Als Luke Pritchard zur Begrüßung gesagt bekommt, dass wir uns schon einmal getroffen haben, stürzt er auf mich zu und umarmt mich wie eine alte Freundin. „Oh, erinnerst du dich?“ frage ich, und er fängt an zu lachen. „Ehrlich gesagt, nein. Aber es ist so schön, wieder Leute zu treffen!“
Es ist in Ordnung. Vier Jahre ist es her, seitdem wir uns getroffen haben, um über „Let’s Go Sunshine“, das sechste Studioalbum seiner Band The Kooks zu sprechen, und so viel ist seitdem passiert. Ich erzähle ihm trotzdem die Geschichte, wie ich damals auf dem Weg in ein Gewitter geraten bin, völlig zerrupft und durchnässt ankam und er mit freundlicher Hand Blüten aus meinem Haar zupfte, die sich dort verfangen hatten, bevor wir uns zum Interview hinsetzten. „Awww, ich wusste gar nicht, dass ich so ein Gentleman bin,“ grinst er.
Überhaupt, dafür, dass wir seit über zwei Jahren mit den Auswirkungen einer globalen Pandemie leben, die dazu geführt hat, dass die letzte The Kooks Tour mehr als einmal verschoben werden musste und die Künstler*innen und Bands das Musik machen (und vor allem davon zu leben) sehr schwer gemacht hat, verbringen Luke Pritchard und ich die folgenden zwanzig Minuten vor allem mit Lachen. Während unserer Unterhaltung betont er immer wieder, dass es ihm im Moment besser geht denn je, und diese Einschätzung erscheint mir ehrlich und treffend. Das spiegelt sich auch im neuen The Kooks Studioalbum wider, „10 Tracks To Echoe In The Dark“, einer schamlos positiven, lebensbejahenden Platte, die voll und ganz das auslebt, was Pritchard die „Pop-Sensibilität“ der Band nennt. Und es ist bestimmt kein Zufall, dass die erste Single „Connection“ heißt, wo menschliches Miteinander doch das ist, was uns in der Pandemie am meisten gefehlt hat.
The Kooks wurden damals in sehr jungen Jahren zu einer Zeit in die Musikindustrie geworfen, in der alles, vor allem Livemusik, im Überfluss gefeiert wurde. Nun ist es an Luke Pritchard, ein neues, wesentlich komplizierteres Zeitalter zu entdecken und in ihm zurechtzukommen. Er scheint aber nicht allzu besorgt darüber, sondern versucht zu verstehen und das Beste daraus zu machen. Wir reden vor allem über positive Entwicklungen: über die technischen Möglichkeiten in den eigenen vier Wänden zu produzieren und die Freiheit, die damit einher geht, über das Vater werden, Pilates und Yoga und überhaupt über ein starkes Gefühl von Dankbarkeit. Und natürlich über das, was The Kooks ausmacht: einfach Hits, Hits, Hits zu schreiben.
Luke: Ich kann nicht glauben, dass es schon vier Jahre her ist, dass wir unsere letzte Platte veröffentlicht haben…
Es waren vier Jahre, richtig?
Verrückt. Es ist seltsam. Fast so, als hätte die Welt kollektiven Gedächtnisverlust, oder? Aber für mich war es auf eine Art ganz gut. Und ich glaube, das geht inzwischen einigen Leuten so. Es war vor allem eine Sache von Timing und Glück. Der Lockdown war natürlich furchtbar. Aber es war auch ganz schön, eine kleine Pause zu haben. Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich jedes Jahr getourt. Es war interessant, einfach mal… zuhause zu sein?
Ich höre das ehrlich gesagt immer mehr. Jetzt, da ein bisschen Zeit vergangen ist, wird den Leuten bewusst, dass nicht alles schlecht war. Ich meine, es war schlimm…
Finanziell wahrscheinlich am meisten (lacht). Ich meine, Musiker wurden wirklich gefickt. Es ist wirklich eine Schande. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber in UK…
Wir waren ja die letzten, die aus dem Lockdown zurück gekommen sind. Ihr habt in UK viel früher wieder mit Konzerten angefangen.
