Mit den posthumen Veröffentlichungen, das ist so eine schwierige Sache. Besonders bei einem Künstler wie Prince, der zu Lebzeiten strikte Kontrolle über alles gehalten hat, was mit seiner Person und seinem Schaffen zu tun hatte. Heute ist Prince überall im Internet, auf YouTube, auf Spotify, in der Google Bildersuche. Und wir haben fast schon vergessen, dass es eine Zeit gab, in der Prince sich mit seinem Label gestritten hat weil er nicht die volle künstlerische Kontrolle über seine Albenveröffentlichungen halten konnte, in der er seine Musik online nur über den Streamingdienst Tidal veröffentlicht hat und in der man kein einziges Bild oder Video von ihm im Internet fand, weil er mit zum Teil rigorosen Methoden dagegen vorgegangen ist. Das war zum Teil schon ganz schön verrückt, aber Prince war nunmal Prince. Er hatte seine eigenen Regeln, und wer mit ihm zu tun haben wollte, der musste nach ihnen spielen. Die kürzlich in der LA Times erschienene Hintergrundgeschichte zu seinem Auftritt beim Coachella Festival 2008 ist dafür ein perfektes Beispiel. Warum man diesen Wahnsinn überhaupt mitgemacht hat? Weil nach einer Zu-, einer Absage und einer sehr kurzfristigen Wiederzusage am Ende einer der legendärsten Auftritte in der Geschichte des Festivals stand. If Prince said it, you did it!
Nun hat verrückterweise ausgerechnet Controlfreak Prince zwar ein Archiv mit so vielen Songs, dass uns angeblich neue Prince Veröffentlichungen für die nächsten Jahrzehnte sicher sein sollen, aber kein Testament hinterlassen. Die Verwaltung seiner Hinterlassenschaften liegt jetzt beim Prince Estate, und der trauernde Fan kann nur hoffen, dass in Zukunft Entscheidungen getroffen werden, die mit Prince‘ Wünschen und Ansichten zumindest ansatzweise konform gegangen wären. Immerhin hat sich Prince mit den musikalischen Schätzen in seinem „Vault“ auch schon in der Vergangenheit generös gezeigt. Als er im Streit mit Warner Brothers lag, hat er dem Label zum Beispiel die Möglichkeit zugestanden, die Veröffentlichungen zu denen er vertraglich verpflichtet war, aus seinem Archiv zu bestreiten. Auch hat er zu Lebzeiten immer mal wieder verlauten lassen ihm sei bewusst, dass die im Vault gelagerten Aufnahmen nach seinem Tod das Licht der Welt erblicken werden, und er hat zumindest keinerlei Verfügung erlassen, dies zu verhindern.
Der erste Song, der nach Prince’ Tod aus dem Vault veröffentlicht wurde, war „Moonbeam Levels“. In einer BBC Dokumentation aus dem Jahr 2015 erzählt Prince’ ehemalige Soundingenieurin Susan Rogers dass sie mehrmals Zeugin war, wie Prince versuchte den Song in ein Album zu integrieren, ihn aber jedes Mal kurz vorher wieder verworfen hat. Was sie nie verstehen konnte, weil es wirklich ein wunderschöner Song ist, aber Prince wusste nunmal was er tat. Er war stets der alleinige Herr seiner Entscheidungen und hat diese in der Regel auch nicht weiter erklärt. Dass wir „Moonbeam Levels“ heute hören können, in voller Qualität und nicht als schepperndes Bootleg, ist natürlich auch ein Geschenk.
Drei Jahre nach seinem Tod bringt der Prince Estate nun zwei Veröffentlichungen auf den Weg, auf die nicht neugierig zu sein nahezu unmöglich ist. Die eine ist das „Originals“ Album, auf dem sich original Demoversionen von Songs befinden, die Prince später zur Veröffentlichung an andere Künstler weiter gegeben hat. Dabei sind so berühmte Prince Kompositionen wie „Manic Monday“, mit dem die Girlband The Bangles 1985 einen Riesenhit hatte sowie „Nothing Compares 2 U“, der erstmals ebenfalls 1985 von der von Prince gegründeten Band The Family veröffentlicht wurde und fünf Jahre später in der Version von Sinead O’Connor die internationalen Charts sprengte. Insgesamt 15 Prince Demos von Songs unter anderem von The Time, Sheila E., Kenny Rogers, Martika, Apollonia 6 und Vanity 6 sind auf dem Album zusammen gestellt, das am 7. Juni 2019 exklusiv auf Tidal veröffentlicht wird, ab dem 21. Juni auf allen weiteren Streaming-Plattformen und als CD erscheint und ab dem 19. Juli dann als 180 Gramm Doppel-LP.
Die andere ist die Autobiografie „The Beautiful Ones“, die Prince kurz vor seinem Tod zu schreiben begonnen hat und die am 29. Oktober 2019 bei Penguin Random House erscheint. Dass sie offiziell als „coming-of-age-and-into-superstardom story“ angekündigt wird, hat den tragischen Hintergrund, dass Prince nur 50 Seiten geschafft hat zu schreiben. Den restlichen (Groß)Teil der angekündigten 288 Seiten sollen bisher unveröffentlichte Fotografien und original Skizzen aus der Feder von Prince bilden.
Ein bisschen hat man ja schon die Vermutung, dass Prince rotieren würde bei der Vorstellung, dass etwas, das sich in einem derart frühen Stadium seines Schaffens befand, nun an die Öffentlichkeit dringt. Aber dann stellt sich auch wieder die Frage: was hätte man von seiner unglaublichen, einzigartigen Kreativität, wenn sie auf immer und ewig unter Verschluss bliebe? Besonders die Vorstellung, dass Prince tatsächlich Prosa geschrieben hat, ist absolut elektrisierend. Natürlich will Unsereins das lesen! Und vielleicht ist sich über das aufzuregen, was auf der Erde passiert auch ein viel zu profanes Unterfangen, wenn man erst einmal dort ist, wo Prince jetzt ist.
Wenn man zusätzlich das glauben kann, was Prince’ Halbschwester Sharon Nelson kürzlich in einem exklusiven Interview gegenüber Billboard behauptet hat, dann ist der Prince Estate derart schlecht verwaltet, dass er droht, bis zum Ende des Jahres bankrott zu gehen – obwohl es hier um ein Vermögen mit einem geschätzten Wert zwischen 100 und 300 Millionen Dollar geht. Alleine der schwer nachzuvollziehende Umzug des Vault von Minneapolis nach Los Angeles soll 90.000 $ monatlich verschlingen. Angeblich werden die sich ehemals in Prince’ Besitz befindenden Ländereien Stück für Stück verkauft, weshalb Sharon Nelson fürchtet, dass Paisley Park, Prince’ ehemaliges Anwesen und Studiokomplex irgendwann nicht mehr existieren wird. Vielleicht sollten wir uns nicht weiter Prince’ Kopf darüber zerbrechen, wenn es um die Veröffentlichung seiner kreativen Hinterlassenschaften geht, sondern sie aus vollem Herzen feiern und genießen, solange es uns möglich ist. Selbst Dinge, die Prince vielleicht nicht einer Veröffentlichung wert erschienen, werden immer die größte künstlerische Qualität haben und das meiste übertreffen, was es in der Welt dort draußen zu hören gibt.