Die schönste Tolle der zeitgenössischen Rockabilly-Szene ist noch nicht gewickelt. Imelda May trägt Kopftuch und einen Leoparden-Plüschmantel. Ich trage eine Leoparden-Strickjacke, was mir in Anbetracht derart geballter Leoparden-Power ein klein wenig peinlich ist, aber Imelda quietscht vor Begeisterung, als ich meinen Mantel ausziehe. Sie fragt uns, ob wir etwas trinken oder essen möchten und schickt ihre Band aus dem Raum, damit wir in Ruhe reden können. Am Ende entschuldigt sie sich dafür, dass sie zu viel reden würde. Dabei sind wir ihrem Charme vom ersten Moment an restlos erlegen und hätten noch stundenlang weiter machen können.
Ich erinnere mich an einen Kommentar, den ich vor über einem Jahr auf Twitter gelesen habe: „Imelda May – The biggest star you’ve never heard of“…
Oh, das ist süß!
Wie kommt es, dass wir hier in Deutschland bis jetzt eher wenig von dir gehört haben, während du in deiner Heimat Irland, in England und den USA hingegen schon sehr bekannt bist?
Es ist das erste Mal, dass wir richtig hier in Deutschland sind, wahrscheinlich ist das der Grund. Wir waren nur einmal kurz mit der Band in Berlin…
…bei der Rock’n Roll Party Night. Wir waren dabei.
Oh ja, richtig! Jetzt weiß ich auch woher ich eure Gesichter kenne… (wir lachen) Ja, ja, ja! Ich erinnere mich immer an Leute aus dem Publikum. Das war ein ungewöhnlicher Abend, um das erste Mal hier aufzutreten. Es war sehr anders, aber toll! Wir haben als Band noch nie eine richtige Europa Tournee gemacht, immer nur einzelne Konzerte hier und da. Ich weiß nicht, vielleicht ist das der Grund, warum wir noch nicht so bekannt hier sind. Ich hoffe aber, dass sich das ändert.
Das wird es, bestimmt!
(lächelt bescheiden) Ach ja…
Jetzt muss ich dich etwas fragen, da ich im Internet zwei verschiedene Informationen dazu gefunden habe. „Love Tattoo“ war dein erstes Album, das hier in Deutschland raus gekommen ist. Ich habe sowohl gelesen, dass du es auf deinem eigenen Label herausgebracht hast als auch du hättest zu diesem Zeitpunkt bereits einen Vertrag mit Universal Music gehabt.
Nein, ich habe es auf meinem eigenen Label herausgebracht, Ambassador. Es ist das Label von meinem Mann Darrel, Clive, dem das Studio gehört, und mir. Als ich „Love Tattoo“ aufgenommen habe, hatte ich keinen Plattenvertrag. Ich habe mich mit ein paar Leuten getroffen und alle haben gesagt: „Sehr hübsch, aber wir verstehen es nicht.“ Es passte einfach in keine Schublade. Und dann war da die Sache mit dem Rockabilly. „Rockabilly musst Du los werden“, haben mir alle gesagt. „Rockabilly is the kiss of death.“ Andere Leute wollten mich in die Jazz Ecke schieben und mir eine Blume ins Haar stecken. Das habe ich alles ja schon gemacht, ich habe in Swing Bands gesungen, aber das waren dann eben nicht meine eigenen Songs. Um es kurz zu machen, mein Ehemann und Clive haben einen Kuhstall auf einem Bauernhof aufgetrieben und haben ihn mit ihren eigenen Händen in ein Studio umgebaut. Dort haben wir „Love Tattoo“ aufgenommen, ohne dass wir wirklich Geld dafür hatten. Ich konnte mir keinen Tontechniker leisten, also habe ich es selbst gemacht. Das Equipment, das wir haben ist alt aber sehr gut, es hat funktioniert. Dann hat Jools Holland uns entdeckt, er hat uns ins Radio geholt und in seine Fernsehshow. Plötzlich wurde alles total verrückt. Die gleichen Plattenfirmen, die vorher nein gesagt hatten, riefen plötzlich an. Eine davon war Universal. Sie haben gesagt: „Okay, wir haben es erst nicht verstanden, aber jetzt haben wir’s kappiert. Möchten sie mit uns über einen Plattenvertrag sprechen?“ Und ich habe ja gesagt. Sie haben mir das Album dann abgekauft. Ich nehme an, dadurch kommen die zwei unterschiedlichen Informationen zustande. Sie stimmen also beide irgendwie.
