Richard Reed Parry im Interview: „Der Körper ist das Haupthirn des Menschen“

Kurz bevor Richard Reed Parry die Welttournee mit seiner Band Arcade Fire beendet hat, hat er sein neues Soloalbum „Quiet River of Dust Vol. 1“ angekündigt. Und mein erster Gedanke war: wann zum Teufel hat er das denn gemacht? Jetzt ist das Album erschienen und ich hatte die Gelegenheit, ihn genau das zu fragen. Die Antworten die ich bekommen habe zeigen, wie leidenschaftlich Richard ist, wenn es um Musik geht und um die Dinge die er tut. Es kamen dann noch einige andere interessante Sachen zur Sprache: seine Arbeit mit der Waterson Family, die Verbindung zwischen Musik und Körper und Körper und Natur. Sehr spirituell und inspirierend – aber lesen Sie selbst.

Ich habe deinen Auftritt diesen Sommer beim PEOPLE Festival gesehen. War es das erste Mal, dass du die Songs aus „Quiet River of Dust“ live gespielt hast?

Nicht das allererste Mal, aber es war die erste Show kurz vor Ende der Arcade Fire Tour, als fest stand, dass das Album raus kommen würde. Und es war die erste Show, die ich jemals mit all diesen tollen Leuten gespielt habe, das war großartig.

Ich frage mich ja immer, wie du das alles machst. Du warst so lange mit Arcade Fire auf Tour. Und dann plötzlich ein neues Solo-Album – ich dachte, wann zum Teufel hat er das denn gemacht?

(lacht) An den „Quiet River“ Sachen habe ich geschrieben wann immer ich freie Zeit hatte. Es ist fast zufällig passiert, immer wenn ich Zeit und Raum dafür hatte. Irgendwann waren Aaron und Bryce Dessner von The National zu Besuch und ich habe ihnen so viele Songs vorgespielt. Sie sind förmlich ausgeflippt und sagten: du musst diese Songs fertig schreiben! Sie haben damals dieses Festival in England kuratiert und gesagt: du musst zu unserem Festival kommen und all diese neuen Songs spielen. Tu es einfach, selbst wenn du das Gefühl hast sie sind noch nicht fertig. Also habe ich ja gesagt, und das war der Zeitpunkt, an dem ich die ersten Songs wirklich fertig geschrieben habe, so dass man sie der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Das war vor fünf Jahren und hat den Startschuss für die Arbeit an dem Album gegeben. Davor habe ich einfach diese Songs geschrieben, aber nie versucht sie fertig zu kriegen. Ich habe nicht versucht etwas mit ihnen zu erreichen, habe sie einfach passieren lassen. Nachdem ich bei dem Festival aufgetreten war, habe ich gesagt ok, jetzt arbeite ich offiziell an ihnen.

Das Wochenende vor dem PEOPLE Festival und einen Tag vor der Arcade Fire Show in Berlin diesen Sommer habe ich deinen Auftritt zusammen mit der Waterson Family gesehen, die in Berlin ihr Album „Bright Phoebus“ komplett aufgeführt hat. An deinem einzigen freien Tag hast du also eine komplett andere Show gespielt. Das muss doch wahnsinnig viel Arbeit gewesen sein.

Nun, man könnte sagen, dass das ein bisschen verrückt ist (lacht), vielleicht auf die Dauer nicht durchzuhalten. Auf der anderen Seite ist es für mich vollkommen natürlich, so etwas zu tun. Ich will nicht direkt sagen zwanghaft, aber jedes Mal wenn eine so schöne Gelegenheit daher kommt, sage ich ja. Ich bin die ganze Zeit sowieso schon wahnsinnig beschäftigt, und dann kommt diese Waterson Show und ich denke oh Mist, ich habe die Songs ja noch gar nicht geprobt! Was habe ich nur getan? (lacht) Aber was mich antreibt ist die Schönheit, die in all dem steckt, diese unglaubliche Begeisterung die ich für diese Dinge fühle. Ich arbeite nie an Dingen, die ich nicht liebe, das ist für mich der Schlüssel. Ich bin mit der Waterson Family und ihrer Musik aufgewachsen und sie liegt mir heute noch sehr am Herzen. Ich habe eine enge Beziehung zu ihr. Ich konnte also nicht nein sagen, auch wenn das Timing der komplette Wahnsinn war.

