Wunderhorse: „Alles ist besser, als zu stagnieren“

Das Konzept der klassischen, vierköpfigen Rockband wirkt aktuell ein klein wenig erschöpft. Bands sprießen heutzutage nicht mehr wie Anfang der 2000er aus dem Boden, und in der üblichen Konstellation von Gitarre, Schlagzeug, Bass und Gesang eine Nische zu finden, die nicht schon bis zur Überfüllung besetzt ist, ist auch nicht so leicht.

Die britische Band Wunderhorse präsentierte auf ihrem Debütalbum „Cub“, das im Jahr 2022 erschien, einen recht vertrauten Indie-Rock-Sound mit leicht psychedelischem Twist. Und trotzdem wohnte den Songs eine ungestüme und gleichzeitig zerbrechliche Qualität inne, die sie von der Masse abhob. Nun ist das zweite Album „Midas“ erschienen, und es ist zu erwarten, dass Frontmann Jacob Slater, Gitarrist Harry Fowler, Schlagzeuger Jamie Staples und Bassist Peter Woodin damit weiter nach vorne preschen werden. Die Qualitäten der Band in Hinsicht Songwriting sind hörbar gewachsen, und der ungestüme Sound wird weiter dadurch unterstrichen, dass die Songs auf „Midas“ zum größten Teil live im Studio aufgenommen wurden. 

Nach umjubelten Auftritten beim Reading & Leeds Festival und mit einer stetig wachsenden Fangemeinde im Rücken, kommen Wunderhorse im November zu uns nach Deutschland, wo sie Fontaines D.C. auf Tour supporten werden. Ich habe Jacob und Jamie via Zoom getroffen, und wir haben darüber gesprochen, was sich zwischen „Cub“ und „Midas“ für die Band verändert hat. 

Wie geht es euch, jetzt da euer zweites Album draußen ist?

Jamie: Oh, es geht uns super! Wir sind ehrlich gesagt schon wieder, oder eher immer noch am Schreiben. Und freuen uns auf den nächsten Schritt, was auch immer er sein wird. 

Jacob: Es ist ein bisschen so, als wenn man mit sich selbst Fangen spielt. Die Welt hat dein Album noch nicht mal gehört, aber du selbst bist schon weiter gezogen. Das ist aber auch ein Zeichen, dass man künstlerisch und kreativ gut unterwegs ist. Manchmal ist es aber auch frustrierend, weil man oft das Gefühl hat, dass alles nicht schnell genug geht. Aber es ist in Ordnung. Jetzt freuen wir uns erstmal auf alles, das „Midas“ uns bringen wird. 

Ich kann mir das gut vorstellen, dass man mit dem Kopf schon wieder weiter ist. Es ist ja auch ein langer Prozess, bis so ein Album wirklich draußen ist. 

Jamie: Ja. Es ist ein bisschen verrückt. „Midas“ ist Ende letzten Jahres fertig geworden. Bis es endlich veröffentlicht ist, hat man schon eine Menge Zeit mit einem Album zugebracht. Und während diese Maschine läuft, gibt es schon wieder andere Songs, an denen wir auch schon zum Teil seit Jahren arbeiten. Manchmal ist es ein bisschen frustrierend, wenn man es irgendwie beschreiben will. Aber gleichzeitig ist es cool. Wir schreiben gerade an ein paar echt spannenden Sachen. 

Jacob: Es ist auf jeden Fall besser, als an einer Handvoll Songs zu hängen, die man einmal geschrieben hat. Alles ist besser als zu stagnieren, das will man nicht. 

Und spricht es nicht auch für die Qualität der Songs, wenn man nach einem halben Jahr immer noch Lust hat, sie rauszubringen?

Jacob: Oh ja, das ist mir früher auf jeden Fall schon passiert, dass ich etwas, das wir gemacht haben, irgendwann nicht mehr cool fand. Auf dieses Album bin ich einfach sehr stolz. Wir alle sind stolz. Ich bin gespannt, was die Leute daraus für sich machen werden. 

