The Last Dinner Party: „Es war uns wichtig, uns zuerst und besonders als Liveband zu etablieren, denn darum geht es, das ist es, was wir sind“

Ich habe meine Herausgeberin buchstäblich angebettelt, mir ein Interview mit The Last Dinner Party zu besorgen. Denn obwohl die Band erst eine Single und eine Handvoll Live Videos draußen hat, war ich sofort besessen und wollte mir das Ganze unbedingt aus der Nähe ansehen. Als ich also die Nachricht bekam, dass wir tatsächlich ein Interview mit einer der aufregendsten Bands, die England gerade zu bieten hat, bekommen würden, war mein journalistisches Gehirn in Aufregung. Mein Fangirl-Herz stand in Flammen. 

Von den Universitätshallen Londons bis hin zur Glastonbury Bühne, hat diese großartige Band die Musikwelt im Sturm erobert, und ihr könnt mir glauben: der Hype ist gerechtfertigt. Als sie in ihren Renaissance Kleidern und Marie-Antoinette-artigen Korsetts über die Bühne des Bodega Clubs in Nottingham tanzten, war mir sofort klar: so eine Band begegnet einem nur einmal im Leben. The Last Dinner Party sind die perfekte Neuerfindung der weiblichen Rockband, in der ätherischer Gesang auf Punk-Attitüde trifft. 

Nachdem sie sich schon während der Fresher’s Week an der Universität getroffen und zwei Jahre lang gemeinsam in Londons Musikszene eingetaucht waren, veröffentlichten sie schließlich ihre Debütsingle „Nothing Matters“ und kürzlich die zweite, „Sinner“. Seitdem ging es für die Band rasant berauf, sie heimsten Millionen von Streams ein und wurden von den größten Weltstars als Opening Act gebucht. Und das, ich weiß, ich wiederhole mich, mit gerade einmal zwei offiziellen Single-Veröffentlichungen. 

Kurz nach ihrem Auftritt im Londoner Hyde Park beim British Summer Time Festival, eine Woche nachdem sie als Vorband für Lana Del Rey auf der Bühne stehen durften und die erste eigene UK Headline Tour quasi vor der Tür, habe ich mich mit The Last Dinner Party unterhalten. Auf dem Bildschirm begrüßten mich zwei kicherte Mädchen, kurz darauf waren sie zu dritt, saßen in einem Garten und strahlten vor Stolz.

Wie fühlt es sich an, so viel positives Feedback zu eurer Debütsingle zu bekommen, und jetzt auch zu „Sinner“?

Georgia: Es ist großartig, es war ein bisschen überwältigend. Aber so lange an diesen Songs gearbeitet zu haben und sie jetzt mit der Welt teilen zu können, das fühlt sich definitiv so an, als habe es sich gelohnt. 

Ihr hattet ein sehr aufregendes Jahr bisher. Könnt ihr konkrete Highlights nennen?

Abigail: Definitiv Glastonbury. Es hat sich angefühlt, als käme alles perfekt zusammen. Ich glaube, es ist die Energie des Ortes. Ich glaube, die Erwartungen an uns waren sehr hoch, wegen all der Dinge, die im Vorfeld über uns gesagt wurden, wie „aufregend“ und „eine der 10 Bands, die man beim Glastonbury gesehen haben sollte“… Der Druck war groß, aber ich glaube, wir sind der Sache gerecht geworden. 

Georgia: Für mich war es, Florence Welch zu treffen. Sie ist mein Ein und Alles, mein Kindheitsidol, und wenn es sie nicht gäbe, würde ich das Ganze hier nicht machen. Sie zu treffen und so wertvolle Ratschläge von ihr zu bekommen, dazu was es bedeutet, eine Frau in einer sehr Männer dominierten Industrie zu sein und wie mit all dem, was alles auf uns zukommen wird, umzugehen, das war großartig. 

Ernsthafte Indie-Band oder „Industry Plant“?

Neben ihrem Erfolg ernten The Last Dinner Party auch jede Menge Kritik. Viele unterstellen der Band, eine „Industry Plant“ (Anm.: ein gecasteter Act, bei dem ein Team im Hintergrund die Fäden zieht) zu sein, was sich darauf zurückführen lässt, dass immer noch viele zu ignorant sind, um sich vorzustellen, dass Frauen aus eigener Kraft talentiert und erfolgreich sein können. Wie schräg ist das? Umso beruhigender ist es zu wissen, dass sie eine große Künstlerin wie Florence Welch an ihrer Seite haben, die ihnen in diesem turbulenten Geschäft mit Rat und Tat zur Seite steht. 

Ich würde gerne mehr über die Inspiration zu eurer Single „Sinner“ wissen. 

