Als ich mich 2018 das letzte Mal mit William Fitzsimmons unterhalten habe, war er gerade in Deutschland unterwegs. Seitdem ist viel passiert, nicht nur die Corona-Pandemie. Jetzt meldet sich der melancholische Singer-Songwriter mit dem markanten Bart und der Samtstimme mit seinem mittlerweile achten Studioalbum „Ready the Astronaut“ eindrucksvoll zurück. William Fitzsimmons zeigt darauf erstmals seine Upbeat-Seite.
Im Hangout-Interview aus seinem Home Studio verrät mir William, wie sein neues Album entstanden ist, was griechische Mythologie und die Raumfahrt damit zu tun haben und warum er genug hat von Streaming-Konzerten. Außerdem sprechen wir über die Magie von Livemusik und seine Deutschkenntnisse.
Guten Morgen William! Das letzte Mal als wir uns unterhalten haben, saßt du gerade draußen in der Sonne und hast ein Bierchen genossen. Das ist etwas, was uns allen das gesamte letzte Jahr etwas abgegangen ist. Die ganze Welt was quasi dazu verdonnert, sehr viel Zeit Zuhause zu verbringen, vieles war plötzlich nicht mehr möglich… Auf Tour zu gehen war definitiv nicht mehr drin. Daher frage ich mich, wie du durch die Pandemie gekommen bist.
Das kann ich dir genau sagen. Das hier (zeigt auf sein Studio) hat mir sehr geholfen. Ich hatte da wirklich Glück, denn ich war gerade hierhin umgezogen – und in meinem letzten Haus hatte ich gar kein Home Studio. Ich meine, es ist jetzt nichts besonders Ausgefallenes, ich bin hier im Keller und der Teppich ist echt total hässlich (lacht)…Aber während der Coronazeit habe ich mir gesagt: Ich kann jetzt entweder total depressiv werden und die ganze Zeit nur Videospiele zocken, oder ich arbeite. Und das habe ich dann auch gemacht. Neben dem neuen Album habe ich noch eine Alternativversion aller Songs aufgenommen und an zwei Coveralben gearbeitet. Ich wusste, dass ich durchdrehen würde, wenn ich keine sinnvolle Beschäftigung hätte…
Oh, ja, die Zeit war für viele Leute nicht einfach. Und wenn man nichts hat, was einen hochzieht, sei es Musik oder etwas anderes, dann ist das umso schwerer.
Das stimmt, es war eine schwere Zeit für alle. Ich hatte Glück, dass ich meine Mädchen (seine Partnerin und seine zwei Töchter) und das Studio hatte. Und so hat sich mein Leben gar nicht so stark verändert, ich konnte eine gewisse Normalität bewahren. Und ich habe mich mit meinem besten Freund und dessen Familie zusammengetan, wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Ich habe einige Freunde, die in der Psychiatrie arbeiten, und sie haben mir berichtet, wie schlecht es vielen Menschen in der Pandemie ging. Es tut uns allen nicht gut, so viel allein zu sein.
Ich glaube, es lag auch daran, dass wir keine Wahl hatten: Wenn du allein sein willst, dann kannst du allein sein, wenn du nicht allein sein willst, dann misch dich unter die Leute. Aber das ging ja nicht…
Genau. Wenn man den Menschen die Wahlmöglichkeit nimmt, dann fühlt man sich total hilflos. Freunde von mir posten jetzt plötzlich Fotos von total normalen Dingen, die wieder möglich sind…von stinknormalen Hotelzimmern zum Beispiel. Es geht wieder los. Ich sehne mich so sehr nach Livemusik. Ein paar Freunde und ich planen demnächst einen Trip nach Cincinnati, wo wir uns „Chicago“ ansehen werden. Für etwas anderes gab es keine Tickets mehr, aber Hauptsache wir dürfen wieder Livemusik erleben! Während des Lockdowns habe ich mich überhaupt nicht kreativ gefühlt. Ich hatte zunächst keinerlei Motivation, neue Songs zu schreiben… Was für mich sehr ungewöhnlich ist, denn ich schreibe Songs seit ich 12 bin. Ich hatte nichts, worüber ich schreiben wollte. Es war schön, sehr viel Zeit mit meinen Kindern zu verbringen, aber ich brauche normalerweise beim Songwriting Inspiration von außen, muss Dinge erleben und Leute treffen. Also habe ich einfach an meinen Gitarren-, Klavier-und gesanglichen Skills gearbeitet. Die Coversache hat extrem viel Spaß gemacht, denn da konnte ich in die Köpfe anderer Künstler abtauchen. Ich habe schon immer viel gecovert, ist ja auch klar bei meinem Genre: Der Sänger mit der Akustikgitarre. So konnte ich mich zudem gut ablenken und habe mal nicht über meine Scheidung geschrieben. Ich liebe es tief in die Songs einzutauchen, die ich covere und dann zu erleben, wie sich der Künstler gefühlt hat, als er den Song geschrieben hat. Und wenn du den Song dann singst, ist es fast ein bisschen als würdest du dasselbe fühlen. Es ist ein bisschen wie schauspielern.
