Sharon van Etten im Interview: „Ich werde nicht anfangen, Choreografien auf der Bühne zu tanzen“

Sharon van Etten geht auf ihrem neuen Album „Remind Me Tomorrow“ völlig neue Wege. Kein Wunder, denn im Leben der in New York lebenden Musikerin hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Sie hat Psychologie studiert, als Schauspielerin gearbeitet, Soundtracks geschrieben, sich verliebt und ist Mutter geworden. All diese unterschiedlichen Energien fängt „Remind Me Tomorrow“ perfekt ein – dieses Gefühl, alles schaffen zu wollen und, wie das Leben so spielt, trotzdem einiges auf morgen verschieben zu müssen. Zu lernen, damit umzugehen. Als ich Sharon zum Interview treffe, ist sie vom vielen Reden bereits ein bisschen heiser. Sonst wäre sie eigentlich eher schweigsam, meint sie, aber wir finden schnell unseren Redeflow. Besonders als zwei Mütter, die jeden Tag aufs neue lernen müssen, den Alltag zwischen Kindern, Kunst und Arbeit zu wuppen. Man verzeihe uns also den ausgiebigen Mommy-Talk – über Musik haben wir natürlich auch geredet.

Ich dachte, ich erzähle dir zum Einstieg eine kleine Anekdote. Neulich fuhren wir gemeinsam im Auto, als ein Song von dir im Radio kam: „Every Time The Sun Comes Up“. Meine Tochter, sie ist 13, liebt Regenwetter. Sie mag einfach keinen Sonnenschein. Sie hört also das Lied im Radio, wie du singst: „Every time the sun comes up I’m in trouble“ und sagt: Das finde ich toll. Die Frau versteht mich!

(lacht) Das ist großartig! Du musst ihr High Five von mir geben. 13 ist sie schon, wow. Mein Sohn ist noch klein. Wenn ich an die Zukunft denke bricht mir jedes Mal das Herz, wenn ich daran denke, was er alles noch erleben wird. Dieser ganze Schmerz, der noch auf ihn zukommen wird – wenn er es nicht ins Team schafft, wenn andere Kinder ihn ärgern, wenn ein Mädchen ihm das Herz bricht… (seufzt)

Du wirst sehen, man wächst in alles hinein.

Ja. Und ich glaube daran, dass man im Leben kämpfen muss. Man braucht das. Damit habe ich jahrelange Erfahrung (lacht).

Er wird auf jeden Fall das Gefühl haben, mit seiner Mutter über Herzschmerz sprechen zu können.

Vielleicht ist es ihm aber auch zu peinlich. Ich hoffe nicht.

Ich habe ein Videointerview mit dir gesehen, in dem du erzählst, dass du die Songs zu deinem Album fertig hattest, als dein Sohn ungefähr sechs Monate alt war. Das hat mich sehr beeindruckt. In den ersten Monaten nach der Geburt meiner Tochter war meine kreative und geistige Kapazität in etwa die einer Amöbe.

(lacht) Ich muss das ein bisschen korrigieren, damit es nicht zu sehr nach Superwoman klingt. Viele Songs habe ich geschrieben, bevor ich schwanger geworden bin. Die Strukturen und die Melodien. Als erstes mache ich immer „Stream of Consciousness“ Aufnahmen. Einfach nur für mich, um zu spielen und zu singen, fünf bis zehn Minuten am Stück. Diese Aufnahmen packe ich in einen Ordner und denke länger nicht mehr daran. Nachdem mein Sohn geboren war, hatte ich das Bedürfnis kreativ zu sein, aber nicht viel Energie. Ich bin oft zusammen mit ihm eingeschlafen, habe versucht zu lesen wenn er ein Nickerchen gemacht hat, auch wenn es schwer war mich zu konzentrieren. Das war auch die einzige Zeit die ich hatte um kreativ zu sein, wenn er geschlafen hat. Also habe ich Kopfhörer aufgesetzt, mir diese Songs angehört und meinen Sohn angesehen. So sind daraus Songs über ihn geworden – ursprünglich waren es Liebeslieder für meinen Partner, aber während ich ihn angesehen habe, ist mir bewusst geworden, wie meine Liebe sich entwickelt hat. Wie sich ein Teil von ihr auf ihn übertragen hat. Auf diese Weise haben sich auch einige der Songs entwickelt. Ich habe Texte geschrieben während ich Kopfhörer aufhatte und meinen Sohn angesehen habe. Sie sind also quasi nur entstanden weil er in dem Moment geschlafen hat (lacht). Bloss nicht das Baby wecken!

Das reicht mir immer noch völlig, um beeindruckt zu sein. Ich konnte mich damals nie entscheiden ob ich lesen, aufräumen, etwas schreiben oder einfach nur selber schlafen soll.

Und, wie oft hast du geschlafen?

Die meiste Zeit.

(lacht) Verdammt, es ist so eine schwere Entscheidung! Es gibt so viel was man tun könnte.

Und hat sich während der Schwangerschaft für dich auch geändert wie du Musik wahrgenommen hast?

