Pokey LaFarge: „Ich glaube, ich war immer dazu bestimmt, meinen eigenen Weg zu gehen“

Pokey LaFarge hat sein neues Album „Rhumba Country” genannt. Der Titel ist die perfekte sinnbildliche Spielerei dafür, dass es das leichteste, unbeschwerteste, ja geradezu fröhlichste Album ist, das der amerikanische Roots-Musiker je veröffentlicht hat, sowohl musikalisch als auch inhaltlich. Kein Wunder, denn es ist das erste Album, von dem Andrew Heissler, wie Pokey La Farge mit bürgerlichem Namen heisst, sagt, dass es an einem inneren Ort der Freude entstanden ist. 

An diesem Nachmittag sitzen Andrew und ich buchstäblich bei einer Tasse Tee zusammen. Aus der geplanten halben Stunde wird fast eine ganze. Wir unterhalten uns sehr offen und intensiv über die dunklen Zeiten, die er durchgemacht hat und die Dinge, die ihm geholfen haben, wieder an einen besseren Ort zu finden. Die Beziehung zu seiner Frau, sein Glaube an Gott, Farmarbeit und letztendlich natürlich die Musik, in der all das zusammenkommt. Die Deutschen wären die besten Interview-Partner, verrät er mir hinterher mit einem Augenzwinkern. Wir hätten keine Scheu, so richtig in die Tiefe zu gehen. „To the roots“ mit Pokey LaFarge also. 

Fühlst du dich nach so vielen Jahren im Geschäft freier in der Art, wie du Musik machst, oder gibt es bestimmte Erwartungen, die du glaubst, erfüllen zu müssen?

Es gibt sicherlich Erwartungen von meinen Fans. Und ich glaube, ich habe auch schon Fans verloren, durch meine sowohl persönliche und geistige als auch musikalisch-kreative Wandlung. Die Leute wollen nicht, dass man sich ändert. Wenn du ein Drogensüchtiger und Alkoholiker sein musst, um die Musik zu machen, die sie hören wollen, dann wollen sie auch dass du das bleibst. Vor allem, wenn es sich um traurige Musik handelt. Sie wollen jemanden, der ihre Traurigkeit verherrlicht und rechtfertigt. Ich habe es ausprobiert. Es ist nicht mein Ding. Ich habe in den letzten Jahren einen großen Wandel in meiner Musik vollzogen, um zu sehen, wo ich in den nächsten zehn, zwanzig Jahren sein werde. Ich lasse mich viel von Künstlern inspirieren, die ihre eigenen Genres geschaffen haben. Menschen, die wahre Künstler sind, wie David Bowie und Tom Waits. Besonders Tom Waits. Seine ersten Alben waren in vielerlei Hinsicht alle gleich. Dann machte er diese große Veränderung durch, und von da an war jedes Album völlig anders. Bei solchen Leuten weiß man nie, was einen erwartet, wenn sie eine Platte herausbringen. Und das ist mehr oder weniger der Punkt, an dem ich ansetzen möchte. Ich habe sehr greifbare Wurzeln und Referenzen in meiner Musik, die diese anderen Künstler, die ich erwähnt habe, nicht so haben. Ich werde also immer sehr stark mit der traditionellen Musik verwurzelt sein. Es ist quasi wie ein Erbe. Nicht, weil ich mich bewusst darum bemühe, diese Musik zu spielen, sondern weil ich sie liebe. Aber sie ist inzwischen so sehr ein Teil von mir, dass ich sie nicht mehr loswerde. Sie liegt mir im Blut.

Besonders bei diesem Album finde ich hört man sehr deutlich, woher du kommst. Aber ich hatte das Gefühl, dass du innerhalb dieses Konstrukts auch mehr experimentierst. Du klingt für mich sehr frei auf diesem Album. 