Dein zweites Album hört sich von Produktionswegen her ein wenig anders an als „Love Tattoo“. Hast du „Mayhem“ auch wieder in eurem Kuhstall aufgenommen?
Ja! Ich wollte so weiter machen wie bisher. Ich habe „Love Tattoo“ selbst produziert und „Mayhem“ auch. Das erste Album ist aber eher basic, ich wollte, dass es so klingt wie wenn wir als Band live spielen. Bei diesem Album wollte ich ein bisschen mehr daran arbeiten und gleichzeitig an das erste Album anknüpfen, mir ein paar mehr Gedanken über die Produktion machen. Es klingt vielleicht weniger Live, aber ich wollte trotzdem das Gefühl festhalten, das entsteht, wenn wir live spielen, die Aufregung, die Elektrizität, die die Leute bei unseren Live-Shows fühlen. Ohne zu viel zu ändern.
Hat sich an deiner Freiheit, die Dinge genau so zu tun wie du sie möchtest, beim zweiten Album etwas geändert, jetzt mit einem Major Label im Hintergrund?
(überlegt) Ich hatte viel Freiheit… letztendlich. Es war schon anders, da ich noch nie ein Album auf einem Major Label gemacht habe und noch nie in der Situation war, jemandem an Ende präsentieren zu müssen, was ich gemacht habe. Das war schon eine neue Erfahrung. Die größten Bedenken hatten sie, weil ich das Album selbst produzieren wollte. Sie wollten, dass ich mir einen Producer suche, und ich wollte selbst produzieren. Da ich das letzte Album bereits selbst produziert hatte wollten sie wohl, dass ich mich weiter entwickle. Aber ich wollte so weiter machen. Ich habe mich mit einigen Producern getroffen, aber niemand hätte es genau so gemacht, wie ich es wollte. Also habe ich mich einfach weiter mit Producern getroffen, und während ich das getan habe bin ich einfach schon mal ins Studio gegangen und habe angefangen zu arbeiten – ohne es jemandem zu erzählen. Schließlich habe ich die Aufnahmen dem Label präsentiert und gesagt: „Das ist genau das, was ich machen möchte.“ Und sie meinten nur: „Oh, das klingt gut! Aber triff doch bitte noch einen Producer.“ Ich meinte gut, kann ich machen, aber erst in drei Wochen. In der Zwischenzeit habe ich das Album fertig gestellt, und am Ende waren sie glücklich damit. Es gab aber auch gute, konstruktive Kritik. Ich mag die Dinge gerne einfach, und an manchen Stellen haben sie gesagt: „Das ist uns jetzt doch ein bisschen zu einfach.“ Ich habe überlegt und gedacht gut, da haben sie jetzt recht, das könnte wirklich noch ein paar Background-Vocals oder extra Bläser vertragen. Das einzige, was ich auf keinen Fall wollte, waren Gastmusiker, sodass es am Ende keine Bandplatte wird. Ich habe eine großartige Band und sah keinen Grund, die große Extravaganza daraus zu machen, mit lauter Leuten, mit denen ich niemals live spielen werde.
Du hast schon mit sehr vielen Musikgrößen zusammen gearbeitet. Was war für dich bis jetzt die tollste Begegnung, die beste Zusammenarbeit?
Also, ich liebe es mit Jeff Beck zu arbeiten. Er ist ein guter Freund und unterstützt mich und die Band sehr. Mit ihm zu arbeiten… er ist ein Genie. Spielst du Gitarre?
Ich? Nein, leider.
Jeff tut Dinge auf der Gitarre, die eigentlich nicht möglich sind. Er hat mich gebeten, auf seinem Album „Emotion & Commotion“ zu singen. Ein tolles Album! Dann bin ich mit ihm und Dave Gilmour in der Royal Albert Hall aufgetreten. Kurz vor dem Gig spreche ich mit Dave und er sagt: „Ich bin so nervös heute!“ Ich frage: „Warum bist du nervös? Das ist doch kein so großer Gig für dich.“ Er sagt: „Ja, aber ich werde heute Abend mit Jeff Beck Gitarre spielen!“ Und das sagt Dave Gilmour! Gitarristen auf der ganzen Welt sehen zu Jeff Beck auf. Die Gitarre ist wie ein Teil seines Körpers, er schafft es, dass sie wie eine Stimme klingt. Ich fühle mich sehr geehrt, mit so brillianten, großartigen Musikern zusammen zu arbeiten.
