In einer Zeit, in der sich viele von uns Gedanken machen wie die Zukunft aussehen wird und welche Rolle wir dabei spielen können, stellt Will Butler auf seiner neuen Soloplatte „Generations“ diese Fragen besonders laut und eindringlich. Als Teil der von uns besonders verehrten Indie-Band Arcade Fire spielt er gerne den Entertainer, indem er sich auf der Bühne immer wieder zu launigen Eskapaden mit seinen Bandkollegen oder an seinen unzähligen Instrumenten hinreißen lässt. Dass dahinter eine sehr tiefgründige Persönlichkeit steckt, die sehr engagiert ist und vor allem immer wieder politisch versucht ein Statement zu setzen, zeigen nicht nur sein frisch in Harvard erworbener Master in Public Policy, sondern auch viele Veranstaltungen mit politischem Engagement, die er organisiert.
Es war uns eine besondere Ehre mit Will Butler über seine neue Platte „Generations“ zu sprechen, die man -trotz locker flockiger Melodien- inhaltlich erst mal verarbeiten muss. Wie es Butler während Covid ergeht, wie viel Bauchschmerzen ihm die politische Lage den USA bereiten und wie schwierig es für einen Live-Enthusiasten wie ihn ist nicht auf die Bühne gehen zu können, erfahrt ihr hier:
Schön, dass wir dich wieder bei uns begrüßen dürfen! Das letzte Mal hat meine Kollegin Gabi mit dir zu deiner ersten Solo-Platte „Policy“ gesprochen. Das ist jetzt schon ziemlich lange her.
Ja fast eine Ewigkeit, fünf Jahre – seitdem hat sich viel verändert.
Wie ist es dir seitdem ergangen, wie geht es dir während der Covid Krise?
Die letzten sechs Monate waren sehr eigenartig. Ich war diesen Sommer in New York. Es hat sich fast normal angefühlt, da der Sommer so schön war, jeder war draußen und hat versucht so normal wie möglich zu leben. Jetzt kommt der Herbst und keiner weiß, wie sich alles entwickeln wird.
Wie fühlt es sich für dich an, in diesen Zeiten ein Album zu veröffentlichen? Wir haben mit einigen Künstlern gesprochen, die das eher befremdlich finden, da aus ihrer Sicht die Menschen mit anderen Dingen beschäftigt sind und Musik zu banal ist. Oder eben das Gegenteil, dass es gerade jetzt wichtig ist, Ablenkung zu haben.
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen gerade jetzt sehr dankbar für Musik sind, die gerade neu erscheint. Sie kann als Ablenkung dienen oder einem im besten Fall etwas Spirituelles geben und tröstlich sein. Für mich funktioniert Musik manchmal wie gutes Essen, es tut gut und macht bereit für das was kommt. Ich finde es sehr schön, was Musik alles bewegen kann.
Ehrlich gesagt war ich sehr froh und dankbar, als ich gehört habe, du bringst eine neue Platte raus. Für mich bedeutet Musik eben genau das was du gerade beschrieben hast. Ich finde darin Trost und kann immer etwas Positives daraus ziehen. Mir hilft es ab und zu die Realität zu vergessen. Obwohl ich sagen muss, dein neues Album „Generations“ schubst einen ziemlich rein in die Realität.
(lacht) Oops.
Ich habe das Gefühl, es ist kein Album mit dem man sich mal kurz ablenkt. Man muss inhaltlich schon tiefer eintauchen und sich damit auseinandersetzen.
Ja das stimmt, es hat eine Dringlichkeit. Es schließt sich inhaltlich an die letzten vier, fünf Jahre an, die in vielen Aspekten sehr intensiv waren, vor allem hier in den USA. Es hat also in gewisser Hinsicht den gleichen Ursprung wie dieses verrückte Jahr.
Du warst schon ziemlich weit mit den Songs, bevor der Lockdown kam?
Für die Fertigstellung der Aufnahmen hatte ich mir den 09. März vorgenommen, ich dachte das ist das perfekte Datum. Dann kam direkt für New York einige Tage später der Lockdown und alles war dicht. Wir haben dann die nächsten sechs Wochen gemixt, ein Teil des Albums wurde in Montreal gemischt. Man musste sich währenddessen neu organisieren, die Schulen waren auf einmal geschlossen, man hat sich Gedanken gemacht, wie man den Eltern helfen kann oder anderen Menschen, die gerade Hilfe brauchen. Es hat sich plötzlich alles beängstigend angefühlt. Obwohl wir nur noch mixen mussten, wurde alles etwas komplizierter.
Die Songs hören sich an, als wären sie genau für die Zeit der Pandemie geschrieben, als wäre alles vorher schon in deinem Kopf gewesen. Sie passen perfekt in die Zeit.
Ja du hast Recht, als Covid alles um uns herum verändert hat, hatte ich das Gefühl, dass die Songs immer noch sehr gut passen. Die grundsätzlichen Probleme haben sich nicht geändert, im Gegenteil. Wir haben mit der Polizei-Krise und den damit verbunden Ausschreitungen zu kämpfen, es gibt immer noch die Flüchtlingskrise und viele andere Probleme. Die Pandemie hat niemand so erwartet, im Prinzip ist es einfach noch eine weitere sehr absurder Ebene, die sich über alles andere drüberlegt und zum Teil verstärkt.