Ich fühle mich nicht durch Genres eingeengt, das war ich nie. Ich wollte immer mein eigenes Genre schaffen. Ich habe dem Album den Titel „Rhumba Country“ gegeben, was sozusagen das Genre für diese Platte ist. Aber ich habe mich immer dafür entschieden, meinen eigenen Weg zu gehen. Schon als ich jünger war, habe ich Dinge anders gemacht als andere Leute, einfach um anders zu sein. Wenn ich merke, dass große Gruppen von Menschen sich auf etwas zu bewegen, dann sträube ich mich von Natur aus dagegen. Manchmal ist es gut, manchmal nicht (lacht). Manchmal wende ich mich von wirklich guter Musik ab, nur weil ich nicht mit der Masse mitgehen will. Ich denke, es liegt an dieser Entschlossenheit, einzigartig und originell zu sein. Aber letztendlich gibt es da vielleicht auch einen negativen Gedankengang, dass man einfach nur wahrgenommen werden will. Aber ich glaube, viele Künstler sind so. In jeder Stärke steckt auch eine Schwäche. Ich glaube, viele Künstler sind sehr zerbrechlich und sensibel. Es ist letztlich nicht der Grund, warum sie tun was sie tun. Ich will damit nicht sagen, dass man plötzlich ein guter Sänger und Musiker ist, weil man geliebt und beachtet werden will. Aber es hat etwas damit zu tun, vor Menschen aufzutreten. Es ist so ein seltsamer Job. Selbst wenn man am Anfang nicht den Wunsch hatte, wahrgenommen zu werden, ist es wie eine Droge, wenn man es erst einmal hat. Ich glaube, man muss sich davon lösen. Ich weiß zumindest, dass ich es musste. Denn ich habe die Auftritte, die Liebe zum Publikum und den Erfolg definitiv als eine Art Droge benutzt, um andere Probleme zu übertünchen, mit denen ich zu kämpfen hatte. Aber irgendwann wurde mir klar, dass es nicht darum geht, was ich bekomme, sondern darum, was ich gebe. Und dass meine Musik ein Geschenk ist, das ich teilen muss. Wenn du sie als Geschenk weitergibst, dann bist du nicht darauf angewiesen, was die Leute sagen. Aber um die Frage konkreter zu beantworten: Als Musiker, der bodenständig und ein bisschen altmodisch ist, denke ich, dass ich sogar in meinen eigenen Kreisen ein bisschen anders bin. Die Americana-Vereinigung in Amerika interessiert sich nicht für mich. Ich habe nie in diese Schublade gepasst, weder als Roots-Musiker noch als moderner Musiker. Ich glaube, ich war immer dazu bestimmt, meinen eigenen Weg zu gehen. 

Kann man als Künstler den Wunsch, etwas zu schaffen, von dem Wunsch, es öffentlich darzubieten, trennen?

Ich würde sagen, man kann es nicht. Wie ich schon sagte, meine Gabe ist ein Geschenk von Gott. Ich habe mich nicht selbst zum Musiker gemacht, ich bin nur in das hineingestiegen, wozu ich geschaffen wurde, und ich werde weiterhin in das hineingehen, wozu ich geschaffen wurde. Es geht nicht darum, dass ich es für mich behalte, es ist dazu bestimmt, aufgenommen und mit der Welt geteilt zu werden. Und warum? Weil es ein Geschenk ist, und Geschenke sind dazu da, geteilt zu werden. Da ich die Verantwortung habe, das, was ich tue, zu teilen, muss ich mir bewusst sein, was ich teile. Bei diesem Album geht es darum, Licht statt Dunkelheit, Liebe statt Hass, Frieden statt Angst zu verbreiten. Wenn du meine Musik aus der jüngsten Vergangenheit kennst und einige der Dinge, über die ich früher gesprochen habe, dann weißt du, dass ich dunkle Zeiten durchgemacht habe. Und deshalb habe ich mich aus der Dunkelheit befreit und komme jetzt ins Licht. Ich versuche, ein Licht in diese dunklen Orte zu bringen, um den Menschen zu zeigen, dass sie es auch schaffen können. Sie müssen es durchstehen. Es gibt keinen Weg um die harten Zeiten herum. Also nein, ich glaube nicht, dass man die Kreation von der Performance trennen kann.

