Tove Styrke im Interview: „Ist ein Geräusch wirklich da, wenn niemand es hört?“

Was für ein seltsames Jahr 2021 schon wieder war. Das findet auch Tove Styrke, die mich, top gestylt über Zoom in ihren eigenen vier Wänden in Stockholm zum Gespräch empfängt. Seltsam, aber nicht umsonst, da sind wir uns einig. Nachdem sie zuletzt ihre neue Single „Start Walking“ nebst großartigem Video veröffentlicht hat, hat sie nun eine ganze Reihe von Songs fürs nächste Jahr im Gepäck. Auf nach 2022 also! Vorher aber noch ein kurzer Blick zurück, auf ein Jahr, das viel Zeit zum Sortieren und Orientieren gelassen hat und, Meditation sei Dank, auch neue Erkenntnisse gebracht hat.

Für die ruhige Jahreszeit hat Tove Styrke übrigens jüngst eine Akustik-Version von „Start Walking“ veröffentlicht. Ab auf die Feiertags-Playlist damit!

Schön dich zu sehen, Tove! Du siehst fantastisch aus. Wie geht es dir?

Oh, vielen Dank! Ich bin ein bisschen erkältet, und ich habe herausgefunden, dass man sich besser fühlt, wenn man sich ein bisschen herrichtet (lacht). Ich bin in Stockholm, es ist verdammt kalt. Dieser Winter ist so kalt, es ist wirklich eisig. Es fühlt sich an, als würde es ein harter Winter werden. Ich mache jetzt noch die letzten Sachen, bevor alle in den Weihnachtsferien verschwinden und versuche, all die neuen Songs fertig zu kriegen, damit ich bereit bin fürs neue Jahr. 

Diese Corona-Winter machen mich fertig. Ich möchte am liebsten in Winterschlaf gehen.

Ich fühle mich in dieser Zeit wie eine halbflüssige Masse, ich fließe mehr vor mich hin als dass ich mich bewege. Winterschlaf ist eine sehr gute Idee. In Schweden ist die Corona-Situation noch in Ordnung, wir haben keine allzu schlimmen Einschränkungen. Ich hoffe sehr, dass es nicht so wird wie letztes Jahr. Es ist schön, dass man Leute treffen und miteinander arbeiten kann, das ist viel effektiver. Ich meine, nichts gegen einen guten Zoom (lacht). Mit Leuten von meinem eigenen Schlafzimmer aus arbeiten – ich liebe das! Für jemanden wie ich, die sozial manchmal ein wenig unbeholfen ist, ist es perfekt. Aber in ein Studio zu gehen und gemeinsam an einer Sache zu arbeiten, ist einfach so viel effektiver. Ich hoffe sehr, dass es nicht mehr so wird. Aber lass uns nicht zu viel über Corona reden. Es ist so deprimierend. 

Ja, lass uns über die positiven Dinge reden, die dieses Jahr passiert sind. Dein Video zu „Start Walking“- das ist wirklich einer meiner liebsten Clips des Jahres.

Ohhhh! Vielen Dank!

Und dazu diese Hintergrundgeschichte, dass dein Vater in den siebziger Jahren tatsächlich in so einer Dansband gespielt hat. Einfach großartig. 

Vielen, vielen Dank. Es hat so viel Spaß gemacht, dieses Video zu drehen. Das ganze Projekt liegt mir wahnsinnig am Herzen. Wie du sagst, mein Vater hat in einer Dansband gespielt und ich habe ihn lange interviewt, um all die Details von ihm zu bekommen. Mit was für einem Bus seid ihr damals getourt, als Band, die nicht richtig groß ist? An welchen Orten habt ihr gespielt? Was habt ihr gegessen? (lacht) Ich habe ihn so viel gefragt. Wenn du tief in etwas eintauchst, das so ein privater Teil deines Lebens ist, das macht einem auch ein bisschen Angst. Am Ende muss nicht nur ich mit dem Ergebnis zufrieden sein, meinem Vater muss ich schließlich auch gerecht werden. 

Aber es ist auch eine schöne Art sich zu verbinden, oder? Wenn man älter wird, redet man ja unter Umständen nicht mehr so intensiv mit seinen Eltern. Er hat das doch bestimmt auch sehr genossen.

Ja, auf jeden Fall. Es war interessant. Vor allem, wenn man unser beider Erlebnisse im Musikbusiness miteinander vergleicht. In Schweden auf Tour zu sein, wir haben es beide erlebt, aber zu unterschiedlichen Zeiten und auf sehr unterschiedliche Weise. Alles was ich tue, hat er auch schon getan, aber ganz anders. Diese Gespräche haben eine sehr schöne Verbindung zwischen uns geschaffen.

