The Vaccines im Interview

Die Londoner Indierocker The Vaccines wissen wie man unterhält. Dies beweisen sie innerhalb von 40 Minuten mit stolzgeschwellter Brust auf ihrem Album „Come of Age“. Ein jedes Stück auf dem von Ethan Johns (arbeitete u.a. für Ryan Adams, Laura Marling, Kings of Leon) produzierten Nachfolgerwerk von „What Did You Expect From The Vaccines“ (2011) stellt sich als makelloser Ohrwurm dar. Als Sänger Justin Young und Bassist Árni Hjörvar das Penthouse des Vier-Sterne-Luxushotels in Berlin Mitte betreten, schwappt auch sogleich eine Welle vollkommen ausbalancierter Selbstsicherheit herüber. Kein Wunder, hat sich die Band doch zuvor mithilfe von Bier und Currywurst mit Pommes noch ein Stückchen allgemeine Zufriedenheit einverleibt. Mit schlaffem Blick und aus freundlicher Distanz berichten sie nun über ihren Zugang zur Musik, den Wert eines einzelnen Songs in Bezug auf das Gesamtwerk und das wie eine geölte Maschine funktionierende Bandgefüge.

Die Arbeit an „Come of Age“ ist abgeschlossen. Ihr fühlt euch bestimmt sehr erleichtert?

Justin Young: Definitiv. Die Arbeit am Album beschäftigte uns so lange, dass sie uns richtig verbraucht hat. Nun fühlen wir uns um einiges leichter. Es war immer in unseren Köpfen und wir konnten dadurch nie richtig entspannen. Jetzt sind wir unterwegs, können Neues ausprobieren und viel mehr entspannen.

Árni Hjörvar: Songs aufnehmen macht schon Spaß, aber es braucht dann doch immer viel länger als man es erwartet hätte.

Justin Young: Die wichtigste Fähigkeit beim Aufnehmen eines Albums ist zu wissen wann man aufhören muss. Minimalismus ist der Schlüssel. Unser Anliegen ist es, dass die Songs direkt und simpel sind.

Gab es einen Punkt, an dem daran gezweifelt wurde, dass es zu einem weiteren Werk von The Vaccines kommen wird?

Justin Young: Nein. Wir wussten immer, dass da noch mehr in uns steckt.

Árni Hjörvar: Nicht nachdem wir es geschafft haben, ein erstes Album aufzunehmen. Das war immer eine Traumvorstellung und als wir uns diesen Wunsch tatsächlich erfüllen konnten, war der einzige Gedanke: lass uns mehr davon machen! Es war so ein massiver Einschnitt in unser Leben, auch durch die Möglichkeit nach dem Aufnehmen auf Tour gehen zu können. Und nun ist das Weitermachen zu einer Notwendigkeit geworden. Man ist am Haken. Ich kann es gar nicht erwarten, dass „Come of Age“ endlich rauskommt! Die Verwirklichung eines Albums ermöglicht einen solchen Kick, der mit nichts vergleichbar ist. Hat man einmal begonnen, kann man nicht mehr aufhören.

Gab es einen Leitfaden für die Arbeit am Album?

Árni Hjörvar: Es verlief alles sehr ungeplant und natürlich.

Justin Young: Intuition ist unser Leitfaden. Das Gefühl, dass einen dazu bringt am Ende des Tages eine Datei nicht zu löschen. Der besondere Moment, wenn man sich zum ersten Mal eine Aufnahme anhört oder es anderen Leuten vorspielt. Man muss seinem eigenen Urteil trauen und es wirklich fühlen. Das Gute war auch, dass wir eine Masse an neuen Stücken hatten, die besser als die Songs auf dem ersten Album waren. Aber deswegen werden wir jetzt nicht zwingend jedes Jahr ein Album herausbringen. Wenn es genügend Songs gibt – ok, aber sonst…

Árni Hjörvar: Dieses Selbstvertrauen ist wohl unser machtvollstes Instrument.

Justin Young: Für meine zwei Lieblingssongs musste ich richtig kämpfen, um sie auf das Album zu bekommen. Einer der Songs, bei dem sich die anderen nicht sicher waren, ist „I Wish I Was A Girl“. Ich hatte so eine Ahnung bei diesem Song. Deshalb habe ich dafür gekämpft. Wenn man wirklich an etwas glaubt, muss man sich dafür einsetzen. Dann es wird sich auszahlen.

Árni Hjörvar: Wir haben gelernt der stärksten Meinung zu folgen. Wenn zum Beispiel Justin etwas viel besser findet als ich, dann folge ich ihm, weil ich weiß, dass er Recht hat und es am Ende die richtige Entscheidung gewesen sein wird.

Justin Young: Und ich habe immer Recht!

Inwiefern ermöglichte euch die Arbeit mit dem Produzenten Ethan Johns ein neues Selbstbewusstsein?

Árni Hjörvar: Er ist sehr gut darin gewesen uns bis zum Äußersten zu treiben, wo wir kurz vor dem Umfallen waren und dann aber erst richtig gut wurden. Dadurch, dass er genau wusste, wo wir unsere empfindlichen Stellen hatten, konnte er uns gezielt vorantreiben und so sind wir zu einer besseren Band geworden. Da wir alles komplett live aufgenommen haben, mussten wir verstärkt in unsere Fähigkeiten vertrauen. Das war ein sehr interessantes Erlebnis. Wir haben gelernt, dass wir das können. Mit solch einem Wissen aus dem Studio herauszugehen, hat extrem selbstbewusst gemacht.

