Vom Buch zum Film: „Sieben Minuten nach Mitternacht“

Patrick Ness’ Jugendroman „Sieben Minuten nach Mitternacht“ zu verfilmen, dürfte kein leichtes Unterfangen gewesen sein. Natürlich ist der Stoff extrem dankbar und wartet auch direkt beim Lesen mit einer filmischen Struktur auf, aber es ist eine echte Herausforderung, den Tenor der Vorlage zu treffen, diesen meisterhaften Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Phantasie. Der spanische Regisseur Juan Antonio Bayona, der „Sieben Minuten nach Mitternacht“ für die Leinwand bearbeitet hat, ist ein Visionär mit einem starken Gefühl für Optik. Dass es ihm gelingen dürfte, die fantasievolle Bildsprache der Romanvorlage umzusetzen, kann man sich gut vorstellen. Mit dem Drama „The Impossible“ bewies er jedoch, dass er auch mit emotionaler Tiefe umgehen kann. Er erweist sich als die richtige Wahl – Bayona und Ness sind ein perfektes Team.
„Sieben Minuten nach Mitternacht“ erzählt die Geschichte des Jungen Conor, dem eines Nachts, genau sieben Minuten nach Mitternacht, ein Monster erscheint. Es entsteht aus dem Baum vor Conors Fenster und verkündet, es würde Conor drei Geschichten erzählen, bevor Conor ihm die vierte und letzte erzählen wird. Conor hat keine Angst, er hat aber auch keine Lust auf Geschichten. Was er braucht sind Antworten auf Fragen. Denn alles ist so komisch geworden, seit seine Mutter krank ist. Die Therapien schlagen immer schlechter an, sie verbringt mehr und mehr Zeit im Krankenhaus. Darüber, was genau mit ihr passiert, spricht niemand so recht mit Conor, weder seine strenge Großmutter, die Conor gegen seinen Willen mit zu sich nimmt, noch sein Vater, der inzwischen mit neuer Frau und Baby in Amerika lebt, plötzlich aber zu Besuch kommt. In der Schule wird er von einer Gruppe Jungs regelmäßig drangsaliert, von den Lehrern aber ungewohnt in Ruhe gelassen. Nachts hat Conor immer wieder den gleichen Alptraum: seine Mutter stürzt in einen Abgrund und Conor versucht sie festzuhalten, zu verhindern, dass sie in die Tiefe gerissen wird. Was das alles zu bedeuten hat, würde Conor gerne wissen, keine albernen Geschichten hören.
Und dann sind es auch noch sehr seltsame Geschichten, die das Monster erzählt. Sie kommen daher wie Märchen, haben aber nie eine zufrieden stellende Auflösung. Niemand ist darin je nur der Gute oder der Böse, Recht und Unrecht vermischen sich auf verwirrende Weise. Was soll man daraus lernen? Kann das Monster nicht einfach helfen, Conors Mutter wieder gesund zu machen?
Patrick Ness’ behandelt in seinem Roman die ganz großen Themen: Wut, Trauer, Hilflosigkeit und zuletzt und am allerwichtigsten, die Kraft loszulassen. Das alles tut er intensiv und zurückhaltend zugleich, seine Erzählung ist voller Klarheit und leiser Poesie. Ihr zugrunde liegt eine Geschichte der Schriftstellerin Siobhan Dowd, die selbst an Krebs starb, bevor sie ihr Werk vollenden konnte. Ness bekam von seinem Verlag das Angebot unterbreitet, die Geschichte fertig zu erzählen und hat damals lang überlegt, ob er diese Herausforderung annehmen soll. Er hat es mit viel Liebe getan und, zusammen mit den Illustrationen von Jim Kay ein Kunstwerk erschaffen, das Bayona nun kongenial für die Leinwand weiter entwickelt hat. Er bleibt dabei weitestgehend sehr nah an die Vorlage. Patrick Ness selbst schrieb das Drehbuch und arbeitete mit Bayona eng an der Umsetzung zusammen, was man deutlich spürt. Selten hat eine Verfilmung so intensiv den Geist ihrer Vorlage geatmet. Selbst die Illustrationen finden einen organischen Weg in den Film, indem Conor als leidenschaftlicher Zeichner dargestellt wird und wir ihm dabei zusehen, wie die Bilder aus seiner Hand entstehen.
Die visuellen Effekte, die in den Erzählungen des Monsters zum Einsatz kommen, sind wunderschön und perfekt eingesetzt, ohne je überladen zu wirken. Auch die Besetzung mit Sigourney Weaver als Großmutter, Felicity Jones („Rogue One- A Star Wars Story“) als Mutter, dem überaus talentierten Lewis MacDougall als Conor und nicht zuletzt Liam Neeson als knorriges Monster beweist sich als absoluter Glücksgriff. Es ist eine todtraurige Geschichte mit einem tränenreichen Schluss, sie tut unsagbar weh und ist tröstlich zugleich. Zum Glück beherrscht auch die Verfilmung die Gratwanderung, nicht mehr auf die Tränendrüse zu drücken als nötig. Es hätte auch wesentlich schwülstiger werden können. Aber da hat sich offensichtlich ein Team gefunden, das im richtigen Geist zusammen gearbeitet hat.

„Sieben Minuten nach Mitternacht“ startet am 04.05.2017 in den deutschen Kinos. Die Romanvorlage von Patrick Ness ist bei cbj erschienen und kann hier käuflich erworben werden.

Gesehen und gelesen von: Gabi Rudolph