Neben Musik gibt es auf dem Reeperbahn Festival jedes Jahr auch den Arts Bereich. In diversen Galerien rund um den Kiez präsentieren Künstler ihre Werke und laden zum entspannten verweilen ein. Wer sich nicht ganz so weit von der Reeperbahn entfernen möchte macht einen Abstecher zur alljährlichen Flatstock Ausstellung auf dem Spielbudenplatz. Hier gibt es viele verschiedene Flatstock Künstler aus aller Welt mit ihren Drucken zu bestaunen, die bei Gefallen zum großen Teil auch gleich vor Ort gekauft werden können.
Warm glühen mit Ray
Wer noch nicht so richtig weiß, welche Band er sich eigentlich anschauen soll, macht am besten um 17 Uhr einen Abstecher zu Ray’s Reeperbahn Revue ins Schmidt’s Theater. MTV Legende Ray Cokes präsentiert hier an jedem Festivaltag seine Highlights aus dem Programm. Jeden Tag lädt er vier Bands ein, die am jeweiligen Tag spielen, hält Smalltalk und lässt ein bis zwei Stücke, zumeist unplugged, präsentieren. Wer Ray Cokes nicht kennt, sollte unbedingt im nächsten Jahr einen Besuch bei seiner Revue einplanen und vorher ein bisschen Zeit mitbringen. Am Donnerstag standen wir gute 20 Minuten vor Einlass bereits mit einigen Menschen in einer Schlange vor dem Theater, an diesem Tag dürften aber noch fast alle reingekommen sein. Am Samstag haben wir uns in weiser Voraussicht bereits eine halbe Stunde vorher angestellt und haben es gerade noch geschafft, einen Platz im Theater zu ergattern. Das Publikum ist bei diesem Format, neben den Künstlern, der wichtigste Teil der Show. Jedes Jahr aufs neue castet sich Ray sein Tresenpersonal (auf der Bühne gibt es eine Bar, damit die Künstler nicht auf dem Trockenen sitzen müssen) aus dem Publikum zusammen und bezieht es auch sonst in jeder Beziehung mit ein. Zusätzlich wird das Ganze auch live ins Internet gestreamt. Langsam sollte man sich vielleicht über eine größere Location Gedanken machen, denn es hat sich inzwischen rumgesprochen, dass man einen Reeperbahn Festival Tag nicht besser starten könnte als bei Ray.
Messer-scharfer Post-Punk
Am Freitag ließen wir Ray allerdings ausfallen, da wir erst gegen 8 Uhr in den Abend starteten und uns zuerst die Band Messer im Indra zu Gemüte führten. Messer, das sind eigentlich 4 Münsteraner, die sich dem Post-Punk verschrieben haben. An diesem Abend allerdings zu fünft, mit Drummer in doppelter Ausführung, was uns auch erst zum Ende des Sets aufgefallen ist. Solche kleinen Läden wie das Indra, in dem ja bereits die Beatles ihrer Zeit angefangen haben, haben einfach einen ganz anderen Charme, als so manch anderer Klub auf dem Kiez. Hier hat man noch eher das Gefühl sich dem restlichen Publikum verbunden zu fühlen und gemeinsam Spaß an der Sache zu haben und das Gefühl zu teilen, sich jetzt zur richtigen Zeit am richtigen Ort eingefunden zu haben. Die Jungs haben einige Songs vom bald erscheinenden zweiten Album gespielt und lassen hoffen, dass auch die kommende Platte richtig gut und natürlich auf ihre spezielle Messer-Weise richtig interessant wird. Sympathisch und dankbar wirkte die Band an diesem Abend.
Don’t Believe The (Urban Cone) Hype
Nach leichten Orientierungsschwierigkeiten im doch recht überladenen Timetable trennten sich dann unsere Wege, sodass wir und erst gegen 23 Uhr zur weiteren Abendplanung wieder trafen. Samira machte sich auf den Weg ins Docks, wo die neue Indie Sensation Urban Cone aus Schweden ihr Stelldichein geben sollte. Wirklich voll war es dort allerdings nicht. Don’t believe the hype! Indie-Elektro-Pop, unter Vertrag bei Universal, wirklich nichts, was man noch nicht gehört hätte. Und so kam es dann auch, ganz niedlich anzusehende Boys Anfang 20 in engen Hosen. Der Leadsänger, ein Wuschelkopf in Tingle Tangle Bob Manier, der von den hauptsächlich minderjährigen Kids gefeiert wurde. Musikalisch blieb hier nicht so viel hängen, aber man muss sich mal angucken, wen die Teenies von heute gerade so feiern.
Weiter gings dann zur Spielbude. Eine Location, bereits am ersten Tag des Festivals mit Verwunderung im Timetable entdeckte, nie davon gehört. Hierbei handelt es sich um eine Spielstätte handelte, die durch das Zusammenschieben der beiden sich auf dem Spielbudenplatz befindlichen Bühnen entsteht. So kommt dann auch beim Reeperbahn Festival zur Abwechslung ein bisschen Open Air Feeling auf, auch wenn es in der Zwischenzeit ziemlich kalt auf dem Kiez geworden war. Hier spielten die Columbian Neckties richtigen Rock’n’Roll, zu dem man gut ein Tänzchen aufs Parkett hätte legen können – wenn es nicht so ungemütlich kalt gewesen wäre.