Justin Young: Wir hatten einfach eine sehr gute Zeit mit ihm.

Wie erhaltet ihr euch dieses Selbstbewusstsein?

Justin Young: Lese niemals was andere Leute über dich schreiben. Unser eigenes Urteil, unser Geschmack und unsere Intuition haben uns schon sehr weit gebracht. Wenn man auf das hört, was andere Menschen über einen schreiben und sagen, verliert man den Glauben an sich. Ob das nun gut oder schlecht ist wie wir das handhaben – es ist in jedem Fall konstruktiv für uns.

Wie ist bei solch einer Abschottung noch das Zulassen von frischen Ideen und neuen Einflüssen möglich?

Justin Young: Durch das Live-spielen. Als Künstler möchte man sich generell immer weiter vorantreiben, es so gut wie nur möglich machen. Man muss sich seiner Selbst, seinen Fehlern und in dem sicher sein, wie man Kreativität freisetzen kann. Es wird interessant sein, wo es uns hintreiben wird, wenn wir erst mal mit dem neuen Album eine Weile auf Tour gewesen sind und die Songs in- und auswendig kennen. Denn im Moment fühlt sich das Album noch so an als wäre es das Beste, was wir je zustande gebracht haben. Vielleicht wird sich das ja in 5 oder 6 Monaten geändert haben.

Wie stellt ihr sicher, dass ein jeder in der Band gleichmäßig mitwächst?

Árni Hjörvar: Wir strebten schon immer die gleiche Richtung an. Und dass wir 24 Stunden 7 Tage in der Woche miteinander Zeit verbringen, hat uns noch enger zueinander gebracht. Wir wachsen durch die gleichen Erlebnisse.

Justin Young: Wir sind immer für einander da.

Ist der einzelne Song bedeutender als ein funktionierendes Gesamtkonzept?

Justin Young: Ich mag Bands, bei denen der eine Song auf den anderen aufbaut. Aber bei uns kann jeder Song für sich stehen. Ich denke wir gehören zu der iPod-Generation. Ich mag Jukeboxes, iPods, Singles und 7-Inch-Platten. Ich mag diese Art von Schnappschüssen.

Árni Hjörvar: Aber auf unserem Album ist, im Besonderen textlich gesehen, so eine Dynamik drin, die alle Songs zusammenbringt.

Justin Young: Es ist natürlich sehr wichtig, dass man von Kohärenz sprechen kann. Die Videos, EPs und so was sind eine Erweiterung von dem, was wir tun. All diese Dinge repräsentieren uns. Eine Menge Leute kaufen das Album, weil sie es genau so im Laden stehen sehen. Viele würden unser Album nie hören, wenn sie nicht ein Video von uns auf Youtube oder so gesehen hätten. Deshalb ist es wichtig, dass alles was man tut das größere Bild repräsentiert. Es ist wie ein Puzzle zusammen zu fügen – jedes Detail muss Sinn ergeben.

Árni Hjörvar: Es ist verblüffend, wie viele Bands sich keine Gedanken darüber machen.

Diesen Sommer bespielt ihr zahlreiche Festivals. Wie gliedern sich dabei die „Come of Age“-Stücke ein?

Justin Young: Wir haben nur die Songs eingestreut, die wirklich Sinn im Set ergeben. Wir wählten so direkte Lieder wie „Ghost Town“, weil wir die Leute nicht bestrafen wollten. Ich finde es besser, wenn man ein wenig Zeit hat ein Album in sich aufzunehmen bevor man es live hört.

Wie steht ihr dem gegenüber, dass euer Auftritt von dem diesjährigen Melt! Festival im Internet zur freien Verfügung steht?

Árni Hjörvar: Das ist die Realität. Einfach alles ist sofort und überall verfügbar. Es würde keinen Sinn ergeben, etwas dagegen zu sagen.

Justin Young: Die Menschen verdanken dem Internet so viel. Ich würde mir eher Sorgen machen, wenn man nicht unsere neuen Songs hören oder teilen wollen würde. Ich liebe es, dass die Leute beim Konzert Songs mitsingen, die sie eigentlich noch nie gehört haben können. Das Internet macht ein Konzert noch erfreulicher für uns.

Blickt ihr gern zurück?

Justin Young: Das muss man machen. Aber nur als eine Referenz.

Árni Hjörvar: Nicht, um darüber zu urteilen, sondern nur um zu reflektieren in Bezug auf das, was im Moment geschieht. Wir dachten sehr wenig über unser erstes Album nach bis wir begonnen hatten über das zweite zu reden.

Denkt ihr viel über euer Alter nach?

Justin Young: Ich möchte noch so viel in meinem Leben machen.

Árni Hjörvar: So viel!

Justin Young: Mir macht das Angst, dass da noch so viel ist. Aber ich freue mich einfach über mein Leben.

Als das Gespräch an dieser Stelle sein abruptes Ende durch das Eintreffen des nächsten Interviewers findet, rutschen die beiden nur noch tiefer in die Couch hinein. Von Lebensfreude keine Spur, eher von Sättigung. Die Luft ist raus, die Pose für das anschließende Foto umso betont gelangweilter. Einige Fragen bleiben offen, im Besonderen nachdem zur Verabschiedung ein kleines Augenzwinkern von Árni Hjörvar dem Händedruck folgt. Also doch noch ein wenig Freude am Moment – und das auf beiden Seiten.

„Come of Age“ von The Vaccines ist am 31. August 2012 erschienen.

Interview und Fotos: Hella Wittenberg