Es ist ein sonnig-frostiger Mittag an einem fast gewöhnlichen Donnerstag. Die Berlinale neigt sich dem Ende entgegen und die Preisverleihung der begehrten Bären steht kurz bevor. Ich komme zu dem Vergnügen, Regisseur Tilman Singer zum Mittagstisch zu treffen und mit ihm über seinen Debütfilm zu sprechen, der in der Sektion Perspektive Deutsches Kino zu sehen ist. „Luz“ heißt Singers rätselhafter Thriller, der seine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule für Medien in Köln und seinen ersten Langspielfilm darstellt. Die Premiere auf einem der wichtigsten Filmfestivals weltweit zu feiern ist natürlich eine gehörige Überraschung. Ich begegne einem Filmemacher, der in der Lage ist, seine Arbeit aufgeschlossen-intelligent zu kommentieren und der für seine Kunst brennt. Bei einem halbleckeren italienischen Buffet sprechen wir über die Entstehung des Films, Singers künstlerische Wurzeln und seinen Hang zur Ästhetik.
Singer war schon immer vielseitig kunstaffin. Er erzählt, dass es vor allem seine Begeisterung für‘s Schauspiel war, die ihm den Weg zum Regisseur wies. Als reiner Schauspieler konnte er sich seine Zukunft nicht vorstellen, also entschied er sich, erst einmal die Fäden im Hintergrund zu ziehen und, wie er sagt, „mit dem Film alles zu vereinen“, was ihn künstlerisch bewegt. Bei seinem Studium der medialen Künste in Köln wurde er in die unterschiedlichsten kreativen Bereiche eingeführt. Die Lehrbandbreite des Studiengangs, innerhalb welcher sich ein Student spezialisiert, reicht von filmischen Basics wie der Entwicklung eines Drehbuchs bis hin zu Klangkunst und Animation. Mit Letzterem hat Singer sich dem Filmemachen das erste Mal genähert. Mit seinen Skateboard-Stop-Motion Produktionen überzeugte er auch die Universität in seiner Bewerbung von dem in ihm schlummernden Potenzial.
Seitdem lag Singers Konzentration auf Kurzfilmen, Werbespots und einem Musikvideo der Kölner Band „WOMAN“. Sein erster Langfilm „Luz“ erscheint auf den ersten Blick unheimlich-merkwürdig. Die Handlung basiert auf einem Dämon, der sich danach sehnt, in den Körper von Luz (Luana Velis) zu gelangen. Intrigant bahnt er sich seinen Weg über einen Psychotherapeuten (Jan Bluthardt), der zu Rate gezogen wird, um laufende Ermittlungen gegen Luz voran zu bringen. Durch Hypnose soll ein Tag vor den Augen der Polizei nachgestellt werden, an dem eine frühere Schulkollegin (Julia Riedler) aus der Klosterschule zufällig in Luz‘ Taxi steigt. Um zu beschreiben, was zum Ende hin passiert, reichen Worte nicht aus.
Wie Singer mir verrät, ist die Grundidee an die Kindheit seiner kolumbianischen Freundin angelehnt, die wie Luz auch eine religiöse Schule besuchte. Natürlich seien ihre Erfahrungen überspitzt und der Film ist in erster Linie auch nicht provokant gegen den Katholizismus gerichtet, trotzdem lässt Singer eine gewisse Skepsis gegenüber religiösen Institutionen wie solcher Klosterschulen verlauten.
Ein schwerwiegender Faktor bei der Entstehung des Films waren die begrenzten finanziellen Mittel: „Bei 18 Drehtagen muss das Budget immer im Hinterkopf behalten werden“. Als Resultat musste die Geschwindigkeit der Erzählung heruntergeschraubt werden. So entstand beispielsweise eine knapp 5-minütige Szene, in der Luz zu einem Getränkeautomaten läuft und die gekaufte Dose sofort in sich hinein schüttet. Unterlegt mit dynamischem Jazz wird selbst diese Aktion nicht langweilig, das liegt aber auch maßgeblich an Schauspielerin Luana Velis, die dem Charakter der Luz einen ganz besonderen Charme verleiht, der den Zuschauer fesselt. Obwohl die komplette Geschichte in der Nacht spielt, gab es keinen einzigen Nachtdreh. Die Aufnahmen des Vortages direkt entwickeln zu lassen und vor Beginn des Drehs noch einmal anzusehen, um gegebenenfalls eine Szene zu korrigieren, war ebenfalls zu teuer. So musste sich der Regisseur auf seine Einschätzung am Set verlassen und es blieb abzuwarten, ob das abgedrehte Material die Erwartungen erfüllen werde. Beim Ende der Dreharbeiten herrschte aber Euphorie, wie Singer beschreibt. Mit einem weiteren Crewmitglied ist er direkt im Anschluss höchstpersönlich nach Paris gefahren, um den Film ins Labor zu bringen. Danach blieb den Beiden noch eine Nacht in der französischen Hauptstadt, um die Anspannung der vergangenen Wochen ein wenig abzubauen.
Luz bringt trotz aller finanzieller Hürden unglaublich schöne Bilder auf die Leinwand. Outfits und Locations sind perfekt aufeinander abgestimmt und insgesamt erschafft der Film eine ganz eigene visuelle Welt. Für Singer ist „die eigene Ästhetik das Wichtigste, was ein Filmemacher für sich selbst finden sollte“. Als ich ihn frage, welchen Wert er der Ästhetik im Verhältnis zum Inhalt, der erzählerischen Form zuordnet, antwortet er überzeugend: „Man kann beides nicht auf eine Waage legen“. Im Gesamten entwickle ein Film eine ganz bestimmte Ausdrucksform und Filmsprache, die für Singer vordergründig zählt.
Tilman Singer erschafft mit „Luz“ einen einzigartig-mysteriösen Thriller, der durch seine Unberechenbarkeit bis zum Ende spannend bleibt. Das ist zumindest meine Einschätzung – „Luz“ schied die Geister unter den Kritikern. Umso mehr freut es mich, dass sich die Berlinale entschieden hat, diesen unkonventionellen Film antreten zu lassen und Singer dadurch ein breites Publikum zu schenken, von dem hoffentlich auch viele seine Laufbahn weiter verfolgen. Das nächste Drehbuch ist bereits begonnen. Singer zielt auf einen Film ab, der „konkreter werden soll. Ich möchte darin Figuren entwerfen, die „möglichst viele Zuschauer emotional nachvollziehen können“.
Unser Gespräch dauert nun schon fast 90 Minuten und Singer muss schleunigst los. Die Berlinale ruft! Ich esse noch den Rest meiner schon völlig abgekühlten Lasagne und verlasse das Restaurant mit dem Gefühl, wieder einmal etwas über die Kunst des Films gelernt zu haben.
Interview: Finn Hackenberg