Kurz bevor ich das Hotelzimmer betrete, in dem ich auf Natalie Merchant treffen soll, bekomme ich gesagt, ich hätte Glück. Sie wäre heute gut drauf. „Normalerweise ist sie ein Drache.“ Diese Aussage hätte sich kaum leichter und schneller als Witz identifizieren lassen können. Natalie Merchant ist eine Künstlerin, wie man sie wahrscheinlich nur einmal im Leben trifft. Wenn man mit ihr zusammen sitzt, bei einer Tasse Kaffee und einer Dose Kekse auf dem Tisch – deren Geruch sie, wie sie sagt, ein bisschen zu sehr an Weihnachten erinnert – dann hat man auch das Gefühl, man könnte das den ganzen Tag machen. Und nicht nur weil ihre Karriere, erst als Sängerin der legendären US-Rockband 10,000 Maniacs, dann als Solokünstlerin, inzwischen mehr als 40 Jahre umfasst. Die kleinen Anekdoten, ihr Humor, ihr tiefes Verständnis für Musik und Kunst und ihre positive Einstellung zum Leben, all das macht es zu einem großen Vergnügen, sich mit Natalie Merchant zu unterhalten.
Besonders beeindruckend ist diese alles überstrahlende positive Einstellung vor dem Hintergrund, dass Natalie Merchant erst vor kurzem eine schwere gesundheitliche Krise zu bewältigenden hatte, die ihr beinah für immer die Fähigkeit geraubt hätte, sich als Künstlerin auszudrücken. Wenn man dann auch noch bedenkt, dass das alles zusätzlich vor dem Hintergrund einer globalen Pandemie passiert ist, möchte man nur noch den Hut vor ihr ziehen. Man möchte sich vor der Stärke verneigen, die es sie gekostet hat wieder gesund zu werden und die sie zurück hierher gebracht hat, mit ihrem wunderschönen und mutigen Album „Keep Your Courage“ im Gepäck, auf dem sie nach neun Jahren erstmals neue Musik veröffentlicht.
Ich werde diese Einleitung kurz halten, da Natalie Merchant mir so viele spannende Dinge erzählt hat, die allen Platz hier einnehmen sollen. Nur eins möchte ich noch voranstellen: Ich habe sehr viele Nachrichten von Freundinnen bekommen, die gesehen haben, dass ich Natalie Merchant treffen durfte, und alle lasen sich in etwa so: „Diese Frau hat den Soundtrack meiner Jugend/meines Lebens geliefert/mich mit ihrer Musik durch eine existenzielle Krise gebracht.“ Wir brauchen diese Künstler*innen so sehr in unserem Leben. Hoffen wir, dass Natalie Merchant noch sehr lange Musik machen wird. Die Chancen stehen gut – mit fast 60, so sagt sie, fühlt sie sich in der Blüte ihres Lebens.
Die Zeiten, in denen wir leben, sind nicht einfach, oder?
Waren sie das jemals? Ich finde, auf eine Art leben wir in einem goldenen Zeitalter. Auf eine Art. Ich würde vor allem zu keiner anderen Zeit Frau sein wollen. Manchmal habe ich so Fantasien, aber dann komme ich wieder zu mir: Was denkst du denn da (lacht). Als Frau hattest du jedes Mal, wenn du schwanger wurdest, eine 50 prozentige Chance, bei der Geburt zu sterben. Und die einzige Chance nicht schwanger zu werden war, Nonne zu werden. Bis in die 1940er, 50er Jahre war das Leben als Frau gefährlich, das kann ich einfach nicht romantisieren. Würdest du wollen, dass man dir einen Zahn ohne Betäubung zieht? Oder möchtest du sieben Kinder bekommen und nur zwei davon überleben? Öffentliche Hinrichtungen, aufgespießte Köpfe! In abgelegenen Gegenden der Welt gibt es das immer noch. Aber wenn so etwas passiert, geht der Rest der Welt auf die Barrikaden. Früher war das der Alltag, überall auf der Welt. Wie auch immer, ich muss mich immer mal wieder daran erinnern, dass es noch nie leicht war. Heute ist es ein bisschen leichter. Zumindest für die meisten Menschen auf diesem Planeten. Aber irgendwann wird unser exzessives Leben uns alle auslöschen… frag mich besser etwas zu meinem Album (lacht). Wir werden sonst über alles reden, nur nicht über mein Album.
Wir können über alles UND dein Album reden. Es hängt doch alles irgendwie zusammen.
