Katie Gavin, Naomi McPherson und Josette Maskin aka MUNA sind bei ihrem dritten Album bewusst antizyklisch vorgegangen und haben es schlicht und ergreifend „MUNA“ genannt. Ein Move, den man sonst eher von einem Debütalbum erwarten würde, als Einführung, um den Status Quo zu etablieren. Aber genau darum geht es bei diesem dritten Album, an dem die drei eigenständiger und selbstbestimmter denn je gearbeitet haben. Da kann man schon mal sagen: Schaut her, das ist MUNA, das macht uns aus.
Und was macht MUNA aus? Popsongs, die so unglaublich gut in Ohr, Beine und Herz gehen, die aber nach mehr schmecken als „überzuckertes Müsli“, wie Sängerin und Texterin Katie es im Laufe unseres Gesprächs beschreibt. MUNA haben sich als Band bewusst dafür entschieden, ihre queere Identität zum offenen Teil ihres Schaffens zu machen, um anderen Menschen mit ihrer Musik einen Safespace zu geben, an dem sie sich unterhalten, akzeptiert und wohl fühlen können. Hinzu kommt, dass das Selbstbewusstsein und die Fähigkeiten als MusikerInnen mit den Jahren gewachsen sind und die drei heute voller Stolz sagen können: das hier ist das Album, das MUNA in Reinkultur präsentiert.
Im Rahmen eines Europabesuchs haben Katie, Naomi und Josette auch bei ihrem Label in Berlin vorbeigeschaut, und bei der Gelegenheit konnten wir uns sogar persönlich unterhalten. Über die Musik natürlich, aber auch über queere Identifikationsfiguren, patriarchale Strukturen im Musikbusiness und, auch das muss sein, Haarfarben-Tipps haben wir ebenfalls ausgetauscht. Am 24. Juni erscheint „MUNA“ – und ich verspreche euch, der Sommer ist damit gerettet.
Ihr kennt euch alle drei schon sehr lang und arbeitet ebenfalls bereits lange zusammen. Worauf könnt ihr euch verlassen, und was entdeckt ihr immer wieder neu aneinander?
Katie: Es ist wie eine Ehe. Also, nicht dass jemand von uns verheiratet wäre und wir das vergleichen könnten (lacht). Wir haben privat und beruflich schon so viele Veränderungen durchgemacht. Als wir als Band angefangen haben, waren Naomi und ich ein Paar. Dann haben wir eine Trennung durchgemacht. Wir sind zusammen schon durch sehr viel durchgegangen. Gerade wenn man Anfang 20 ist, verändert man sich ständig und so schnell als Person. Teil unseres Jobs ist es, nie anzunehmen, dass wir alles über einander wissen, sondern immer neugierig darauf zu bleiben, wer und was wir sein wollen. Das ermöglicht uns, miteinander in Verbindung zu bleiben.
Naomi: Wenn man wie wir in der Öffentlichkeit steht, dann ist man außerdem ständig dem ausgesetzt, was Leute in einen hineinprojizieren und damit denken, sie würden einen kennen. Man macht sich das zueigen, wie die Leute einen sehen und wird manchmal richtig paranoid dadurch. Du musst dir erlauben, dich selbst so zu verändern wie du dich selbst siehst und nicht wie die anderen es tun. Wenn das Sinn macht…
Das macht es total! Ich finde es so wichtig im Leben, frei für Veränderungen zu sein. Ich habe das Gefühl dass Menschen, die so lange miteinander arbeiten wie ihr es tut, das verstanden haben. Und wenn wir schon beim sich selbst entdecken sind – ich finde es sehr cool, dass ihr jetzt, zu diesem Zeitpunkt, ein selbstbetiteltes Album raus bringt.
Josette: Wir haben uns wirklich Zeit genommen, in uns selbst hineinzuwachsen. Queere Menschen brauchen oft etwas länger, um sich selbst zu entdecken und sich zu entwickeln. Oft gehen sie in den Zwanzigern wie durch eine zweite Pubertät. Wir haben mit Anfang zwanzig angefangen Musik zu machen – wieviel kann man da über sich selber wissen? Aber wir haben schon immer versucht, als KünstlerInnen so sehr wir selbst wie nur möglich zu sein. Das war auch früher so. Dieses Album jetzt fühlt sich wie das realistischste, authentischste Bild von MUNA an, das wir bis jetzt schaffen konnten.
