MiA. im Interview: „Wir haben Lieder geschrieben, die uns noch gefehlt haben“

Das ist mir bei einem Interview auch noch nicht passiert – dass es so viel Spaß macht den Künstlern dabei zuzuhören, wie sie sich untereinander unterhalten, dass ich fast vergessen hätte überhaupt Fragen zu stellen. Im Prinzip haben sich MiA., mit ein bisschen Unterstützung von meiner Seite, quasi selbst interviewt. Mieze hat sogar ihr Notizbüchlein raus geholt und mit notiert, weil sie es selber so spannend fand, was Gunnar, Andy und Rob über die nun schon über 20 Jahre währende gemeinsame Zeit als MiA. zu sagen hatten. Darüber, wie man sich während der Arbeit am neuen Album „Limbo“ als Band neu aufgestellt, neu kennengelernt und offensichtlich neu verliebt hat. Ich hoffe, man wirft mir nicht vor, ich habe meine journalistischen Pflichten vernachlässigt – es war einfach zu schön!

Erzählt doch mal, wie geht es euch denn so?

Andy: Ich glaube uns geht es sehr gut. Es fühlt sich auch ein bisschen surreal an, dass man wirklich etwas fertig gekriegt hat. Das eine ist die Arbeit im Studio, aber davor passiert ja schon ganz viel. Songwriting, aber auch zusammen finden. Will man das? Wie soll das sein? Es wird ein Normalzustand an etwas zu arbeiten. Dabei verschwindet der Gedanken, dass man irgendwann auch mal fertig sein wird, völlig aus dem Fokus. Klar ist es toll irgendwann fertig zu werden, aber das ist so utopisch weit weg. 

Gunnar: Als wir mit der Platte angefangen haben war klar, dass wir uns Zeit nehmen wollen. Das haben wir auch getan. Bevor wir überhaupt angefangen haben zu arbeiten, haben wir uns Zeit genommen zu reden. Wir haben uns gedacht: Deadlines lassen wir mal Deadlines sein. Ich kann aber von mir sagen, dass es interessanterweise im letzten halben, dreiviertel Jahr den Moment gab, an dem ich gemerkt habe: ich will, dass es jetzt fertig wird. Und zwar gar nicht weil ich genervt von der Arbeit war. So ein Album ist ja ein momentbezogenes Ding. Ich wollte, dass das Album für mich noch mit dem Moment zu tun hat, den ich mir dafür in meinem Mindset gedacht habe. Deswegen finde ich es gut, dass es fertig ist. Obwohl es das Schwerste ist irgendwann zu sagen: Häkchen. Wir machen daran nicht weiter. 

Das habe ich auch schon von anderen Künstler*innen gehört, die über einen langen Zeitraum an einem Album gearbeitet haben. Dass man am Ende zu Songs, die man vor einem Jahr geschrieben hat, plötzlich einen ganz anderen Bezug hat.

Gunnar: Genau damit hat das zu tun. Ich habe mir gewünscht, dass dieses Album für mich noch aktuell ist.

Andy: Aber ich glaube, je älter man wird, desto länger sind auch die Zyklen. Unbewusst ist man irgendwann auf der Suche nach für einen länger gültigen, oder allgemeingültigeren Aussagen. Wenn man jünger ist, dann wechselt was für einen aktuell ist von Woche zu Woche. Aber das kann man eh nicht zurückholen. Man könnte sich das vielleicht verordnen, aber das klingt sehr eckig. 

Bob: Wir haben zum Teil auch Sachen in eine neue Aktualität geholt, Sachen, die wir fürs letzte Album oder sogar schon für das davor im Skizzenstadion bereits hatten, mit denen wir aber noch nicht weiter gekommen sind. Diese Songs haben uns aber nicht in Ruhe gelassen, und jetzt hatten wir die Chance sie wieder hervorzuholen und sie in neuem Mindset wieder als aktuell zu empfinden. Was immer damals dafür gesprochen hat dass es nicht weiter ging, jetzt war ganz klar, dass diese Skizze fertig wird. Einerseits das Empfinden dazu, dass man es gut findet, dann natürlich aber auch der Match zwischen Musik und Text.