Ich habe dich schon oft live gesehen, sowohl mit deiner Band Arcade Fire als auch solo. Du bist für mich ein totaler Live-Performer. Auch die neuen Songs hören sich so an, als wären sie prädestiniert um auf der Bühne gespielt zu werden. Wie geht es dir damit, jetzt nicht auftreten zu können?
Ich bin sehr traurig, dass ich diesen Herbst nicht touren kann. Ich hatte schon alles geplant und wollte eine US Tour im September und Oktober machen, genau vor den Wahlen. Die Tour wollte ich verbinden mit politisch motivierten Town Hall Meetings, zu denen ich lokale Politiker und Aktivisten einladen wollte um einen Diskurs zu führen. Es bedrückt mich wirklich, dass das nun nicht möglich ist, gerade in dieser wirklich verrückten Zeit. Ich würde gerne genau jetzt etwas Sinnvolles tun. Zumindest hätte ich mit Gesprächen zu wichtigen Themen in verschiedenen Städten ein bisschen zu einem Austausch beitragen können. Die Tour sehe ich wie einen Werkzeugkasten, der mich neben der Musik andere wichtige Dinge tun lässt. Das ist bitter, dass alles nun nicht stattfinden kann. Zudem wurden die Songs zum Großteil live geschrieben, wir haben daran gebastelt, wie sich alles auf der Bühne anhören soll. Ich habe die Auftritte bereits gebucht, bevor wir ins Studio gegangen sind.
Das ist wirklich sehr frustrierend. Wie versuchst du nun deine Stimme zu erheben für die Themen, die dir wichtig sind?
Ganz schwierig. Ich bin ja nicht so gut, wenn es um die Nutzung des Internets geht. Ich mache zwar einiges online, aber das liegt mir nicht so. Ich versuche mich also viel mit Freunden auszutauschen. Meine Frau ist auch sehr aktiv in unserer Community. Ich finde es sehr wichtig, dass man einen guten und intensiven Austausch mit Freunden und Familie hat.
Wenn man sich deine Songtexte anhört, scheinst du viele Fragen zu haben, aber die Antworten bleiben offen. Wahrscheinlich haben wir alle gerade keine Antwort auf die entscheidenden Fragen, gerade dann finde ich Austausch extrem wichtig, damit der Kopf nicht irgendwann explodiert.
Ja, ganz genau. Für mich ist Musik eine natürliche treibende Kraft und ein kreativer Akt. Für mich besteht Hoffnung in der Musik, die Drums geben mir zum Beispiel Hoffnung und Antrieb. Allerdings fühlen wir rational in unseren Köpfen nicht sehr viel Hoffnung und fühlen uns oft ratlos. Wir sind fast alle damit konfrontiert. Wir haben manchmal das Gefühl, als werden unsere Gedanken geröstet. Trotzdem besteht Hoffnung, Hoffnung in Freundschaften, in unseren Nachbarn, in der Familie.
So schön, dass du über Hoffnung sprichst, das wäre eigentlich meine letzte Frage gewesen. Was gibt die Hoffnung? Wir brauchen doch alle etwas Positives um nicht komplett verrückt zu werden.
Absolut. Man muss dankbar sein für alle um einen herum, denen es gut geht. Man muss sich immer wieder daran erinnern, dass wir im gleichen Boot sitzen, man steckt nicht alleine in dem ganzen Mist. Umgib dich mit den Personen, die auf deiner Wellenlänge sind und die dir ein gutes Gefühl geben.
Für mich ist es mittlerweile auch sehr wichtig, für die kleinen Dinge dankbar zu sein. Wir haben vorher so viel als selbstverständlich angesehen. Ich konnte mir beispielsweise niemals vorstellen, dass es keine Konzerte geben wird. Wenn ich manchmal Videos von Konzerten anschaue auf denen ich war habe ich das Gefühl, das war ein anderes Leben.
Ja da hast du absolut Recht. Ich hätte mir das auch niemals vorstellen können. Ich finde das auch nach wie vor sehr verstörend. Das wird uns auch noch alles ganz lange begleiten wie verrückt dieses Jahr war.
Wenn wir über Freunde und Familie reden: Du hast „Generations“ mit der gleichen Solo-Band aufgenommen wie „Policy“. Ist es dir wichtig eine gewisse Nähe zu den Menschen zu haben, mit denen du arbeitest?
Ja, meine Tour-Band besteht aus Sarah Dobbs unsere Nachbarin und Freundin in New York, eine ehemalige Broadway Künstlerin, mein Drummer Miles ist mit von der Partie, sowie Julie, die Schwester meiner Frau. Meine Frau ist musikalisch auch sehr begabt und hat einiges zu dem Album beigetragen. Wir haben miteinander eine gute Grundlage, da wir schon seit fünf Jahren zusammen Musik machen. Wir haben zusammen einen guten Instinkt entwickelt und spielen uns die Bälle zu. So etwas kann man schwer kreieren, wenn man sich nicht kennt. Daher tendiere ich dazu immer mit den Leuten zu arbeiten, mit denen ich vertraut bin.