Jamie: Ich glaube, wir sind auch ein bisschen gesettelter geworden, was unsere Meinung von uns selbst und von dem was wir machen angeht. Aber wer weiß, vielleicht geht es uns in ein paar Jahren wieder so, dass wir zurück schauen und uns fragen, was verdammt wir damals eigentlich gemacht haben (lacht)

Jacob: Aber es stimmt schon. In meinen späten Teenagerzeiten und meinen frühen Zwanzigern war ich mir so vieler Dinge so unglaublich sicher. Heute, mit Ende zwanzig, ist das einzige worüber ich mir sicher bin, dass ich das, was ich heute denke, morgen wahrscheinlich nicht mehr denken werde (lacht). Aber es ist gut, und es spielt genau in das mit ein, worüber wir vorhin gesprochen haben, den kreativen Prozess und die ständige Jagd nach etwas Neuem. Den Wunsch, ständig das zu ändern was man tut und in neue Gebiete vorzudringen. Das spielt alles zusammen. Hat Bob Dylan nicht mal etwas gesagt wie: „Als Künstler willst du nie irgendwo ankommen, du willst ständig in dem Zustand sein, jemand Neues zu werden“? Ich glaube, so hat er es ausgedrückt. Ich glaube, es ist gut, mit der Art und Weise wie man denkt herumzuspielen und sie zu verändern. 

Ich habe in letzter Zeit viel mit Leuten darüber gesprochen, wie unsere Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer und kürzer wird. Und dass wir nur noch Content gefüttert bekommen, der das bedient. Und dann habe ich gesehen, dass der letzte Song auf eurem Album, „Aeroplane“, fast neun Minuten lang ist.

Jacob: Oh es gibt bestimmt eine Menge Leute die denken, er ist neun Minuten zu lang (lacht). Aber es ist einfach genau das, was wir mit dem Song machen wollten. Wir haben ihn an ein und demselben Tag geschrieben und aufgenommen, und das ist dabei raus gekommen. Wir haben einfach immer weiter gemacht. Manchmal sagen die Songs einem, was man tun soll. Dann muss man ihnen zuhören. Ich denke, es ist eine Art Test. Ob du bereit bist, dich auf diese Reise zu begeben. Es wird sicher Leute geben, die das Ding nicht komplett durchhalten. Wir finden, dass es sich lohnt und dass man am Ende etwas daraus ziehen kann. 

Ich finde aber auch, so verhält es sich mit dem ganzen Album. Es erschließt sich einem am besten, wenn man es als Ganzes hört. 

Jamie: Oh ja, genau das wollten wir erreichen. Wir haben so ziemlich alles live aufgenommen, bis auf ein paar Gitarren und Vocal Dubs. Und das meiste haben wir auch dort im Studio geschrieben. Von daher ist es genauso wie du sagst, es ist für uns ein sehr kohärentes Kunstwerk. Alle Songs machen für sich selbst Sinn, aber vor allem im Zusammenhang miteinander. 

Selbst wenn ihr die Songs fast komplett live aufgenommen habt – habt ihr das Gefühl, dass sie sich noch einmal verändern, wenn ihr sie live auf der Bühne performt?

Jamie: Vielleicht, was ein paar Nuancen angeht. Insgesamt glaube ich aber, wir hatten das Gefühl stärker beim ersten Album. Wir haben das Album komplett während Corona aufgenommen, es gab keinerlei Chance, mit den Songs zu touren und sie auf diese Weise weiterzuentwickeln. Als es endlich soweit waren und wir mit dem Album touren konnten, hatte es bis dahin hautpsächlich im Studio gelebt. Wir haben ihm quasi mit den Liveshows neues Leben eingehaucht. Aber ich glaube nicht, dass die Essenz von „Midas“ sich auf diese Weise ändern wird. Wir fügen hier und da neue Parts hinzu, weil wir Spaß daran haben, aber insgesamt fühlt es sich sehr stabil an. 