Und was sagt er über das Ergebnis?

Es gefällt ihm wirklich gut. Jemand Außenstehendes würde vielleicht sagen: er ist dein Vater, natürlich gefällt es ihm. Aber mein Vater ist mein härtester Kritiker. Wenn ihm etwas nicht gefällt, dann sagt er es. Zu meinem letzten Album hat er sehr lange einfach gar nichts gesagt. Bis er irgendwann meinte: ist das so beabsichtigt, dass alle Songs so ziemlich das gleiche Tempo haben? (lacht) Die Musik, die ich mache ist so weit weg von dem, was ihm normalerweise gefällt. Ich bin schon froh, dass er sich die Zeit nimmt sie sich anzuhören und sich Gedanken darüber macht. Es ist ihm nicht egal. Aber er ist nicht die Art von Vater, der einem ständig zujubelt. Ich war wirklich sehr nervös was er sagen würde und habe so sehr gehofft, dass es ihm gefällt. Er liebt es, zum Glück, und das macht mich sehr glücklich.

Wie war das Jahr insgesamt für dich? Du hast gerade schon erwähnt, dass du dabei bist, Songs fertig zu stellen.

2021 war definitiv ein Jahr, in dem ich Zeit hatte mich zu sammeln. 2020 war einfach nur Chaos. Alles war durcheinander und neben der Spur. Ich will nicht sagen falsch, aber auf jeden Fall seltsam. Als es vorbei war wusste ich, ich muss dieses Jahr nutzen, um mich wieder zu sammeln. Es war ein Jahr der Vorbereitung. Ich habe hier und da Songs veröffentlicht, geguckt wie sich das anfühlt, langsam, Schritt für Schritt. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich langsam wieder weiß, wer ich bin und wo ich stehe. Ich freue mich wirklich auf nächstes Jahr und darauf, alles zu veröffentlichen, was ich geschaffen habe. Die Vision, was damit passieren soll, ist sehr viel klarer geworden. 

Ich finde es wirklich interessant. Es ist eine schwierige Zeit, aber ich habe es des öfteren von Musiker*innen gehört, dass sie auch endlich einmal durchatmen und sich auf sich selbst konzentrieren konnten.

Definitiv. Mir ist dieses Jahr klar geworden, dass sich in Krisen offenbart, wie wir als Menschen funktionieren. Und es ist eine bemerkenswerte Fähigkeit des Menschen, dass wir uns so schnell anpassen können. In dieser seltsamen Zeit habe ich realisiert, dass wir natürlich immer Ambitionen haben und Dinge erreichen wollen, aber dass es auch Vieles gibt, das ich gar nicht wirklich brauche. All diese extra Sachen, all das Bling, ich brauche das nicht, um mich als Person zufrieden und glücklich zu fühlen. Das beruhigt mich wirklich. Als Corona anfing, konnte ich von einem Tag auf den anderen nicht mehr arbeiten und nicht mehr touren. Das war, als hätte mir jemand den Teppich unter den Füßen weggezogen. Und dann ist mir ganz schnell klar geworden: ich habe mein Leben, ich habe meine Gesundheit, ich habe Menschen in meinem Leben, die mir etwas bedeuten. Und es gibt immer noch Dinge, die ich tun kann. Klar wäre es ein großer Spaß, aber ich muss nicht zwingend ein Superstar sein und die Welt erobern, um glücklich zu sein. Ich bin traurig, wenn ich nicht touren kann, weil ich es liebe auf Tour zu sein, aber ich kann mich auch anpassen, wenn es gerade nicht möglich ist. Ich glaube, viele von uns haben sehr viel in dieser Zeit gelernt. Es war hart, aber auch eine wichtige Lektion für uns alle. 

Und sehr erhellend, oder? Ich finde, es offenbart sich sehr viel in dieser Zeit, über einen selbst und über die Menschen um einen herum.