Ich glaube, ich bin ein bisschen auf andere Musik angesprungen als sonst. Die meiste Zeit hatte ich ein ziemliches Gefühlshoch. Deshalb wollte ich nicht mehr so sehr empfindsame Songs hören. Ich hatte mehr das Bedürfnis richtig abzurocken. Ich mochte auch besonders gerne Songs in denen oft das Wort „Baby“ vorkommt. Wie „Essence“ von Lucinda Williams. (singt) „Baby, you’re my drug…“ Das habe ich ihm immer vorgesungen. Ein bisschen verstörend (lacht).

Dein Sound hat sich auf diesem Album ganz schön verändert. Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht etwas damit zu tun hat. Du warst ja emotional auch in einem völlig anderen Zustand. Einiges ist wirklich auffällig anders. Zum Beispiel, dass die Gitarre nicht so präsent ist.

Ja, bestimmt. Vor allem hatte ich aber das Glück, dass ich keinerlei Druck hatte, ein Album zu machen. Ich arbeite mit einem Label, das sehr sensibel mit mir umgegangen ist. Sie wussten, dass ich Zeit brauchte um Zuhause zu sein und andere Dinge zu machen, die ich unbedingt machen wollte. Ein bisschen mein Leben leben, bevor ich wieder anfange zu schreiben. Ich hatte das Gefühl dass ich sonst gar nicht weiß, worüber ich schreiben soll. Platte – Tour – Platte – Tour… worüber soll ich denn schreiben, wenn ich ständig in einem Bus sitze? Ich war so viel auf Tour, dass ich überhaupt keine Zeit hatte die Beziehungen zu pflegen, über die ich früher geschrieben habe. Wenn ich also weiter auf Tour ging, worüber sollte ich dann noch schreiben? Es kam mir lächerlich vor. Zwischen 2007 und 2015 war ich quasi non stop auf Tour. Und dann habe ich mich verliebt und wollte Zuhause sein und diesem Zustand Aufmerksamkeit widmen. Das Touren war der Grund, warum ich es mir leisten konnte nach New York zu gehen, aber ich hatte gar nicht wirklich etwas davon. Ich wollte New York genießen. Herausfinden, wie ich auch Zuhause kreativ sein und meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Dann habe ich von einer Freundin, der Regisseurin Katherine Dieckmann den Auftrag erhalten, einen Soundtrack zu schreiben. Sie wollte, dass ich einen Gitarren-Soundtrack schreibe, wie Ry Cooders Score für „Paris, Texas“. Ich spiele überhaupt nicht Gitarre wie er und dachte ich werde auch nicht so tun als könnte ich es. Es war sehr schwer für mich. Manchmal war ich sehr frustriert, weil es nicht mein natürlicher Style war, manchmal hatte ich eine richtige Schreibblockade. Zwischendrin musste ich die Gitarre einfach weg legen. Ich war in einem Studio, das ich mir mit dem Schauspieler Michael Cera teile. Er hat diese ganzen Synthesizer und Orgeln. Also hat er mein Klavier und mein Schlagzeug benutzt, während ich mit seinen Keyboards rum gespielt habe. Niemand war da, ich wollte einfach nur den Kopf frei kriegen, also bin ich eines Tages an den Synthesizer ran. Komplett durch Zufall, ich wollte herausfinden wie das Ding funktioniert, habe alle erdenklichen Effekte ausprobiert. Aus irgendwelchen Gründen habe ich es sofort geliebt, den Druck und die Kraft, die dahinter stecken. Ich habe nicht versucht einen Song zu schreiben, sondern einfach zum Spaß rum gejammt. Ich habe mit dem Schlagzeug experimentiert und bin auf diesen einfachen Beat gekommen, den ich total cool fand. Als ich mir alles zusammen angehört habe dachte ich: wow, das ist interessant. Seltsam und düster! Dann habe ich meine Stimme aufgenommen und einen extremen Hall drüber gelegt, sodass ich mir weniger Gedanken gemacht habe was genau ich singe. Irgendwann dachte ich aber okay, ich muss jetzt aufhören, sonst gerät es völlig außer Kontrolle. Also habe ich aufgehört und alles in einen Ordner gepackt. Das war einer der Songs, zu denen ich viel später wieder zurück gekommen bin. Irgendwann ist mir bewusst geworden, dass sich im Lauf von zwei Jahren über zwanzig solcher Songs angesammelt haben. Die Beats, die seltsamen Vocals, dass ich auf dem Keyboard ganz andere Akkorde ausprobiert habe und in einer ganz anderen Tonlage gesungen habe, das hat mich total angemacht. Was das Singen der Songs später erschwert hat war, dass ich nach 34 Stunden Wehen am Ende einen Kaiserschnitt hatte. All die Muskeln, die ich mir mein ganzes Leben aus Sängerin antrainiert habe, waren erst einmal zerstört. Plötzlich war ich viel verletzlicher. Die hohen Noten sind heute für mich viel schwerer zu singen, also hat meine Stimmlage sich weiter nach unten verlagert. Mein ganzer Körper hat sich verändert. Sechs Monate nach der Geburt fing es an mir langsam besser zu gehen. Dieser Heilungsprozess – es ist viel schwieriger, als man eigentlich drüber spricht. Um auf deine Frage nach dem Sound zurück zu kommen… (lacht) Ja. Es war nicht wirklich eine bewusste Entscheidung, aber im Lauf des Prozesses wurde mir klar, dass ich alles etwas wilder und dunkler möchte.