Das tut es.
Ich freue mich wirklich sehr, dich zu treffen. Ich treffe nicht oft jemanden, der so einen langjährigen, reichen Erfahrungsschatz hat. Du hast so viele Veränderungen in der Musikindustrie miterlebt und bist immer noch hier.
Überhaupt in der Welt! Die unter uns, die sich an die Zeit von vor 2000 erinnern können, verfügen über ein besonderes Wissen. Das tun wir! Das Gefühl, einfach mal weg zu sein. Niemand ist heutzutage einfach mal weg. Heutzutage reist man drei Monate durch Nordafrika und ist trotzdem ständig in Verbindung. Das gab es früher nicht. Als ich das erste Mal in England war, ich war neun Monate dort, habe ich einmal für fünf Minuten mit meiner Mutter telefoniert. Ich konnte mir kein Ferngespräch leisten! Ich habe Briefe geschrieben. Auf so blauen Servietten (lacht). Erinnerst du dich daran? An Briefe schreiben auf Luftpostpapier?
Oh ja! Ich hatte viele internationale Brieffreundinnen, über so einen Vermittlungsdienst. Aus Jamaika, Kanada…
Ich habe im Moment zwei Brieffreunde. Einen habe ich gerade getroffen, er ist ein Poet aus Schottland. Er hat mir ein Buch geschickt, was der Grund war, warum ich wieder mit dem Schreiben angefangen habe. Dann haben wir angefangen, hin und her zu schreiben – eine sehr 19. Jahrhundert-mäßige Korrespondenz. „Ich schätze deine Arbeit sehr.“ – „Und ich schätze deine ebenfalls.“ …und dann haben wir über den Schreibprozess geredet, darüber wie es ist, nicht schreiben zu können. Dann habe ich einen Song geschrieben und ihn ihm geschickt. Auf eine Art war er meine Muse, aber wir hatten uns nie getroffen. Es ging drei Jahre lang so, und jetzt habe ich ihn endlich in London getroffen. Das hat wirklich Spaß gemacht. Mir gefiel schon immer die Idee, Teil einer Künstler-Community zu sein, Menschen mit dem gleichen Spirit. Aber ich war da immer sehr schüchtern. Wenn ich die Arbeit von jemandem gut fand, war ich zu schüchtern, es zu sagen. Aber je älter ich werde, desto mutiger werde ich, und wenn ich jetzt ein Buch lese und es toll finde, gehe ich auf die Website desjenigen und schreibe eine Nachricht. Einfach nur: „Hey, ich habe dein Buch gelesen und mochte es sehr.“ Meistens entsteht daraus eine Korrespondenz.
Ich meine, ich würde mich geehrt fühlen, wenn ich so eine E-Mail von dir bekommen würde…
(lacht) Es ist wirklich komisch. In letzter Zeit habe ich viele junge Musiker*innen getroffen, weil ich wieder raus gehe. Ich habe beim Newport Folk Festival gespielt und kürzlich beim Americana Weekend. Ein paar Sachen hier und da. Ich habe mich mit Rhiannon Giddens angefreundet. Brandi Carlisle hat mir erzählt, dass sie mich beim Lilith Fair gesehen hat, als sie 18 war. Sie hat mich singen gehört und dachte: „Das werde ich eines Tages auch machen.“ Sie hat mir erzählt, wie sehr sie die Kameradschaft der Frauen auf der Bühne mochte, das Gefühl, dass wir uns gegenseitig unterstützen, und sie sagte: „Das ist die Art von Atmosphäre, in der ich arbeiten möchte.“ Ich habe eine Benefizveranstaltung zusammen mit Valerie June gespielt, und sie sagte zu mir: „‚Tiger Lily‘ war mein Lieblingsalbum als ich 14 war, und ich höre es heute noch ständig. Du hast mir beigebracht, wie man Songs schreibt.“ Wir sind zusammen auf die Bühne gegangen und haben gemeinsam „Wonder“ gesungen, und sie hat angefangen zu weinen! Das war so süß. Das hat mich wirklich überrascht, ich hätte nicht gedacht, dass Valerie June durch mich gelernt hat zu singen und Songs zu schreiben. Aber du weißt nie, wo es die Musik hin verschlägt. Und es überrascht mich heute noch, wenn junge Künstler*innen mir sagen, dass sie meine Arbeit kennen. Ich muss dafür aber auch raus gehen und Leute treffen. Mir schreibt niemand E-Mails und sagt: „Uhhhh, ich mag deine Arbeit so gern“. Ich muss aus dem Haus gehen und sie persönlich treffen (lacht).
