Vier Jahre sind eine lange Zeit, gerade im schnelllebigen Musikbusiness. Seit dem Release des letzten Mika Albums “No Place in Heaven” 2015 ist es musikalisch ruhig geworden um den sympathischen Popsänger. Diese Zeit hat der 36-Jährige aber gut genutzt, denn auf seinem neuen Album “My Name is Michael Holbrook” zeigt sich der Künstler so persönlich und verletzlich wie nie zuvor. Bereits das intensive Album Cover zeichnet davon ein Bild: der Hörer steigt ein in Mikas Gedankenwelt und wird auf eine Reise mitgenommen.
Diese Jahre waren für Mika nicht immer einfach: Schreibblockaden, eine Ungewissheit hinsichtlich dem eigenen Bedürfnis Songs zu schreiben, Fragen nach der Zukunft und Schicksalsschlägen in der Familie. Doch trotz alledem ist dieses starke Album entstanden, das uns erneut vor Augen führt, warum wir 2007 einst dem Mika-Charme erlegen sind. Treibende Kraft hinter Mikas mittlerweile fünften Studioalbum war vor allem seine gesundheitlich stark angeschlagene Mutter Joannie Penniman, die all die Jahre Teil des Mika Universums war und ihren Sohn auf Tour begleitet hat. Sie war es, die ihrem Sohn nun klargemacht hat, dass er seinen Traum weiterverfolgen sollte.
Musikalisch bieten die 13 Tracks auf MNIMH alles, was man sich von einem Mika Album erhofft: mitreißende, bunte Popsongs, ergreifende Pianoballaden, epische Hymnen, ausgereifte Arrangements und tiefgehende Texte. Und über allem schwebend Mikas ganz besondere Stimme. Kein Song klingt wie der andere.
Der Opener „Tiny Love“ legt die Messlatte direkt zum Auftakt extrem hoch an. Denn der Song ist musikalisch gesehen ein kleines Meisterwerk. Zahlreiche Genre- und Tempowechsel machen ein Name Dropping von “Bohemian Rhapsody” an dieser Stelle unausweichlich. „Tiny Love“ ist ein kraftvoller Song mit einem wunderbaren Text:
We may be tiny to the world, but in our hearts we be giants with our tiny, tiny love.
Das funkige „Dear Jealousy” überzeugt durch poppige 90er Synthie Sounds und einen düsteren Text:
I’m jealous of the man I used to be. And the man I could become.
Auch bei „Ice Cream”, der allerersten Singleauskopplung aus dem Album Ende Mai, „Tomorrow“, „Platform Ballerinas“und „Stay High“ bringt es nichts, sich gegen das Mitwippen zu wehren. Das ruhigere “Blue” hingegen regt zum Nachdenken an. Einziger Skipsong ist für mich “Cry”, zu dem ich auch nach mehrmaligem Hören einfach keine Connection gefunden habe.
“Sanremo” beschwört ein mediterranes Feeling herauf – ein Song, der ohne das dazugehörige Musikvideo jedoch fast ein wenig untergeht. Dieses reißt allerdings so einiges wieder raus. Im Grunde handelt es sich dabei sogar um einen kleinen künstlerischen Kurzfilm, der uns ins Italien der 50er Jahre zurückversetzt, einer Zeit, in der Homosexualität in Europa nur im Untergrund stattfinden durfte. Komplett in schwarz-weiß gedreht, zeigt er auf, wie Mikas Leben in dieser Zeit aussehen hätte können: böse Blicke, Verurteilung durch die Gesellschaft und ein Leben im Verborgenen.
Auch ein Duett ist auf dem Album zu finden. Gesangspartner ist der englische Songwriter Jack Savoretti, mit dem Mika bereits im Sommer mit dem Song “Youth and Love“ einen kleinen Hit hatte (nicht in Deutschland, aber zumindest im heimischen England). Auf MNIMH gibt es nun das zweite Ergebnis ihrer Zusammenarbeit zu hören. “Ready To Call This Love” überzeugt durch die warmen Stimmen der beiden Künstler, die super harmonieren.
Absolutes Highlight ist für mich neben dem epischen “Tiny Love” “I Went To Hell Last Night” mit dem eingängig-süßlichen
There’s a little bit of god in everything.
“im Chorus. Die Message ist einfach: Egal, was passiert – versuche dich nicht runterziehen zu lassen! Ein großer Mika Song, der motiviert und mich ein ums andere Mal zum Strahlen bringt.
Seiner Schwester Paloma ist die gleichnamige Pianoballade („Paloma“) gewidmet, in welcher Mika ihre Stärke und ihren Lebensmut besingt. Sie hatte 2010 einen schlimmen Unfall, bei dem es mir immer noch eiskalt den Rücken runterläuft, wenn ich daran denke (Nach einem Sturz aus dem Fenster war sie von einem Zaun aufgespießt worden). Die Zeile “Fly Paloma”, die am Ende Mantra-artig gesungen wird, geht unter die Haut.
Emotional wird es auch im letzten Song “Tiny Love Reprise”, der den ersten Song “Tiny Love” variiert und in dem auch Joannie, Mikas Mutter und Paloma, Mikas Schwester, je eine Strophe singen – zwei Frauen, die beide stark vom Schicksal gebeutelt wurden. Untermalt von Streichern und einem Kinderchor wirkt der Song wie eine Hymne und eine Ode auf das Leben:
We’ll stay high on this tiny love…
Fans guter Popmusik wird “My Life is Michael Holbrook” durchaus zusagen. Für mich ist es neben “Life In Cartoon Motion” (all the nostalgia feels) sein bisher stärkstes. Wir freuen uns schon sehr auf die “Tiny Love” Tour, die den britischen Superstar ab November auch auf die europäischen Bühnen bringt. Damit gastiert er zwar nicht in Deutschland, aber ein paar Mal ganz in der Nähe:
22.11.2019 Zürich (Komplex 457)
14.12.2019 Brüssel (Forest National)
29.01.2020 Luxemburg (Rockhal)
14.02.2020 Straßburg (Zénith)
Bis dahin halten wir uns an unser neues Lebensmotto aus dem Song “Tomorrow”:
Who gives a shit about tomorrow? We can worry then…