Naomi: Es ist auch ein bisschen ironisch. Wenn man etwas selbstbetitelt, verkauft man den Leuten eine Idee, wie man wahrgenommen werden will. Aber wir haben ein Album gemacht, das extrem eklektisch ist, ein herrliches Durcheinander. Es hat keinen einheitlichen Sound. Es ist also ein bisschen cheeky – zu sagen, das ist MUNA. Dann hören die Leute es und denken – Moment mal, wie bitte? (lacht) Es ist lustig, das jetzt zu machen. Wir können es selbst nicht beschreiben.
Katie: Aber wir wissen es, wenn wir es hören.
Das finde ich sehr interessant. Als ich euer Album gehört habe dachte ich, es ist ein sehr abwechslungsreiches Album – aber ganz eindeutig innerhalb eures eigenen Sounds.
Naomi: Ja, wir haben einen eigenen Sound, definitiv. Den prägen natürlich Josie und ich als MusikerInnen. Aber ich muss auf jeden Fall auch Katies Texte hervorheben. Sie sind das Zentrum von allem. Sie hat einen ganz eigene Stimme als Songschreiberin, das gibt uns die Möglichkeit, uns drum herum spielerisch auszutoben.
Katie: Das hier ist unser drittes Album. Unser erstes war im Prinzip komplett selbst produziert. Wir haben nur alle unsere drei Alben mit unserem Freund Dan Grech gemixt. Beim ersten Album war er am meisten involviert, weil wir immer noch viel über Produktion lernen mussten. Beim zweiten Album haben wir viel mit dem Produzenten Mike Crossey zusammen gearbeitet. Dieses Album jetzt ist in vielerlei Hinsicht unsere unabhängigste Arbeit und klingt gleichzeitig so groß produziert wie noch nie. Josette und ich haben das ganze Finetuning bei der Produktion und Instrumentierung selbst gemacht. Wir waren total frei, mit so vielen verschiedenen Sounds wir möglich zu experimentieren. Dadurch, dass wir so viel selber machen, entsteht dabei gleichzeitig immer unser eigener Sound, dem können wir nicht entkommen. Wir hatten sozusagen absolute Freiheit innerhalb unserer natürlichen Limits.
Naomi: Uns ist es wichtig, uns ständig selbst herauszufordern. Wenn man an einer bestimmten Stelle stecken bleibt, kommt man manchmal an den Punkt, an dem man sich Hilfe holen muss. Das haben wir in der Vergangenheit gemacht und es hat manchen Song gerettet. Manchmal dreht sich in deinem Kopf alles nur noch um diesen einen Song, und du läufst Gefahr ihn zu ruinieren, da macht es definitiv Sinn, sich Hilfe von außen zu holen. Während Covid haben wir gelernt was es bedeutet, völlig auf sich selbst gestellt zu sein, in die Situation zu kommen, dass niemand dir helfen kann. Wenn du etwas fertig kriegen willst, musst du den Durchbruch selbst schaffen, das bedeutet harte Arbeit. Das war eine ganz schöne Herausforderung. Aber dabei lernst du viel Neues über dich selbst und über deine Fähigkeiten.
Das Spannendste daran finde ich ja, einerseits die völlige Unabhängigkeit zu haben, andererseits zu wissen, wann eine unabhängige Meinung von außen angebracht ist.
Josette: Es kann extrem hilfreich sein. Es besteht immer die Gefahr, dass man sich in sich selbst verliert.
Naomi: Wenn wir musikalische Entscheidungen treffen, geht das meistens ziemlich demokratisch zu. Wenn zwei von drei denken, es lohnt sich an einem Song zu arbeiten, dann arbeiten wir so lange daran, bis wir das Gefühl haben, nicht mehr weiterzukommen. Dann legen wir ihn entweder ad acta, oder wir haben einen derartigen Durchbruch mit ihm, dass er auf dem Album landet. Interessant ist, dass wir oft mit den Songs am meisten Probleme haben, die die Leute am Ende am meisten lieben. Das hat sich so oft bestätigt. Wir finden das immer total verrückt.