Während der Show hast du erzählt, dass deine Eltern eine der wenigen Ausgaben der Platte besessen haben, die man tatsächlich abspielen konnte.

Ja, und sie sind in denselben Folk Club gegangen, in dem auch die Waterson Family immer war. Das war Teil ihres sehr jungen gemeinsamen Lebens. Dieses Album hat wie zufällig einen Großteil meiner musikalischen inneren Welt geformt. Immer wenn ich eine derart enge Verbindung zu Dingen habe, komme ich einfach nicht an ihnen vorbei, selbst wenn ich viel zu beschäftigt bin (lacht).

Ich kannte das Album vorher nicht und auch nicht die Geschichte dahinter. Dass als es ursprünglich in den siebziger Jahren raus kam kaum jemand es hören konnte, weil fast alle Schallplatten eine Fehlpressung waren. Aber bei der Show hatte ich auch das Gefühl, dass diese Musik ein sehr starker Einfluss für dich gewesen sein muss. Man hört es auch bei „Quiet River of Dust“, finde ich.

Absolut. Mir geht es genauso.

Aber erzähl mir, wann du zum ersten Mal die Idee zu „Quiet River of Dust“ hattest. Ich habe gehört, dass das mehr als zehn Jahre her ist.

Es war nicht wirklich eine Idee. Auf eine Art war es wieder etwas das einfach passiert ist, als ich ihm den Raum dafür gegeben habe. Ich habe mich quasi dabei ertappt, wie ich Musik geschrieben habe, die so klang, es ist ganz natürlich passiert und hat mich keine Mühe gekostet. Also weniger: ich habe da eine Idee für eine Folk-Odyssee… ich habe mehr einem Einfluss, der schon immer da war, irgendwo in meinem Blut, erlaubt heraus zu kommen. Und dann habe ich ihm natürlich bewusste Gedanken gewidmet. Aber der Antrieb und wo das alles her kam war nicht etwas, das ich bewusst versucht habe zu steuern. Als die Songs nach und nach entstanden sind, habe ich realisiert, dass sich hier eine neue musikalische Welt bildet. Ich wusste sie war beeinflusst vom britischen Folk, aber ich wusste auch, dass ich nicht versuchen würde traditionell klingende Musik zu schreiben, sondern ihre Klangwelt an bestimmte Orte zu führen und weitere Einflüsse mit einzubringen, die eine einzigartige und überraschende Kombination ergeben. Etwas das wie nichts klang, das ich zuvor gemacht hatte.

Ich habe das Live Video zu „I Was In The World (Was The World In Me)“ gesehen, in dem du den Song ganz reduziert und akustisch spielst, nur du und die Gitarre. Wenn man ihn dann auf dem Album hört, klingt er so groß! Und wird im Verlauf größer und größer. Als du die Songs aufgenommen und produziert hast, wusstest du da, dass du in diese Richtung gehen würdest? Oder ist das einfach so passiert? So nach dem Motto ach, scheiß egal, legen wir einfach noch ne Spur drüber!