Manche Kunstformen sind ja weniger abhängig von Publikum als andere. Bei der Musik oder der bildenden Kunst zum Beispiel, hat man immer die Freude am Schaffen. Während der Pandemie konnte man zwar nicht auftreten, aber man konnte trotzdem Musik aufnehmen. Schauspieler hingegen sind völlig davon abhängig, dass man ihnen zusieht, während sie etwas schaffen. 

Ja, das ist ein guter Punkt. Wenn man die verschiedenen Kunstformen vergleicht, würde ich sagen, dass Musik in vielerlei Hinsicht die einfachste und zugänglichste ist, die es gibt. Sie ist etwas, das wir alle tun können. Es ist etwas, das wir alle von Natur aus tun. Wir singen für uns selbst, wir singen unter der Dusche. Musik ist etwas, das mit der Gesellschaft am stärksten verwoben ist, sei es im Film, auf der Straße, in der Kirche oder in unseren Häusern. Die Menschen treffen sich nicht, um Gedichte zu schreiben. Sie kommen zusammen und tanzen. Für die Musik braucht man nur ein Instrument. Wie du schon sagtest, braucht man für die Schauspielerei ein Publikum. Bei der Musik braucht man eigentlich nichts, man braucht nur seine Stimme. Man braucht keine Hilfsmittel. Schreiben ist so hart und einsam. So viele Stunden allein, allein, allein. Beim Film braucht man viele Leute, um alles zusammenzubringen. Man braucht Kameraleute, Schauspieler, jede Menge Geld und Beziehungen, wenn man einen großen Spielfilm machen will. Deshalb habe ich so viel Respekt vor all den verschiedenen Kunstformen. Kochen ist eine Kunstform. Selbst aus meiner relativ kurzen Zeit in der Landwirtschaft weiß ich, dass Gartenarbeit und Landwirtschaft die älteste Kunstform ist, die es je gab. Aber Musik ist meiner Meinung nach bei weitem die einfachste. Es ist seltsam, aber ich glaube, es waren die Musiker, die in der Pandemie als letzte wieder an die Arbeit gehen könnten. Man konnte zwar Filme machen, aber keine Konzerte spielen.

Ich finde es toll, wie du Landwirtschaft als eine Kunstform beschreiben. Ich weiß, dass du damit einige Erfahrungen gemacht hast…

… ja, während Covid. Weil ich nicht auf Tournee gehen konnte und meine Frau, die damals noch meine Freundin war, nach Maine ziehen wollte. Wir zogen in ein kleines Dorf, also habe ich damit angefangen. Ich wollte schon lange einen anderen Beruf lernen, hatte aber nie die Gelegenheit dazu. Ich habe eine ganze Saison lang gearbeitet, von Februar bis zur Ernte. Währenddessen ist mein Album entstanden. Ich habe erkannt, dass es eine Kunstform ist. Man modelliert die Landschaft mit Dingen, die auf verschiedenen Ebenen wachsen. Man gräbt und bewegt Erde. Man sät Samen und bringt Dinge zum Wachsen. Und dann malt man mit den verschiedenen Farben, die man in den Kräutern und Blumen sieht, bevor sie zu Samen werden und sich braun verfärben. Das war wirklich faszinierend. Es ist die älteste Kunstform, der älteste Beruf, es ist wirklich verrückt. 

Hat dir das geholfen, mehr Licht im Leben zu sehen? Hast du dieses Album bereits von einem helleren Ort aus empfangen, oder war das alles Teil des Prozesses?