Jacob: Die Basis der Songs ist musikalisch sehr einfach, und das ist mit Absicht so. Wir haben versucht, mit ihnen gleichzeitig so viel wie möglich und so wenig wie möglich zu erreichen, wenn das Sinn macht. Sie sind sehr einfach zusammengesetzt, aus so wenig Komponenten wie möglich. Das bedeutet, dass wir sie so einfangen haben, wie sie uns erschienen sind. Wir haben einfach die Energie eingefangen, die entstanden ist, als wir live miteinander gespielt haben. Das überträgt sich leicht auf die Bühne. Ich bin auch sicherer in den Vocals. Ich stimme Jamie zu, es fühlt sich auf der Bühne sehr nah an zu dem, was wir auf dem Album eingefangen haben. 

Ich mag, was du gerade gesagt hast, dass ihr die Songs eingefangen habt, wie sie euch erschienen sind. 

Jacob: Ja, weil wir sie im Studio geschrieben haben und am selben Tag aufgenommen haben, oder maximal innerhalb von ein bis zwei Tagen. Wir kannten sie deshalb noch gar nicht so genau. Wenn man einen Song einmal in- und auswendig kann, verliert man manchmal die Begeisterung daran, ihn zu spielen. Wir haben also diesmal versucht direkt aufzunehmen, bevor dieser Zustand eintreten konnte. Bei „Midas“ hört man das zum Beispiel, besonders in Jamies Schlagzeugspiel. Da sind bestimmte Akzente im zweiten Chorus, die er so beim ersten nicht setzt. Wenn ein Song so neu ist wenn du ihn aufnimmst, bist du während der Aufnahme noch damit beschäftigt herauszufinden, wie er genau funktioniert. Das verleiht ihm eine gewisse Magie. Manchmal gab es einen Take, den wir besonders mochten, ohne dass wir überhaupt genau sagen konnten, warum das so ist. 

Das ist wirklich ein schöner Ansatz, so ungefiltert den Moment einzufangen.

Jacob: Es erfordert einen gewissen Mut (lacht).

Nein, absolut! Ehrlich, ich wollte gerade genau das sagen. Es ist wirklich mutig. Man investiert ja schließlich seine Zeit und die Zeit anderer Leute und hat entsprechend auch den Anspruch, dass etwas dabei raus kommen soll. 

Jacob: Ja, und am Ende kommen die besten Songs oft sehr schnell zu einem. Fast so, als hättest du sie gar nicht geschrieben, sondern jemand anderes hätte es für dich getan. Als hätte dir jemand einen Traum in den Kopf gepflanzt. Es ist plötzlich einfach da. In den besten Momenten hat es etwas Magisches. Man kann auch nicht danach suchen, dann passiert es nicht. 

Was würdet ihr sagen, ist die wichtigste Lektion, die ihr zwischen diesem und eurem ersten Album gelernt habt?

Jacob: Ich für mich würde sagen, nicht zu viele vorgefertigte Vorstellungen davon zu haben, wie etwas laufen wird. Mehr mir selbst zu vertrauen und den Leuten um mich herum, mit denen wir uns entschlossen haben zu arbeiten. Dem Rest der Band, dem Produzenten, was wir auch getan haben. Und die Dinge einfach passieren zu lassen. Man hat so oft diese genauen Vorstellungen: so soll es sein, so wird es laufen. Am Ende passiert es fast nie genau so. Und es kostet einen viel Energie, damit umzugehen. Ich habe gelernt, mehr dem kreativen Prozess zu vertrauen und ihm seinen Lauf zu lassen. 

Jamie: Wir haben uns viel zusammen hingesetzt und einfach gemeinsam Platten gehört. Wir haben uns alle ein Instrument ausgesucht, das wir spielen, und wenn man zusammen schreibt, ist es einfach, sich darauf zu verlassen. Wir haben gelernt, einen Schritt zurückzutreten und Songs als ein großes Ganzes zu hören, anstatt uns nur Gedanken um unsere jeweiligen Parts zu machen oder was jeder von uns Cooles dazu beitragen wird. Auf diese Weise sind wir zusammen gewachsen und mehr zu einer Einheit geworden, als eine Gruppe von Individuen. 

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