Jungle waren die erste Band, die ich wieder live gesehen habe. Das war heftig. 5.000 Leute, verdammt. Total verrückt, aber es war großartig.
Aber man gewöhnt sich schnell wieder dran, oder?
Ja, das tut man. Es geht immer darum, was man draus macht, oder? Wir können etwas daraus machen, das uns wiederbelebt, daran erinnert, was wichtig ist. Ich meine, Dankbarkeit! Dafür, dass wir wieder Musik machen können. Ich habe in der Zeit viel Musik gemacht, und auch das wirst du wahrscheinlich von anderen gehört haben. „Was hast du gemacht?“-“ Ich habe einfach sehr viele Songs geschrieben.“ Ich habe meine Wohnung in ein Studio umgebaut, das war cool.
Und auch das habe ich oft gehört, dass man immer mehr zu Homestudios übergeht.
Ja! Auf dem neuen Album habe ich sogar Co-Producer Credits. Tobi (Anm: Tobias Kuhn, Produzent) hat alles gemacht, aber ich… es ist keine Hexerei, aber es hat schon etwas Zeit gebraucht, es zu lernen. Ich bin Gitarrist. Ich komme aus einer Zeit, in der man eine Gitarre eingestöpselt und angefangen hat zu spielen. Aber ich übe gerne, wie man logisch an Dinge heran geht, wie man Musik schreibt und dabei moderne Technologien einsetzt. Ich habe ein Album zusammen mit meiner Frau aufgenommen und wir haben es selbst produziert. Es war cool, neue Wege zu arbeiten zu finden. Es kann ganz schön schmerzhaft sein, aber wenn man den harten Teil einmal überwunden hat, eröffnet sich einem eine neue Welt.
Diese Zeit holt einen ganz schön aus der Komfortzone raus. Es ist irgendwie nicht so, dass man sich zurücklehnen könnte, von wegen „wird schon nichts schlimmes passieren“, oder?
Ich meine, es ist komisch, oder? Das ist noch ein Grund, warum ich diesen Job mache. Auch wenn es nicht wirklich ein Job ist. Wenn du in einer Band bist, lebst du quasi immer mit der Waffe in der Hand. Du denkst immer: wann ist es vorbei? Du kannst das tun, was du tun kannst, aber am Ende ist es immer subjektiv. Viele Künstler, mit denen ich in letzter Zeit gesprochen habe sind so: sei verdammt nochmal dankbar für das, was du hast. Es kann jeden Tag vorbei sein, also musst du jeden Tag genießen. Genauso wie das Leben! (lacht)
Manchmal muss man einen Schritt zurücktreten und reflektieren. Besonders jemand wie du. Ich meine, ihr wart so jung! Ich bin ehrlich gesagt beeindruckt, dass du es geschafft hast, ein ganz vernünftiger, erwachsener Mensch zu werden.
Einigermaßen erwachsen, einigermaßen vernünftig (lacht). Musik hält einen jung. Und ja, wir waren sehr jung, 17, 18, gerade an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Wir waren immer ein bisschen jünger als unsere Mitstreiter, außer Arctic Monkeys. So ziemlich alle anderen Bands waren drei bis vier oder sogar zehn Jahre älter. Heute ist es für mich immer noch komisch, der Ältere zu sein (lacht). Aber es ist cool. Wenn wir heute mit Bands auf Tour sind oder Bands treffen, die gerade durchstarten, sind wir meistens die Älteren. So lustig. Es gab Höhen und Tiefen, manchmal mussten wir uns durchkämpfen. Ich habe das Glück, dass ich seit 15 Jahren das gleiche Management habe. Sie waren immer großartig und haben dafür gesorgt, dass alles gut blieb. Es ist großartig, The Kooks machen einfach weiter. Wir würden es wahrscheinlich immer machen, aber wir sind auch immer noch relevant und das ist großartig. Ich meine, hoffentlich. Wer bin ich, das zu beurteilen? (lacht) „Wir sind so relevant!!!“ (lacht noch mehr) Relevanz ist für mich, wenn du diese coolen Momente mit jüngeren Künstlern hast, die dein Album mögen.
