So war’s beim Roskilde 2014

Gut einen Monat liegt das Roskilde Festival in Dänemark nun bereits hinter uns und die zahlreichen Eindrücke konnten in der Zwischenzeit langsam verarbeitet werden. Also, was gibt es zu Europas vermutlich geschichtsträchtigstem Festival zu berichten?
Sehr positive aufgefallen sind uns zuerst einmal die wirklich entspannte Atmosphäre und der relative hohe Altersdurchschnitt der Besucher. Man könnte fast meinen, dass sich die Generationen hier die Hände reichen und Eltern, die mit 20 bereits als Besucher beim Roskilde waren, nun mit ihren Kindern herkommen. Insgesamt liegt der Altersdurchschnitt bei 24 Jahren, wie uns die Pressesprecherin mitteilte.
Die Vielfalt des Publikums liegt bestimmt zu großen Teilen auch in der Bookingstrategie begründet, die sich nicht hauptsächlich an den Charts orientiert, sondern sich eher zum Ziel setzt, verschiedenste Bereiche abzudecken, sowie auch „alt“ gegen „neu“ zu setzen. Hier spielen nicht nur Bands, die vor drei Monaten ein Album raus gehauen haben, sondern eben alle, die interessant sind. Große und kleine, lokale und internationale, Rockopas, die neues Publikum für sich begeistern können und Jungspunde, die erste Erfahrungen mit Liveauftritten sammeln. Ob im Rahmen eines Förder- und Coaching-Programmes für Newcomer oder selbstständig, hier wird fleißig ausgetestet und entdeckt.
Diese Philosophie hat sich das Roskilde nicht nur im Bereich der Musik auf die Fahnen geschrieben, sondern auch in den Bereichen „Food“ und „Arts“ kann so einiges erlebt werden. Über das gesamte Festivalgelände erstrecken sich verschiedene Welten, die nach Lust und Laune ausgekundschaftet werden können. Ob man nun Wraps aus Kohlblättern im Foodcourt probiert, wo neben den normalen Essensständen innovative Kost getestet wird, sich durch Wälder aus Licht und Stoff in der Artszone schlägt oder inmitten von noch nicht ganz getrockneter Graffiti und Streetart relaxt, zwischen den Konzerten lauern auf jeden Fall viele kleine Abenteuer.
Testplattform will das Festival aber nicht nur für kreative, sondern auch für forschende Talente sein. So kam man im Laufe des Festivals immer wieder an verschiedenen Formen von Sanitäranlagen vorbei, die hier ebenfalls getestet wurden. Eine irgendwie merkwürdig unauffällige bestand nur aus einer schwarzen Wand, gegen die gepinkelt werden sollte. Der Sinn und das Innovative dieser Einrichtung erschlossen sich uns auf jeden Fall nicht auf den ersten Blick, doch handelte es sich hierbei um eine Wand, die mit einem geruchsabsorbierenden Material beschichtet war. Pinkeln auf Festivals im Freien ohne Gestank! Etwas Schlaueres kann man sich doch für die großen, europäischen Festivals kaum vorstellen. Bitte nächstes Jahr direkt nach Deutschland exportieren!
Die Idee des Ausprobierens und Experimentierens setzt sich auch auf den Campingplätzen fort. Ein ganzes Areal war hier unter dem Titel „Dream City“ nur dem baulichen Ausleben von Ideen gewidmet. Hier durften Gäste und Besucher alles tun, bauen und mitbringen, was ihnen einfiel. Der Frage nachgehend, „Wie sieht deine Traum-Community aus?“ entstanden Western- und Piratenwelten. Man stolperte von einem Metal-Friedhof in riesige Einhörnerköpfe hinein, kam an einem ‚Wo-ist-Walter-Camp‘ vorbei und war zwischendurch versucht, dem Festivaltrubel durch ein Bad bunter Bälle, am besten mit einem Buch aus der angrenzenden Bibliothek unterm Arm, zu entfliehen. In der Dream City konnten nicht nur fantastische kleine Festival-Dörfer beobachtet und entdeckt werden, die Besucher konnten hier auch selbst kreativ werden. So gab es neben verschiedenen Workshops wie z.B. dem Basteln eines Verstärkers, der direkt zur Beschallung des eigenen Camps genutzt werden konnte, auch wieder den Naked Man Run. In den letzten Jahren noch vom Festivalradio veranstaltet, welches sich auch in der Dream City niedergelassen hat, wurde dieser altbewährte Run 2014 von der Dream City ausgerichtet. Kurz zusammengefasst rennen hierbei nackte Festivalbesucher um die Wette, um am Ende einen schönen Biervorrat zu gewinnen. Da die Macher des Roskilde Festivals sich nicht mehr nachsagen lassen wollten jedes Jahr einen Lauf zu organisieren, der mit Bildern von nackten Brüsten in der nachträglichen Berichterstattung immer wieder davon ablenkt was das Festival noch zu bieten hat und von der Idee her eigentlich sein will, hat man sich jetzt eben etwas davon distanziert.