Es war definitiv Teil des Prozesses. Ich hätte nie erwartet, nach Maine zu ziehen. Ich hätte nie erwartet, Landwirt zu werden. Es war einfach etwas, das ich inmitten von Schwierigkeiten tun musste. Ich würde sagen, dass Covid für mich einige der besten Jahre meines Lebens waren. Ich brauchte die Ruhe, ich brauchte die Zeit abseits dem Leben auf der Straße. Der Frieden und die Ruhe waren eine wirklich willkommene Abwechslung zu dem Chaos eines Lebens, in dem man ständig auf Tournee ist. Aber natürlich haben meine Finanzen sehr darunter gelitten, dass ich etwa drei Jahre lang nicht in der Lage war, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es gab einige Entbehrungen, weil ich Freunde und Familie nicht sehen konnte und so weiter. Die Entfernung von der Welt und der Anblick von leidenden und sterbenden Menschen. All das habe ich auch gespürt. Aber damals als ich anfing, erfolgreich zu werden, als ich anfing, gutes Geld zu verdienen, vertrug der Erfolg sich nicht mit den Problemen, die ich hatte. Er machte sie nur noch lauter und ausgeprägter. Ich fing an, mich mehr mit Alkohol, Drogen und Frauen zu beschäftigen, und das hat nicht funktioniert. Ich sabotierte mich selbst und sabotierte meine Beziehungen. Es gab eine Menge Streit und Meinungsverschiedenheiten unter Freunden. Meine Musik hat darunter gelitten und vieles ist in die Brüche gegangen. Ich war einfach lebensmüde. Ich dachte, wenn das alles ist, will ich einfach nur noch sterben. Ich habe versucht, mich umzubringen. Aber irgendetwas ließ mich weitermachen, in letzter Minute habe ich aufgehört. Zwölf Jahre später wollte ich es wieder tun, und ich betete zu Gott um ein Wunder. Es war ein sonniger Tag in Kalifornien, als ich mit dem Auto unterwegs war und sich wie aus dem Nichts ein Regenbogen bildete. Damals hatte ich eine radikale körperliche, metaphysische und geistige Begegnung mit Gott. Ich habe ihm einfach mein Leben übergeben. Es war 2019, als sich mein Leben zu verändern begann, als ich begann, eine Beziehung zu Jesus und der Bibel zu haben. Alle meine Beziehungen haben sich verändert. Meine Musik hat sich verändert. Mein ganzer Denkprozess hat sich verändert. Die Landwirtschaft wurde ein Teil davon. Mit der Erde verbunden zu sein und draußen zu arbeiten, ist natürlich eine tolle Sache. Aber für mich war es war eine Gelegenheit, die sich mir geboten hat und die ich genutzt habe. Ich hatte niemanden, der mich versklavte, der mich zwang, für ihn zu arbeiten oder ähnliches. Aber diese Dinge, die Arbeit mit der Erde zu dieser Zeit, haben mich irgendwie dazu gebracht, zu erkennen, wie inspirierend es ist, auf diese Weise verbunden zu sein. 

Ich respektiere es sehr, wie ehrlich du über deinen Weg sprichst. Und ich freue mich für dich, dass du jetzt einen besseren Weg gefunden hast. 

Ich weiß, dass viele Leute, die meine Musik hören und vielleicht dieses Interview lesen, nicht denselben Glauben haben wie ich. Und sie könnten sogar denken, dass ich ein Narr bin für die Dinge, die ich sage und die ich glaube. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich speziell christliche oder Gospelmusik mache. Ich fühle mich eher wie jemand, der eine Brücke schlägt. Einerseits, weil ich einige der härteren, persönlichen Kämpfe durchgemacht habe, mit denen viele Menschen im Moment zu kämpfen haben. Andererseits möchte ich den Menschen auch ein Licht auf allgemeine Themen werfen, mit denen wir alle etwas anfangen können. Zu wissen, dass wir es verdienen, geliebt zu werden, und dass wir andere lieben müssen. Durchzuhalten, denn man ist nicht dazu bestimmt, im Leben immer nur zu kämpfen und zu leiden. Es macht einen in gewissem Maße stärker. Aber es gibt immer eine anderer Seite, auf der es besser ist. Ich bin dazu bestimmt, Musik zu machen, die Freude macht, und positiv zu bleiben. So unsexy das für die Musikmedien und die Hörer auch klingen mag. Das ist meine Mission. Das ist es, wozu ich hier bin.

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