Mieze: Beim Komponieren und beim Musizieren sind wir oft auf der Suche nach Verbündeten. Andy war wirklich ein Meister darin, ältere Skizzen von sich zu präsentieren und zu sagen: das war ja damals schon genial, habt ihr nur nicht erkannt! Ich gebe euch hiermit eine zweite Chance! (Gelächter) Das hat er wirklich bis zum Schluss durchgezogen. Im Grunde genommen läuft so auch das Komponieren. Andy muss immer erstmal einen Weiteren überzeugen, das sind schon mal fünfzig Prozent. So haben wir das auch oft mit den Texten gehandhabt. Wenn Gunnar und ich uns zum Texten getroffen haben, und wir haben etwas gefunden, das wir beide geliebt haben, etwas wo wir uns ganz sicher waren, dann wussten wir, fünfzig Prozent haben wir schon mal im Sack. Jetzt müssen wir gucken, wie wir die anderen überzeugt kriegen. 

Andy: Aber gab’s bei eurer Zusammenarbeit Zeilen, bei denen ihr euch nicht sicher wart, ob wir mit denen klar kommen? 

Mieze: Wir waren immer drauf gefasst, dass das passieren könnte. Dass wir es gut finden, aber ihr nicht. 

Gunnar: Das stimmt, aber es kam nicht zur Prüfung. 

Andy: Ich glaube aber, ihr seid auch gute Repräsentanten von uns. Wenn es einen Text gibt, mit dem ihr beide klar kommt, dann komme ich locker damit klar. 

Mieze: Oft sind wir ja auch mit Texten in die Klausur gegangen, die zu viert im Probenraum entstanden sind. Das heißt, wir hatten schon eine gemeinsame Mitte, wir wussten, von wo aus wir los spazieren. 

Gunnar: Uns ist auf dieser Platte gut gelungen, uns zu viert immer wieder schnell darüber klar zu werden, was für einen Moment wir erzählen wollen. Dass alle in die gleiche Richtung denken können, das war wichtig für uns. 

Mieze: (zu Bob) Erinnerst du dich an die Session, die wir im Probenraum zu „KopfÜber“ hatten? Zum Refrain? Mit Andy zusammen haben wir stundenlang nur den Refrain gepuzzelt. Mit Worten, blau, blauer Chor, rauschender Chor… haben stundenlang nur diese Worte hin und her gepuzzelt. Da wussten wir zum Beispiel gar nicht, wie das bei Gunnar ankommen würde. Konnte gut gehen, konnte aber auch sein, dass wir da total daneben liegen. Das war wirklich ein Prozess. Lied für Lied, Text für Text für Text… das war am Anfang völlig unklar, wohin die Reise ging. 

Andy: Wir haben bei dieser Platte zum ersten mal eine ganzheitliche Arbeit zusammen gemacht. Nicht mehr so Department mässig. Musik: Jungs.

Mieze: Text. Für uns Jungs, die wir uns zum ersten Mal aktiver mit dem Text auseinandergesetzt haben, sind natürlich Erfahrungen dazu gekommen. 

Mieze: Wobei ich sagen muss, ich war bei der Musik noch nie eine ganz große Hilfe. Ich bin mehr so der Keeper. Wenn ich Skizzen gut gefunden habe, dann konnte ich immer ganz schwer damit leben, dass sie sich verändert haben. Wenn die Jungs Skizzen machen, dann hören sie oft schon die Veränderung. Die hören ein Potential. Andersrum genauso schlimm, wenn mich Skizzen erreicht haben, wo ich mit dem Sound nicht leben konnte, dann konnte ich die nicht anfassen. Ich bin dann auch nicht in der Lage zu abstrahieren. 

Gunnar: Das ist aber auch gut! Dann begegnet man diesen Sounds anders und stellt sie leichter in Frage. Ich fand es teilweise interessant das zu hören, auch wenn ich es erstmal anstrengend fand. Irgendwas hat es mit dir gemacht, und du hast gesagt, was es mit dir gemacht hat. Das spielt unter Umständen eine wichtige Rolle für den Song. 
Andy: Ich finde das so toll. Es hört ja gar nicht auf, dass wir uns besser kennenlernen. Man könnte ja meinen, wir machen das jetzt hier seit über 20 Jahren und kennen alles. 

Ich könnte ewig hier sitzen und euch zuhören.

Gunnar: Ich wollte gerade fragen, ob du nicht eigentlich Fragen hast…

Ich finde das total toll! Ihr macht das jetzt wie gesagt seit 20 Jahren, und aus allem was ihr erzählt höre ich raus, dass ihr immer noch dabei seid, euch und eure Zusammenarbeit neu zu entdecken. Selbstverständlich finde ich das nicht. In 20 Jahren kann man sich ja auch einfahren und sich auf ein erprobtes Erfolgsrezept beschränken. So wie ihr das macht finde ich das auch ganz schön mutig.