Das ist wirklich schön. Und es passt zum Thema deines Albums, Mut, „courage“. Ich habe gerade ein Jahr lang Kundalini Yoga studiert, und der Guru, mit dem ich gearbeitet habe, liebt es, Wörter zu zerlegen und ihre Einzelteile wörtlich zu betrachten. In „courage“ haben wir „cœur“, das Herz, und „age“, das Alter/Zeitalter. Wenn man es wörtlich nimmt, ist „courage“ also das Zeitalter des Herzens. Mut entsteht, wenn wir im Zeitalter des Herzens leben.
Oder wenn man Alter und Weisheit hat. Dann erst verstehst du: Was ist das Schlimmste, das dir passieren kann, wenn du die Liebe verlierst? Wenn du liebst… es gibt immer die Gefahr, dass die Liebe wieder geht. Die Person, die du liebst, könnte sterben. Die Person, die du liebst, liebt dich vielleicht nicht zurück. Vielleicht bleibt deine Liebe unerwidert. Aber das Schlimmste, das dir passieren kann ist, dass deine Gefühle verletzt werden. Das ist gleichzeitig auch das Beste, das dir passieren kann, denn in der Regel wächst man an schmerzhaften Erfahrungen. Du wächst und lernst. Zumindest meiner Erfahrung nach, die schmerzhaftesten Erlebnisse in meinem Leben haben mich gezwungen zu wachsen. Ende 2019, kurz vor Beginn der Pandemie, war ich in London. Ich habe drei Wochen Kultururlaub gemacht, ich habe Museen besucht und bin ins Theater gegangen. Es war großartig. Ich saß im V&A und habe Skizzen gezeichnet, das ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, Skizzen im Museum zeichnen. Plötzlich bekam ich starke Schmerzen im Nacken und mein ganzer Arm wurde taub. Als ich zwei Wochen später mit unerträglichen Schmerzen im Krankenhaus war, habe ich erfahren, dass meine Wirbelsäule dabei war, in sich zusammenzufallen, ins Rückenmark hinein. Zwei meiner Wirbel waren auf einer Nervengruppe zusammen gebrochen, die all das kontrolliert. Ich konnte meine Hand nicht benutzen, ich konnte noch nicht einmal ein Glas hochheben. Ich habe alle Kraft verloren. Wie auch immer, ich musste an der Wirbelsäule notoperiert werden, und die drei Wirbel, die dabei waren in sich zusammen zu fallen, wurden aus meiner Halswirbelsäule entfernt. Dann kam die Pandemie und sie müssten mich frühzeitig entlassen, sie sagten, ich sei Risikopatientin. Meine Tochter musste aus der Schule nach Hause kommen und ich musste mich um sie kümmern, während ich zwei Monate lang in einer Halskrause steckte.
Wie auch immer, ich musste mir das Klavierspielen neu beibringen. Die Nerven in meiner Hand haben sich zum Glück wieder regeneriert. Aber ich konnte nicht singen, weil alle Muskeln in meinem Hals verkrampft waren. Ich konnte nur meine Kopfstimme benutzen. Das ging so für neun Monate. Als ich endlich wieder Klavier spielen konnte, hatte ich immer noch kein Gefühl in drei meiner Fingerspitzen (lacht). Meine Stimme habe ich zurückbekommen, weil ich eine großartige Massagetherapeutin gefunden habe, die mit der Zeit alles wieder lockern konnte. Und dann habe ich angefangen, dieses Album zu schreiben. Nicht Klavier spielen und singen zu können, hat dazu geführt, dass ich unbedingt Klavier spielen und singen wollte. Und es war mir erst einmal egal, ob dabei ein Album entsteht. Klavierspielen war schon immer meine Form der Psychotherapie. Immer, wenn ich eine schwierige Lebensphase habe oder traurig bin, setze ich mich ans Klavier und komponiere. Ich kann keine Noten schreiben, also setze ich mich und und spiele, was ich fühle. Ich kann auf das Klavier einhämmern, es ist fast, als würde ich mit dem Klavier um die Wette schreien. Oder ich kann sehr melancholisch sein… (lacht) Es war mir also egal, ob ich ein Album schreibe. Ich dachte nur: Gott sei Dank kann ich wieder singen und Klavier spielen. Ich glaube, ich wäre sonst verrückt geworden. Es war schon immer das, was mich mein ganzes Leben lang gesund gehalten hat. Wie auch immer, ich habe so viele Songs geschrieben, dass ich schließlich darüber nachdenken konnte, ein Album zu machen. Das Album ist aus einem tiefen Bedürfnis nach Verbundenheit entstanden. Mit mir und meinem kreativen Ich und mit anderen Menschen, mit denen ich nicht in einem Raum sein konnte. Es ist vor einem Jahr fertig geworden. Aber wir haben es ein Jahr lang zurückgehalten, weil wir nicht wollten, dass es ein weiteres Post-Pandemie-Album wird.
