenn ich mir die Kids in unserem Publikum ansehe, dann ist da viel Liebe. Und ich glaube, das hat sich seit der Pandemie sogar noch verstärkt. Dieses menschliche Bedürfnis, sich körperlich zu verbinden, äußert sich in lauteren und rüpelhafteren, aber letztlich auch liebevolleren Moshpits. Die Menschen wollen, dass sich ihre Körper berühren, das ist schön.
Ich war dabei, als ihr letztes Jahr auf dem Leeds Festival euer geheimes Set gespielt habt, und ich fand es toll, wie alle anfingen, die Bewegungen der Tänzer auf der Bühne nachzumachen. Plötzlich tanzte mindestens die Hälfte des Publikums synchron miteinander. Das war wunderschön!
Wir bringen die Tänzer für die nächste Tour wieder mit! Nicht alle, wir können es uns nicht leisten, mit sechs Tänzern um die Welt zu reisen. Aber Daisy und Lauren, zwei der Tänzerinnen, kommen mit uns auf Tour, also werden wir das noch mehr ausbauen. Es gibt uns ein Gefühl von Gemeinschaft, wenn sie dabei sind! Es ist irgendwie schön, die Familie zu erweitern. Ich glaube, das Beste an diesem Job sind die tollen kreativen Menschen, die man dabei kennenlernt. Sie verändern dein Leben. Wenn die Leute die gleiche Energie haben, einfach etwas zu tun, einfach etwas zu schaffen, ist das wirklich inspirierend. Die Tänzer in Reading und Leeds zu haben, war etwas ganz Neues. Ich denke, es ist wichtig für mich, neue Dinge auszuprobieren. Ich würde mich schwer tun, wenn wir immer das Gleiche machen würden. Und ich glaube, das überträgt sich auch auf das Publikum.
Ich habe das Gefühl, dass die Leute mutiger geworden sind und sich leichter auf unerwartete Sachen von ihrer Lieblingsband einlassen. Die Kultur, etwas Neues auszuprobieren, anstatt sich an das zu halten, was von einem erwartet wird, ist heutzutage etwas lebendiger als früher
Ja, dem würde ich zustimmen. Ich glaube, der Tribalismus in der Musik ist größtenteils verblasst. Die Hörgewohnheiten der Menschen sind viel eklektischer, vor allem bei jüngeren Menschen. Aber im gleichen Sinne hat sich die Fangemeinde – ich bin mir nicht sicher, ob das das richtige Wort ist, aber es ist ein Wort, das mit dem korreliert, was ich zu sagen versuche – verstärkt. Ich denke, die Loyalität der Menschen und ihr Wille in etwas zu investieren, das sie mögen, haben sich verstärkt. Und ich glaube, das ist der Grund, warum wir vielleicht ein wenig mehr Unterstützung für Richtungsänderungen sehen. Ich denke, wenn man diesen treuen Kern findet, der nicht verschwindet, erkennt man als Band, dass man sich am Leben halten kann. Wenn die Presse beschließen würde, nicht mehr über eine Band zu schreiben… wenn der NME beschließen würde, nicht mehr über eine Band in Großbritannien zu schreiben oder ein Album ignorieren würde, dann wäre das das Ende dieser Band in den Neunzigern gewesen, sie wäre weg. Jetzt, wenn das passiert, kann man immer noch direkt mit dem Kern der Fans in Kontakt treten, der das, was man tut, unabhängig davon verfolgt, was bedeutet, dass Bands ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Das wiederum ist meiner Meinung nach der Grund dafür, dass Bands kreativ abenteuerlustiger sind, weil sie weniger Angst vor den Konsequenzen haben (lacht). Ich weiß es nicht. Ich weiß nie, wie lange wir noch haben, bis wir zu unseren normalen Jobs zurückkehren müssen. Aber ich muss diese Risiken im Leben eingehen. Das ist auch der Grund, warum unser zweites Album nicht wie unser erstes klingt. Ich könnte nicht mit mir selbst leben… okay, es wäre nicht das Ende meines Lebens. Aber ich würde mich nicht wohl dabei fühlen, weiterzumachen, wenn ich kreativ unausgefüllt wäre.
Das Interessante daran ist, dass Yard Act für mich vom Kern her sehr klar definiert ist. Die Texte, deine Stimme, die Art, wie du deine Geschichten erzählst. Und Vorsicht, jetzt wird es spirituell – wenn man genau weiß, wer man als Künstler*in, als Band, als Kollektiv ist, hat man vielleicht mehr Freiheit, sich zu entfalten und das zu erforschen.
