Susann Rehlein „Lucy Schröders gesammelte Wahrheiten“
Lucy Schröder ist der Inbegriff der Antiheldin. Eine neurotische Nervensäge, eine Amelie der schlechten Laune, die zu allem Überfluss auch noch in die Zukunft gucken kann. Sie lebt zurückgezogen in der Wohnung ihres verstorbenen Vaters, bastelt Schneekugeln mit weisen Sprüchen und wird schließlich vom sozialpsychologischen Dienst dazu verdonnert, endlich wieder das Haus zu verlassen und Leute kennenzulernen. Dafür sucht sie sich ausgerechnet das marode Kaufhaus Schönstedt aus, und obwohl keiner so recht sagen kann, ob er die exzentrische junge Frau im rosa Tutu und zerrissenen Jeans überhaupt leiden kann, fängt sie an dort mächtig aufzuräumen und auf ihre ganz eigene Art etwas mehr Glück in das Leben der anderen zu bringen. Aber funktioniert das auch für sie selber? Die Liebe klopft schon mal an die Tür, jetzt muss Lucy nur noch lernen, damit adäquat umzugehen. Das auch noch!
Was inhaltlich nach gutem Material für locker flockige Chick Lit klingt, ist dank der recht eigenen und gleichzeitig stilsicheren Schreibe von Susann Rehlein zum Glück ein schräges literarisches Vergnügen geworden. Sie schafft es Lucys Geschichte kunstvoll zu erzählen und gleichzeitig die Bedürfnisse ihrer Heldin ernst zu nehmen. So verliert man als Leser nicht die Lust an dieser ungewöhnlichen Person und kann emotional an ihr andocken, denn eigentlich ist Lucy eine verlorene Seele, die einfach auf die ihr mögliche Art und Weise versucht ihren Weg zu finden.
„Lucy Schröders gesammelte Wahrheiten“ von Susann Rehlein ist im DuMont Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Kirsten Fuchs „Mädchenmeute“
Meine elf Jahre alte Tochter ist ein richtiger Bücherwurm und auch ich habe ein Faible für gute Jugendliteratur. Je mehr sie liest, desto anspruchsvoller wird sie und bildet sich eine ausgiebige Meinung darüber, ob ein Buch sie jetzt sowohl inhaltlich als auch stilistisch überzeugt hat. Und so passiert es immer häufiger, dass sie mir ein Buch auf den Nachttisch legt, das ich ihrer Meinung nach unbedingt gelesen haben sollte. So zum Beispiel geschehen im Fall von „Mädchenmeute“ von Kirsten Fuchs. Darin wird die 15jährige Charlotte von ihren Eltern in ein Survival Camp für Mädchen geschickt, das sich als äußerst seltsame Angelegenheit entpuppt. Die Betreuerin zeigt sich von keiner besonders verantwortungsbewussten Seite und verschwindet schließlich. Die Mädchen entscheiden, das Sommercamp auf ihre Art weiter zu führen und machen sich auf eigene Faust auf den Weg ins Erzgebirge, wo sie in einem alten Bergwerktunnel ihr eigenes Lager aufschlagen. Begleitet von einem Rudel Hunde und schon bald in der Gewissheit, dass sie im Wald nicht allein sind.
Ehrlich gesagt war ich ein bisschen beeindruckt, dass meine Tochter mit Kirsten Fuchs’ Erzähltempo so problemlos Schritt gehalten hat. Vor allem am Anfang schreitet die Erzählung so rasant voran, dass selbst ich ab und zu zurückblättern musste, um den Überblick zu bewahren. Eine große Stärke ist definitiv der Wortwitz, mit dem sie ihre Hauptfigur erzählen lässt und die sehr unterschiedlichen Charaktere der Mädels, die sie allesamt liebevoll und schlüssig zeichnet. Ordentlich Spannung lässt sie auch aufkommen, manchmal war meine Tochter fast ein wenig überfordert und hat das Buch kurz zur Seite gelegt (und das obwohl sie alle drei Teile von „Die Tribute von Panem“ gelesen hat) und der Schluss hat sie auch ein wenig frustriert, was ich, mit ihren Augen gesehen, auch gut nachvollziehen kann. Toll aber ist, dass Kirsten Fuchs mit „Mädchenmeute“ beweist, wie originell Jugendliteratur sein kann und dass sie jedem der Mädchencharaktere Raum gibt, ihre eigenen Stärken und Schwächen zu entwickeln. Dass es in dem Alter nicht nur um Coolness, reine Haut und die letzten News auf dem Smartphone gehen kann ist ein weiterer Pluspunkt. Zielgruppenmäßig ist meine Tochter mit ihren elf Jahren wahrscheinlich eher am unteren Rand, aber sie hat es schnell und begeistert durchgelesen. Ich habe bei der Lektüre auch viel Spaß gehabt. Perfekt, wenn Bücher derart altersübergreifend funktionieren.