Kein Wunder, dass es so ein emotionales Album geworden ist. Ich liebe auch den Sound, für den du dich entschieden hast. Diese Bläser? Die machen mich jedes Mal fertig (Natalie lacht). Ich liebe es, wie die Tradition der amerikanischen Singer-Songwriter auf den warmen Soul eines Sam Cooke trifft.
Ich wollte immer jemandes Carole King sein. Aretha hat ihre Songs gesungen. Carole konnte sie singen, aber wenn Aretha sie gesungen hat, das war nochmal ein ganz anderes Level. Und ich glaube Abena (Abena Koomson-Davis, die mit Natalie auf „Big Girls“ und „Come On, Aphrodite“ singt) schafft das mit meinen Texten auch. Ich singe geradliniger, sie schmückt die Noten mehr aus. Ihre Stimme hat diese reiche Textur, unsere Stimmen sind sehr unterschiedlich, aber wenn wir gemeinsam singen, dann sagt sie manchmal: „Bin das jetzt ich oder du?“ (lacht) Und wir singen ganz oft einstimmig. Wir singen keine Harmonien. Es war mir wichtig, dass ich Abena in diesen Songs komplett gleichberechtigt präsentiere. Gleiche Zeit, gleiche Lautstärke. Ich habe kürzlich einem Journalisten etwas gestanden, das ich noch nie jemandem erzählt habe (lacht). Ich hatte einmal Mavis Staples für einen Nachmittag im Studio. Sie hat Background auf zwei Songs gesungen und ich dachte hinterher: „Warum haben wir kein Duett aufgenommen?“ Vielleicht war ich jung und unerfahren. Aber das ist immer in meinem Hinterkopf, dass ich das damals versaut habe (lacht). Die meisten wissen noch nicht einmal, dass sie das ist. Egal, ich habe meine Lektion gelernt. Zum älter und weiser werden gehört auch zu wissen: „Nun, das hast du versaut, aber wenigstens hast du etwas daraus gelernt.“
Ich mag auch, wie lang die Songs zum Teil sind. Du lässt dir wirklich Zeit mit ihnen.
Es erfordert Mut, einen 8 Minuten Song zu machen. „Sister Tilly“ ist fast 8 Minuten lang, aber er hat drei unterschiedliche Bewegungen, drei verschiedene Teile. Und es gibt all diese Harmonien in dem Teil, den ich die „apotheosis section“ nenne, wenn sie zum Himmel aufsteigt und eine Lotusblume wird, eine Superkraft, ein vibrierendes, weißes Licht… (lacht) Ich habe 30 Jahre lang in der Gegend von Woodstock New York gelebt. Und es gibt da diesen besonderen Typ Frau. Zum Thema Yoga, ich bin dort viele Jahre zu dieser Freitag Morgen Hatha Yoga Stunde gegangen. Ich war dort mit Abstand die jüngste, um mindestens 30 Jahre. Es waren alles ältere Frauen. Und ich meine wirklich ältere Frauen. Machen von ihnen waren über 80. Ich habe diese Stunde geliebt, ich bin danach immer dort abgehangen und habe mich mit diesen Frauen unterhalten. Manche von ihnen waren „Purple Ladies“. Ich weiß nicht, ob es dieses Phänomen in Deutschland gibt, aber es gibt Frauen, die sind ab einem gewissen Alter so: „Für mich ab sofort nur noch lila!“ (lacht) Sogar die Haare. Ich trage selbst wahnsinnig gern lila. Schon immer. Aber manche kommen an einen Punkt, da gibt es für sie nur noch lila, von Kopf bis Fuß. Diese Frauen erzählen dir Geschichten, wie sie 1975 durch Indien getrampt sind. Ich habe ein paar Frauen getroffen, die haben in den Sechzigern im Chelsea Hotel gelebt. Ich will gar nicht wissen, was bei denen so los war! (lacht) Diese Frauen nehmen ständig an Demonstrationen teil, sie leisten Freiwilligenarbeit, sie sind immer am Start. Sie sind lebenslustig und unabhängig, sie haben die ganze Welt bereist, hatten viele Liebhaber… dieser Typ Frau existierte nicht bis Mitte/Ende 20. Jahrhundert. Sie waren radikale Reformerinnen! Ich bin ihnen sehr dankbar. Als ich meine Tochter bekommen habe, gab es dieses wunderschöne, gut ausgestattete Geburtszentrum. Es wurde automatisch angenommen, dass ich stillen wollte, meine Geburtshelferin war eine Frau. Zu Zeiten meiner Mutter gab es diese Kultur nicht. Ich glaube, Frauen hatten einen großen Anteil daran, dass alternative Heilmethoden in den USA Einzug gehalten haben und dass es dort heute vegetarische Restaurants, Reformhäuser und natürliche Geburtszentren gibt. Deshalb gibt es am Ende von „Sister Tilly“, wenn wir sie beerdigen, diesen leicht östlichen Einfluss. Es ist eine Sitar, die man am Ende hört.
