Rezension: Das selbstbetitelte Debütalbum von 86TVs

Eine Kristallkugel hätte einem vor 30 Jahren sagen können, dass die White-Brüder dazu bestimmt sind, gemeinsam eine Band zu gründen. Aufgewachsen mit einer gesunden Diät aus Bob Dylan, den Beatles und einer großen Portion Gitarrenbands der 90er und 00er Jahre, scheint es nur logisch, dass sich die Geschwister – Felix, Hugo und Will – zusammenfinden würden, um 86TVs (benannt nach einer weiteren ihrer Lieblingsbands: I Am Kloot) zu gründen, ergänzt durch den Schlagzeuger Jamie Morrison. Und obwohl die Vorhersagen der Kristallkugel deren viele vorherige, bemerkenswerte Projekte nicht berücksichtigt haben – The Maccabees für Felix und Hugo, Wills Soloprojekt BLANc, die Zeit bei The Noisettes für Jamie, neben individuellen Ausflügen in die Produktion, Soundtracking und Zusammenarbeit – fühlt es sich richtig an, dass die Bruderschaft an diesem Punkt in ihren Dreißigern angekommen ist. Alle Wege haben letztendlich hierher geführt.  

Nachdem die Band in den letzten sechs Jahren viel im Privaten entstanden ist, haben die vier nun ein ehrgeiziges, vielseitiges Debütalbum vorgelegt, das sich mit dem Schreiben, Aufnehmen und Verfeinern ihres Sounds beschäftigt. Das Werk reicht von hymnischen, gitarrengeführten Knallern bis hin zu zarten, verträumten Grübeleien.  

Der mitreißende Album-Opener „Modern Life“ heißt den Hörer mit offenen Armen in der 86TVs-Gang willkommen, und zwar durch die Blutharmonien der White-Brüder (die Art von intuitiver Verschmelzung von Stimmen, die sich nur aus einem Familienstammbaum ergeben kann) und die weitläufige Instrumentierung. Der Aufbau des kollektiven Gesangs, der an „Wake Up“ von Arcade Fire erinnert, wird trotz des unzusammenhängenden lyrischen Themas zum Schlachtruf und legt das Fundament sowohl für die kommenden jubelnden Gitarrenhymnen (wie die Singles „Higher Love“ und „Someone Else’s Dream“) als auch für die langsameren, nachdenklicheren Momente der Platte („Komorebi“, „Dreaming“). Die flirrenden Gitarren und das druckvolle Schlagzeug wirken wie ein Appetithäppchen, bevor man sich kopfüber in „Tambourine“ stürzt, einem verzerrten Gitarrentrack, der einen wie eine Springflut durch die Gegend wirft und einen daran hindert, nach Luft zu schnappen, bevor er abrupt endet und einen ausspuckt, bevor er überhaupt die 2-Minuten-Marke erreicht. Die DNA des Songs ist fest verwurzelt in den knallharten, düsteren Stücken vom The Strokes Album „Room On Fire“

Die ersten beiden Tracks sind Paradebeispiele für die Fähigkeit von 86TV, komplementäre und doch kontrastierende Stimmungen und Tempi in ihrem unverwechselbaren Sound aufzubauen und ihrer meisterhaften Fähigkeit, Tracks schlank zu halten. Fast die Hälfte der 15 Songs ist weniger als 3 Minuten lang, ein Zeichen für die Jahre, die sie mit der Verfeinerung dieser Tracks verbracht haben, indem sie überflüssige Teile weggeschnitten haben, um nur die besten Stücke übrig zu lassen. Das schnelle Tempo erzeugt in vielen der Songs eine Dringlichkeit, die sich anfühlt, als würde man mit hoher Geschwindigkeit fahren – eine Stimmung, die passend in „New Used Car“ eingefangen wird. Ich möchte direkt meinen Kopf aus einem heruntergekurbelten Fenster zu stecken und „Nothing lasts forever, gotta live for today!“ in die verschwommenen vorbeifahrenden Straßen schmettern. Die kurzen und süßen Songs, die das Album unterbrechen, schaffen einen energetischen Auftrieb für die meditativeren, sanfteren Songs, die beruhigende Atempausen bieten. 

Ein immer wiederkehrendes Gefühl auf der Platte ist das der Nostalgie, das sich in den verschiedenen Songs morpht und verändert. Der unmittelbarste davon ist „Days Of Sun“, ein Serotonin-induzierender Popsong, der so hell und schillernd ist wie ein langer Schulsommerurlaub. Die Harmonien der Brüder wirken wie warmer Sonnenschein auf dem Rücken eines weißen T-Shirts, die Basslinie eine trödelnde Hummel und die Percussion erinnert an Kinder, die auf Glasflaschen und Blechdosen trommeln. Wenn man die Augen schließt, kann man fast den Geruch von Sonnencreme und frisch gemähtem Gras heraufbeschwören, bevor das Outro die Geräusche eines Kinderspielplatzes einfließen lässt. Das angstgetränkte „New Used Car“ versetzt uns dann in die Erinnerung an die Sommer, die man als Jugendlicher mit Freunden verbracht hat, von denen man sich inzwischen getrennt hat. Während „Need You Bad“ zärtlich melancholische Wehmut kanalisiert, die den sommerlichen Herzschmerz „spent in the arms of my best friends/They all said I’d get over you“ reflektiert. 

Auf ihrem selbstbetitelten Debüt beweisen 86TVs, dass sie in der Lage sind, Emotionen zu wecken, indem sie schillernde Popsongs, mitreißende, gitarrenbetonte Hymnen und gedämpfte Momente der Verletzlichkeit miteinander verbinden; eine Reife des Songwritings und der Musikalität, die von ihren früheren musikalischen Projekten und ihrem brüderlichen Instinkt zeugt. Die Zeile „Where you’re stood is where you’re meant to be“, die in „Someone Else’s Dream“ beruhigend verkündet wird, fühlt sich an wie die perfekte Verkörperung von 86TVs. Alles hat sich zum richtigen Zeitpunkt und auf die richtige Art und Weise ergeben, und alle Wege führen zu diesem reflektierten, selbstsicheren Werk.  

86TVs live:

15.-16.11.2024 Weissenhäuser Strand – Rolling Stone Beach

16.11.2024 Berlin – LARK

Der Artikel wurde ins Deutsche übersetzt, das englische Original könnt ihr hier lesen.

www.86tvsband.com