„Bei dieser Musik denke ich an kalte Seeluft!“
Das Hamburger Label Omaha records lud zu einem Festival und es verschlug die Singer und Songwriter in den Substanz Biergarten nach Leipzig: Eine liebevolle und gemütliche Kulisse, Hunde aus der Gattung der Pferdeartigen, leckere Burger, ausgefallene Getränke, Sitzkissen vor der Bühne – und viele Musiker, die uns ihre ganz persönlichen Geschichten aus dem Leben erzählen.
Freitag 03. August – „So gehen die sonst nur bei Pitti Platsch und Schnatterinchen ab“
18:00 Uhr – In zehn Minuten geht’s los mit dem ersten Künstler des Festivals: Neerström. Wir halten uns an einem halben Liter hausgemachter Limonade fest und warten im Schatten der ganz und gar unkahlen Bäume auf einer der zahlreichen Bierbankgarnituren. Die Sonne scheint, der Sommer zeigt sein breites Grinsen, wir freuen uns – und warten. Wir warten weiter und machen in der Zwischenzeit vorerst einfach nichts, außer ab und zu an der Limonade zu nippen. Zugegeben, über die ersten Bands wissen wir nichts Genaues, und da sich der Beginn immer weiter hinauszögert, fragen wir uns, ob es die Bands überhaupt gibt. Doch wir lassen uns nicht beirren und warten weiter.
19:10 Uhr – Es scheint sich etwas zu tun. Neerström betritt nun endlich die kleine steinerne und mit Teppich ausgelegte Bühne und teilt uns den Grund für die Verspätung mit: Godot, die zweite Band des Tages, kommt heute nicht, aber ganz sicher morgen! Und wenn Neerström das sagt, dann glauben wir ihm. Unterdessen kann sich Samuel Beckett in seinem Pariser Grab ein hinterhältiges Kichern nicht verkneifen. Doch nun zum Eigentlichen: Die Musik! Es geht los. Der gute Neerström, dessen Name aus dem daantje-Song „Zum Tee zu Neerström“ stammt, erklimmt die Bühne allein und mit fremder Gitarre. Den Grund dafür haben wir leider nicht mitbekommen, und vermutlich wäre es uns dank seiner musikalischen Souveränität auch nie aufgefallen. Allerdings erklärt er recht einleuchtend, warum er allein spielt: Das „Dum Dum“ eines Bassisten ist ja auch völlig überbewertet. Mit seinen Anekdoten beispielsweise über Halle stellt er unter Beweis, was für ein Pointenmonster er auch jenseits seiner Songs ist und nicht zuletzt bei „Im russischen Nachtzug“ macht es ja auch „Sinn, dass der Song so heißt, wenn es darum geht.“ Dass sein VIP-Bier-Coupon zwar schon fast voll ist, bevor dieses Festival so richtig angefangen hat, sei jetzt mal dahingestellt, aber die fleißigen Barkeeper der Substanz bringen ihm natürlich geschwind ein Neues. Seinen musikalischen Blick über den Tellerrand stellt er schließlich einerseits mit einem Cover von Nino Nexös „Tausend Fehler im System“ unter Beweis – noch viel mehr aber, als er gegen Ende seines Sets einen weiteren Kollegen auf die Bühne bittet: Denn nichts ergänzt eine Akustikgitarre besser als ein wenig 8-Bit-Sound. So bietet uns Neerström heute einen wunderbaren Kontrast zwischen den etwas ernsteren Songs und seinem trockenen Humor zwischen den Stücken. Wer sonst kann eine suizidale Stimmung mit Game-Boy-Musik untermalen? Als Zugabe gab es dann aber noch etwas lebensbejahendes, nämlich „Hatebreed zum Frühstück“.