Möchtest du noch eine Theorie meines Gurus hören? Viel mehr Frauen als Männer leiden im Alter an Osteoporose. Die Gesundheit unserer Knochen hängt unter anderem mit der Menge an Sauerstoff zusammen, die wir im Lauf unseres Lebens konsumieren. Und die Menge an Sauerstoff hängt wiederum unter anderem damit zusammen, wie wir unsere Stimme benutzen. Er sagt, Frauen konsumieren weniger Sauerstoff, weil sie über Jahrhunderte hinweg ihrer Stimme beraubt wurden. Singen und deine Meinung sagen, kann also dazu beitragen, nicht an Osteoporose zu erkranken.
Das ist eine interessante Theorie. Ich werde definitiv ehrlicher, je älter ich werde. Wenn mich jemand fragt: „Wie hat es ihnen geschmeckt?“ Dann sage ich: „Nun, um ehrlich zu sein war das eines der schlechtesten Essen, das ich je hatte. Ich sage nicht, dass Sie dafür verantwortlich sind, aber finde, Sie sollten es wissen“. Das ist vor zwei Tagen so passiert. Und meine Freundin hat nur gelacht. Sie ist in den Siebzigern. Sie meinte: „Ich kann nicht glauben, dass du das gesagt hast.“ Und ich meinte: „Dein Essen war genauso schlecht, du hättest mich unterstützen sollen!“ (lacht) Ich finde auch, wenn ich mein Missfallen ausdrücke, schauen die Leute mich an, als wäre ich ihre Mutter und würde sie schimpfen (lacht). Vor ein paar Jahren hätte ich das nicht gemacht. Ich hätte noch nicht einmal beim Friseur sagen können: „Nicht zehn Zentimeter abschneiden, ich sagte zwei!“ Wie oft bekommt man einen schrecklichen Haarschnitt verpasst, weil man zu eingeschüchtert ist um zu sagen: „Ich wollte nicht, dass Sie so viel abschneiden!“
Aber weißt du was? Nach all dem, was du durchgemacht hast, finde ich, deine Stimme klingt stärker denn je.
Sie ist voller und ich fühle mich wohler mit ihr. Selbst wenn ich heute Teile von „Oh Ophelia“ oder „Mother“ höre, dann kann ich hören, dass ich mich dem Singen nicht voll hingegeben habe. Ich habe mich so sehr hingegeben wie ich nur konnte, aber irgendetwas hat mich zurückgehalten. Ich kann es hören. Es klingt fast so, als hätte ich den Mund manchmal nicht richtig geöffnet. Mit der Zurückhaltung ist es jetzt vorbei. Das einzige, was ich an meiner Jugend vermisse ist Ausdauer und Flexibilität. Aber davon abgesehen, würde ich nicht zurückgehen wollen. 45 vielleicht. Mit 45 war ich so ziemlich auf dem Höhepunkt meines Lebens. Körperlich und in vielerlei anderer Hinsicht.
Ich würde auch nicht zurückgehen wollen. Und es ist schön von jemandem wie dir, die ein bisschen älter ist als ich, zu hören, dass es dir immer noch genauso geht.
Ich fühle mich wohler und glücklicher denn je. Zufriedener, als ich jemals war. Und ich werde dieses Jahr 60!
Foto © Jacob Blickenstaff