Dadurch dass du nicht mehr die ganze Zeit die Gitarre in der Hand hast, hat sich auch deine Bühnenperformance verändert. Haben dir dabei die Erfahrungen geholfen, die du als Schauspielerin gemacht hast?

Ich brauche immer noch Training was das angeht. Früher bin ich immer in Jeans und T-Shirt aufgetreten. Dann kam Heather Broderick in die Band, und sie sah immer so hübsch aus (lacht). Sie hat sich geschminkt bevor sie auf die Bühne gegangen ist. Ich bin natürlich immer noch ich selber, aber heute versuche ich es mehr so zu sehen, als würde ich zur Arbeit gehen, als würde ich eine andere Rolle einnehmen. Ich steige aus dem Bus, fühle mich ganz anders und weiß, dass ist jetzt mein Ding, das ich hier mache. Aber ich musste Heather fragen, wie man Eyeliner aufträgt (lacht). Es hat mich ein paar Jahre gekostet, bis ich mich voll zu meiner Weiblichkeit bekannt habe. Heather hat mir sehr dabei geholfen. Das mag jetzt vielleicht extrem klingen, aber es ist ein bisschen als hätte ich ein Alter Ego, mit dem ich jetzt auf die Bühne gehe. Wie die Persönlichkeit zu der ich werde, wenn ich die Tür hinter mir zu mache und tanze wenn niemand es sieht. Ich habe ja auch noch nie Musik gemacht, die so rhythmisch und tanzbar war wie dieses Album. Also, ich werde jetzt nicht anfangen Choreografien auf der Bühne zu tanzen (lacht). Aber ich genieße es, mehr mit meinem Publikum zu interagieren, direkter zu sein. Mich nicht mehr so hinter der Gitarre zu verstecken. Früher war es einfach für mich schüchtern zu sein. Diese Songs sind so viel mächtiger. Ich weiß, dass es einige Leute vielleicht ein wenig verstören wird. Aber wenn mich jemand fragt, warum dieses Album nicht so klingt wie das letzte, dann sage ich: aber das Album gibt es doch immer noch. Das kannst du dir jederzeit anhören. Willst du wirklich, dass ich wieder genau die gleiche Platte mache? Ich möchte einfach die Musik machen, die mich machen möchte. Das hält mich bei der Stange, inspiriert mich, fordert mich und lässt mich als Künstlerin wachsen.

Eine letzte Frage habe ich noch: wie ist das Albumcover zustande gekommen?

(lacht) Es ist ein Foto der Kinder einer Freundin. Katherine Dieckmann, die Regisseurin für die ich den Soundtrack gemacht habe. Es sind ihre Kinder. Sie sind inzwischen groß, ich habe ihre Erlaubnis. Katherine hat mich unter ihre Fittiche genommen, es war mein erster Soundtrack, sie hat die ganze Zeit meine Hand gehalten. Sie hat mir viel von ihrem Leben erzählt, wie sie und ihr Mann es zusammen geschafft haben. Sie haben lange in demselben Gebäude in zwei unterschiedlichen Apartments auf dem gleichen Gang gelebt. Das ist so unglaubliches New York, du hältst an deiner Wohnung fest, solang du dir die Miete leisten kannst. Auf diese Weise haben sie zwei Kinder miteinander großgezogen. Als ihr Film beim Toronto Filmfestival im Herbst 2016 Premiere hatte, hatte ich gerade herausgefunden dass ich schwanger war. Kurz bevor sie auf die Bühne ging, um den Film anzukündigen, habe ich es ihr gesagt. Wir haben beide angefangen zu weinen. Sie hat mir immer zur Seite gestanden und so viel von ihrem Leben als Mutter und Künstlerin mit mir geteilt. Ich habe geweint und gesagt: wie soll ich das schaffen, wie kann ich Mutter, Schauspielerin und Musikerin gleichzeitig sein? Und das auch noch in New York? Wie sollen wir uns das leisten? Sie hat angefangen zu lachen, ihr Handy aus der Tasche gezogen, mir dieses Foto gezeigt und gesagt: du wirst es herausfinden (lacht). Ich habe sie gebeten es mir zu schicken, und das Foto beruhigt mich bis heute, wenn ich gestresst bin. Ich sehe diese Kinder in diesem völligen Chaos, und es geht ihnen einfach gut. Ich habe es als Inspiration für das Album verwendet, bevor ich wusste, dass es das Cover werden würde. Am Ende gab es für mich keine andere Entscheidung. Danke, dass du danach gefragt hast!

„Remind Me Tomorrow“ von Sharon van Etten erscheint am 18.01.2019 auf Jagjaguwar / Cargo.

Interview: Gabi Rudolph
Foto: Ryan Pfluger

www.sharonvanetten.com