Aber trotzdem packst du ja immer auch ein bisschen von dir selbst mit rein und es entsteht etwas komplett Neues…
Ja, bei mir klingt jeder Song depressiv (lacht). Diesen Witz macht mein Manager immer. Ich liebe die beiden letzten Taylor Swift Alben und habe mich an einigen ihrer Songs versucht. The National ist meine absolute Lieblingsband und Aarons Arrangements mit Taylors Stimme zu hören ist für mich einfach nur faszinierend. Songs zu covern ist für mich auch stressfreier. Ich muss mir keine Gedanken über schlechte Lyrics machen, denn ich habe sie ja nicht geschrieben. Ich darf sie stattdessen neu interpretieren. Ich glaube, das könnte ich mir irgendwann auch als Vollzeitjob vorstellen…
Aber lass uns erstmal über deine eigene Musik sprechen. Dein neues Album „Ready the Astronaut“ erscheint in wenigen Tagen. Magst du mich mitnehmen auf die Entstehungsgeschichte der Platte?
Ja, klar. Ich versuche es „kurz“ (auf Deutsch) zu halten…
Oh, du sprichst Deutsch?
Ein bisschen, ja. Ich spreche immer mit den beiden Kindern einer Freundin Deutsch. Und die fragen sich die ganze Zeit, wie kann es sein, dass ein Erwachsener so schlecht Deutsch spricht? (lacht) Aber zurück zum Album. Ich wusste, dass ich nicht wieder ein Album schreiben wollte, dass musikalisch in dieselbe Richtung wie „Mission Bell“ oder „The Sparrow and the Crow“ geht. Natürlich klingen auch diese Alben nicht genau gleich, es gibt schon eine gewisse Weiterentwicklung, aber die Grundstimmung ist sehr ähnlich. Aber dann ist es einfach so passiert. Ich habe damals noch in Nashville gewohnt und der erste Song des Albums, der entstanden ist, war direkt „Ready the Astronaut“. Ich habe einfach denselben emotionalen Akkord immer wieder auf meinem Synthesizer gespielt und mich total verloren und „ohne Hoffnung“ (auf Deutsch) gefühlt – und dabei ist dann irgendwie dieser Song herausgekommen. Ich wollte nicht, dass es einfach nur ein Album über meine Beziehungen wird, sondern über etwas Größeres, dieses Gefühl des freien Falls schreiben. Dieses Album handelt nicht von meiner zweiten Scheidung und von den seltsamen Beziehungen, die ich zwischendurch hatte. Das alles spielt natürlich mit rein, aber im Grunde handelt es davon, Angst zu haben. Ich wollte, dass sich dieses Album für die Zuhörer anders anfühlt. Deshalb kommen darauf auch ca. 30 verschiedene Synthesizer zum Einsatz. Und mein Producer Adam hat mir geraten, dieses Mal die Akustikgitarre wegzulassen.