Vielleicht ist Yard Act, mal ganz von mir selbst ausgegangen… Ich meine, es sind mehrere Dinge, aber ich denke, auf einer Ebene ist es der Versuch, mich selbst zu verstehen. Und das kann nach außen oder nach innen gerichtet sein. Das kann sich auf gesellschaftliche Themen beziehen, wie auf Album eins, oder es kann nach innen gerichtet sein, wie auf Album zwei. Aber letztendlich geht es immer darum, dass ich versuche zu verarbeiten, wer ich bin und wo ich in diesem Moment stehe. Ich glaube, textlich läuft es immer darauf hinaus. Aber das ist wahrscheinlich auch der Individualismus darin, die Armee eines Einzelnen, der auf dem Berg steht und sagt: „Seht mich an, das ist es, was ich zu sagen habe.“ Der Kontrapunkt dazu ist, dass die Band musikalisch eine komplett sozialistische Bewegung von vier Leuten ist, die gleichberechtigt an einem freudigen Akt der Schöpfung teilhaben, der ihnen allen am Herzen liegt. Und solange ich etwas habe, über das ich schreiben kann, und etwas, das ich in mir selbst hinterfragen kann, und solange die Band Spaß daran hat, zusammen zu sein, denke ich, dass es jede Form annehmen kann und wir einfach weitermachen werden. Ich denke, wenn all das wegfiele, dann wäre es zynisch, Yard Act weiterzumachen, einfach nur weil es ein Job ist. Zum Glück sind wir noch nicht so weit und ich hoffe, dass wir nie so weit kommen. Man weiß nie, wann es passiert, aber ich glaube definitiv nicht, dass es bis zum nächsten Album passieren wird, denn ich denke, wir sind in voller Fahrt und die kreativen Säfte fließen wirklich. Wir sind schon sehr gespannt darauf, wie es weitergeht. Ich glaube, ich habe einfach Angst, mich zu langweilen. Denn dann müsste ich aufhören. Und das wäre ein Schock für das System, denn wir haben uns gerade erst daran gewöhnt, es zu tun.
Ich meine, ich staune immer über den Akt des Kreativseins. Als ich die Texte zu eurem Album bekommen habe, habe ich durch die Seiten geblättert und gedacht: Wow, so viele Wörter! (James lacht) Wie findest du überhaupt die Zeit, den Kopf und die Kreativität, dir das alles auszudenken? Ich lese gerade das Buch, das Rick Rubin geschrieben hat…
„Der kreative Akt?“ Ich liebe es, ich habe es letztes Jahr gelesen.
Ich finde, er schlüsselt es so gut auf, den Teil, der reine Arbeit ist, die Techniken, die einem helfen können, kreativ zu sein, und gleichzeitig bestaunt er die fast schon spirituelle Seite davon.
Auf jeden Fall, ja. Das Buch war brillant. Es hat mir eine Menge Selbstvertrauen gegeben. Mir wurde klar, dass ich vieles von dem, was er in dem Buch sagt, bereits tue, das hat mich wirklich beruhigt. Und ich habe auch eine Menge neuer Dinge darin entdeckt. In dem Buch geht es viel darum, äußere Einflüsse zu ignorieren, was ich sehr wichtig finde. Die Vorstellung, dass man auf so vieles keinen Einfluss hat, dass der Versuch, vorherzusagen, was ein Kunstwerk in der Welt bewirken wird, jenseits des eigenen Verständnisses und der eigenen Kontrolle liegt. Ich mag die Art und Weise, wie er über die Magie der Kunst spricht, das hat mich wirklich angesprochen. Wie mit unserem Song „100% Endurance“… was dieser Song bewirkt hat, die Orte, an denen er zu landen scheint und die Menschen, mit denen er sich zu verbinden scheint und die Nachrichten, die wir darüber erhalten… manchmal sprechen mich Leute auf der Straße auf diesen Song an. Ich hatte keine Ahnung, dass das passieren würde, als ich ihn geschrieben habe, und ich hatte keine Erwartungen an den Song. Damit ist doch irgendwie bewiesen, dass diese Ideen, die man raus schickt, eine Art kosmische Magie haben. Man schleudert sie einfach in den Äther und dann sind sie nicht mehr die eigenen. Rick Rubin spricht auch darüber und ein Teil von mir denkt sich: „Ist das Hippie-Bullshit?“ Aber ich habe nicht das Gefühl, dass es meine Songs sind. Ich habe das Gefühl, dass es einfach Ideen sind, die aus mir herausgefallen sind und die ich dann verschenkt habe. Gut ich sage immer, dass ich trotzdem die Tantiemen für das Songwriting nehme (lacht). Es wird immer noch mein Name auf dem Scheck stehen. Aber abgesehen davon ist es einfach außerhalb deiner Kontrolle.
Der Artikel ist im Original auf Englisch erschienen, ihr findet ihn hier. Weitere Infos und Tourdaten gibt es hier.