Unerschütterlich geschmackvoll: „Bleachers“, das neue Album von Bleachers

Jack Antonoff ist als Produzent in der Musikbranche allgegenwärtig. Er dominiert die Grammys, die besten Acts der Popmusik hängen an seinem metaphorischen und oft auch buchstäblichen Arm:  Taylor SwiftLana Del ReyThe 1975LordeSt Vincent– er ist ein viel beschäftigter Mann. Und doch hat er quasi nebenbei die Zeit gefunden, in zehn Jahren drei Alben als Bleachers zu veröffentlichen, mit denen er sowohl im Scheinwerferlicht als auch hinter den Kulissen auf der Jagd nach kritischer und kommerzieller Anerkennung ist. Bleachers sind eine seltsame Band, eine, deren Alben stets nur Antonoffs Bild auf dem Cover zeigt. Eine Band, die auch als Begleitband für die meisten von Antonoffs Künstlern fungiert. Wer sind Bleachers wirklich, und wer ist Jack Antonoff? Das vierte, selbstbetitelte Album offenbart ungewollt die Widersprüche, die das künstlerische Konzept der Band durchweben. Was man weiß ist, dass ihnen der Mainstream-Erfolg und die Anerkennung der Kritiker bisher weitgehend versagt geblieben sind. Es hängt also viel von „Bleachers“ ab, ihrem ersten Album für das Label Dirty Hit, und es wird in der Branche sicher für viel Aufsehen sorgen, als ob es der Heilige Gral von Antonoffs Geheimnissen sein könnte. 

Antonoff beschreibt „Bleachers“ als einen Prozess, bei dem es darum geht, „sich selbst und die Menschen um einen herum zu schockieren“. Man fragt sich, ob er ein anderes Album beschreibt; schockierend ist das Letzte, was dieses Album ist. Eine großzügigere Beschreibung des Antonoff-Sounds wäre „unerschütterlich geschmackvoll“. Andernorts wurde sein Ansatz weniger freundlich als das Abrasieren der schrulligen und einzigartigen Merkmale seiner Künstler*innen beschrieben, um sie in mehr oder weniger homogene Formen zu bringen. Wie fast alle Kreativen, die einen kommerziellen Massenerfolg erzielt haben, ist Antonoff als Produzent nicht risikofreudig. Das kam einigen Künstler*innen zugute, mit denen er zusammenarbeitete, zum Beispiel den experimentierfreudigen und exzessiven The 1975 auf ihrem letzten Studioalbum „Being Funny In A Foreign Language“. Als Künstler selbst ist diese Eigenschaft jedoch Antonoffs Verhängnis. Während jeder Song hier angenehm klingt – das Album ist weit davon entfernt, unhörbar zu sein -, klingt nichts unverwechselbar oder lebendig oder so, als ob es nicht von jemand anderem besser hätte gemacht werden können (und sehr wahrscheinlich auch wurde).

Antonoff hat schon immer in Nostalgie geschwelgt und den New-Jersey-Sound der 80er romantisiert. Damit ist er nicht allein, aber während Künstler*innen, die er produziert hat, diesen Sound genommen und neu erfunden haben, um neue oder vernachlässigte Perspektiven zu beleuchten – wie die Perspektive der Millennial-Frau (Swift) oder die Entfremdung im Zeitalter der Online-Kommunikation (The 1975) – kann Antonoff scheinbar nur imitieren. Der Opener „I Am Right on Time“, der wie so viele von Antonoffs eigenen Kompositionen stark an Bruce Springsteen angelehnt ist, gibt sich als Absichtserklärung aus, fällt aber flach, ist oberflächlich und seicht. Die Leadsingle „Modern Girl“ ist eine weitere lärmende und hohle Springsteen-Imitation, mit dröhnendem Saxophon, „woooahhhhh“s und oberflächlichen Texten über „the modern girls shaking their ass tonight“, die schnell irritieren wie jemand, der in einem Restaurant zu laut spricht. Es lässt einen kurz aufhorchen mit den unerwartet selbstbewussten Zeilen „New Jersey’s finest New Yorker/Unreliable reporter/Pop music hoarder/Some guy playing quarters“, eine Anspielung auf die wachsende Zahl von Antonoff-Kritikern. Antonoff ist normalerweise nicht für diese Art von lyrischer Introspektion bekannt, und das ist auch gut so. Aber selbst wenn er nach innen schaut, imitiert er immer noch. Hier klingt er ein bisschen zu sehr wie Matty Healy auf „Part of the Band“ von The 1975, das Antonoff produziert hat.

