Die Schülerin Hannah Baker hat sich mit einer Überdosis Tabletten umgebracht. Wenige Tage nach ihrem Tod findet ihr ehemaliger Mitschüler Clay vor seiner Haustür ein an ihn adressiertes Päckchen. Darin befinden sich sieben Kassetten, dreizehn Seiten besprochen von Hanna Baker. Sie kündigt an, dem Zuhörer im folgenden Verlauf die dreizehn Gründe zu enthüllen, warum sie sich das Leben genommen hat. Dreizehn ehemalige Freunde und Mitschüler, die sie zur Verantwortung ziehen möchte. Clay ist offensichtlich einer von ihnen, denn die „Spielregeln“ besagen, dass jeder, der die Bänder gehört hat, sie an einen von denen weitergibt, deren Geschichte sich ebenfalls auf ihnen befindet.
Der amerikanische Autor Jay Asher landete 2007 mit seinem Debütroman „Tote Mädchen lügen nicht“ (im Original „13 Reasons Why“) einen Überraschungserfolg. Ohne jegliche Verlagswerbung landete er 57 Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times und wurde in 14 Länder verkauft. Viele Jugendliche nahmen Anteil an Hannah Bakers Leidensgeschichte, die sich um enttäuschte Liebe, verratene Freundschaft, Mobbing und sexuelle Belästigung dreht. Das Leben an einer amerikanischen Highschool gleicht heutzutage mehr und mehr einem Haifischbecken, einer Arena, in der nur die Stärksten durchkommen. Jay Asher traf mit seiner Erzählung den Nerv einer Generation, aber bis heute hat sie nichts an Aktualität eingebüßt, im Gegenteil. Im Zeitalter von Social Media und immer vielfältigeren Kommunikationstechniken wird das Thema Cyber Mobbing zu einem immer größeren Problem.
Es ist also ein kongenialer Schritt, dass der Streaming Dienst Netflix sich die Rechte gesichert hat und rund um Hannah Bakers Geschichte eine Serie geformt hat, die ab heute exklusiv auf Netflix zu sehen ist. Produziert wurde sie unter anderem von Selena Gomez, die als ehemaliger Disney Star bereits selbst schmerzhafte Erfahrungen mit öffentlichem Mobbing machen musste. Es ist ein guter Stoff für eine Serie, denn es gibt viele Figuren und Kapitel in „Tote Mädchen lügen nicht“, die es sich lohnt, ausführlicher zu beleuchten. Das Format der Serie gibt ihnen sogar mehr Raum als die Romanvorlage, es ist genügend Zeit, die einzelnen Personen von mehreren Seiten zu beleuchten. Die erste Liebe Justin Foley, die ehemalige beste Freundin Jessica Davis, der Kumpel Alex Standall, der die öffentliche Mobbing Welle mit einer „Who’s hot who’s not Liste“ ins Rollen bringt. Der Roman hat, der Struktur zufolge, nur zwei Perspektiven, Hannahs, die ihre Geschichte auf den Kassetten verewigt und die Clays, der sie hört, Hannahs Erfahrungen mit seiner eigenen Sicht auf die Personen um die es geht vergleicht und seine eigenen Schlüsse zieht. Der allwissende Blick des seriellen Erzählens bringt einem auch Randfiguren wie zum Beispiel Alex Standall näher und gibt einem die Möglichkeit, die Gründe für ihr Handeln nachzuvollziehen. Das entschärft ein wenig die Schwarz-Weiß-Perspektive, die eines der Probleme der Romanvorlage ist. Auch zusätzlich eingeführte Charaktere wie Hannah Bakers Eltern, geben dem Ganzen eine andere Dimension.
Wie es in der Umsetzung von literarischen Vorlagen für den Bildschirm oft der Fall ist, wird auch in der Verfilmung von „Tote Mädchen lügen nicht“ zusätzlich an der Konfliktschraube gedreht. Auch das tut der Serie in diesem Fall aber letztendlich gut. Eines der größten Probleme von Jay Ashers Roman ist nämlich, dass man sich wünscht, er wäre in der Zeichnung der Konflikte, der systematischen Zerstörung einer jungen Seele etwas mutiger gewesen. Bleibt nur noch das Grundproblem, dass der Akt eines suizidalen Mädchens, ihre Geschichte auf Band aufzunehmen und sie mit einem markierten Stadtplan, der den Zuhörer an die Orte der einzelnen Episoden führt, schlichtweg etwas überkonstruiert wirkt. Wenn man diesen Gedanken aber beiseite lässt, bleibt die Netflix Produktion eine gelungene Umsetzung des Erfolgsromans, eine Mischung aus Coming of Age und Highschool Drama, die zum Ende hin noch einmal richtig in die Vollen geht und zum Teil nichts für zarte Gemüter ist. Außerdem überzeugt sie mit angenehm ernsthaft agierenden Jungdarstellern und einem richtig guten Soundtrack. Sie bietet Identifikationsstoff für die junge Generation und regt im besten Fall auch zum Nachdenken über das eigene Verhalten an. Damit die Mitschülerin, von der man dieses lustige, unvorteilhafte Foto über den Klassenchat verschickt hat, nicht die Hannah Baker von morgen ist.
„Tote Mädchen lügen nicht“ startet am 31.03.2017 auf Netflix.
Der gleichnamige Roman von Jay Asher ist in Deutschland bei cbt erschienen und kann hier käuflich erworben werden.
Gesehen von: Gabi Rudolph