Sich jedes Jahr wieder der Herausforderung zu stellen ein derart offenes Festival zu sein, erfordert immer wieder gute Organisation und Strukturen. Da ist es kaum erstaunlich zu hören, dass einem jeden Festivalwochenende in Roskilde eine Planungsphase von eineinhalb Jahren voran geht. Obwohl dieses riesige Festival bereits seit den 70er Jahren Bestand hat und zu einer wahren Institution in der Musikwelt herangewachsen ist, gibt es nur 65 festangestellte Mitarbeiter. Alle weiteren Leute, die das Festival mit organisieren, sind Volunteers. Einige arbeiten rund ums Jahr freiwillig für das Festival und das bereits seit Jahren, andere stoßen erst zum Festivalwochenende hinzu. In der Roskilde Society bringen sich zahlreiche Freiwillige ein, die bis zum Festivalwochenende selbst dieses Jahr bis auf 31.000 Helfer angewachsen sind. Vom Bühnentechniker über Security bis hin zu den Verkäufern in den Food-Ständen arbeiten beim Roskilde alle freiwillig, da das Festival komplett Non-Profit ausgerichtet ist. Alle Einnahmen, die mit dem Festival erwirtschaftet werden, werden gespendet. In diesem Jahr sind, nicht zuletzt dank dem Auftritt der Rolling Stones, so Spenden in Höhe von ca. 2,5 Millionen Euro zusammen gekommen.
Neben dem ganzen Rahmenprogramm sollte aber natürlich vor allem die Musik im Mittelpunkt stehen. Den Preis für wohl den Headliner dieser Festivalsaison hat sich das Roskilde allemal verdient. Die Rolling Stones haben im Rahmen ihrer Europa Tournee ihrer einst für sie erbauten Bühne einen Besuch abgestattet und dafür gesorgt, dass das Festival auch in diesem Jahr wieder „ausverkauft“ mit gut 100.000 zahlenden Festivalbesuchern melden konnte. Die Altrocker haben am Donnerstagabend eine Show hingelegt, bei der sich so manch 20 Jähriger Rockmusiker einiges abschauen konnte. Was Mick Jagger mit 71 Jahren noch für eine Energie an den Tag legt ist wirklich unglaublich. Der einzig für die Stones aufgebaute Steg ins Publikum wurde reichlich genutzt und die Videowalls haben die Stimmung auch nach ganz hinten ins Publikum transportiert. Die Herren haben wirklich noch Spaß am Spielen und leben für ihre Musik. Schön zu sehen, dass einige Band einfach so lange bestehen, weil sie lieben was sie machen und nicht noch einmal zurückkehren, weil ihnen das Geld ausgegangen ist.
Viel mehr als die Stones geht eigentlich nicht sollte man meinen, doch auch an den weiteren drei Festivaltagen hat ein bunt gemischtes Musikprogramm auf insgesamt 6 Bühnen wohl für jeden Besucher etwas bereit gehalten. Damon Albarn hat nicht nur seine Solostücke zum Besten gegeben sondern auch aus dem Repertoire der Gorillaz oder The Good, The Bad & The Queen geschöpft. Seeed scheinen auch in Dänemark ein paar Fans zu haben und konnten am frühen Nachmittag bei perfektem Sommerwetter mit ihren durchweg tanzbaren Hits für ein weiteres kleines Highlight sorgen. Auch Die Nerven waren aus Deutschland angereist, um mit ihrer Mischung aus Rock und Punk ein neues Publikum zu erreichen. Wir fühlten uns sehr an Messer und 1000 Robota erinnert.
Wer war noch so da? Interpol zum Beispiel mit einem leicht melancholischen Set am Abend, die Arctic Monkeys mit einer soliden Rockshow und einem leicht angetrunken wirkenden Alex Turner, Rob Zombie mit einer kleinen Horrorshow auf der großen Bühne oder auch Major Lazer – mit einer Bühnenshow die nackter und geschlechtlicher fast nicht sein könnte, aber gut, mit der Freiheit der Kunst und Genre-Spezifitäten sei einiges zu rechtfertigen, so die Pressesprecherin.
Auch Stevie Wonder hat das Roskilde mit seiner Anwesenheit beglückt und mit viel Soul den letzten Abend eingeleitet. Uns dann doch etwas zu christlich angehaucht mussten, wir uns leider während seiner Show noch auf den Heimweg zurück nach Deutschland machen, sodass es leider auch dazu kam, dass wir Jack White verpasst haben, der kurzfristig für Drake eingesprungen ist und das Roskilde wohl angemessen abgeschlossen haben dürfte.
Liebes Roskilde, es war uns ein Fest! Ein so abwechslungsreiches, unterhaltsames und buntes Festival wie du ist uns lange nicht begegnet. Auf neue Festivalfreundschaften, wir kommen gerne wieder!

Waren dabei: Lena Krüger & Samira Szago