Neerström im Web
20:10 Uhr – Was sind wir hier pünktlich, solange man nicht mehr auf Godot warten muss. Der nächste musikalische Tagesordnungspunkt: _pappmaché, zu gut bürgerlich Christoph Kohlhöfer (was ich aber nur einstreue, weil dieser junge Herr mit dem wohlgeschorenen Bart inzwischen der Kopf von Omaha Records ist) und Bandkollegen. Davon abgesehen war der Gute bereits im Mai mit Daantje & The Golden Handwerk, laut Aussage des Labelchefs „der derzeit besten deutschsprachigen Band“, in der Substanz zu Gast. Und wahrlich, die Hütte hat gebrannt. Es war aber auch kalt. Mit diesen fachlichen Randinformationen tauchen wir sodann in die Klangwelten der Erlebnisse zwischen Papier und Kleister. Da wir aber gerade bei Komponenten und Gemischen sind: Bei der detaillierten Beschreibung der hauseigenen Burger der Substanz beweist _pappmaché auf eindrucksvolle Weise seine Daseinsberechtigung als Lebensmittelchemiker par excellence. Nichtsdestotrotz hören wir aber auch hier wieder Geschichten, wie sie Singer-Songwriter eben so schreiben – oder zwischen den Songs erzählen, beispielsweise, dass er Dr. Alban beim Tag der Niedersachsen gesehen hat, „die älteren werden ihn kennen“ – Wir hingegen haben uns in diesem Moment noch nie so alt gefühlt. Diese Singer-Songwriter sind heute aber auch redselig. Singen sollt ihr, singen! Und spielen natürlich. Aber Spaß beiseite: Guter Mann! Und Gelegenheit zum stillschweigenden Spielen bekommt er ohnehin noch.
_pappmaché im Web
21:10 Uhr – Pünktlich zu Staring Girl setzt nach und nach die Dunkelheit ein und im Laternenschein träumen wir uns zu dieser angenehm brummenden Stimme in die Nacht hinein. Beabsichtigt war an dieser Stelle aber kein Reim. Das Omaha’sche Musikantenkarussell dreht sich und irgendwie kommen uns einige auf der Bühne bekannt vor. Im Grunde alle, denn sie saßen alle vor ein paar Minuten bereits dort – nur auf anderen Positionen. Dieses Label vermittelt irgendwie das Gefühl von Gleichheit, Brüderlichkeit … und was war es noch? Ach ja, Revolution! Revolution für ein freies Herz, für eine freie Seele, für freie Musik. Behaupte ich jetzt einfach mal. Und da wir gerade bei musikalischer Freiheit sind: Eigentlich besteht die Band ja aus fünf Musikern, und nicht nur Vieren – aber so viel, wie hier durchgetauscht wird, fällt das vermutlich eh keinem auf. Es spielt auch keine Rolle, denn wir lassen so oder so diese wunderbar kantige Musik mit zeitweiligen Mundharmonika-Elementen unter einem schönen vernebelten Mond andächtig auf uns wirken. Bei einer Ad-Hoc-Umfrage am Tisch kommt Staring Girl beim mitgeschleppten Umfeld bisher am besten an. Das Publikum kannte plötzlich auch kein Halten mehr.
Staring Girl im Web
22:10 Uhr – Zwei kleine Mädchen haben es sich vor der Bühne auf den verteilten Sitzkissen gemütlich gemacht und warten schon ganz gespannt auf Nicolas Sturm & Das Klingen Ensemble. Ein recht jugendlicher Bursche, der ein wenig wie der potentielle Mädchenschwarm dieses Wochenendes anmutet – inwiefern man das in der Singer-Songwriter-Szene auch immer klassifizieren kann. Zwar befinden sich nur zwei Menschen auf der Bühne, aber hinterrücks werden dennoch diverse Klangelemente aufgefahren. So vernehmen wir neben Gitarre und Schlagzeug auch so etwas wie ein Xylophon. Vielleicht irren wir uns da aber auch, der Abend war nun schon etwas fortgeschritten. In jedem Fall singt, spricht und schreit er auch teilweise wesentlich lauter als die anderen Bands des Tages seine Geschichten grob und angeraut in die Leipziger Nacht hinaus und bietet uns zum Abschluss des ersten Tages dieses Festivals noch etwas offensivere Klänge. Vermutlich verleitet dies auch endlich die ersten Gäste und Bedienungen zum Tanzen und der Biergarten-Chef zeigt sich überdies recht singfreudig und textsicher. So neigt sich der erste Tag dieses Festivals dem Ende und es reiht sich Zugabe an Zugabe an Zugabe …
Nicolas Sturm im Web
Und so war der Samstag: Hier entlang zum Artikel!
Mehr Infos über Omaha Records gibt es hier: www.omaha-records.de/
War dabei: Anja Gebhardt