Du kommst aus einer sehr musikalischen Familie. Dein Großvater Alvino Rey war Musiker, deine Mutter spielt Harfe, du bist mit deinem Bruder in einer Band. Spielt der Albumtitel „Generations“ auf dein musikalisches Erbe an?
Ja, sehr stark sogar. Der Großvater meiner Mutter war ein Mormone und Pionier, der Musiker war und seine Kinder auch dazu angeregt hat. Meine Großmutter ist sozusagen in eine Familien-Band hineingewachsen und hat dann Alvino Rey, auch einen Musiker, geheiratet. In unserer Familie gibt es also ein sehr großes musikalisches Erbe, was ein riesiges Privileg ist. Auf der anderen Seite erbt man aber auch unschöne Dinge, die einem zu dem machen, der man ist. In Amerika ist dieses Erbe sehr stark mit Rasse und Gender verknüpft. Ich glaube schon, dass wir dabei sind dieses Erbe zu überwinden, es wird aber noch viele Generationen dauern.
Über dieses Erbe hinweg zu kommen, wird noch schwieriger, wenn Trump erneut gewählt wird.
(tiefer Seufzer) Wenn das passiert, wird es ganz düster. Ich kann nicht voraussagen was passieren wird. Ich habe mein Gefühl verloren und kann die Lage nicht einschätzen. Wenn es passiert, ist es eine Katastrophe.
Damit wären wir wieder bei allen den Fragen, die du in deinen Songs zur Vergangenheit, dem Status Quo und der Zukunft stellst.
Ja, ganz genau (noch ein tiefer Seufzer).
Du hast einige Zeit in Kanada gelebt. Wünschst du dir manchmal, du wärst dortgeblieben?
Ehrlich gesagt habe ich das noch nie gedacht. Ich liebe Montreal, für mich eine der tollsten Städte der Welt. Ich habe dort auch immer noch Freunde und Familie. Allerdings bin ich durch und durch Amerikaner, damit muss ich klarkommen. Was hier passiert, sind meine Probleme. Ich bin US Bürger und Teil davon, auch um alles wieder in den Griff zu bekommen.
Hast du einen anderen Blick auf die Zukunft, seit du Vater bist? Du warst ja schon immer sehr politisch, aber hat sich da noch mal etwas geändert, seit du eine Familie hast?
Kinder zu haben hat meine Perspektive auf die Vergangenheit oder die Zukunft nicht speziell geändert. Ich denke jetzt nicht plötzlich ich muss dafür sorgen, dass meine Kinder in einer besseren Welt leben, aber ich habe einen anderen Blick auf die Menschheit bekommen. Ich habe eine andere Einstellung zur Natur, wo wir Menschen herkommen, warum die Menschheit grausam ist, warum sie gütig ist und all diese fundamentalen Dinge wie Liebe. Darüber habe ich in den letzten Jahren sehr viel gelernt. Ich spüre eine große Verantwortung, nicht so sehr die Welt zu verbessern, eher dass meine Kinder das notwendige Handwerkszeug von mir bekommen um sich zurecht zu finden.
Leider haben wir nicht mehr viel Zeit. Ich könnte mit dir noch ewig weiter sprechen. Ich wünsche dir für die Platte viel Erfolg. Ich schätze es sehr, dass du ein Album rausbringst, auch wenn deine Musik kein einfacher Zeitvertreib ist, man muss sich wirklich damit auseinandersetzen, obwohl es in Teilen so fröhlich klingt.
Ich danke dir. Das bedeutet mir viel. Danke das du mir das sagst.
Ehrlich gesagt muss ich auch über dein neues Video „Betlehem“ noch mal genauer nachdenken.
(lacht) Ich denke viel in Metaphern, daher dachte ich, dann kochen wir uns doch mal durch ein Video. Lasst uns einfach unsere Ängste und Sorgen in einem großen Essen verarbeiten.
Für mich wirkte es beim erst Anschauen wir ein Festessen, das inspiriert vom Klu Klux Klan ist. Ich war mir nicht sicher, ob das Video eher positive oder negative Gefühle in mir auslöst.
Oh wow, das war zwar nicht meine Absicht, aber das ist nicht die schlechteste Interpretation. Ich wollte auf jeden Fall etwas kreieren, das zugleich sehr schön aber auch verstörend ist. Ein bisschen wie eine Horror-Comedy. Ich wollte den Widerspruch, also liegst du genau richtig mit deinen Gefühlen.
Noch mal viel Glück und Erfolg für die Platte. Ich kann es kaum erwarten, bis wir alle wieder bei einem Konzert sind, zusammen in einem Raume singen und den Moment genießen.
Danke Dir. Vielen lieben Dank. Ja, lass uns das hoffen (seufzt) und ganz fest die Daumen dafür drücken.