Lizzie: Zu der Zeit habe ich viel LCD Soundsystem gehört, und wir wollten etwas machen, das ein bisschen anders ist, mit einem Gitarren-Chorus anstatt einem mit Text. Ich habe darüber geschrieben wie es ist, aus einer Kleinstadt in die Großstadt zu ziehen und so viele Dinge zum ersten Mal zu erleben. 

Abigail: Wir wollten, im Gegenzug zu „Nothing Matters“, dass das Video eine Live Performance wird, einfach wir, wie wir alles in einem Take spielen, um zu zeigen, wie wir als Live-Band sind. Denn das ist es, worum es uns geht – das ist es, wer wir sind. 

Ihr werdet gerne als Londoner Band bezeichnet, aber Lizzy, du hast eben erwähnt, dass du aus einer Kleinstadt kommst. Woher genau?

Lizzie: Ich komme aus West Yorkshire.

Abigail: Niemand von uns kommt tatsächlich aus London, außer Rora. Wir kommen alle von überall her!

Ihr habt einmal gesagt, mit Tumblr aufzuwachsen hat euch zu „Nothing Matters“ inspiriert. Welche andere Kunst, Bücher und Musik haben eure Musik und euer Image im Gesamten inspiriert? Ich sehe so viele verschiedene Dinge, die zusammen etwas ganz Einzigartiges ergeben. 

Abigail: Oh Gott, so viele! Ich und Georgia haben englische Literatur studiert und sind sehr von Gothic Literatur und der Romantik inspiriert. Und natürlich Sophia Coppola, Petra Collins und David Lynch im Film und der Fotografie. 

Georgia: Abi und ich haben uns beide in Virginia Woolfs „Orlando“ verliebt. Es ist eine queere romantische Reise, die sich vom Elisabethanischen Zeitalter aus durch verschiedene Epochen erstreckt und viele intensive Emotionen erkundet: Verzweiflung, Ekstase, Hoffnungslosigkeit. Wir lieben es, uns von Musik und Mode aus verschiedenen Zeiten und unterschiedlichen Orten inspirieren zu lassen, so dass es Sinn macht in Kombination mit unserer Kunst. „Orlando“ war so sehr seiner Zeit voraus!

Lizzie: Und dann natürlich Musikerinnen wie PJ Harvey!

Ballkleider und Beerdigungen

Die Band wird gerne und endlos verglichen, aber die Ästhetik ihrer Musikvideos ist bisher beispiellos. Sie ist eine himmlische Kollage aus allem, das sie inspiriert, und all das zusammen geworfen ergibt etwas völlig Neues. Ballkleider und Beerdigungsszenen, durch Felder rennen und Schlafzimmer auseinandernehmen – für ihr visuelles Konzept geht die Band aufs Ganze, und dafür kann man ihnen nicht genug danken. Das Musikvideo zu „Nothing Matters“ ist ein kleines Kunstwerk und führt perfekt in die Welt von The Last Dinner Party ein. 

Künstler*innen wie Taylor Swift kreieren ein komplettes Universum rund um ihre Musikvideos und Outfits. Ist das etwas, das ihr bewusst anstrebt? Und könnt ihr euch vorstellen, dass euer visuelles Konzept sich mit der Zeit ändern könnte?

Abigail: Ja, definitiv! Wir werden nicht für immer in diesem Renaissance-Stil stecken bleiben. Aber gerade lieben wir es, und es wird sich weiterentwickeln, je mehr Musik wir veröffentlichen. Eines Tages werden wir die Korsetts abwerfen und eine neue Richtung einschlagen. Wir wollen ständig wachsen und uns weiterentwickeln.

Ich bin schon sehr gespannt, wie es weiter gehen wird! Ein Thema zu setzen, nach dem man sich kleiden und womit man Spaß haben kann, kreiert eine ganz besondere Erfahrung für die Fans bei euren Liveshows.

Georgia: Ja, ganz genau. Wir wollen den Leuten die Möglichkeit geben, bei unseren Shows ganz sie selbst zu sein und sich frei auszudrücken, ihre Sexualität, ihre Identität. Wir wollen einen Safe Space schaffen, an dem sie das Selbstvertrauen haben können, diese extravaganten Sachen zu tragen.

Abigail: Ich weiß, dass Konzerte für mich immer der Ort waren, an dem ich Sachen tragen konnte, die ich so nicht auf der Straße anziehen würde, ein Ballkleid und so. Wir wollen, dass die Leute, die unsere Musik hören, sich bei unseren Konzerten genauso fühlen. In erster Linie haben wir das für uns selbst gemacht, ein Thema zu setzen, nachdem wir uns alle kleiden, bevor so etwas daraus wurde.