„Mädchenmeute“ von Kirsten Fuchs ist im Rowohlt Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Einar Már Gudmundsson „Isländische Könige“
In Island einen Nachnamen zu haben, ist für sich schon eine exzentrische Sache. Einar Már Gudmundsson lässt in seinem neuen Roman eine Familie auflaufen, in der allesamt auf den Namen Knudsen hören und die das isländische Küstendorf Tangavik mengenmäßig dominiert. Fast jeder ist hier ein Knudsen oder mit einem Knudsen verheiratet, und jeder Knudsen ist entweder in der Partei oder irgendwie ein König oder gerne auch mal beides. Manche Knudsens verirren sich auch mal nach Reykjavik oder gleich ins Ausland aber irgendwie kommen sie alle wieder zurück. Und jeder lebt auf seine eigene Art ein mit skurrilen Verwicklungen und Erlebnissen erfülltes Leben.
Es ist tatsächlich ein bisschen schwierig, in diesem regen Knudsen-Reigen den Überblick zu bewahren. Isländische Namen sind ja schon eine komplizierte Sache für sich und im ersten Drittel des Romans wirft Einar Már Gudmundsson nur so mit ihnen um sich. Aber auch später scheut er sich nicht, immer wieder neue Figuren einzuführen oder solche wieder aufzunehmen, die sich für mehrere Seiten verabschiedet hatten. Es ist deshalb keine wirklich leichte Lektüre und die Hoffnung, dass man auf die Dauer sich mehr in dieses Familienuniversum einfindet, geht leider auch nicht auf. Immer wieder streut er schön schräg-ironische Episoden ein, wenn es zum Beispiel um einen schauspielernden Widder geht, der zusätzlich ein Alkoholproblem hat. Oder wenn einer seiner Haupthelden, Arnfinnur Knudsen, beinah die örtliche Schule in die Luft jagt. Aber so richtig zünden will die Geschichte nicht. In dem familiären Wirrwarr gehen leider auch die spannenden geschichtlichen Hintergründe, wie zum Beispiel die isländische Wirtschaftskrise unter. Am Ende ist man eher angestrengt als unterhalten, aber zum Glück sorgt der typisch nordische, trockene Humor für gelegentliche Schmunzler.
„Isländische Könige“ von Einar Már Gudmundsson ist im btb Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Paulo Coelho „Die Spionin“
Einer der erfolgreichsten Beststeller Autoren unserer Gegenwart nimmt sich einer der geheimnisvollsten Figuren der jüngeren Geschichte an. Klingt nach einem Perfect Match. Paulo Coelho widmet sich dem Leben der Margaretha Zelle, besser bekannt als Mata Hari, einer erotischen Tänzerin, die zur Zeit des ersten Weltkrieges als mutmaßliche Spionin zwischen die Fronten geriet und am Ende hingerichtet wurde. Obwohl Coelho für seine Recherche bis dato unzugängliche Informationen zugrunde lagen, erhebt seine Erzählung nicht den Anspruch einer Biografie, was auch völlig in Ordnung ist. Er schlüpft sogar selbst als Erzähler in die Rolle der Mata Hari, was ihm auch recht glaubwürdig gelingt, den Ton der damaligen Zeit trifft er gut. Auch dass er sich nicht auf die detailgetreue Wiedergabe von Fakten konzentriert sondern versucht, einen Blick in die Gefühlswelt der Mata Hari zu öffnen, ist ein spannender Ansatz. Nur leider geht dieser nicht so wirklich auf, denn vor allem letzteres gelingt eher wenig. Es fällt einem schwer, eine emotionale Verbindung zu Coelhos Mata Hari herzustellen. Weder wird ihre Motivation, ihr bürgerliches Leben, Mann und Kind zu verlassen und in Paris Karriere als erotische Tänzerin zu machen besonders nachvollziehbar, noch ihre Not bezüglich ihrer wahrscheinlich bevorstehenden Hinrichtung spürbar. Es wird insgesamt einfach nicht so ganz klar, was genau Paulo Coelho an diesem Thema so interessiert hat, dass er sich ihm annehmen wolte. Seine Erzählung bleibt oberflächlich, geht wenig ins Detail und damit wenig in die Tiefe und ist nach nicht einmal 200 Seiten auch überraschend schnell vorbei, ohne einem maßgeblichen Spannungsbogen gefolgt zu sein.
„Die Spionin“ von Paulo Coelho ist im Diogenes Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Gelesen von: Gabi Rudolph