Ich habe mir das Album heute Morgen ein paar Mal angehört und ich finde, das hört man. Songs wie „You Let Me Down“ klingen sehr upbeat für dich…
Danke schön. Das geht alles auf Adams Konto. Wenn du hingegen die alternativen Versionen aller Songs anhörst, bekommst du mehr diese „in your face“ Emotionen. Er war derjenige, der mir beigebracht hat: In der Musik hast du zwei Möglichkeiten: entweder du nimmst den Hammer oder die Feder. Und obwohl meine Songs meist sehr ruhig sind, war das bei mir in der Vergangenheit zumeist der Hammer, die Songs haben eine einzige Emotion, ich fühle sie und du fühlst sie. Bei einem traurigen Song fühlst du dich ebenfalls traurig. Wenn man hingegen eine Feder nutzt, dann können die Leute fühlen, was sie wollen. Es ist noch immer dein Herz, dein Song, aber der Song ist ein wenig interessanter. Das habe ich davor nie so beachtet.
Da bin ich schon sehr darauf gespannt, wie die neuen Songs live wirken werden.
Oh, das wird ein bisschen tricky. Ich habe den Traum, irgendwann mal mit einer kompletten Band auf Tour zu gehen. Aber ich denke, wir performen zunächst mal die meisten Songs entweder solo oder mit kleinerer Besetzung. Denn während der Pandemie habe ich ja von allen Songs auch eine Alternative, ruhigere Version gemacht und hab mich in diese Versionen verliebt. Mal schauen…
Durch das gesamte Album ziehen sich zwei ständig wiederkehrende Themen, sowohl visuell als auch in den Texten. Das erste ist die Geschichte des Ikarus und das zweite das Astronauten Motiv. Wie bist du denn auf diese beiden Themen gekommen? Auf dem Albumcover ist beides ja sogar zu einem vereint…
Genauso ist es. Das freut mich, dass dir das aufgefallen ist, denn das war genau unsere Absicht. Ich hatte schon Angst, dass das niemand bemerken würde. Ich bin schon sehr lange an griechischer Mythologie interessiert. Und da ich aus dem Mental Health Bereich komme ist Carl Jung, der große Schweizer Psychiater, ein großer Held für mich. Jung war ein Genie und er hat geglaubt, dass es für uns wichtig ist, die griechische Mythologie zu studieren. Sowohl in der Bibel als auch in der griechischen Mythologie gibt es ähnliche Geschichten von Helden und Bösewichten. Mit Ikarus habe ich mich schon immer gut identifizieren können, weil er ein Idiot war. Ich bin kürzlich 43 geworden und wenn ich auf die 42 Jahre davor zurückblicke, dann würde ich sagen, dass ich ein relativ gutherziger Mensch bin und ich habe doch immer wieder dasselbe erlebt und ähnliche Fehler gemacht… woher das Weltraumthema kommt, kann ich selbst gar nicht so genau sagen. Aber wenn die Ikarus Geschichte heute geschrieben werden würde, würde sie im Weltraum stattfinden. Das hat für mich einfach Sinn gemacht. Und ich kann jetzt einen Overall tragen (lacht).
Du hast vorhin schon erwähnt, dass du früher oft Songs mit einer einzigen Emotion geschrieben hast. Und du schreibst Songs, um Dinge, die dir im Leben passieren zu verarbeiten. Aber ich frage mich, ob du auch manchmal ans Songwriting rangehst mit der Absicht, eine Message rüberzubringen?
Nein, das habe ich noch nie gemacht. Ich finde es toll dass es Leute gibt, die politische Protestsongs machen. Die Dixie Chicks, oder wie sie jetzt heißen The Chicks, haben sogar eine ganze Platte gemacht. Bruce Springsteen, Woody Guthrie und Pete Seeger verdanken solchen Songs ihre Karriere. Ich glaube nicht, dass ich das könnte, denn ich bin beim Songwriting sehr egoistisch und sehr auf mich bezogen. Ich bin bereit, dabei sehr tief in mich reinzuschauen, da mir das Persönlich sehr wichtig ist. Aber der Grund weshalb das funktioniert ist, dass andere Menschen ähnliche Gefühle haben.