Mit Fortschreiten des Albums nimmt auch die Gleichförmigkeit zu. Wo Bleachers nicht wie Springsteen klingen, klingen sie wie Swift („Me Before You“) oder Paul Simon, eine weitere in New Jersey geborene Größe, die Antonoff verehrt („Woke Up Today“, „Hey Joe“), oder The 1975 („Call Me After Midnight“, dessen Synthie-Melodie und -Text unweigerlich an ihre überragende 2016er Single „The Sound“ erinnern), oder Müllhalden-Indie-College-Radio („Jesus is Dead“). Oder sogar, wie bei der zweiten Single „Tiny Moves“, deren unwiderstehlich eingängige Melodie mit ihren sich wiederholenden Stakkato-Synthies unheimlich an den gefeierten Gen Z-Indie-Künstler  Dayglow erinnert. 

Einiges davon wäre vielleicht verzeihlicher, wenn Antonoff die Kraft seiner eigenen Persönlichkeit und Perspektive in seine Texte einbringen würde, wie es vor allem Swift vormacht. Aber im Allgemeinen fischt er entweder im Banalen und sogar Unreifen, wie in dem ansonsten klanglich angenehmen, hymnischen Barock-Pop „Self Respect“ („I’m so tired of having self-respect. Let’s do something I’ll regret“), oder er drückt sich so undurchsichtig aus, dass es unmöglich ist, eine Verbindung zu den Ideen oder Gefühlen herzustellen, die er zu vermitteln versucht.

Es ist bezeichnend, dass der Höhepunkt des Albums das ruhig-schöne Lana Del Rey-Duett „Alma Mater“ ist. Zugegeben, das liegt vor allem an Del Reys hypnotischer Stimme. Aber einige der ehrgeizigsten Momente des Albums sind hier zu finden, von Antonoffs hohen Gesangseffekten, bis hin zur verwaschenen und verzerrten Produktion. Auch als Sänger klingt er hier selbstbewusster als sonst, und es ist ein Hinweis darauf, was dieses Album hätte werden können, wenn Antonoff bereit gewesen wäre, mehr Risiken mit seinem Sound einzugehen. Letztendlich hinterlässt „Bleachers“ als Album den Eindruck eines Künstlers, der gleichzeitig überall und nirgends ist, der uns sagt, dass er uns nah an sich heranzieht, sich aber allem Anschein nach viel lieber hinter anderen versteckt. Sei es, dass er sich mit seiner Band umgibt oder mit anderen im Duett spielt oder die Größen der Vergangenheit kopiert, anstatt innovativ zu sein. „Ich mag es nicht, beobachtet zu werde“, hat Antonoff gesagt. „Ich mag es, Teil von etwas zu sein.“ 

Er glaubt, dass dies das Geheimnis von Springsteens und Simons Erfolg ist, aber er scheint nicht zu begreifen, dass die Verbindung, die jene und die Künstler*innen, mit denen Antonoff gearbeitet hat, erreichen, mit dem beginnt, was sie von sich selbst geben. Wie Steve Gadd sagte: „Die Leute interessieren sich nicht für Musik, sie interessieren sich für Menschen“. Wenn man sich nicht bereits in den Künstler Jack Antonoff vertieft hat, wird dieses Album nichts daran ändern. Es ist ein Album, das sich damit begnügt, im Hintergrund gespielt zu werden, anstatt ungeteilte Aufmerksamkeit und das ganze Herz zu fordern, wie es die besten Platten tun. Es ist zweifellos nicht der Eindruck, den Antonoff von sich vermitteln möchte, aber wahrscheinlich ein ziemlich zutreffender.

„Bleachers“ von Bleachers erscheint am 8. März 2024.

Der Artikel wurde ins Deutsche übersetzt, das englische Original gibt es hier.

https://www.bleachersmusic.com