Ich kann mich sehr gut an die Zeit erinnern, als ihr angefangen habt. Es war irgendwie eine Zeit, in der sehr viel passiert ist in der Musik. Ich finde, Pop und Indie haben sich damals angefangen zu vermischen. Pop hat eine neue Tiefe bekommen. Es gab Lily Allen…
Mit Lily Allen bin ich in die Schule gegangen.
Oh, wirklich?
Ja, sie war cool. Aber ja, es gab damals viele interessante Leute! Es war auf eine Art ein goldenes Zeitalter. Wir hatten so viel! So viele Bands, so viele Orte für Musik. Weißt du, wir waren irgendwie am Ende von Brit Pop. Ich bin mit Liam und Noel (Gallagher) ein Bier trinken gegangen. Als sie sich noch vertragen haben (lacht). Solche Sachen. Physische Tonträger waren noch ein Ding. Versteh mich nicht falsch, ich bin total offen für die Zukunft. Ich finde es ist alles toll und aufregend. Ich stehe auf all die neuen Dinge. Aber die Möglichkeit gehabt zu haben, das andere alles auch zu sehen… Es gab einfach ständig Livemusik. Total dekadent. Heute machen die Kids… Yoga… (lacht)
Das ist wahnsinnig komisch. Ich verrate dir etwas, ich habe vor ein paar Monaten angefangen, eine Yoga Ausbildung zu machen.
Super Timing! Du wirst viel zu tun haben (lacht). Ich mache Pilates. Das ist die kleine Schwester vom Yoga, würde ich sagen.
Weißt du, was ich immer heimlich sage? Pilates ist Yoga für Hausfrauen.
(lacht laut) Okay, den lasse ich durchgehen.
Nein, das war herablassend, ich möchte mich dafür entschuldigen.
Oh nein, es stimmt schon. Yoga ist zu schwierig für mich. Da will ich gar nicht lügen! Wenn ich in eine Yoga Stunde gehe, sind da vor allem Frauen mittleren Alters. Total in Ordnung für mich, ich finde es cool. Aber ich meditiere auch. Transzendentale Meditation finde ich großartig. Hast du „Die sieben geistigen Gesetze des Erfolgs“ von Deepak Chopra gelesen?
Ich muss zugeben, nein.
Es ist ziemlich cool. Ich halte mich an alle Gesetze. Bis auf eines. Vielleicht ist das der Grund, warum es nicht funktioniert (lacht). Er sagt, man sollte Zeiten einhalten, in denen man nicht spricht. Wenn du für 48 Stunden nicht sprichst und auch sonst nicht interagierst, nicht liest, keine Filme guckst… was total verrückt für mich klingt, wie soll das gehen? Aber nach 48 Stunden erreichst du anscheinend einen wahnsinnigen Zustand von Glückseligkeit.
Das ist also das eine, das du nie gemacht hast?
Ich habe es noch nie gemacht (lacht). Wie soll man das machen? Ich weiß nicht, wie man das machen kann. Ich meine, offensichtlich kann man. Man muss nur erst einmal die Zeit dafür finden… ich hätte es während des Lockdowns machen können. Aber ich spreche sehr gerne mit meiner Frau.
Um beim Spirituellen zu bleiben – euer neues Album ist wirklich eine sehr positive Platte geworden.