Katie: Ich glaube, wir schätzen es sehr, unsere Egos beiseite zu lassen, wenn wir an etwas für MUNA arbeiten. Das kollektive Bewusstsein hat dabei stets Priorität. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir alle einem marginalisierten Geschlecht angehören und nicht weiße Cis-Männer sind. Als Cis-Mann bekommst du immer die Anerkennung für alle Aspekte deines Projekts. Das muss eine unglaubliche Freiheit bedeuten, nicht ständig die Sorge mit sich herumzutragen, jemand könnte deine Arbeit nicht anerkennen. Der Vorteil für uns ist, dass es uns dadurch leichter fällt, unsere Egos beiseite zu lassen und unsere kollektive Stimme sprechen zu lassen. Außerdem war es uns schon immer wichtig Musik zu machen, die zu den Leuten spricht. Die sie als etwas benutzen können, das einen Wert für sie hat. Wobei das ein ganz schönes Mysterium ist – manchmal spricht etwas, das du ganz persönlich für dich geschrieben hast, sehr viele Menschen an. Wenn ich etwas schreibe, das bei Naomi und Josette nichts bewegt, dann arbeiten wir nicht weiter daran. Das ist der erste Test. Auf diese Art schreiben wir nicht nur für uns selbst, sondern richten uns nach außen. Und dann ist dieses Album das erste MUNA Album, auf dem wir ein paar Co-Writes haben. Das war eine sehr interessante Erfahrung und etwas, das mein Ego als Songschreiberin definitiv herausgefordert hat, ein paar Menschen, deren Arbeit ich schätze hinzu kommen zu lassen und mit ihnen meine Ideen zu teilen. Darauf bin ich wirklich stolz, und ich glaube, dass es dem Album extrem gut getan hat.
Ich finde das wirklich bewundernswert, dass ihr nicht immer nur lineare Wege geht. Normalerweise würde man denken, man fängt mit Co-Writes an und entwickelt sich dann dahin, alleine zu arbeiten. Nach all den Erfahrungen, die ihr bisher gemacht habt nun jemanden dazu zu holen, finde ich mutig.
Josette: Wir fanden es ehrlich gesagt außergewöhnlich schwierig (lacht). Um ganz offen zu sein, und ich habe damit kein Problem mit, wir waren quasi gezwungen, einen Produzenten von außen mit dazu zu nehmen. Am Ende war es ein Segen. Wir waren gezwungen, Co-Writes zu machen und haben dadurch bessere Songs geschrieben. Wenn du dir uns und unsere Identitäten ansiehst, dann wirst du wissen, dass wir Glück hatten, dass die Musikindustrie bis jetzt ein ziemlicher Safe Space für uns war, kreativ und körperlich. Das ist für viele leider nicht so, in vielerlei Hinsicht. Unsere künstlerische Vision ist immer beschützt worden, wir haben sie sehr beschützt. Wenn uns das genommen würde, was würde dann übrig bleiben?
Katie: Das Ganze geht auch weit über die Musikindustrie hinaus. Am Ende geht es schlichtweg um Grenzen, die respektiert werden müssen. Wie man seine eigenen Bedürfnisse ausdrückt und wie man überhaupt weiß, was sie genau sind. Was du bereit bist mit anderen zu teilen und was für dich eine so essentielle Resource darstellt, dass du sie nicht abgeben möchtest. Darum geht es viel auf diesem Album. Darum, dass es okay ist, dich als die Person zu akzeptieren, die du bist, mit deinen eigenen Bedürfnissen und Grenzen. Dass es okay ist, andere Menschen zu enttäuschen, dass es okay ist, unbequem zu sein, wenn es das ist, was du tun musst, um dich selbst zu schützen. Oder einfach nur, um besser durch den Tag zu kommen. Man muss das Recht haben, sein eigenes Wohlergehen zu priorisieren.
Und etwas ganz Entscheidendes denke ich jedes Mal, wenn ich eure Musik höre: ein richtig guter Popsong macht mich extrem glücklich.
Naomi: Nicht wahr?!
Ich respektiere wirklich die Arbeit, die dahinter steckt. Es ist so schwer, einen guten Popsong zu schreiben.
Katie: Danke!
Naomi: Es ist verdammt schwer.