Entstaubte Literatur
Lena verschlug es in der Zwischenzeit unter anderem zu Andy Strauß, der in der Pooca Bar eine einstündige Bühnenshow darbot. Deklariert unter „Lesung“ bot diese Stunde doch einiges mehr als vorgelesene Literatur – ein in diesem Fall eher verstaubt wirkender Begriff. Die geistigen Ergüsse des Andy Strauß jedenfalls, die man auch teilweise in Buchform erwerben und nachlesen kann, sind politisch, polemisch und witzig. Sie konstruieren unheimlich Skurrile Zusammenhänge und Situationen und thematisieren dabei manchmal gnadenlos (oder eher schamlos) alles und jeden. Konservativ ist der vor allem durch seine Slamerfolge bekannte Münsteraner auf jeden Fall nicht. Sein Kosmos reicht von Traumhochzeiten mit Käsestücken (die man natürlich nur an der Seite des angetrauten Schinken in Reizwäsche angemessen genießen kann), bis zur Redefreiheit und bestimmt noch viel weiter…fast fragt man sich, ob man das noch wissen will. Bei Zigaretten und Bier (will man es dem Künstler gleichtun) kann man während einer Stunde mit Andy Strauß nicht nur einiges über neuartige Spirituosen-Kombinationen sondern auch über neue und veränderte Perspektiven lernen. Großartig!
War der Kopf im Anschluss noch nicht aufgewühlt genug konnte man sich im Moondoo, direkt um die Ecke, noch undurchschaubaren Rap von dem ein bisschen wie Tyler, The Creator klingenden Rejji Snow vortragen lassen. „Vortragen“ ist hier tatsächlich nicht ganz fehl am Platz, geht es hier doch seltenst um technischen, schnellen, aggressiven Rap, sondern eher um langsame, schleppende Loops. Die Beats klingen „Old School“, erinnern an die Neunziger-/Nullerjahre. Die Debüt-EP »Rejovich«, wird schon gefeiert. Auf den ersten Longplayer des Literaturaffinen Iren freut man sich.
Die KIDS sind OK
Mit wärmendem Drink in der Hand machten wir uns dann auf einen etwas längeren Weg vom Kiez über Heiligengeistfeld zum Bunker auf. In dem ehemaligen Luftschutzbunker der einem Musikladen, einer Uni und noch manch anderem ein Zuhause bietet, befinden sich auch die Clubs Terrace Hill sowie das Uebel & Gefährlich. Im Terrace Hill gab es bei Young Rebel Set nur noch bedingt ein Reinkommen. Einmal die Bar erklommen, konnten wir dann zumindest ein wenig von der Bühne sehen. Wobei das ja eher Schunkelmusik ist. Egal, einfach mal ein bisschen zuhören und das Publikum beobachten hat auch was. Wir waren dann auch froh aus dem überfüllten Laden wieder rauszukommen und ein Stockwerk tiefer OK KID zu gucken. Was machen die so? Muss man eigentlich nicht mehr erklären…kennen ja bestimmt schon alle. Mit Texten, in Rap Manier geschrieben, von Band begleitet und eher poppig präsentiert, halten OK KID uns Probleme vor Augen, die wir alle haben und auswendig kennen, doch niemals selbst in so wunderschön fröhlich-malancholischer Art und Weise auf den Punkt bringen können.
Das darf man doch nicht! Oder?!
Das Spektrum des deutschen Hip Hop ist wahrscheinlich genau so groß wie die 257ers konträr zu OK Kid sind. Von gefühlsbetonter, ehrlicher Unsicherheit zu zotigen Sprüchen und Respekt vor gar nichts, auch nicht vor sich selbst, denkt man da manchmal. Die 257erst machen „Hokus-Pokus-Rap“, oder so. Sie adaptieren Apres-Ski-eske Schunkelmelodien, sagen so oft „schwul“, dass man es wirklich nicht mehr hören kann, ziehen über Frauen derartig her, dass man sich dazu angehalten fühlt, sie vielleicht doch lieber nicht als „Objekte“, sondern besser gleich als „Gebrauchsgegenstände“ zu begreifen, ergehen sich in Fäkalhumor und reden sonst eigentlich nur übers Saufen. Das ist alles nicht cool. Gar nicht cool. Trotzdem stecken in Raptechnick und Wortgebrauch von Shneezin, Mike und Keule so viel Dynamik, Witz und Schläue, dass es (meistens) einfach Spaß bringt sie zu sehen und zu hören. Immer wenn man bei Konfrontation mit diesem Essener Raptrio wieder aus dem Grinsen nicht rauskommt, möchte man sich mental auf die Finger schlagen. Das kann man doch nicht gut finden! Oder doch? Naja, wenigstens ist klar, dass sich die drei selbst nicht besonders ernst nehmen…dann müssen wir das ja vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall hatte man nach diesem letzten Konzert des Freitags Bock auf Drinks und Party. Und auch davon gibt’s beim Reeperbahnfestival zum Glück reichlich.
Waren dabei: Samira Szago & Lena Krüger