Definitiv. Ich habe zum Beispiel endgültig gelernt, dass künstlerische Integrität mir immer wichtiger sein wird als kommerzieller Erfolg. Wenn ich etwas mache und nicht viele Leute hören oder sehen es, ich aber weiß, dass ich es genauso machen wollte und dass ich damit zufrieden bin, dann ist das so, und dann ist es auch nicht schlimm. Es ist definitiv ein Bonus wenn es gut läuft, weil es mein Label glücklich macht (lacht), und es macht natürlich Spaß und eröffnet mir eventuell neue Möglichkeiten. Aber mich selbst als Person, wie ich mich mit mir selber fühle und wie zufrieden ich mit mir bin, beeinflusst es nicht so sehr. Mir geht es darum, wie mein Gehirn Gedanken und Gefühle verarbeitet und was ich als Künstlerin daraus mache. Und darum, dass ich ein Dach über dem Kopf habe. Alles andere – wir sollten wirklich chillen. Wir machen uns so viel Stress um unnötige Dinge. Ich bin froh, dass ich mir nicht mehr so viele Gedanken um alles mache wie früher, als ich jünger war. 

Ich finde es wirklich bewundernswert, dass du zu dieser Erkenntnis gekommen bist. Ganz ehrlich, ich könnte es auch verstehen, wenn du es nicht so sehen würdest. Macht man nicht Kunst, damit sie wahrgenommen wird? Ich weiß nicht, ob du das Meditationsrätsel kennst: ist ein Geräusch immer noch ein Geräusch, wenn niemand es hört?

Ich weiß… man kann wirklich verrückt werden, wenn man anfängt darüber nachzudenken. Ich habe tatsächlich gerade angefangen zu meditieren, und wir haben im Kurs diese Übung gemacht, bei der man die Augen schließt und sich auf die verschiedenen Vorgänge konzentriert, die im Körper passieren. Ich fühle zum Beispiel ein Kribbeln in meinem Finger und habe deshalb das Gefühl, dass mein Finger da ist, weil ich dieses Kribbeln spüre. Aber, das ist nur etwas, das ich fühle. Mein Körper könnte was auch immer sein – da sind wir wieder bei der halbflüssigen Masse (lacht). Die Realität und das, was in meinem Kopf ist, müssen nicht zwingend das Gleiche sein. Und ist das Geräusch wirklich da, wenn niemand es hört? Ich bin mir nicht sicher. 

Hattest du schon mal eine künstlerische Eingebung während der Meditation? 

Nein, das ist mir noch nicht passiert. Ich habe aber auch gerade erst damit angefangen, das ist alles wirklich noch sehr neu für mich. Aber sehr viele große Künstler*innen meditieren, und ich glaube nicht, dass das Zufall ist. 

Aber ich finde es ehrlich gesagt schon eine sehr gute Erkenntnis, dass du den Erfolg nicht brauchst, um dich als Mensch wertvoll zu fühlen. Ich bin mir sicher, dass man solche Erkenntnisse durch Meditation erlangt. 

Das ist so nett, dass du das sagst. Meditieren ist wirklich interessant. An manchen Tagen sitzt du da und wartest einfach nur, dass es vorbei ist. Und mein Gehirn sagt: lasset die Spiele beginnen! (lacht) Die Gedanken rennen wie verrückt. Im schlimmsten Fall denke ich, das hier ist immer noch besser als dasitzen und auf mein Telefon gucken (lacht). Aber manchmal ist es richtig cool. Es funktioniert, und du erreichst wirklich eine andere Bewusstseinsebene. Die einzige Art, wie wir wirklich in unser Gehirn schauen können ist, alles andere außen vorzulassen und gnadenlos hinzusehen.

Und jetzt, so kurz vor Jahresende – wie geht es weiter?

Ich tappe jedes Jahr im Oktober in die gleiche Falle, wenn ich denke, ich habe noch den ganzen Herbst, um Dinge fertig zu kriegen. Und plötzlich ist es Dezember, Weihnachten steht vor der Tür, und mein Terminkalender ist voll. Ich versuche wie gesagt noch so viel wie möglich fertig zu bekommen und werde dann im neuen Jahr anfangen, Sachen zu veröffentlichen. Es wird aufregend! Ich habe einen ungefähren Plan, aber im Moment verändern sich die Dinge immer noch so schnell, dass es sich für mich richtig anfühlt, vorsichtig einen Schritt nach dem anderen zu machen. Als ich „Start Walking“ rausgebracht habe, hatte ich noch keine Idee, welchen Song ich als nächstes veröffentlichen wollte. Jetzt weiß ich es (lacht). Ich habe also Dinge vorbereitet, gehe aber immer mit dem Flow, wie es sich in dem Moment richtig anfühlt. Sagen wir es so – ich habe einen großen Plan. Aber ich muss noch herausfinden, ob er funktionieren wird.