Und ein jeder interpretiert die Songs ja nochmal für sich selbst…
Du bringst deinen eigenen Blickwinkel mit ein. Wenn mich die Leute fragen, worum es in einem Song geht, dann weiß ich, dass meine Antwort den Song für sie ruinieren würde. Denn das würde etwas von ihrer eigenen Interpretation wegnehmen. Das ist wie beim Hot-Dog Kauf – da willst du auch nicht wissen, wie der Hot-Dog gemacht wurde. Ich verstehe, dass die Leute neugierig sind… Ich würde auch gern mit Nick Drake zusammensitzen und herausfinden, worum es in „Pink Moon“ genau geht. Aber ich weiß auch, dass ich fünf Minuten später total enttäuscht wäre. Denn die ganze Magie wäre auf einmal weg.
Wie würdest du denn jemandem, der noch nie einen deiner Songs gehört hat, beschreiben, wie der typische William Fitzsimmons Song klingt?
„Langweilig“ (in German) Das ist so ein cooles Wort, ich liebe es. Hmmm, ich würde sagen unangenehm ehrliche Folkmusik. Es ist noch immer Folkmusik, auch mit den ganzen Synthesizern und Drums. Mein Freund Josh Taylor hat mal nach einer Show zu mir gesagt: „Deine Textänderung von“ mess around“ zu „fuck around“ hat einige Leute im Publikum verunsichert. Ich habe beobachtet, wie sie reagiert haben. Du solltest sowas nicht machen.“ Und ich meinte darauf nur: „Gut, genau das ist mein Job.“ Ich weiß, ich unterhalte die Leute auch in gewisser Weise, aber ich wünschte, ich hätte mit 25 jemanden gehabt, der mich dazu gebracht hätte, einige Dinge zu hinterfragen. Ich finde es wichtig, die Leute ein bisschen aufzurütteln. Unser aller Ego muss ab und zu mal gebrochen werden.
Und wenn es nur dazu dient, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen…
Ich liebe dieses Wort. Genau das ist es, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Die Corona-Situation bessert sich langsam. Wann dürfen wir dich wieder live erleben?
Wir haben ein paar Konzerte schon für den September 2021geplant, unter anderem das Reeperbahn Festival. Und im nächsten Jahr geht es dann wieder auf Tour.
Das sind tolle News! Ich meine, ich habe als Fan das letzte Jahr Livemusik extrem vermisst und ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es Künstlern wie dir ergangen ist. Ich glaube, am Anfang wird es ein wenig komisch sein, plötzlich wieder vor Publikum zu spielen…
Ich glaube, du hast recht. „Awkward“ ist das richtige Wort. Ich war im Februar 2020 noch auf Tour mit einigen Freunden und ich kann mich noch genau erinnern, wie wir die News gelesen haben, dass es COVID-19 nun auch nach Italien geschafft hat. Und wir haben uns gefragt, was das jetzt für uns bedeutet…Wenn wir wieder auf der Bühne stehen, wird es am Anfang wohl ein wenig komisch sein, aber ich glaube, die Leute werden Konzerte auch wieder mehr wertschätzen. Das wird sehr aufregend. Ich halte echt keine Livestream Performance mehr durch. Was gibt es denn Schlimmeres als ein Konzert am Handy zu verfolgen?
Ich meine, es ist besser als nichts, aber ein Live-Konzert kann es niemals ersetzen…
Nicht einmal annähernd. Man braucht einfach die Gesamterfahrung. Der Geruch von Bier auf dem Boden und aufmerksame Zuhörer vor der Bühne. Das gibt es nur bei einer Liveshow. Und wenn man live spielt, kann das immer in zwei Richtungen gehen: entweder es wird großartig oder die Stimmung schlägt um. Vielleicht bin ich danach ein wenig süchtig. Ja es wird wohl erst ein wenig komisch sein, doch nach einem Song sind alle wieder voll drin.
Definitiv. Und ich hoffe, dass die Leute erkennen, dass Livemusik etwas sehr Tolles ist…
Ja, so kommt es wahrscheinlich, aber du weißt, wie die Menschen sind. Erst sind alle wieder extrem euphorisch, und dann nach einem Jahr schauen alle wieder lieber Netflix. Aber sehr viele Leute werden sich zunächst sehr freuen, dass es wieder gute Livemusik gibt, das stimmt.
„Ready the Austronaut“ von William Fitzsimmons erscheint am 25.06.2021 auf Grönland Records
Foto © Erin Brown