Gunnar: Der Mut ist uns natürlich ein bisschen aufgezwungen worden. Durch die Entscheidung, nach 18 Jahren alte Brücken abzubrechen. Das war auch gut und wichtig es zu machen, weil man sich aufgrund einer anderen Konstellation viel ursprünglichere Fragen stellt. Und unter Umständen, wenn man das Glück hat in dieser Band zu sein – Mieze spricht oft von Glück, und das ist auch vollkommen richtig – dann merkt man, dass das, was wir hier zusammen machen ein soziales Ding ist. Und dass es deshalb funktioniert. Das bedeutet nicht, dass es immer schön ist. Aber es bedeutet, dass uns die Nähe, diese persönliche Ebene quasi den Sprit gibt für das was wir machen. Weil es uns wichtig ist. Wir könnten das nicht einfach so verwalten, wenn wir uns als Menschen nicht etwas bedeuten würden. Das erzähle ich dir jetzt, weil du sagst du hörst es raus. Wir stellen das nicht so nach draußen. Aber wenn du wissen willst warum das so ist, dann sind das die Gründe: wir haben gelernt uns zuzuhören, wir haben gelernt uns zu ertragen. Wir haben gelernt uns zu unterbrechen und es uns nicht übel zu nehmen. Wenn wir das nicht gemacht hätten, hätten wir diese Geschichten nicht gefunden. Klingt jetzt wahnsinnig large, ist aber so. 
Und was mir bei euch auch immer wieder auffällt – und vielleicht könnt ihr mir erklären woher das kommt – ist dass ihr es immer wieder schafft einen Nerv zu treffen. Sowohl musikalisch als auch inhaltlich gelingt es euch, dass man sich von euch in seiner derzeitigen Lebenssituation erkannt und abgeholt fühlt. 

Gunnar: Ich glaube es geht darum, bei einem Moment zu bleiben. Sich dafür zu entscheiden, was man erzählen will, weil es einem wichtig ist. Wie bei „KopfÜber“, diese Lücke zwischen Ende und Beginn. Dieses: oh Scheiße, was kommt denn jetzt. Keine Ahnung, aber irgendwas kommt. Das ist vielleicht auch eine Sorgfalt…

Mieze: (leise)… eine Konsequenz…

Gunnar: Eine Konsequenz, danke Mieze. Eine Konsequenz zu sagen: ich will diesen Moment erzählen. Das ist genau das, was mich selber berührt. Ich kann nur darüber reden was mich berührt. Das war vielleicht nicht immer so. Ich bin auch nicht mit all unseren Alben gleich zufrieden. Aber für diese Platte habe ich das Gefühl, die Entscheidungsfindung ist uns gelungen. Ich habe das Gefühl, wir haben Lieder geschrieben, die uns noch gefehlt haben, und damit automatisch etwas gemacht, das uns etwas bedeutet. Wenn wir uns auf einen Moment einigen können der uns bewegt, dann ist die Möglichkeit, dass da draußen noch weitere Leute sind, denen es ähnlich geht, erstmal da.

Bob: Das hätte ich auch gesagt. Weil dieses „uns“ ist ja nicht gradlinig. Wir sind ja alles andere als gleichgeschaltet. Wenn wir uns über Themen unterhalten wird oft deutlich, wie unterschiedlich wir Situationen erleben, wie unterschiedlich die Prioritäten sind. Das sind ja schonmal vier Sichtweisen, die zusammen gepackt werden. Vielleicht ist das schon mal ein Indiz dafür, dass man sich gut darin wiederfinden kann. Das mag ich daran.

Mieze: Und wahrscheinlich ist es auch so eine Grundaufrichtigkeit. Wir denken uns ja keine künstliche Geschichte aus, die irgendwie out of space kommt. Das ist unsere Geschichte. Und je nachdem wo man gerade ist, findet man daraus unterschiedliche Antworten. In unseren vier unterschiedlichen Sichtweisen steckt immer die gleiche Aufrichtigkeit. Das Bedürfnis, es wirklich wissen zu wollen. Ich glaube daran: das was du rein gibst, das kriegst du auch raus. Im Text ist das offensichtlich, aber für mich gilt das auch für die Musik. Wir haben noch nie so genau geschaut, welcher Text auf welche Musik passt und warum. Das war wirklich interessant. Und wir haben Überraschungen erlebt! Bei „Sorgenfalter“ zum Beispiel haben Gunnar und ich gleichzeitig am Text gearbeitet. Und der hat ein Zuhause gesucht. Wir sind durch unsere Skizzen gegangen und waren der festen Überzeugung, das wird ’ne schöne Ballade. Wir hatten auch Balladenskizzen, auf die das gut funktioniert hat, aber dann kam eine Skizze von Robert, die hieß ursprünglich „Straßenfest“, die fanden wir sowieso schon super. Aber dass die zu dem Thema passt, das hätten wir nicht geglaubt. Aber dann haben wir die Magie entscheiden lassen. Wir haben gestaunt, wie energetisch und stark das plötzlich war. Aber wir haben uns angeguckt und gesagt: krass, habt ihr das auch gerade gemerkt? Das ist es! 

