Die französische Regisseurin Julia Ducournau sorgte für viel Aufsehen, als sie für ihren zweiten Film „Titane“ im diesjährigen Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Nicht nur ist sie nach Jane Campion erst die zweite Frau, die die Goldene Palme mit nach Hause nehmen durfte und die erste Frau überhaupt, die diesen renommiertesten aller Filmpreise nicht mit einem Co-Preisträger teilen muss. Auch entschied sich die Jury offensichtlich dafür, den wildesten Film des Festivals zu küren, ein zutiefst polarisierendes Werk, das alle Konventionen hinsichtlich Genre, Storytelling und Geschlechtsidentität rigoros auf den Kopf stellt. Es wurde sogar gemunkelt, dass die Entscheidung der Jury, „Titane“ in der Königsdisziplin für den besten Film auszuzeichnen, eine direkte Reaktion auf die immer noch sehr männlich und konventionell geprägte Ausrichtung des Festivals zu verstehen war.
Am 7. Oktober 2021 startet „Titane“ bundesweit in den deutschen Kinos. Die Handlung lässt sich, wenn überhaupt, am besten wie folgt zusammen fassen: eine Serienmörderin (Agathe Rousselle), die sich körperlich zu Fahrzeugen hin gezogen fühlt, nimmt auf der Flucht vor der Polizei die Identität des verlorenen Sohnes eines Feuerwehrmannes (Vincent Lindon) an. Wer Julia Ducournaus Debütfilm „Raw“ gesehen hat (in dem eine Studentin im wahrsten Sinne des Wortes der Fleischeslust verfällt), wird ahnen können, dass es auch in der visuellen Umsetzung nicht zimperlich zugehen wird. Bei den Dreharbeiten herrschte jedoch ein weniger harter Wind, als man vermuten würde: aufgrund der emotional und körperlich sehr herausfordernden Bedingungen, was sowohl Inhalt als auch visuelle Umsetzung anging, räumte sie ihrer Hauptdarstellerin das Recht ein, die Dreharbeiten jederzeit zu beenden, wenn sie sich unwohl fühlen sollte. Damit ist Ducournaus Arbeitsweise in einer immer noch von Männern dominierten Branche, in der das Leid von Darsteller*in und Figur gerne auf dieselbe Stufe gestellt wird, mindestens so radikal wie ihr künstlerischer Ansatz.