Ich bin in den Achtziger Jahren groß geworden, alle meine Identifikationsfiguren waren weibliche Popstars. Madonna, Cyndi Lauper…
Naomi: Ahhh, ich liebe das!
Und gleichzeitig denke ich, wenn es damals jemanden wie euch gegeben hätte, jemanden, der mir einen noch tieferen Sinn für Identität gegeben hätte, als mir zwanzig Ketten um den Hals zu wickeln…
Katie: Ach komm, das ist eine verdammt gute Identität (lacht). Nein, im Ernst, ich glaube, wir haben zu einer sehr interessanten Zeit angefangen. Wir sind in unseren späten Zwanzigern, und selbst als wir aufgewachsen sind, war es noch ganz anders als heute. Als wir 2014 angefangen haben, gab es sehr hitzige Diskussionen darüber, ob wir uns als Band outen sollten. Heute fühlt sich das fast lustig an. Was soll das für ein Problem sein? Damals war es eins.
Naomi: Wir wussten damals, dass es queere MusikerInnen gibt, die nicht geoutet sind, weil es einen negativen Einfluss auf ihre Karriere gehabt hätte. Es war also eine Entscheidung, die gut überlegt sein musste, ob unsere Identität Teil unserer Musik sein sollte. Heute habe ich das Gefühl, dass alle queeren und marginalisierten KünstlerInnen aufpassen müssen, dass ihre Identitäten nicht von einem weißen, cis-patriarchalen Kapitalismussystem ausgebeutet und verkauft werden. Unsere Sichtbarkeit ist so wichtig für jüngere Menschen und für solche, die sich wünschten, eine Band wie uns hätte es gegeben, als sie jung waren. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir unsere Identitäten vor der grauenvollen Maschinerie des Kapitalismus beschützen. Es ist hart. Du musst aufmerksam sein, aber nicht hysterisch.
Katie: Man darf auch nicht vergessen, dass wir in Los Angeles in einer sehr queeren Bubble leben, für uns ist es kein großes Thema. Wir haben ein Video zu „Kind of Girl“ gedreht, in dem wir als Drag Kings auftreten, so etwas können wir einfach machen. Aber wir wollen nicht aus den Augen verlieren, dass es Jugendliche in anderen Teilen des Landes oder überall auf der Welt gibt, denen wir mit diesen Bildern vermitteln wollen, dass es Orte gibt, wo es einen Platz für sie gibt, wo sie sie selbst sein können. Lustig ist auch, dass ich viele queere KünstlerInnen gehört habe als ich jung war, ohne dass ich es explizit wusste, dass sie es sind. Ich habe mich erst mit 19 geoutet und die ganze Zeit Tegan & Sara gehört (lacht). Man findet es irgendwie, egal ob es offensichtlich ist oder nicht.
Josette: Wenn du es weisst, weisst du es.
Aber wie beschützen wir diese Freiheit? Findet ihr es nicht auch erschreckend, dass es diesbezüglich eine aggressive Rückwärtsbewegung gibt?
Naomi: Es ist so erschreckend. Es ist ein Trip, ein Mindfuck. Einerseits wird Queerness als Verkaufsargument genutzt. Andererseits leben wir in einer erschreckend repressiven Realität, einer Gesellschaft, die sich als offen und progressiv darstellt und sich dabei weit nach rechts bewegt. Es ist eine von diesen erschreckenden Situationen, in denen man gar nicht glauben kann, was gerade passiert, total anachronistisch. Und trotzdem passiert es. Es ist außerdem schwierig, den Überblick nicht zu verlieren, wenn man selbst in einer Blase lebt.
Katie: Ich glaube, die wichtigste Basis unserer Kunst ist, dass sie nicht subversiv ist, sondern offensichtlich für alle da. Du kannst unsere Musik als die Art von Popsongs sehen, zu denen du einfach tanzen und eine gute Zeit haben kannst. Oder du kannst in ihnen ein Zuhause finden, dich in den Lyrics wiederfinden und einen bedeutungsvollen Dialog mit dir selbst daraus machen. Unsere Musik funktioniert auf beiden Ebenen, und ich glaube das macht uns zu einer starken, wichtigen Band. Du kannst uns konsumieren, aber wir sind mehr als überzuckertes Müsli (lacht).
Foto © Isaac Schneider