Ich finde ja diese Art von Aufrichtigkeit so wohltuend und so wichtig in einer Zeit, in der Zynismus oft das tonangebende Stilmittel ist. Ich verstehe das auch, ohne Zynismus kann man die Welt ja kaum ertragen. Aber wenn dann jemand wie ihr daher kommt, das tut der Seele gut.

Gunnar: Ich denke ja immer, Authentizität ist mir eigentlich egal. Wenn mir etwas gefällt, dann gefällt es mir, scheißegal ob das jetzt authentisch ist. Das ist keine Kategorie für mich. Ich glaube der einzige Grad der Aufrichtigkeit der interessant ist, ist, ob etwas für dich wichtig ist oder nicht. Ich denke, das ist etwas, das man merkt. Wenn Leute Dinge tun, die ihnen wirklich etwas bedeuten. Die letzten fünf Prozent sind da ganz wichtig. Das steht dir nicht auf der Stirn geschrieben, aber du merkst es. 

Um nochmal auf die Balladen zurück zu kommen: es ist ja ein sehr energetisches Album geworden.

Mieze: Das ist tragisch, oder? Wenn du mich fragst, ich träume ja von einem Balladenalbum. Oder davon, dass wir mal eine Akustiktour machen… auch da bin ich auf der Suche nach Verbündeten. Tatsächlich aber glaube ich, wir hätten keine Ballade ausgeschlossen, wenn sie zu uns gekommen wäre. Und wir haben unser Repertoire, wir haben Balladen, die wir live spielen. Insofern ist es jetzt nichts, was wir speziell ausgeschlossen haben. 

Andy: Selbst „KopfÜber“ ist vom Tempo her eigentlich eine Ballade. 
Gunnar: Ich wollte gerade sagen, was ist denn eigentlich eine Ballade? Für mich ist das ja eher etwas thematisches. „Mauerpark“ ist für mich zum Beispiel total eine Ballade. „Reisen“ ist musikalisch am ehesten die Ballade, ist aber eigentlich kein Balladenthema, weil es sehr leicht ist. Am ehesten wäre „Immer wenn ich dich seh“ eine Ballade, weil es ein Liebeslied ist, aber es ist keine Ballade. Ich finde, die Balladen-Temperamente in der Erzählung sind auf jeden Fall da. 

Mieze: Zu unserem Lebensgefühl gehört eben auch eine Tanzbarkeit und eine Lebendigkeit. Ich glaube diese Dringlichkeiten haben diesmal überwogen. 

Ich habe bevor ich das Album zum ersten Mal gehört habe ein bisschen geraten, was vom Titel her denn die Balladen sein könnten. Verrückterweise habe ich zum Beispiel auf „Crash“ getippt. Wobei ich abschließend sagen muss, wie wahnsinnig ich diesen Song feiere. Sich im Kopf eine Liste machen, mit allem was einem gegen den Strich geht. Das mache ich quasi jeden Tag. 

Andy: Ich finde, diese Zeile ist so richtig Mieze. Ich bin wirklich extrem dankbar in dieser Band zu spielen. Ich finde, das ist eine Zeile, die schreibt nur Mieze hierzulande. Die ist auf der einen Seite phonetisch so sperrig, aber auf der anderen Seite so wahr und so exakt.

Gunnar: Wahnsinns Kompliment für diese Zeile! Man sagt ja immer, erste Zeilen sind so wichtig. Wenn man mit dieser Zeile einen Song anfängt, dann kann der eigentlich nicht mehr in die Hose gehen. 

Mieze: (zu mir) Ein Glück, dass du das angesprochen hast. Sonst hätte ich ja richtig was verpasst hier! 

Foto ©anna.k.o.

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