Was sind die Situationen, in denen du selbst nervös wirst? Bist du generell nervös vor Auftritten?
Bevor ich auf die Bühne gehe bin ich nicht nervös. Ich bin angespannt, aber nicht nervös. Gigs sind das, was ich tue, ich liebe es Gigs zu spielen, ich mache das seit meinem 16. Lebensjahr. Fernsehen ist ein bisschen seltsam, da bin ich schon nervös, mit den vielen Kameras um mich herum. Da fängt man plötzlich an, sich komische Gedanken zu machen, hofft, dass man nicht der Länge nach hin fällt, seinen Text nicht vergisst… (lacht)
Mich interessiert auch, wie du selbst Musik konsumierst. Besitzt Du einen iPod oder ähnliches?
Nein, ich habe keinen iPod. Ich habe etwas Musik auf meinem Handy, aber das nutze ich mehr zu Übungszwecken. Wenn ich einen Song in meinen Kopf kriegen möchte, höre ich ihn so immer wieder an. Aber zu Hause… ich liebe es, Musik meine Aufmerksamkeit zu schenken. Das mag ich lieber, als nebenbei zu hören, während ich etwas anderes mache. Ich liebe es, eine Platte aufzulegen. Ich sammle Platten – ich liebe Vinyl! Ich habe auch CDs, hunderte von CDs, aber ich schenke ihnen nicht den gleichen Respekt wie meinen Platten. Die CDs liegen überall rum und ich wische höchstens mal kurz drüber, bevor ich sie in den CD-Player lege. Aber meine Platten… um die kümmere ich mich ganz anders, achte darauf, dass sie ordentlich in ihren Hüllen stecken. Ich höre aber eigentlich ständig Musik, beim kochen, beim sauber machen… aber ich liebe es, eine Platte aufzulegen. Weißt du, die Leute schenken dem Fernsehen so viel Aufmerksamkeit, Respekt und Zeit. Sie lehnen sich zurück und machen nichts anderes. Ich mache das so mit Musik, lehne mich zurück und höre einfach nur zu, um jedes Detail mitbekommen. Vinyl hat diesen unvergleichlichen, warmen Klang, den findet man nirgendwo anders. Das ist wohl auch der Grund, warum es wieder im Kommen ist. Das erste Mal als ich einen meiner Songs auf Vinyl gehört habe… wow, das war ein magischer Moment! Es klingt einfach anders.
Das war wunderbar, vielen Dank! Aber ich glaube, unsere Zeit ist leider um.
Oh, eine Sache möchte ich noch sagen. Ich langweile euch sicher…
Nein, nein, bitte!
Was die Produktion des Albums „Mayhem“ betrifft… ich möchte das nicht ganz allein für mich beanspruchen. Am Ende habe ich ein wenig mit dem Mischen gekämpft. Habt ihr schon mal etwas abgemischt? Das ist ein sehr heikler Balance-Akt. Das Abmischen von „Love Tattoo“ war kein Problem, das habe ich auf einem guten Niveau hingekriegt. Aber bei diesem Album, jetzt, wo ich auf einem Major Label bin, wusste ich, das Niveau muss nach oben gehen, und ich wusste, das schaffe ich nicht allein. Also sind Andy Wright und Gavin Goldberg dazu gekommen. Das war eine sehr respektvolle Zusammenarbeit. Andy hat gesagt: „Ich weiß, du hast es selbst produziert, du brauchst nur ein klein wenig Hilfe damit.“ Ich möchte den beiden dafür danken. Wir hatten Auseinandersetzungen, aber jetzt ist alles gut! (lacht) Ach herrje, ich habe so viel geredet! Jetzt müsst ihr mir aber noch ein bisschen von euch erzählen…
„Mayhem“ erscheint in Deutschland am 04. Februar 2011.
Interview: Gabi Rudolph & Katja Mentzel
Fotos (c) Chris Clor