(lacht) Das habe ich mit der Zeit entdeckt. Als ich in der frühen Schreibphase war, wusste ich es noch nicht. Als ich den Song einmal aufgenommen hatte, hatte er diese Form, eine reduzierte, folkige Version. Aber irgendwie ging mir das nicht weit genug. In dem Song geht es um diesen transzendierenden Moment, wenn man sich selbst in der Natur verliert. Gleichzeitig wird dir auf erschreckende Weise klar dass, wenn du dich eins mit der Natur fühlst, gleichzeitig die Vorahnung darüber liegt, dass du eines Tages tatsächlich wieder genau das sein wirst, eins mit der Natur. Dass all deine Partikel sich im Boden auflösen werden. Dieses unglaubliche Gefühl das man hat, wenn man in einem See schwimmt oder im Wald spazieren geht, wenn du die Gefühle und die Umgebung so stark in dich aufnimmst… du weißt, eines Tages wird die Natur dich wieder zurück nehmen, du wirst dich in ihr auflösen, zu ihr zurückkehren. Das war also die Idee hinter dem Song und an einem bestimmten Punkt, als ich ihn aufgenommen hatte, dachte ich: dieser Refrain, der muss einfach komplett wahnsinnig sein. Er muss sich anfühlen als würde man sich im Universum auflösen, wie wenn all deine Moleküle durcheinander wirbeln, auseinander gerissen werden und sich mit allem um dich herum verbinden. Ich habe den Song mit meinen Bandkollegen gespielt und wir wussten, die Refrains mussten wir anders machen. Also haben wir das meiste vom Song behalten, aber die Refrains auf diese explosive Art und Weise aufgenommen. Ich habe einfach einen Fuß vor den anderen gesetzt, und alles hat sich gefunden.

Ich bin immer wieder fasziniert davon, was für einen direkten Einfluss auf den Körper deine Musik hat. Das ging mir schon bei „Music for Heart and Breath“ so, wobei es da natürlich offensichtlicher ist, weil die Art wie die Musik gespielt wurde direkt mit dem Körper verbunden war. Aber trotzdem, auch bei diesen Songs ist der Effekt ähnlich. Ich werde ganz meditativ dabei. So wie du beschreibst wie du an ihnen gearbeitet hast dachte ich gerade, vielleicht hängt es mit dieser intuitiven Weise zusammen, in der du sie empfangen hast.

Ja, es ist eine sehr intuitive Arbeit. Ich habe immer eine Richtung, aber ich folge ihr auf intuitive Weise. Ich glaube, es passiert endlich, dass die Menschen den Körper wieder mehr anerkennen. Sie haben das lange nicht getan. Der Körper ist das Haupthirn des Menschen. Das Gehirn in deinem Kopf ist nur ein Teil davon. Unser Körper weiß so viel mehr und hat seine eigene Art und Weise Dinge zu tun, eine nicht rationale Art. Dein Körper will Dinge. Er hat all diese grundsätzlichen menschlichen Funktionen. Wir werden mehr von unserem Körper angetrieben als von unserem Gehirn. Ich glaube, es gibt mehr als diese grundsätzlichen menschlichen Funktionen, zu denen dein Körper sich verpflichtet fühlt. Für mich ist das ein wichtiger Aspekt von Musik, wie dein Körper sich zu Dingen hingezogen fühlt. Dein Körper möchte weniger hiervon und mehr davon. Er möchte von etwas überwältigt werden oder mit etwas in Ruhe gelassen werden. Für mich liegt hier viel meiner musikalischen Intelligenz. Sobald ich körperlich anfange Musik zu spielen, dann kann mein Gehirn dazu kommen und mir sagen: oh, wie wäre es wenn ich es so versuche. Oder wie wäre es wenn wir diesen alten Song als Referenzpunkt benutzen. Aber das ist immer erst der zweite Schritt. Der erste ist, meinen Körper die Musik machen zu lassen, meine Hände etwas spielen zu lassen und zu sehen, wie mein Gehirn darauf reagiert. Ich brauche eine Resonanz auf einem körperlichen Level, um weiter zu machen.

Das ist jetzt also „Quiet River of Dust“, Teil eins. Ist Teil 2 schon fertig?

Ja, ich habe beide Teile zur gleichen Zeit fertig gestellt. Teil 2 wird im Frühling raus kommen. Das Album hat tatsächlich zwei Seiten, wie ein Doppelalbum, aber es hat sich so angefühlt, als wollten sie getrennt voneinander raus kommen. Es wäre zu viel Musik auf einmal, um sie zu verdauen. Außerdem ist es viel interessanter, wenn die Alben mit der Jahreszeit verbunden sind, zu der sie veröffentlicht werde. Aus vielerlei Gründen, sowohl konzeptionellen als auch pragmatischen, war es die beste Art, es so zu machen.

Interview: Gabi Rudolph
Foto: Susan Moss

www.richardreedparry.com