Gitarre, Gesang, ab und an Mundharmonika. Mehr braucht es nicht für ein liebliches Folkpop-Debüt. ‚Hilfe, nicht schon wieder‘ wird sich manch einer beim Erstling von Grey Reverend denken. Doch anders als beim Waldhütten-Indiefolk von Bon Iver gibt es hier keine lustigen Autotune-Spielereien oder synthethischen Falsett-Folk, sondern einen beruhigenden Soundtrack für das Ende einer hektischen und stressigen Woche.
Grey Reverend oder Bon Iver?
Singer-Songwriter ist ein Genre. Was für eines eigentlich? Quintessenz musikalische Botschaften oder konzentriertes Mitteilungsbedürfnis. Denkt man an die Götter des Folk-Olymps wie Neil Young, Bob Daylan oder Frank Zappa handelt es sich um einen Mann, seine Gitarre, sein Lied, sein Botschaft. Platte aufgelegt, angemacht und aufgepasst!
Doch dieser Definition entspricht Grey Reverend nicht unbedingt. Im Gegensatz zu der Vielzahl junger Männer ohne Begleitung, die von melancholischem Herzschmerz, der urbanen oder ruralen Verwirrung berichten und von der Suche und Verwirklichung des Ichs träumen, geht dieser amerikanische Künstler seinen ureigenen Weg und überlebt dabei ein Minenfeld voller Klischees.
So auch Bon Iver, der mir als der lustige Autotune-Onkel auf Kanye West’s Opus Magnum „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ auffiel. Allerdings scheint dessen Folk-Verständins mehr in die Gefilde des Engländers James Blake zu passen als in das eines Woody Guthrie. Ganz anders der Iver! Der untermalt und würzt seinen Folk ja mit Streichern und Bläsern, wenn die Akustik-Gitarre zu fade ist. Das ist auf jeden Fall meilenweit entfernt von irgendwelcher Lagerfeuerromantik oder verborgenen Waldhütten. Eine Großartigkeit aus klaren Arrangements und musikalischer Gewitztheit. Und auch der Autotune-Effekt kommt noch immer gelegentlich zum Einsatz. Das Tonhöhenkorrekturprogramm eilt dann zu Hilfe, wenn die Kopfstimme nicht mehr ausreicht.
Doch Obacht liebe Folk-Hipster, denn hier trifft nicht nur Ausdrucksfülle und Eindringlichkeit amerikanischer Folktradition aufeinander, sondern auch ein ordentliche Portion formaler Distanz. „Ich finde keine Inspiration mehr, wenn ich mich einfach an die Gitarre setzte“, gesteht Justin Vernon, Hauptprotagonist Bon Ivers. Nicht nur kompositorisch entfaltet sich dieser neue Ansatz, sondern auch stimmlich. Vom Falsett, das sich zu Chorälen aufschwingt bis hin zum unbeugsamen Männerbass. Ein Soundgewitter. Bon Iver schwillt in seiner Platte an.
Gänzlich anders verhält es sich da beim Debüt „Of The Days“ von Grey Reverend. 180-Grad-Drehung quasi. 2006 verschlug es den jungen Komponisten nach New York. Mehr als vier Jahre sind seitdem vergangen. Das musikalische Schaffen hat sich intensiviert und ausgezahlt, so ist Grey Reverend Mitglied der Band The Cinematic Orchestra – bekannt für ihren Anspruch Kopfkino durch Musik zu erzeugen. L.D. Brown, der bürgerliche Name des Predigers, löst sich in seiner Platte auf, wird fahriger, dünner, gebrechlicher. Das mag an der quakigen, zeitweise fast brechenden Stimme des Reverends liegen, die von Lied zu Lied an Stärke einbüßt. Doch in dieser zerbrechlichen Feingliedrigkeit findet sich eine spürbare Kraft. Das liegt zum einen am rohen und ehrlichen Gestus als auch am Talent, Worten Nachdruck einzuhauchen. Substanz im Nebel. Einnehmende und beruhigende Geschichten des Lebens.
Vielleicht sind es gerade diese lakonischen und gewitzten Anspielung an den Hillbilly-Country oder das gelegentliche Erscheinen einer Lagerfeuermundharmonika. Gepaart mit lockerem, beschwingtem, dann wieder wie Regentropfen prasselndem Gitarrenspiel. Wahrscheinlich ist es diese Leichtigkeit, die so vielen in diesem Genre abgeht. „Oh, and it’s kinda mellow, and depressing at times. Which is cool, right?“ verriet der Wahl-New Yorker augenzwinkernd über sein Album.
Mit dem selbstbetitelten Album Bon Iver feilt das amerikanischen Quartett um Schrittmacher Vernon hingegen an der schieren Veredelung des perfekten Klangs. Da verpassen ab und an leider die Songtexte den Anschluss. Die sind dann teilweise bis zur baren Geisterhaftigkeit nebulös verschlüsselt. Zugang zur Sinnebene, exklusiv. Wundervoll jedoch die Versuche, Songs aus der Form fallen zu lassen, gezielt zu übersteuern, zu sticheln und dabei poppig genug, um den Flanellhemd-Hipster nicht zu verschrecken.
Wie auch Justin Vernon ist L.D. Brown eben nicht cool, aber ebenso wenig uncool. Das trifft nicht auf alle Singer-Songwriter-Kollegen zu. Die beiden Amerikaner vermögen es, diesem alten und ausgelutschten, oftmals dröge wirkendem Genre neues Leben einzuhauchen. Wo Bon Iver dem Folk eine Indie-Hipster Neuinszenierung verpasst, da ringt Grey Reverend einer alten Tradition Neues ab, ohne sie groß zu verdrehen. Einen klaren Gewinner kann, will man hier gar nicht ermitteln. Beide überzeugen auf ihre Weise. Wer bei wem, wie immer eine Frage des Geschmacks.
Besprochen von: Sebastian Schelly.
„Of The Days” von Grey Reverend ist erschienen bei Motion Audio/Ninja Tune.
„Bon Iver“ von Bon Iver ist erschienen bei Jagjaguwar.