Der Tod gehört zum Leben. Ist Bedingung und Definition. In „Hereafter“ geht es nicht um die Suche nach Antworten – oder die ultimative Antwort – sondern darum, die Fragen nach Sterblichkeit und einem Leben nach dem Tod neu zu ergründen, in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.
Das Drama erzählt von drei Menschen. Durch ihre Augen werden die Sujets Liebe, Verlust, Einsamkeit und Sterblichkeit betrachtet. „In diesem Film werden drei Personen vom Tod so berührt, wie es die meisten Menschen nie erleben“ beschreibt es Eastwoods langjähriger Produzent Robert Lorenz. Der amerikanische Arbeiter George, gespielt von Matt Damon. Die französische Journalistin Marie (Cécile de France) auf der anderen Seite des Atlantiks. Und Marcus der Schuljunge aus London, dargestellt von den Zwillingsbrüdern Frankie und George McLaren. Sie alle stehen in einer ungewöhnlichen Dreiecksbeziehung.
Alle drei Protagonisten sind mit dem Tod in Berührung gekommen. Marcus hat seinen Zwillingsbruder verloren. Die Unerklärlichkeit dessen lässt ihn schier verzweifeln. Marie wird durch ein Nahtoderlebnis während eines Tsunami-Unglücks traumatisiert, das ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellt. Und dann ist da George, der eine gänzlich besondere Verbindung zum Jenseitigen besitzt. Er ist in den Besitz der Gabe gelangt, als Medium mit den Toten zu sprechen. Von George erwartet jeder Hilfe. Für die einen Gabe. Für ihn Fluch.
So führen die drei Hauptcharaktere ihre ganz eigene Auseinandersetzung mit dem Tod. Marie in Paris kämpft für Offenheit und gegen das Thema Tod als Tabu. Exemplarisch, die Steine die ihr in den Weg gelegt werden, um einen Verleger für ihr Buch „Hereafter“, das von Nahtod-Erfahrungen handelt, zu finden. Marcus sucht nach einem Weg, mit seiner Trauer und dem Verlust umzugehen. Von George erwartet jeder Hilfe und Antworten, er hingegen wünscht sich nichts sehnlicher als diese Bürde abzulegen und ein normales Leben zu führen.
Der Tsunmai-Knalleffekt, ausgiebig inszeniert, schnappt sich gleich zu Beginn die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Clint Eastwood marschiert im Folgenden durch traurige, sentimentale Szenen und bleibt gewohnt trocken. Überlebt so ein Minenfeld von Klischees und präsentiert einen Film mit erstaunlicher Authentizität. „Hereafter“ ist oft genug komisch, weiß humorvoll die Gunst der Kinogänger um den Finger zu wickeln, und besitzt dann doch wieder jene Traurigkeit, die Filme vom Mittelmaß zu Meisterwerken wachsen lässt. Das liefert dem Film eine Kraft, die Skeptiker, Mystiker sowie jene in der Mitte fesselt und mitreißt.
Mittlerweile ist Clint Eastwood eine generationsübergreifende Ikone, nicht nur aufgrund seiner Markante Züge, sondern auch wegen seinem künstlerischen Lebenswerk. Er feierte Erfolge als Schauspieler, Regisseur und auch als Sänger, Songwriter und Soundkomponist (als welcher er insgesamt an 17 Filmen mitwirkte) oder gar als Bürgermeister seines Heimatdörfchen Carmel in den 80ern. Bei Regie-Legenden wie Sergio Leone und Don Siegel lernte Eastwood stilistische und visuelle Elemente meisterhaft zu nutzen. Wie die Direktheit beim Zusteuern auf Szenen und das Setzen feiner Nuancen auf der großen Leinwand. Gegipfelt, honoriert und von der breiten Masse wahrgenommen bei seiner ersten Oscar-Auszeichnung für „Erbarmungslos“.
Clint Eastwood ist einer der wenigen Regisseure, denen es gelingt Geister oder das Jenseits glaubhaft darzustellen und Matt Damon einer der wenigen Schauspieler. Darüber hinaus werden, aufgrund des vielschichtigen Drehbuchs von Peter Morgan, diese Phänomene erstmals seriös und glaubhaft filmisch umgesetzt. Die handwerkliche Perfektion ist nicht zuletzt Mr. Eastwood zu verdanken, sondern auch seinem langjährigen und eingespieltem Team.
Drei Menschen, drei Schicksale. Ein Meister des Erzählkinos, der es versteht diese kunstvoll zu verknüpfen. Die so erwachsende Stimmung, das anhaltende Aufeinanderfliehen der drei Geschichten. Die immer größer werdende Distanz zwischen George, Marie sowie Marcus und den anderen Menschen wird ruhig und geradlinig, ohne jegliche Effekthascherei inszeniert. „Was auf der anderen Seite ist, wissen wir nicht, doch das Ende auf dieser Seite ist nicht verhandelbar“, so der Regisseur. Egal welcher Weltanschauung oder Religion man sich zugehörige fühlt, die Annahme des Jenseits basiert auf Hypothesen. Clint Eastwood wertet ebenso wenig, wie er der Versuchung unterliegt das Leben nach dem Tod zu beweisen. Er erzählt stattdessen in gewohnt langsamen und präzisen Bildern eine wundervolle Geschichte.
Matt Damon und Cécile de France brillieren in den Hauptrollen und auch die Zwillingsbrüder Frankie/Geroge McLaren spielen unnachahmlich eindringlich. Am Ende sitzt man da und ist verwundert, verwirrt, aber wundervoll berührt. Das ist wundervoll. Ein Meisterwerk.
„Hereafter“ startet am 27. Januar in den deutschen Kinos.
Gesehen von: Sebastian Schelly