Entwickelt sich das noch, dass eure Fans dabei mitmachen, oder seid ihr schon mittendrin?

Lizzie: Oh, wir sind definitiv mittendrin. Neulich hat sich jemand von Kopf bis Fuß angemalt!

Georgia: Manchmal nennen wir ein ganz konkretes Thema für unsere Show, wie „Ein Opernabend“ oder „Folk Horror“. Aber wir möchten auch, dass die Leute uns mit ihren Outfits ihre eigene Antwort auf unsere Musik geben. Es ist wunderbar, jetzt schon so eine kreative und hingebungsvolle Fanbase zu haben. Ich stelle mir vor, es ist wie wenn junge Frauen sich gemeinsam schick machen, um zum Ball zu gehen.

Das Dress-Code-Memo

Zu meinem ersten (und ganz bestimmt nicht letzten) The Last Dinner Party Konzert habe ich ein langes, fast durchsichtiges Spitzenkleid mit riesigen Flatter-Ärmeln und abgewetzte Doc Martens getragen und musste herausfinden, dass dort viele Männer in Jeans und T-Shirt waren, die das Memo offensichtlich nicht bekommen hatten. Wie auch immer, dazwischen waren überall Gruppen von Menschen in bodenlangen Röcken, extravagantem Make-Up und Schleifen im Haar – das waren meine Leute. Der Zusammenhalt, der dadurch entsteht, bietet die Möglichkeit, dass diese Shows zu wahren Spektakeln werden. Und je größer die Mengen werden, umso ausgefallener werden die Kostüme, da bin ich mir sicher. 

Wir leben in einer Zeit, in der einzelne Songs viral gehen, und seit Covid liegt der Fokus gerade sehr auf dem Recording Artist. Ihr hingegen habt euch zuerst einen Namen als Liveband gemacht, bevor ihr eure erste Single rausgebracht habt. War das Absicht?

Abigail: Du hast so recht, es ist definitiv die Stunde des Bedroom Pop. Wir lieben und respektieren sehr viele dieser Künstler*innen, aber wir befinden uns auch in einer Zeit der Renaissance, in der die Leute nicht genug von Livemusik kriegen können. Das kommt uns sehr zugute. Es war uns wichtig, uns zuerst und besonders als Liveband zu etablieren, denn darum geht es, das ist es, was wir sind. 

Georgia: Oh ja, definitiv, durch Covid gab es in den letzten Jahren Künstler*innen, die Millionen von Streams hatten, ohne je live gespielt zu haben, das ist verrückt!

Himmlische Geschöpfe, bewaffnet mit Instrumenten

Auf der Bühne werden The Last Dinner Party zu himmlischen Geschöpfen, bewaffnet mit Instrumenten. Gemeinsam schaffen sie eine Magie auf der Bühne, die man nur herstellen kann, wenn man sein Handwerk in schmuddeligen Bars gelernt hat, wo einem niemand richtig zuhört. Aber jetzt wird zugehört, und wenn man das Lächeln auf den Gesichtern der Mädels sieht, dann wird deutlich, wie viel ihnen das bedeutet. 

Wo freut ihr euch besonders drauf zu spielen? Lizzie, du möchtest doch sicher gerne Shows weiter im Norden spielen, oder?

Lizzie: Ja, auf jeden Fall in Leeds. Und in Glasgow!

Abigail: Auf jeden Fall Blackpool. Wir können es kaum erwarten, unserem Aussie Girl hier die britische Küste zu zeigen. Wir werden ihr die Augen verbinden und ein großes Trara drum machen. 

Georgia: Ich bin schon sehr aufgeregt, meine Erwartungen sind hoch!

Genauso hoch wie Georgias Erwartungen gegenüber Blackpool waren meine an The Last Dinner Party, und in dem Moment, in dem die Band auf die Bühne kam, waren sie übertroffen. Die Mädels sind gleichermaßen selbstbewusst und bescheiden und ich konnte es kaum erwarten, sie nur ein paar Tage nach unserem virtuellen Meeting live zu erleben. Da stand ich, mitten in der Menge, und fühlte mich irgendwie allein. Nicht weil ich einsam war, sondern weil ich mich persönlich gesehen und berührt fühlte, als hätten sie die Hand nach mir ausgestreckt und mich in ihre Musik hineingezogen. An diesem Abend und für immer, gelobte ich meine Treue dem Kult rund um The Last Dinner Party, und ihr seid alle eingeladen, euch mir anzuschließen!

Der Beitrag ist ursprünglich hier auf Englisch erschienen und wurde übersetzt.

Foto © Universal Music