Ja, ist es. Es ist nahezu euphorisch. Und wir haben noch nie ein euphorisches Album gemacht. Wir hatten schon immer euphorische Momente, aber in dem Maß haben wir uns noch nicht ran getraut. Es war wirklich erfrischend. Ich glaube, es war tatsächlich etwas Persönliches. Ich habe mich nicht hingesetzt und gedacht: oh, ich muss ein positives Album machen. Ich habe mich einfach richtig gut gefühlt. Manche sagen ja, das wäre der Tod jeglicher Kreativität. Aber für mich, ich weiß nicht… mir hat es einfach Spaß gemacht. Auf eine Art ging es mir darum, Freude zu finden in einer Zeit, in der die ganze Welt unter Depression litt. Tut sie auf eine Art ja immer noch. Nimm „Beautiful World“ als Beispiel. Ich hatte gerade herausgefunden, dass ich Vater werde. Ich dachte verdammt, ich bringe ein Kind in diese Welt, und es hat mich nicht darum gebeten. Es ist großartig, aber du weißt schon… mit Songs wie diesem wollte ich etwas machen, das ein bisschen Hoffnung und Gutes bringt. Und hoffentlich wirkt es wie ein Neustart, nach dem Lockdown und allem. Am Ende bin ich nur eine von Millionen von Stimmen. Vor allem unter den jungen Menschen sind viele so: kommt schon, so müssen wir doch nicht leben. Ich sehe viele junge Künstler Platten raus bringen, die wahrscheinlich eine etwas wütendere Message als unsere haben (lacht).
Ehrlich, dieses Ding, dass glücklich sein der Tod aller Kreativität ist, das ist genau der gleiche Mist wie, dass Künstler problematische Persönlichkeiten sein müssen, um interessante Kunst zu machen.
Ich denke, es ist riesengroße Scheiße. Es ist schrecklich, wenn man das Gefühl vermittelt bekommt, man müsse sich als Künstler schlecht fühlen. Man kann Trennungsalben machen. Manche Leute machen verrückte Scheiße daraus (lacht). Das ist cool, aber… Ich bin ein riesengroßer Bob Dylan Fan, wirklich massiv, ich bin besessen. Ich habe schon immer gerne ein paar seiner älteren Platten gehört, wie „Infidels“ oder „Street-Legal“, die er gemacht hat, als er Gott gefunden hatte und irgendwie glücklich war. Ich dachte: das verstehe ich, ich liebe es! David Bowie hat ein paar seiner besten Platten gemacht, als er seine Heroinsucht überwunden hatte und aus all dem mit einer Einsicht heraus gegangen ist. Es ist ein Trugschluss, oder? Das Leben ist das, was wir draus machen. Wenn du ins Studio gehst, musst du einfach nur ehrlich sein. Ich meine, deshalb machen wir doch Musik. Um zu teilen, wie es uns geht. Und wenn es dir nicht gut geht, dann werden die Leute sich damit identifizieren können. Du musst einfach nur rein gehen und mit anderen teilen, was du fühlst.
Und es ist so ein eingängiges Album! Ich liebe diesen Mix aus Pop und Indie. Ich mag es nicht wenn Leute sagen, neee, das ist mir zu sehr Pop. Ich war nie so.
Ich auch nicht. Deshalb konnte man The Kooks nie gut in eine Schublade stecken. Mit unserem ersten Album wurden wir ziemlich als Indie vermarktet, aber wir hatten schon immer diese Pop-Sensibilität. Tobi und ich, wir haben viel darüber geredet, wie sehr wir Melodien leben. Wer tut das nicht? Aber die meisten wollen nur ein, zwei solche Songs auf ihrem Album haben. Dabei hör dir doch die Beatles an! Das sind alles Hits, Hits, Hits. Ich war immer ein großer Fan der Sechziger. Als ich aufgewachsen bin, habe ich die Achtziger und Neunziger übersprungen und nur Sechziger gehört. In der Schule war ich komplett alleine damit. Alle haben Garage und MCs gehört und ich Everly Brothers, Buddy Holly, The Beatles und Bob Dylan. Das Ding mit diesen Künstlern ist, sie haben keine halben Sachen gemacht. Es ging nur um Singles! Sie haben Alben gemacht, die aus Singles entstanden sind. Ich mochte diese Mentalität irgendwie immer mehr. Versuche jeden Song den du schreibst, so zu schreiben, dass er in Erinnerung bleibt!
Foto © Paul Johnson